(3) Mann oder Frau

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Hewett informierte die örtliche Polizei hinsichtlich eines möglichen Unfalls. Gegen 21.45 Uhr entdeckte ein Streifenbeamter das fragliche Fahrzeug. Es handeltet sich um einen grauen, viertürigen Pontiac Sunbird Baujahr 1988, der übel zugerichtet war. Die Frontscheibe war zersplittert, die Scheiben auf Fahrer- und Beifahrerseite ebenfalls zerstört. Die Karosserie war mit Dellen und Kratzern überzogen.

Das Dach wies mehrere dunkle, grüne Flecken auf. Im Fahrzeuginnenraum entdeckten die Beamten auf Fahrer- und Beifahrerseite mehrere Blutflecken. Die Polizei nahm deshalb zunächst an, dass sich der Wagen mit seinen Insassen überschlagen hatte. Doch merkwürdigerweise gab es am Fundort keinerlei Hinweise darauf, dass sich dort ein solcher Unfall abgespielt hatte.

Ein weiterer Zeuge aus der Nachbarschaft meldete sich. Marvin Wood wohnte etwa 500 Meter entfernt von der Stelle, an dem das Auto nun stand. Er hatte zwei Personen beobachtet, die mit einer rot-weißen Kühlbox ausgestiegen waren. Zudem hatte einer der beiden Insassen das vordere Nummernschild abgerissen und in ein angrenzendes Feld geworfen.

Wood beschrieb diese Person als eine blonde Frau um die 40. Der zweite Fahrzeuginsasse sei hingegen ein übergewichtiger, weißer Mann gewesen, dessen Gewicht er auf 120-130 kg schätze. Er war sich sicher, dass beide blutverschmiert waren.

Ihm sei zudem aufgefallen, dass sich die beiden immer wieder in die Büsche schlugen, sobald am Horizont ein Fahrzeug auftauchte. Nachdem sie verschwunden seien, sei er in das Feld hineingegangen. Dort habe er das Nummernschild aufgesammelt.

Das hintere Kennzeichen des Fahrzeugs fehlte jedoch weiterhin. Die Polizisten überprüften über Funk das von Wood aufgeklaubte Nummernschild. Das Auto war auf einen Peter Siems zugelassen, der im Juni vermisst gemeldet worden war.

Der Missionar

Siems lebte in Jupiter (Florida). Er war von seinem Heimatort zu einem Verwandtschaftsbesuch nach New Jersey und Arkansas aufgebrochen, dort aber nie angekommen. Die Polizei aus Jupiter bat darum, das Fahrzeug sicherzustellen und als Beweismittel in einem möglichen Mordfall zu behandeln.

Der 65-jährige Peter Siems war ein ehemaliger Angehöriger der Handelsmarine, inzwischen aber Rentner und als Missionar für eine Kirche tätig. Anfang Juni wollte er zunächst über den Interstate 95 zu seiner Mutter reisen, die in New Jersey lebte. Auf dem Rückweg wollte er dann einen Abstecher zu einem seiner Söhne unternehmen, der in Arkansas wohnte. Die lange Reise wollte er sich verkürzen, indem er die Lehren von Jesus Christus unters Volk brachte. So sah zumindest sein Plan aus.

Siems Nachbarn sahen ihn gegen 21.00 Uhr am 7. Juni seinen Wagen mit Gepäck beladen, darunter auch Bibeln. Bei seiner Mutter kam er niemals an. Da seine Frau während dieser Zeit in Europa weilte, dauerte es etwas, bis die Angehörigen sein Verschwinden bemerkten und Vermisstenanzeige stellten.

Mann oder Frau?

Die Polizisten befragten erneut den Feuerwehrchef Hubert Hewett. Er blieb dabei: An den verdächtigen Personen habe er kein Blut wahrgenommen. Allerdings seien Kleidung und Haar durchnässt gewesen. Die Beamten mutmaßten deshalb, dass sie möglicherweise auf das Grundstück eines der angrenzenden Gebäude eingedrungen waren und sich dort am Schlauch gewaschen hatten.

In einem Punkt unterschied sich die Beschreibung von Hubert Hewett aber ganz deutlich vom Augenzeugen Marvin Wood. Nach Ansicht von Hewett habe es sich bei beiden Personen eindeutig um Frauen gehandelt. Die erste Frau schätzte er auf 1,75-1,80 m und knapp 60 kg.

