Der Tag, als Jimmy Hoffa verschwand

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Intro

Am 30. Juli 1975 stand sich Jimmy Hoffa auf einem Parkplatz in Bloomfield Township, Michigan, die Beine in den Bauch. Der einst mächtige Gewerkschaftsboss war stinkwütend. Er war um 14.00 Uhr zum Essen im »Machus Red Fox« verabredet gewesen. Vor dem Gebäude des Restaurants wartete er nun seit einer Viertelstunde vergeblich auf die beiden Männer, die er treffen wollte. Jimmy Hoffa hasste Unpünktlichkeit. Unpünktlichkeit empfand er als Respektlosigkeit ihm gegenüber. Und in Sachen Respekt ließ Hoffa nicht mit sich spaßen.

Nach weiteren fünf Minuten des Wartens hatte Jimmy Hoffa die Schnauze voll. Er stapfte wütend auf seinen Gucci-Tretern zu einer Telefonzelle, die vor einem Baumarkt angebracht war, am anderen Ende des Parkplatzes. Er rief seine Frau Josephine an. Sie merkte sofort, dass ihr Mann mächtig aufgebracht war. Er beschwerte sich, dass man ihn offensichtlich versetzt habe. Er habe vor, sich ins Auto zu setzen und auf direktem Weg nach Hause zurückzukehren. Um 16.00 Uhr sei er wieder da.


Links das Gebäude des früheren „Machus Red Fox“, rechts die Shopping-Mall, wo Hoffa telefonierte

Insgeheim war Josephine Hoffa erleichtert. Denn ihr Mann hatte einen nervösen Eindruck auf sie gemacht, bevor er zu dem Treffen aufgebrochen war. Das war ungewöhnlich für diesen Mann, der sonst vor Selbstbewusstsein nur so strotzte. Josephine hatte ein mulmiges Gefühl gehabt. Der Mitarbeiter eines Limousinen-Services würde diese Beobachtung später bestätigen. Hoffa hatte bei ihm kurz darauf angerufen. Er vermutete, dass die beiden Männer, mit denen er verabredet war, dort einen Leihwagen gemietet hatten. Hoffa habe angespannt und fahrig am Telefon geklungen, meinte der Autoverleiher. Definitiv nervös.

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Jimmy Hoffa mit Ehefrau und Enkeltochter

»Tony Jack« und »Tony Pro«

Josephine Hoffa wartete an diesem Tag jedoch vergeblich auf die Heimkehr ihres Mannes. Er blieb wie vom Erdboden verschluckt. Am nächsten Tag verständigte sie die Polizei. Sie teilte den Beamten mit, was sie über das Verschwinden von Jimmy Hoffa wusste. Wo er sich zuletzt aufgehalten hatte. Welche Kleidung er am Vortag trug: ein dunkelblaues, kurzärmliges Hemd; blaue Hosen; schwarze Schuhe von Gucci; weiße Socken. Schließlich, mit wem ihr Mann in dem Restaurant verabredet gewesen war: Anthony »Tony Jack« Giacalone und Anthony »Tony Pro« Provenzano.

Offiziell war Provenzano ein Gewerkschaftsführer, also quasi ein Berufskollege von Hoffa. Die Polizisten wussten es besser. Tatsächlich gehörten sowohl »Tony Jack« als auch »Tony Pro« der Cosa Nostra an. Giacalone dem Syndikat von Detroit und Provenzano zählte man zur Genovese-Familie aus New York. Alte Kumpels von Hoffa. Denn dass Jimmy Hoffa mit der Mafia eng zusammengearbeitet hatte, war kein Geheimnis. Es hatte ihn in den 1960ern seine Karriere gekostet und ihn ins Gefängnis gebracht.

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Anthony Provenzano

Verdächtige Alibis

Die Polizei befragte natürlich beide Männer, wo Jimmy Hoffa abgeblieben war. Sie behaupteten, sie wüssten nichts von einer Verabredung mit Hoffa. Die Information müsse auf einem Missverständnis beruhen. Logisch, die beiden konnten auch ein Alibi nachweisen. »Tony Jack« sagte aus, er habe den ganzen Tag im »Southfield Athletic Club«, einem Fitnessstudio, verbracht. Zeugen bestätigten seine Aussage.

»Tony Pro« Provenzano wiederum hatte angeblich mit Freunden in New Jersey Karten gespielt. Den Beamten schwante Übles. Das hier klang nach dem typischen Drehbuch eines Mafiamordes. Das potenzielle Opfer war spurlos verschwunden und die beiden Hauptverdächtigen hielten rein zufällig wasserdichte Alibis parat.

Immerhin fanden die Polizisten Hoffas Wagen. Kunststück. Der grüne Pontiac Grand Ville, Baujahr 1974, stand unverschlossen auf dem Parkplatz des Restaurants. Die Beamten überprüften das Wageninnere, konnten aber nichts Ungewöhnliches finden. Der Kofferraum war leer und picobello sauber.

