Der Tag, als Jimmy Hoffa verschwand

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Jimmy Hoffas gefährlicher Ehrgeiz

Am 14. Februar 1970 drehte eine Propellermaschine ihre Runden über dem Staatsgefängnis in Lewisburg, Pennsylvania. Der kleine Flieger hatte ein großes Banner im Schlepptau, auf dem zu lesen war: »Happy Birthday, Jimmy!« Jimmy Hoffas Freunde ließen sich nicht lumpen. Sie gratulierten dem gefallenen Gewerkschaftsboss, der inzwischen seit drei Jahren in Haft saß, standesgemäß zum 57. Geburtstag. Hoffa erhielt obendrein noch Hunderte von Glückwunschkarten und Briefen. Sie kamen meist von ihm nach wie vor treu ergebenen Gewerkschaftsmitgliedern und -funktionären.

Nach all den Tiefschlägen der vergangenen Jahre waren Hoffa wenigstens noch seine loyalen Freunde geblieben. Die Hoffnung war trügerisch. Für viele einfache Arbeiter war Jimmy Hoffa zwar immer noch ein Held. Aber die Führungskader der Gewerkschaft und die Mafia, die mehr denn je die Fäden innerhalb der Transportarbeitergewerkschaft zog, empfanden das gänzlich anders. Sie freuten sich insgeheim, dass Jimmy Hoffa kaltgestellt war.

Die Marionette Fitzsimmons

Frank Fitzsimmons, sein Nachfolger als Vorstand der Teamster, war viel mehr nach dem Geschmack derjenigen, die das Sagen hatten. Fitzsimmons nahm nicht nur »wohlmeinende Ratschläge« von der Mafia entgegen, um dann seine eigenen Entscheidungen zu treffen, wie es Hoffa gehandhabt hatte. Frank Fitzsimmons räumte den Gangstern jede Menge Gestaltungsspielraum ein, den sie weidlich nutzten. Er mischte sich nicht in die Dinge ein, die in den Ortsvereinen der Gewerkschaft passierten, die nur zum Schein existierten und vom Syndikat kontrolliert wurden. Er überließ der Mafia dort vollkommen freie Hand.

Frank Fitzsimmons - Richard Nixon
Frank Fitzsimmons und Richard Nixon, 12. Februar 1973
Photo by Oliver F. Atkins, official photographer – The U.S. National Archives and Records Administration

Mit dem ausgeglichenen Fitzsimmons war zudem viel einfacher auszukommen als mit dem streitsüchtigen Jimmy Hoffa. Weiterer Pluspunkt: Frank Fitzsimmons war ein dicker Kumpel vom US-Präsidenten Richard Nixon. Der spazierte praktisch ein und aus im Weißen Haus. Das verlieh ihm einen seriösen Anstrich, über den der Prolet Hoffa nie verfügt hatte, auch vor seiner Verurteilung nicht. Seriösität war prima fürs Geschäft. Aber nun war Jimmy Hoffa obendrein noch ein vorbestrafter Krimineller. Ein wachechter Knacki. Nicht ansatzweise die Idealbesetzung für den Posten eines Gewerkschaftsbosses. Jimmy Hoffa war raus aus dem Spiel, wenn es nach der Mafia ging.

Hoffas Pläne nach der Entlassung

Jimmy Hoffa bekam von diesen Entwicklungen nichts mit oder sie kümmerten ihn herzlich wenig. Sobald man ihn entlassen hatte, würde er seinen alten Posten und die damit verbundene Macht zurückverlangen. Dem standen zunächst nicht nur Frank Fitzsimmons und seine Befürworter im Weg, sondern auch ein Gesetz, das verurteilten Straftätern unter anderem untersagte, ein Amt in einer Gewerkschaft zu übernehmen. Das Verbot galt für mindestens fünf Jahre nach Entlassung aus der Haft. Auch das würde er geduldig aussitzen, so wie er die Haftstrafe abgesessen hatte.

Aber dann, so Hoffas Plan, würde er wieder zurückkehren auf seinen angestammten Thron. Dann würde er bei der nächsten Vorstandswahl gegen Frank Fitzsimmons antreten. Fitzsimmons war eine Marionette der Mafia. Fitzimmons war eine Pfeife. Eine Buchhaltertype. Amerikanische Arbeiter standen nicht auf Buchhalter. Amerikanische Arbeiter liebten echte Kerle, wie Jimmy Hoffa einer war.

Jimmy Hoffa, 11. August 1958, vor dem McClellan-Untersuchungsausschuss

 

Jimmy Hoffa war überzeugt davon, dass er die große Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder hinter sich scharen würde. Scheiß auf die Verurteilung. Wussten doch alle, dass er bloß der Sündenbock in einem abgekarteten Spiel gewesen war. Genau genommen ein Märtyrer, der sich für die gute Sache geopfert hatte. Die beiden Kennedys, seine Erzfeinde, lagen inzwischen unter der Erde. Und diese Flitzpiepe Fitzsimmons würde er eigenhändig erledigen. Dann würde wieder ein anderer Wind wehen in der Gewerkschaft, die er überhaupt erst groß gemacht hatte. Und die Typen von der Mafia würden nicht länger sagen, wo es langging, sondern sich auf dem Platz wiederfinden, der ihnen zustand: Auf dem Bänkchen der Bittsteller.