Die zweite Frau sei deutlich kleiner gewesen, aber auch stämmiger. Etwa 1,62-1,67 m groß und 90 kg schwer, so Hewett. Letztere habe zwar von Statur und Gesicht durchaus maskulin gewirkt. Er habe aber einen Büstenhalter erkennen können, der sich unter dem nassen T-Shirt abgezeichnet habe. Ein Irrtum sei deshalb ausgeschlossen.

Die Untersuchung des Fahrzeugs ergab zunächst wenig brauchbare Hinweise. Im Fonds waren leere Bierbüchsen, Feuerwerksraketen und Geschirrspültücher zurückgeblieben. Von den persönlichen Gegenständen, die Peter Siems vermutlich für die Reise eingepackt hatte, fehlte jede Spur.

Am 7. Juli fertigte die Polizei nach den Zeugenaussagen Phantombilder der beiden gesuchten Frauen. Das FDLE übersandte die Zeichnungen per Telex an alle Polizeidienststellen des Landes.

Der letzte Kunde

Am 30. Juli verließ Eugene „Troy“ Burress aus Ocala gegen 5.45 Uhr sein Haus. Das letzte Mal gesichtet wurde er in Seville, einer Stadt westlich von Daytona Beach. Dort belieferte er zwischen 14.00 und 14.30 Uhr eine Metzgerei. Sein nächster planmäßiger Stopp wäre an diesem Tag in Salt Springs gewesen, wo er gegen 15.00 Uhr erwartet wurde. Dort tauchte er aber nicht auf. Ebenso wenig auf dem Hof seiner Firma.

Burress war bisher immer pünktlich gewesen. Als er um 18.00 Uhr immer noch nicht von seiner Liefer-Tour zurückgekehrt war, rief seine Chefin Jonnie Mae Thompson beim letzten Kunden an und erfuhr, dass er dort nie eingetroffen war. Sie hinterließ an der Bürotür eine Notiz, dass sich Burress nach der Rückkehr sofort bei ihrem Sohn melden sollte.

Als sie gegen 22.00 Uhr nochmals in die Firma zurückkehrte, hing der Zettel immer noch da. Zusammen mit ihrem Mann telefonierte Jonnie Thompson die Krankenhäuser und Polizeistationen entlang der Route ab. Möglicherweise war Burress ja in einen Unfall verwickelt gewesen. Doch in der fraglichen Zeit war kein Mann in eine Klinik eingeliefert worden, auf den die Beschreibung passte.

Morgentau

Der Mann von Jonnie Thompson fuhr daraufhin gemeinsam mit dem ältesten Sohn die komplette Liefer-Route ab, die Burress an diesem Tag zurückgelegt hatte. Er hoffte, irgendwo entlang der Strecke den auffälligen Kühllastwagen der Firma zu entdecken. Zeitgleich machte sich auch die Familie des Vermissten zunehmend Sorgen. Sie verständigte noch am späten Abend des 30. Juli die Polizei und meldete Troy Burress als vermisst.

Um 2.00 Uhr nachts war die konzertierte Suchaktion von Erfolg gekrönt. Die Polizei entdeckte den Lkw an einer Kreuzung, die auf der Route von Burress lag. Allerdings war der Wagen in die verkehrte Fahrtrichtung geparkt. Der Motor war kalt, die Fensterscheiben beschlagen. Auf dem Lack hatte sich bereits Morgentau gebildet. Der Lkw schien schon geraume Zeit hier zu stehen.

Von dem Fahrer fehlte jede Spur. Die Polizei durchsuchte den Wagen jedoch nur oberflächlich nach Hinweisen, die hätten erklären können, was geschehen war. Die Spurensicherung rückte erst gar nicht an. Anschließend erlaubten die Polizisten der Firma von Jonnie Thompson, den Wagen wieder zu übernehmen.

Leiche statt Picknick

Am 4. August fand ein Ehepaar den Leichnam von Troy Burress. Das Paar suchte am Nachmittag nach einem geeigneten Fleckchen für ein Picknick. Die beiden stolperten auf einer Lichtung über die Leiche des Vermissten, unweit des Highway 19. Der Fundort war rund 12 km vom Abstellplatz seines Lasters entfernt.

Aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit und Temperaturen war die Verwesung des Toten bereits weit fortgeschritten. Eine Identifizierung war erst möglich, als Burress‘ Frau den Ehering wiedererkannte. Todesursache waren zwei Schüsse aus einer Waffe vom Kaliber .22, wie die Obduktion später ergab.

Die Polizei suchte den Waldweg ab und fand mehrere persönliche Gegenstände aus dem Besitz des Opfers, darunter Kreditkarten, Quittungen und ein Klemmbrett. Es fehlte die Geldtasche mit den Tageseinnahmen in Höhe von rund 300 Dollar.

Hemd mit Blumenmuster

Ein Zeuge meldete sich bei der Polizei. Er hatte am Tag des Verschwindens von Burress einen Mann neben dem abgestellten Truck bemerkt. Laut der Zeugenbeschreibung trug die Person Shorts, ein Hemd mit einem auffälligen Blumenmuster und war zudem barfuß unterwegs.

Der Fremde habe behauptet, der Lkw gehöre ihm. Die Benzinpumpe sei defekt. Er bat den Zeugen, ihn zu einem Campingplatz mitzunehmen, wo er übernachte. War Burress möglicherweise einem Raubüberfall zum Opfer gefallen?

Die Polizei leitete die Fahndung nach dem Anhalter ein. Am 8. August konnten die Behörden den Mann im Bundesstaat Indiana stellen. Er führte einen Laster mit sich, den der Besitzer im Marion County in Florida als gestohlen gemeldet hatte. Die Beamten der Mordkommission flogen nach Indiana, um den Mann zu verhören.

Er stritt ab, mit dem Mord an Burress etwas zu tun zu haben. Die Polizei fand auch keinen Hinweis, dass der Mann jemals eine Waffe besessen hatte oder wegen Raub- und Gewaltdelikten in Erscheinung getreten war. Er hatte sich offensichtlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten. Es gab darüber hinaus keine Indizien, die ihn mit dem eigentlichen Tatgeschehen in Verbindung brachten.

Ein toter Ex-Cop

Rund einen Monat später, am Abend des 12. September 1990, entdeckte die Polizei des Marion County eine weitere männliche Leiche. Der Leichnam wies sieben Schusswunden vom Kaliber .22 auf, von denen aber nach Einschätzung der Gerichtsmedizinerin nur eine tödlich war: ein Schuss aus nächster Nähe in den Hinterkopf.

Der Tote wies Ähnlichkeiten mit der Personenbeschreibung einer Vermisstenmeldung vom Vortag auf, welche die Polizei mit besonderem Nachdruck verfolgte. Denn der Vermisste war ein Ex-Cop. Eine Identifizierung seitens der Familienangehörigen bestätigte den Anfangsverdacht. Beim Toten handelte es sich um Richard „Dick“ Humphrey.

Dick Humphrey hatte am 10. September 1990 gemeinsam mit seiner Frau den 35. Hochzeitstag in einem Restaurant gefeiert. Der 56-jährige war in früheren Tagen Polizeichef einer Gemeinde im Nachbarstaat Alabama gewesen und inzwischen als Sozialarbeiter für die Familienbehörde des Staates Florida tätig. Er kümmerte sich insbesondere um misshandelte Kinder oder solche, die in sonst einer Form unter häuslicher Gewalt litten.

Letzter Arbeitstag

Am 11. September 1990 war sein letzter Arbeitstag in der Außenstelle der Behörde im Sumter County. Am folgenden Tag sollte er zu einer neuen Dienststelle in Ocala wechseln. Er freute sich darauf. Denn einerseits lag Ocala näher an seinem Wohnort Crystal Springs. Zum anderen verstand er sich mit einer seiner Vorgesetzten im Sumter County nicht sonderlich gut.

Gegen 14.00 Uhr hatte er seinen Schreibtisch im alten Büro aufgeräumt. Er verabschiedete sich von seinen Kollegen. Den Rest des Nachmittags wollte er für Außentermine nutzen, um einige Fälle noch abzuschließen. Letztmals lebend gesehen wurde Humphrey in einem Motel. Gegen 15.45 Uhr rief er nochmals in seinem Büro an.

 

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