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Hoffas Wagen

Ein erstklassiger Augenzeuge

Die Ermittler putzten Klinken. Sie befragten die Besitzer und Verkäufer der Ladenzeile neben dem Restaurant. War jemandem etwas aufgefallen? Die Beamten hatten Glück. Sie erhielten einen Hinweis auf einen Lkw-Fahrer, der hier auf seiner Lieferroute jeden Tag Punkt 14.30 Uhr Station machte. Zur gleichen Zeit hatte man letztmals von Jimmy Hoffa gehört.

Der Zeuge hatte tatsächlich eine wichtige Beobachtung gemacht. Er sei gerade von der Straße in die Auffahrt zum Parkplatz eingebogen. Da sei doch plötzlich so ein kastanienbrauner Mercury angerauscht gekommen. Ungebremst. Und dann auch noch quer, sodass er die ganze Einfahrt blockiert habe. Der Lkw-Fahrer hatte sich sogar das Modell gemerkt: ein Marquis Brougham, Baujahr 1975.

Weil er entsprechend sauer gewesen sei, so der Zeuge, habe er einen genauen Blick auf die Insassen geworfen. Und wen sah er da? Jimmy Hoffa. Saß auf dem Rücksitz neben einem anderen Typen. Sicher? Definitiv sicher. Sei schließlich der Big Boss gewesen. Er gehöre selber der Gewerkschaft für Transportarbeiter an, da werde er ja wohl Hoffa wiedererkennen.

Außerdem habe neben Hoffa auf der Mittelkonsole noch ein länglicher Gegenstand gelegen, der in eine graue Decke gehüllt gewesen sei. Er habe spontan an ein Gewehr oder eine Schrotflinte denken müssen. Die anderen Gestalten hätten ihm nichts gesagt. Seien aber mindestens noch zwei weitere Burschen außer Hoffa gewesen.

Der Ziehsohn von Hoffa

Mit dieser präzisen Beschreibung ließ sich etwas anfangen. Die Ermittler machten alsbald den Halter des Mercury ausfindig. Der Wagen war auf einen gewissen Joe Giacalone zugelassen, einem Sohn von Anthony »Tony Jack« Giacolone. Joe Giacalone behauptete aber, den Wagen am Vortag an einen gewissen Charles »Chuckie« O‘Brien verliehen zu haben. Der Name war der Familie Hoffa ein Begriff. Der Gewerkschaftler galt als enger Freund von Jimmy Hoffa. Was hatte er mit dem Verschwinden zu tun?

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Anthony Giacolone (rechts)

Die Beamten unterzogen den Mercury einer gründlichen Untersuchung. Tatsächlich fanden sie die Fingerabdrücke von Chuckie O‘Brien auf einer Limoflasche und einem Stück Papier. Den Ermittlern dämmerte ein mögliches Szenario: Hatte die Mafia Chuckie O‘Brien vorgeschickt, um Hoffa zu ködern? Denn Hoffa wäre ohne Argwohn zu O‘Brien in den Wagen gestiegen, wenn der ihn darum gebeten hätte. Chuckie war wie ein Ziehsohn für ihn. Aber warum sollte O‘Brien seinen Freund verraten? Vermutlich hatte die Mafia irgendetwas gegen ihn der Hand, mit dem sie ihn erpressen oder anderweitig unter Druck setzen konnte.

Chuckie O’Briens Alibi

Doch Chuckie O‘Brien stritt ab, am 30. Juli 1975 Jimmy Hoffa getroffen zu haben. Und auf dem Parkplatz des Restaurants habe er sich an diesem Tag ebenfalls nicht aufgehalten. Vielmehr habe er an diesem 30. Juli einen zwanzig Kilogramm schweren Lachs an ein hohes Tier der Transportarbeitergewerkschaft ausgeliefert. Er hätte der Ehefrau dieses Typen sogar noch geholfen, den Fisch in Filets zu zerteilen.

Um 14.30 Uhr, als Jimmy Hoffa verschwand, sei er dann im Fitnessstudio gewesen. Rein zufällig im selben wie Anthony Giacalone: dem »Southfield Athletic Club«. Danach sei er mit dem Mercury in eine Waschanlage gefahren. Weil der Lachs ja noch ganz frisch gewesen sei und geblutet habe wie Sau. Sei alles auf die Sitzpolster durchgesickert. Eine schöne Schweinerei sei das gewesen. In diesem Zustand konnte er dem Besitzer ja schlecht den geliehenen Wagen zurückgeben. Allerdings fand die Polizei weder im Sportstudio noch in der Waschanlage Zeugen, die O‘Briens Angaben bestätigten.

