(3) Die Babyfarm

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Sandra Lindsay erzählte Josefina, dass sie mit Heidnik seit mehreren Jahren befreundet sei. Sie habe ihn am Elwyn Institute kennengelernt, einer Einrichtung für geistig Behinderte. Sie beschrieb Gary Heidnik als guten Freund, der sich immer um sie gekümmert habe. Ohne erkennbares Anzeichen von Emotion schilderte Sandra dann, dass Heidnik sie häufig zu Sex mit ihm und einem Freund namens Tony gezwungen habe.

Einmal sei sie dadurch schwanger geworden. Sie habe das Kind nicht bekommen wollen. Als Heidnik von ihren Plänen erfuhr, sei er zunächst ausgerastet, habe ihr aber dann 1.000 Dollar angeboten, sofern sie das Kind behalte. Sie habe abgelehnt. Nun sei Gary Heidnik wieder aufgetaucht und habe sie zu seinem Haus gebracht. Bisher habe er sie aber noch nie angekettet. Sandra Lindsay rollten die Tränen herunter. Sie schien zum ersten Mal zu begreifen, in welch misslicher Lage sie steckte.

Macht und Kontrolle

Obwohl in Philadelphia inzwischen tiefster Winter angebrochen war und in Heidniks Keller entsprechend niedrige Temperaturen herrschten, durften die Frauen nur Bluse und Socken tragen. Er vergewaltigte beide Frauen nun beinahe täglich. Wenn Heidnik sie alleine ließ, kuschelten sich Sandra Lindsay und Josefina Rivera aneinander, um sich zu wärmen. Ab und an riefen die beiden Frauen laut um Hilfe. Nichts geschah, außer Gary Heidnik erwischte sie dabei. Dann verprügelte er sie brutal.

Vordergründig ging es Gary Heidnik darum, seine verrückte Idee von einer »Babyfarm« Wirklichkeit werden zu lassen. Aber je mehr Tage verstrichen, umso mehr Gefallen fand Heidnik an der Macht und Kontrolle, die er ausübte. Er begann, Regeln für Sandra und Josefina aufzustellen. Er verlangte absoluten Gehorsam und totale Unterwerfung. Jeden Regelverstoß bestrafte er mit einer weiteren Tracht Prügel. Oder er sperrte sie in die Grube, die er inzwischen 1,20 Meter tief ausgehoben hatte.

Und sein krankes Hirn sann nach neuen Foltermethoden. Hatte sich eine der Frauen aus seiner Sicht ein besonders schwerwiegendes Vergehen zuschulden kommen lassen, kettete er sie mit einem Handgelenk an eines der Deckenrohre. Die Frau musste also ständig einen Arm über dem Kopf hochhalten. Das ist eine Position, die schon nach wenigen Minuten schmerzhaft sein kann. Aber Heidnik ließ Sandra und Josefina mehrere Stunden in dieser Haltung verharren, bevor er die Fesseln wieder löste.

Fehlinformation

Vincent Nelson, der Lebensgefährte von Josefina Rivera, ging davon aus, dass ihn seine Freundin nach dem heftigen Streit einfach sitzen gelassen hatte. Deshalb erstattete er keine Vermisstenanzeige bei der Polizei. Sandra Lindsays Mutter hingegen machte sich Sorgen. Sie suchte nach Sandra und fragte Bekannte. Jemand erwähnte den bärtigen Weißen, mit dem er Sandra kürzlich gesehen habe.

Sandras Mutter kannte Gary Heidnik, weil er ihrer Tochter seit Langem hinterherstieg. Sie unterrichtete die Polizei von ihrem Verdacht, dass Heidnik Sandra entführt habe. Sie wusste von Heidnik lediglich seinen Vornamen, konnte den Beamten aber seine Adresse und Telefonnummer nennen. Der Polizist wählte die Nummer. Als sich niemand meldete, fuhr er zu Heidniks Haus. Niemand öffnete ihm. Der Beamte ließ den Fall auf sich beruhen.

