(5) Die Prozesse

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Joe Hunt wurde erneut verhaftet. Die Eltern seiner Freundin holten ihn auf Kaution raus und ließen ihn für die Dauer des Prozesses bei sich wohnen. Joe Hunt gab vor Gericht an, mittellos zu sein. Das Gericht stellte ihm Arthur Barens als Pflichtverteidiger zur Seite. Die Mordfälle Ron Levin und Hedayat Eslaminia kamen in zwei getrennten Verfahren zur Verhandlung.

Die Verteidigungsstrategie, für die sich Arthur Barens im Fall Ron Levin entschied, war simpel. Es gab keine Leiche. Es gab sogar ein Ehepaar, das behauptete, Levin nach seinem angeblichen Verschwinden gesehen zu haben. Das würde seiner Meinung nach reichen, um bei den Geschworenen einen begründeten Zweifel hervorzurufen.

Staatsanwalt Fred Wapner stand jedoch nicht auf verlorenem Posten. Er hatte die To-Do-Liste, den Kronzeugen Dean Karny und zwei weitere Argumente auf seiner Seite. Eine Vielzahl von Zeugen entwarf ein vernichtendes Charakterbild von Joe Hunt, das einen Mord durchaus wahrscheinlich erschienen ließ. Außerdem hatte Joe Hunt niemals versucht, Levins Aufenthaltsort nach dessen angeblichem Verschwinden herauszufinden oder ihn mit einem Appell dazu zu bewegen, sich bei den Behörden zu melden. Das wirkte unglaubwürdig, weil Hunt ja behauptete, eng befreundet mit dem Vermissten zu sein.

Lebt Ron Levin noch?

Zu Beginn des Prozesses kündigte Arthur Barens an, dass Joe Hunt zu einer Aussage bereit sei und in den Zeugenstand treten würde. Das ganze Verfahren drehte sich um eine einzige Frage: War Ron Levin tot oder lebte er noch? Es gab keinerlei Hinweise, dass Levin seine Flucht geplant hatte oder aus irgendwelchen Gründen hätte untertauchen müssen. Seine Mutter sagte aus, dass ihr Junge sie immer angerufen habe, egal, wo er sich aufgehalten habe. Doch seit dem 6. Juni 1984 habe sie nichts mehr von ihm gehört.

Am Ende der Beweisaufnahme war nichtsdestotrotz unklar, wie die Entscheidung der Geschworenen ausfallen würde. Zu viele Zeugen der Anklage hatten sich nicht eindeutig genug geäußert. Die Zweifel, ob der mehrfach vorbestrafte Ron Levin nicht doch Hals über Kopf die Flucht angetreten hatte, waren nichts restlos ausgeräumt. Es kam jetzt auf die Aussage von Joe Hunt an und wie er sich im Kreuzverhör schlagen würde. Da gab sein Verteidiger überraschend bekannt, dass Hunt entgegen der Ankündigung nicht im Zeugenstand auftreten werde. Barens nannte keinen Grund für diese Entscheidung.

Urteilsverkündung

Bei den Geschworenen kam dieses Verhalten offensichtlich nicht gut an. Denn am 22. April 1987 erklärten sie den Angeklagten für schuldig. Sie trauten sich jedoch nicht, ihn zum Tode zu verurteilen, was nach kalifornischem Recht möglich gewesen wäre. Vermutlich hatten sie Angst, eine fatale Fehlentscheidung zu treffen, die sich nicht mehr umkehren ließ, sollte Ron Levin, so unwahrscheinlich es war, doch noch unter den Lebenden weilen.

Joe Hunt war während der Urteilsverkündung wie im Verlauf des gesamten Prozesses die Ruhe selbst. Er drehte sich lediglich zu seiner Lebensgefährtin um und zuckte kurz mit den Schultern. Nach der Urteilsverkündung stellte er sich den Medien. Er behauptete nach wie vor, dass Ron Levin lebe und sich eines Tages melden würde. Die Entscheidung der Geschworenen sei leider ein Fehlurteil auf Grundlage falscher Fakten. Ihm bliebe nur eines: sich nicht unterkriegen zu lassen und weiter für sein Recht zu kämpfen.

