(2) Die verschwundenen Kostkinder

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In Hamburg gab es reichlich Dienstmädchen, die mit dem Sohn ihrer Herrschaft ein Verhältnis anfingen. Ob freiwillig oder gezwungenermaßen sei mal dahingestellt. Häufig genug entsprang solch einer Verbindung ein Kind, das die Frauen nie großziehen konnten. Aber sie hatten ein regelmäßiges Einkommen. Ein paar Notgroschen im Sparstrumpf. Und vielleicht konnten sie sogar den Vater des Kindes anzapfen, wenn man ihn ein wenig unter Druck setzte. Elisabeth Wiese witterte Geld. Viel Geld. Die einzige Witterung, die diese Höllenhündin offensichtlich aufnehmen konnte.

Also setzte sie erneut eine Annonce in die Zeitung. Je nach finanzieller Lage vereinbarte sie mit den alleinerziehenden Müttern ein monatliches Kostgeld von 100-200 Mark oder eine einmalige hohe Abstandszahlung, die im Einzelfall auch schon mal 4.000 Mark betrug. Einige der jungen Mütter packte nach wenigen Monaten die Reue und die Sehnsucht. Sie wollten ihre Babys zurück. Doch als sie bei Elisabeth Wiese aufkreuzten, waren die Kinder verschwunden.

Angebliche Adoptiveltern

Die vorgebliche Pflegemutter behauptete, sie habe die Säuglinge an kinderlose Adelige und wohlhabende Bürgerfamilien vermittelt, auch und vor allen Dingen ins benachbarte Ausland. Da sie den neuen Eltern absolute Diskretion zugesichert habe, sei ein Kontakt leider nicht mehr möglich. Aber die Mütter möge es trösten, dass es ihren Kindern nun viel, viel besser ginge.

Ein paar der Frauen wurden misstrauisch. Sie schalteten Anzeigen und bemühten sich um Kontakt zu den angeblichen Adoptiveltern ihrer Säuglinge. Als die Suche ergebnislos verlaufen war, zeigten sie die Angelegenheit der Polizei an. Die wurde auch gleich tätig, als sie erst einmal das Vorstrafenregister der Dame bewundert hatte: Anstiftung zum Diebstahl. Hehlerei. Urkundenfälschung. Betrug. Betrugsversuch. Kuppelei. Mehrfach mit Gefängnis und Ehrverlust bestraft. Und bei den nun folgenden Ermittlungen kam schier Unglaubliches heraus.

Die Ermittlungen

Die Nachbarn hatten die olle Wiese schon lange in Verdacht, dass sie sich mit der »Engelmacherei« ein fettes Zubrot verdiente. »Engelmacherei« war damals ein Synonym für Abtreibungen, die damals noch illegal waren. Nun war Elisabeth Wiese nicht gerade mit einem vorteilhaften Äußeren gesegnet. Sie hatte eine gelbliche Gesichtsfarbe, eingefallene Wangen, ein paar unschöne Warzen, eine lange spitze Nase und kleine stechende Augen. Elisabeth Wiese sah aus, wie sich die Leute landläufig eine Hexe vorstellten. Klar, dass sie der Frau sofort alle erdenklichen Schandtaten zutrauten. Die Polizisten reagierten also zunächst einmal vorsichtig auf die Gerüchte und machten sich stattdessen auf die Suche nach wirklich belastendem Beweismaterial.

Die Hausbewohner berichteten davon, dass Elisabeth Wiese häufiger sehr stark geheizt habe. Die Herdplatten seien zersprungen, so einen Zunder habe sie gemacht. Und fürchterlich gestunken habe es in dem Haus dann immer. Ein Hinweis darauf, dass sie abgetriebene Föten oder gar die Säuglinge, die sie in Pflege aufnahm, verbrannt hatte? Andere Anwohner behaupteten, sie hätten die Wiese in der Nacht beobachtet, wie sie mit einem schweren Paket das Haus in der Hein-Hoyer-Straße 23 verlassen habe. Sie sei in Richtung der Elbe gegangen. Als sie nach einer Weile zurückgekehrt sei, habe sie kein Paket mehr bei sich geführt.

Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass Elisabeth Wiese eine Zeit lang eine Untermieterin beherbergt hatte. Dabei hatte es sich um eine Tänzerin gehandelt, die an Tuberkulose erkrankt war. Der Arzt hatte der Frau Morphium verschrieben. Die Tänzerin war dann von Hamburg nach Berlin umgezogen und kurze Zeit später verstorben. Das Rezept für das Morphium verblieb aber im Besitz von Elisabeth Wiese. Konnte sie damit die Kinder vergiftet haben?

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