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Chuck O’Brien (links)

Spürhunde

Die misstrauischen Beamten ließen ein paar Spürhunde aus Philadelphia einfliegen. Man hielt den Schäferhunden ein paar Mokassins und Bermudashorts von Jimmy Hoffa vor die Nase. Sobald sie ihre Schnauzen in die Polster der Rückbank gedrückt hatten, schlugen die Polizeihunde mehrfach an. Die Beamten waren nun felsenfest überzeugt, dass sich Hoffa in dem Wagen aufgehalten hatte. Nur mussten sie diesen Lügenbaronen noch nachweisen, dass er dort auch am Nachmittag des 30. Juli saß. Ein schwieriges Unterfangen, solange sie keine Leiche hatten.

Motive für einen Mord

Die Ermittler hatten sich auch bereits über das Motiv den Kopf zerbrochen. Sie waren zu folgendem Schluss gekommen: 1964 stand Jimmy Hoffa wegen krimineller Verschwörung, Betrug, Unterschlagung und Erpressung vor Gericht. Weil er zudem versucht hatte, Geschworene zu bestechen, kam ein weiterer Anklagepunkt hinzu. Er wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Seine Karriere schien gelaufen zu sein.

Doch an Weihnachten 1971 begnadigte ihn Präsident Richard Nixon vorzeitig aus der Haft. Zufälligerweise sprach die Gewerkschaft der Transportarbeiter kurz danach an ihre Mitglieder die Empfehlung aus, dem Republikaner Nixon bei der anstehenden Präsidentenwahl ihre Stimme zu geben. Obwohl die Gewerkschaft zuvor in der Regel demokratische Kandidaten unterstützt hatte. Auf Hoffa selbst wartete draußen ein nettes Willkommensgeschenk. Die Gewerkschaft zahlte ihm seinen Pensionsanspruch aus: 1,7 Millionen US-Dollar, bar auf die Kralle.

Nun war Jimmy Hoffa zwar wieder in Freiheit. Doch die Sache hatte einen Haken für ihn. Sein alter Posten war längst mit einem neuen Getreuen der Mafia besetzt: Frank Fitzsimmons. Darüber hinaus hatte Hoffa eine Vereinbarung unterzeichnet, dass er sich bis 1980 nicht mehr gewerkschaftlich oder politisch betätigen durfte, zumindest nicht in offizieller Funktion. Sonst wäre die Begnadigung nicht zustande gekommen. Ein paar Jahre hielt Hoffa die Füße still. Aber dann wurde es ihm scheinbar zu fad. Er sehnte sich nach seinem alten Leben zurück. Er klagte gegen die Verzichtserklärung. Das Gericht wies seinen Einspruch ab. Man dürfe wohl davon ausgehen, dass er die Erklärung bei vollem Bewusstsein unterschrieben habe. Und von Erpressung könne nicht die Rede sein. Schließlich habe er nur fünf statt dreizehn Jahren Haft absitzen müssen.

Jimmy Hoffa kündigt Autobiografie an

Jimmy Hoffa maulte bei allen zuständigen Stellen herum und suchte nach Verbündeten. Vor allen Dingen lag er seinen Kumpanen aus der Mafia ständig in den Ohren, dass sie für ihn was deichseln sollten. Doch die Mafia hatte gar kein Interesse daran, am Istzustand etwas zu ändern. Frank Fitzsimmons, der neue Gewerkschaftsboss, ließ sich viel leichter kontrollieren als Hoffa in früheren Tagen. Die Gewerkschaftskasse konnte sowieso wie eh und je geplündert werden. Jimmy Hoffa sollte seinen wohlverdienten Ruhestand genießen und ihnen nicht auf die Nerven gehen.

Aber Hoffa wollte den Wink mit dem Zaunpfahl nicht kapieren. Plötzlich kündigte er an, in Bälde eine Autobiografie zu veröffentlichen. Die hatte einen vielversprechenden Arbeitstitel: »Jimmy Hoffa – die wahre Geschichte«. Hoffa hätte es besser wissen müssen. Geschwätzigkeit konnten seine Kumpels auf den Tod nicht ausstehen. Für die Kriminalbeamten war das Motiv genug, dass die Bosse Jimmy Hoffa zum Abschuss freigegeben hatten.

Das Verschwinden von Jimmy Hoffa dürfte wohl der am wenigsten rätselhafte ungelöste Mordfall der Kriminalgeschichte sein. Mit hoher Wahrscheinlichkeit steht fest, wer das Verbrechen verübt hat. Es ist klar, wie die mutmaßlichen Täter vorgingen. Und man weiß auch, warum Jimmy Hoffa sterben musste. Die einzige Frage, die seit knapp vierzig Jahren die Behörden und halb Amerika noch beschäftigt, lautet: Wo, zum Teufel, ist die Leiche von Jimmy Hoffa abgeblieben?

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