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Film mit fatalen Folgen

Direkt im Anschluss ging Hunt in Berufung. Er setzte alle Hebel in Bewegung, um die Werbetrommel für sich zu rühren. So gab er beispielsweise der populären Sendung »60 Minutes« ein ausführliches Interview. Er hatte für alle Vorwürfe eine Erklärung parat. Gleichzeitig versuchte er die Ausstrahlung eines mehrteiligen Fernsehfilms von NBC zu verhindern, der auf seiner Geschichte basierte. Das Gericht wies seine Klage zurück.

Die Ausstrahlung sollte weniger Joe Hunt schaden, sondern anderweitig fatale Konsequenzen haben. Im Juli 1989 schauten sich die beiden Brüder Erik und Lyle Menendez aus Los Angeles eine Wiederholung des Films »The Billionaire Boys Club« an. Die Sendung inspirierte die beiden Kinder reicher Eltern dazu, Vater und Mutter auf denkbar brutalste Art umzubringen, um an ihr Erbe heranzukommen. Der Fall der Menendez-Brüder schlug in der amerikanischen Öffentlichkeit ähnlich hohe Wellen wie der Prozess gegen Joe Hunt oder das Verfahren einige Jahre später gegen O. J. Simpson.

Die übrigen Verdächtigen

Der Polizei gelang es schließlich auch, Reza Eslaminia und Ben Dotsi in ihrem Versteck aufzustöbern. Beide versuchten, sich herauszureden. Ben Dotsi behauptete, bei den Morden nicht dabei gewesen zu sein. Reza Eslamania beteuerte, noch nicht einmal in die Entführung eingeweiht gewesen zu sein. Notizen, die die Polizei in seinen Unterlagen gefunden hatte, besagten etwas anderes. Zumindest von der Geiselnahme hatte er gewusst. Das Gericht verurteilte beide Angeklagte zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe ohne Chance auf Bewährung.

Jim Pittman, dem ehemaligen Sicherheitschef von BBC, war mehr Glück beschieden. In zwei Prozessen, in denen er sich wegen der Ermordung von Ron Levine verantworten musste, gelangten die Geschworenen zu keinem einstimmigen Ergebnis. Pittman handelte einen Deal mit der Staatsanwaltschaft aus. Er bekannte sich der Beihilfe zum Mord und dem unerlaubten Tragen einer Waffe schuldig.

Joe Hunt verteidigt sich selbst

1992 fand das zweite Verfahren gegen Joe Hunt statt. Es ging um den Mord an Hedayat Eslaminia. Hunt hatte sich für eine gefährliche Strategie entschieden. Er wollte sich in diesem Prozess selbst verteidigen. Mit dieser Masche hatten sich schon andere Kriminelle wie Ted Bundy oder Rodney Alcala ihr eigenes Grab geschaufelt.

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Doch Joe Hunt, der keinerlei juristische Vorbildung besaß, schlug sich wacker vor Gericht. Es gelang ihm, die Geschworenen mithilfe seines rheotorischen Geschicks einzuwickeln. Er säte genügend Zweifel an der Version der Anklage, sodass die Geschworenen sich am Ende nicht auf einen Urteilsspruch einigen konnten. Der Staatsanwalt verzichtete auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens angesichts der Tatsache, dass Hunt bereits eine lebenslängliche Haftstrafe verbüßte.

Reza Eslaminia und Ben Dotsi

1998 entschied das zuständige Berufungsgericht, dass der Prozess gegen Reza Eslaminia und Ben Dotsi wegen gravierender Verfahrensfehler neu aufgerollt werden müsse. Dotsi bekannte sich in dem neuerlichen Verfahren wegen Totschlags und Kidnapping schuldig. Die verhängte Strafe entsprach seiner bisher abgesessenen Zeit. Nach zehn Jahren im Gefängnis war er wieder ein freier Mann.

Reza Eslaminia kam noch billiger davon. Als seine Berufungsverhandlung anstand, war klar, dass Dean Karny nicht als Zeuge aussagen würde. Karny befand sich mittlerweile im Zeugenschutzprogramm und seine Identität sollte nicht gefährdet werden. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt, da die anderen Indizien nicht für eine Verurteilung ausreichten. 2012 geriet Eslaminia jedoch erneut mit dem Gesetz in Konflikt. Er überfuhr als Taxifahrer in San Francisco eine rote Ampel und verursachte einen Unfall. Dabei wurde ein dreifacher Familienvater getötet.

Die anderen Mitglieder des »Billionaire Boys Club« kamen ungeschoren davon.

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