Gary Heidnik hatte mitbekommen, dass Sandras Mutter nach ihrer Tochter fahndete. Er zwang das Mädchen, einen Brief an ihre Mutter zu schreiben, den er ihr diktierte. Darin hieß es, sie sei weggegangen und würde sich zu einem späteren Zeitpunkt mit Einzelheiten melden. Sandra Lindsay begriff nicht, was sie da niederschrieb und am Ende unterzeichnete. Josefina Rivera hingegen verstand nur zu gut, was Heidnik vorhatte. Zwei Tage später erzählte er den Frauen, dass er den Brief in New York eingeworfen habe. Sandras Mutter würde glauben, dass ihre Tochter ausgerissen sei. Bei Heidnik würde niemand mehr nach Sandra Lindsay suchen.

Lisa Thomas

Um Weihnachten herum begab sich Gary Heidnik auf die Jagd nach einem weiteren Opfer. Er wurde in der Lehigh Avenue fündig. Die 19-jährige Lisa Thomas war unterwegs zu einer Freundin. Heidnik nahm fälschlicherweise an, dass sie sich prostituierte, und hielt mit seinem Cadillac neben ihr an. Er lehnte sich aus dem Fenster und fragte nach ihrem Preis. Lisa reagierte empört. Sie sei keine Prostituierte, blaffte sie Heidnik an.

Gary Heidnik mochte ein schwergestörter Irrer und im normalen Alltag ein seltsamer Kauz sein. Aber leider war er alles andere als dumm. Wenn es darauf ankam, konnte er Menschen um den Finger wickeln und nach Belieben manipulieren. Er entschuldigte sich sofort bei Lisa für seine Anmache. Er bot ihr an, sie zu ihrer Freundin zu fahren, um seinen Fehler wiedergutzumachen. Vorher würde er ihr ein Essen spendieren. Und sie könne sich auf seine Kosten ein paar hübsche Kleider kaufen, Geld spiele keine Rolle. Es täte ihm alles so schrecklich leid. Lisa stieg schließlich in den schicken Cadillac ein.

Bevor sich Lisa Thomas versah, war sie bereits in Heidniks Bruchbude gelandet und bekam von ihm ein mit Schlafmittel versetztes Glas Wein kredenzt. Gary Heidnik vergewaltigte die bewusstlose Lisa Thomas und brachte sie dann zu den anderen beiden Frauen in den Keller. Nun hielt Heidnik in dem engen Verlies bereits drei Gefangene. Es sollten rasch weitere folgen.

Deborah Dudley

Zehn Tage später kehrte Gary Heidnik mit dem nächsten Opfer zurück. Doch die 23-jährige Deborah Dudley war ein freiheitsliebender Charakter, der ihrem Entführer weitaus mehr Widerstand leistete als alle ihre Mitgefangenen zusammen. Sie ergab sich nicht in ihr Schicksal. Sie verhielt sich bei jeder Gelegenheit aufmüpfig. Sie verspottete Heidnik, sie kratzte an seiner Autorität. Als Heidnik merkte, dass er Deborah Dudley mit seiner üblichen Mixtur aus Schlägen und Wegsperren nicht beikam, überlegte er sich eine neue Foltermethode.

Jedes Mal, wenn er Deborah wegen eines vermeintlichen Vergehens bestrafte, nahm er die anderen Gefangenen in Sippenhaft. Sie mussten die gleiche Bestrafung über sich ergehen lassen. Das führte zu zunehmenden Spannungen unter den Frauen. Prügelstrafen gehörten wie die Vergewaltigungen nun zum alltäglichen Standardprozedere in Heidniks Folterkeller.

Perfide Psychospiele

Der Folterknecht hatte sichtlich Vergnügen an seinen perfiden Psychospielchen, die er mit den Frauen trieb. Bevor er den Keller verließ, bestimmte er von nun an reihum eine neue »Aufseherin«. Sobald er zurückkehrte, fragte er die betreffende Frau, ob eine der anderen gegen seine Regeln verstoßen habe. Eine Lose-Lose-Situation für Heidniks Opfer. Behauptete die »Aufseherin«, es habe keine Regelverstöße gegeben, bezichtigte er sie der Lüge und drosch unterschiedslos auf alle Gefangenen ein.

