(2) Die gescheiterte Dichterin

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Am Morgen nach dem Verschwinden von Dorothy Arnold schaltete ihre Familie statt der Polizei den Anwalt und Freund der Familie John S. Keith ein. Keith durchsuchte zunächst das Zimmer der Vermissten nach Hinweisen.

Überseedampfer und verbrannte Papiere

Er stellte fest, dass alle ihre Kleider – mit Ausnahme der Kleidung, die sie am Tag ihres Verschwindens trug – zurückgeblieben waren. Das Gleiche galt für ihre persönlichen Gegenstände. John S. Keith entdeckte in ihrem Schreibtisch einige Briefe, die mit einem ausländischen Poststempel versehen waren, sowie zwei Broschüren, die für einen Überseedampfer warben.

Im Kamin hatte jemand offensichtlich kürzlich Papier verbrannt. Man nahm an, dass es sich bei den zu Asche zerfallenden Dokumenten um ein Manuskript handelte, das Dorothy Arnold kürzlich einem Zeitschriftenverlag geschickt hatte.

Deprimierende Absagen

Dorothy Arnold hatte die Veltin School in New York City besucht und war anschließend auf das Bryn Mawr College gewechselt. Dort hatte sie 1905 ihren Abschluss in Literatur und Sprachen gemacht.

Sie blieb nach dem College bei ihren Eltern wohnen und bemühte sich, als Schriftstellerin Fuß zu fassen. Im Frühjahr 1910 schickte sie eine Kurzgeschichte an das McClure‘s Magazine, eine bekannte Zeitschrift jener Tage. Der Verlag nahm von einer Veröffentlichung Abstand.

Dorothy Arnold
Dorothy Arnold

Ihre Angehörigen und Freunde nahmen ihre schriftstellerischen Bemühungen ohnehin nicht sonderlich ernst. Sie neckten sie ständig mit der Absage, ohne ihr in irgendeiner Weise Unfähigkeit unterstellen zu wollen. Dorothy Arnold war eine Millionenerbin und qua Geburt ein Mitglied der gehobenen Gesellschaft. Ob sie nun die Kieselsteine im Park zählte oder Kurzgeschichten schrieb, die keiner wollte – was spielte das schon für eine Rolle?

Dorothy Arnold sah die Angelegenheit augenscheinlich anders. Zwei Monate vor ihrem Verschwinden bat sie ihren Vater, sich ein Apartment in Greenwich Village nehmen zu dürfen, um dort zu schreiben. Francis Arnold verweigerte ihr den Wunsch. Sein Statement: »Ein guter Autor kann überall schreiben.«

Daraufhin mietete Dorothy Arnold ein Postfach an. Ihre Eltern sollten in Zukunft zumindest nichts vom Inhalt ihres Schriftverkehrs mit Magazinen und Verlage mitbekommen.

Dorothy Arnold unternahm im November 1910 einen erneuten Anlauf und sandte eine zweite Kurzgeschichte an das McClure‘s Magazine: »Der Weihnachtsstern und die Flamme«. Man lehnte ihre Geschichte erneut ab. Laut ihren Freunden reagierte sie auf die zweite Absage bedrückt und beschämt.

Hatte sich Dorothy Arnold ihren Misserfolg so sehr zu Herzen genommen, dass sie Selbstmord begangen hatte? John S. Keith klapperte Leichenhäuser, Krankenhäuser und Gefängnisse in New York City, Philadelphia und Boston ab – ohne jeden Erfolg. Irgendwann sah der Anwalt ein, dass er in diesem Fall keine große Hilfe war. Er empfahl den Arnolds, die Pinkerton-Agentur einzuschalten.

Die Pinkerton-Agentur

Die Detektive von Pinkerton fanden keine neuen Ansatzpunkte, weiteten die Suche jedoch aus. Sie überprüften die gesamten Krankenhäuser in der Umgebung von New York. Sie recherchierten an den Orten, von denen man wusste, dass sich Dorothy Arnold dort in der Vergangenheit häufiger aufgehalten hatte. Sie befragten ihre Freunde und ehemaligen Kommilitonen. Doch niemand wusste etwas.

Die Broschüren über Überseedampfer, die Keith in ihrem Zimmer gefunden hatte, brachten die Detektive auf eine neue Idee. Möglicherweise war Dorothy Arnold ja mit einem Mann durchgebrannt. Die Agenten von Pinkerton durchstöberten daraufhin die Heiratsregister. Sie konnten keinen Eintrag auf Dorothy Arnolds Namen finden.

Sie verständigten die Pinkerton-Büros in Übersee. Die dortigen Agenten sollten die Passagiere ankommender Dampfer unter die Lupe nehmen. Einige Frauen entsprachen zwar der Personenbeschreibung. Doch keine von ihnen konnte als Dorothy Arnold identifiziert werden.

Nachdem auch die Pinkerton-Agentur mit ihren Nachforschungen gescheitert war, riet sie Francis Arnold dringend an, endlich die Polizei einzuschalten. Die Detektiv-Agentur war zudem der Meinung, dass Arnold eine Pressekonferenz abhalten solle. Er müsse so viel Öffentlichkeit wie möglich herstellen, damit man noch realistische Chancen auf neue Hinweise habe.

Francis Arnold gibt eine Pressekonferenz

Dem so sehr auf seinen Ruf bedachten Unternehmer widerstrebte zwar diese Idee, aber schließlich willigte er ein. Am 25. Januar 1911 trat Francis Arnold in seinem Büro vor die Presse. Er schilderte die Umstände des mysteriösen Verschwindens seiner Tochter und lobte eine Belohnung von 1.000 Dollar für sachdienliche Hinweise aus. Der Betrag würde heute etwa 25.000 Dollar entsprechen.

Die Reporter fragten Arnold, ob es denkbar sei, dass seine Tochter mit einem Mann durchgebrannt sei. Francis Arnold hielt dies für ausgeschlossen: »Ich wäre glücklich gewesen, wenn sie mehr Zeit mit jungen Männern verbracht hätte. Vor allen Dingen mit gebildeten, angesehenen Männern, die einer ehrbaren Beschäftigung nachgehen. Von Nichtstuern habe ich noch nie etwas gehalten.«

Dorothy Arnold
Dorothy Arnold

Die Reporter brauchten nicht lange, um herauszufinden, dass es im Leben von Dorothy Arnold einen solchen »Nichtstuer« gegeben hatte, den ihr Vater gekannt hatte.

 

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