Unter dem Schutz von „Tony Pro“

Aber bis er dieses Ziel erreicht hatte, versuchte Jimmy Hoffa zweigleisig zu fahren. Zunächst benötigte er seine alten Mafiakumpels, damit sie ihn wieder auf den Thron hievten. Denn ein bisschen Bargeld in der Wahlkampfkasse, um die richtigen Leute zu schmieren, konnte nicht schaden. Da traf es sich, dass während Hoffas Haftzeit in Lewisburg gleichzeitig ein hochrangiges Mafiamitglied einsaß: Anthony »Tony Pro« Provenzano.

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Anthony Provenzano, 1979

Provenzano war ein Capo der New Yorker Genovese-Familie, gleichzeitig aber auch leitender Funktionär des Gewerkschaftsbüros 560 in Union City, New Jersey. »Tony Pro« und Hoffa waren seit vielen Jahren befreundet. Sie hatten so einige lukrative Dinge zusammen gedreht. Für Anthony Provenzano war das Gewerkschaftsbüro 560 so etwas wie der Honigtopf, in den er jederzeit hineinlangen konnte, wenn ihm danach begehrte. Mit dem Gewerkschaftsgeld hatte er jede Menge illegaler Geschäfte kostengünstig vorfinanziert.

In Lewisburg waren Jimmy Hoffa und Anthony Provenzano deshalb zunächst enge Verbündete gewesen. Provenzano war im Knast aufgrund seiner Mafiazugehörigkeit unantastbar. An »Tony Pro« und seine Freunde traute sich niemand heran, der noch ein Funken Verstand besaß. Und natürlich stand Jimmy Hoffa unter Provenzanos Schutz.

Hoffa konnte sich bei einer Gelegenheit revanchieren, als es Anthony Provenzano aus gesundheitlichen Gründen dreckig ging. Provenzano bekam eines Nachts so starke Magenschmerzen, dass er fast ohnmächtig vor Schmerz wurde und sich nicht mehr bewegen konnte. Jimmy Hoffa scheuchte daraufhin die trägen und skeptischen Wächter so lange herum, bis diese sich endlich in Bewegung setzten und den kranken Häftling auf dem schnellsten Weg zur Krankenstation schafften.

Konflikt mit Provenzano

Aber noch während der gemeinsamen Haftzeit musste es zwischen beiden zum Bruch gekommen sein. Grund war eine »Bitte«, die Provenzano an Hoffa richtete. Der Mafiosi verlangte vom ehemaligen Gewerkschaftsführer, dass er seinen Einfluss geltend mache, um an ein Darlehen aus dem Pensionsfonds heranzukommen. »Tony Pro« wollte mit dem Geld ein Restaurant eröffnen. Aber Hoffa verweigerte ihm den Freundschaftsdienst. Jimmy Hoffa wollte oder konnte dem Wunsch nicht nachkommen. Anthony Provenzano reagierte stinksauer. Später belauschten Zeugen ein Gespräch zwischen den beiden Häftlingen, in dessen Verlauf Hoffa sinngemäß gesagt haben soll: »Wegen so Leuten wie dir sitze ich jetzt im Knast.«

Der Konflikt spitzte sich weiter zu. Jimmy Hoffa nutzte alle ihm zur Verfügung stehenden Drähte zur Gewerkschaft, um gegen Provenzanos Plan zu opponieren, nach der Haftentlassung wieder das Gewerkschaftsbüro 560 zu übernehmen. Und »Tony Pro« Provenzano setzte alle Hebel in Bewegung, damit Hoffa nicht wieder Boss der Teamster wurde. Die beiden bekriegten sich nach allen Regeln der Kunst.

Streit eskaliert

Als Hoffa und Provenzano etwa zeitgleich aus Lewisburg entlassen wurden, eskalierte die Auseinandersetzung ein weiteres Mal. Ein Informant des FBI berichtete, die beiden wären sich zufällig an einem Flughafen begegnet und hätten sich gegenseitig lautstark beschimpft. Das Spektakel sei in einer handfesten Keilerei geendet, an deren Ende Jimmy Hoffa »Tony Pro« eine Flasche über den Schädel gezogen habe. Hoffas Familie habe die Szene mit ansehen müssen. Provenzano sei völlig ausgetickt. Er habe Hoffas Enkelkinder angeschrien, dass er ihnen allen eigenhändig die Haut abziehen und die Eingeweide herausreißen würde.

Jimmy Hoffa dachte vielleicht, er sei ein tougher Typ, dem niemand was könne. Aber in diesem Fall hatte er sich definitiv mit dem Falschen angelegt. Provenzano rasselte nicht nur mit dem Säbel. Der haute jedem eiskalt die Rübe ab, der ihn bloß blöde anguckte. 1963 war ein Mann unter ungeklärten Umständen erschossen worden, der in einem Prozess gegen Anthony Provenzano als Zeuge der Anklage aussagen sollte. 1972 verschwand ein Komplize von Provenzano spurlos, der bei einem Fälschungscoup mitgemischt hatte und die Klappe nicht halten konnte. Es brauchte keinen Sherlock Holmes, um zu kapieren, wer der Drahtzieher dieser Morde war.

Das Treffen am 30. Juli 1975 im »Machus Red Fox« sollte eigentlich dazu dienen, die Wogen zwischen Hoffa und Provenzano zu glätten. So hatte sich das Jimmy Hoffa zumindest vorgestellt. Deshalb hatte er einen weiteren Vertrauten mit Mafiaverbindungen – Anthony Giacalone aus Detroit – um Vermittlung gebeten. Aber über Jimmy Hoffas Schicksal war längst an anderer Stelle entschieden worden. Um den lästigen Ex-Gewerkschaftsführer geräuschlos zu beseitigen, griff man auf einen Plot zurück, der bereits in der Vergangenheit in einem anderen Fall funktioniert hatte.

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