Berichtete das Mädchen wiederum, dass etwas vorgefallen sei, forderte Heidnik die Frau auf, der er das Kommando übertragen hatte, die Bestrafung durchzuführen. War er der Meinung, dass sie nicht hart genug zuschlage, dann verprügelte er alle. Gary Heidnik hatte ein Regime des Terrors und der Angst errichtet. In dieser Phase kristallisierte sich heraus, dass Josefina Rivera die loyalste und gehorsamste unter Heidniks »Sklavinnen« war. Sie verpfiff regelmäßig ihre Mitgefangenen und schlug kräftig zu, wenn Heidnik es von ihr verlangte.

Heidnik schöpfte mehr und mehr Vertrauen zu Rivera. Sie schien tatsächlich bereit zu sein, seine »Ehefrau« zu werden. Man kann Josefina Riveras Verhalten für verabscheuungswürdig halten. Später würde es auch auf sie zurückfallen. Aber man muss sich fairerweise die Extremsituation vor Augen halten, in der sich die Gefangenen befanden: enormer psychischer Druck und massive Gewalt gepaart mit Hoffnungslosigkeit. Josefina Rivera vegetierte inzwischen sechs Wochen in diesem Zustand herum.

Sexuelle Ausschweifungen

Nach der Ankunft von Deborah Dudley dachte sich Gary Heidnik neben neuen Foltermethoden auch andere Spielarten des sexuellen Missbrauchs aus. Zuvor hatte er die Frauen in der Regel einzeln vergewaltigt. Nun zwang er sie, aneinander sexuelle Handlungen vorzunehmen, während er zuschaute.

Körperhygiene schien Heidnik in diesem verwanzten Rattenloch keine besondere Bedeutung zuzumessen. Josefina Rivera hatte sich seit anderthalb Monaten nicht mehr gewaschen. Als Klo diente ein Eimer. Immerhin hatte Heidnik diesbezüglich ein Einsehen. Er besorgte ein Chemieklo und haufenweise Feuchttücher. Außerdem erlaubte er den Frauen ab sofort, regelmäßig ein Bad zu nehmen.

Das Nahrungsangebot war lange Zeit von Heidniks Launen abhängig gewesen. An einigen Tagen reichte er nur Brot und Wasser. An anderen Tagen gab es abgelaufene Hot Dogs oder Nutellabrote. Irgendwann wurde ihm die Essensfrage lästig. Er beschränkte die Auswahl auf Konservendosen mit Hundefutter, die er palettenweise aus dem Supermarkt ankarrte. Die Frauen weigerten sich zunächst, diesen Fraß zu essen. Also schlug Gary Heidnik sie so lange, bis sie taten, was er verlangte.

Jacquelyn Askins

Am 18. Januar 1987 verschleppte Heidnik die inzwischen fünfte Gefangene in das Kellerverlies in der North Marshall Street. Er hatte die 18-jährige Jacquelyn Askins am Nordrand der Stadt aufgesammelt. Als er ihr jedoch die Knöchel fesseln wollte, musste er feststellen, dass das Mädchen zu zierlich war. Er legte ihr stattdessen Handschellen um die Fußgelenke.

Gary Heidnik schien sein neuester Fang in Hochstimmung zu versetzen. Er brachte den Frauen chinesisches Essen und eine Flasche Champagner mit. Er zwang sie, mit ihm auf Josefina Riveras 26. Geburtstag anzustoßen – Josefina war inzwischen zu seiner unangefochtenen Favoritin aufgestiegen. Außerdem ging er davon aus, dass Josefina und Sandra Lindsay mittlerweile schwanger waren. Ein Umstand, der ihm zusätzlich gute Laune bereitet haben mochte. Aber Gary Heidnik irrte. Es sollte nicht seine letzte fatale Fehleinschätzung bleiben.

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