Andernorts hätte die Polizei die Spekulationen über einen Serienmörder vielleicht als Spinnereien einer sensationslüsternen Presse abgetan. Doch in Philadelphia hatte es in den Jahren zwischen 1985 und 1989 nachweislich zwei weitere Mordserien gegeben.
Gary Heidnik
Da war zum einen der Fall Gary Heidnik. Der ehemalige Army-Sanitäter, Kirchengründer und Börsenspekulant hatte über Monate hinweg in dem Kellerverlies seines Hauses in der North Marshall Street fünf junge Frauen angekettet, vergewaltigt und gefoltert. Zwei Frauen starben. Knochen- und Fleischreste von ihnen fand die Polizei in Heidniks Kühlschrank, Backofen und auf dem Herd vor. Heidnik flog erst auf, als einem seiner Opfer die Flucht gelang.
Harrison „Marty“ Graham
An einem drückend heißen Tag im August 1987 wurden die Ermittlungsbehörden schließlich auf Harrison „Marty“ Graham aufmerksam. Aus seiner Wohnung im Norden von Philadelphia drang ein infernalischer Gestank. Als die herbeigerufene Polizei das Apartment durchsuchte, entdeckten die Beamten die sich zersetzenden Leichen von sechs Frauen und die Reste einer siebten.
Graham behauptete zunächst, dass die toten Körper sich bereits in der Wohnung befunden hätten, als er dort eingezogen sei. Bei dieser unglaubwürdigen Geschichte blieb er aber nicht lange. Schließlich gestand er ein, dass er die Frauen vergewaltigt und anschließend erdrosselt habe. Im Prozess plädierte Graham auf Unzurechnungsfähigkeit. Das Gericht verurteilte ihn dennoch in allen sieben Fällen wegen Mordes.
Sonderkommission
Im Fall der ungeklärten Mordserie in Frankford gründete sich erstmals im Januar 1987 eine Sonderkommission. Die Ermittlungen konzentrierten sich dabei sehr stark auf die Frankford Avenue. Scheinbar traf der Mörder hier auf seine Opfer. Doch die Frankford Avenue zog wegen ihrer Vielzahl an Geschäften und Kneipen rund um die Uhr Publikum an. Ein Täter hatte in dieser anonymen Umgebung leichtes Spiel, unerkannt unterzutauchen. Die Suche nach konkreten Hinweisen gestaltete sich deshalb äußerst schwierig.
Frankford
Frankford war ursprünglich eine eigenständige Gemeinde und wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von deutschen Einwanderern gegründet. Erst 1854 ging der Ort in der schneller wachsenden Stadt Philadelphia auf. Schon seit dieser Zeit verband eine Landstraße die Städte Philadelphia und New York City, die mitten durch Frankford verlief. Zunächst nannte man die Straße den Frankford Pike. Später wurde daraus die Frankford Avenue.
1922 veränderte sich das Aussehen der Frankford Avenue nachhaltig durch den Bau der Hochbahn oder den „El“, wie ihn die Einheimischen als Abkürzung für „elevated train“ bezeichneten. Der El brachte Industrie und ein Stück Wohlstand nach Frankford. Gleichzeitig tauchten die hohen Bahngleise die Geschäfte in ewigen Schatten. Das Rumpeln der Züge und das Kreischen des Stahls wurde zum ständigen Soundtrack für die Anwohner.
Über Jahrzehnte hinweg gehörte die Frankford Avenue zu den wichtigsten Einkaufsstraßen von Philadelphia. Doch ab Mitte der 1970er war sie in einem Niedergang begriffen, von dem sich das Viertel bis heute nicht erholt hat. Viele alteingesessene Geschäfte gingen pleite. Stattdessen zogen Prostitution und Drogenhandel ein. Die Kriminalitätsrate schoss nach oben. Und Sylvester Stallone nutzte das heruntergekommene Viertel als Kulisse für seinen Film „Rocky“.
Goldie’s
Die Morduntersuchung konzentrierte sich naturgemäß zunächst auf das „Goldie’s“. Bedienungen hatten bestätigt, dass die Opfer sich mehrfach in dem Laden aufgehalten hatten. Die Polizisten suchten unter den männlichen Gästen nach Leuten, die die Frauen gekannt hatten und eventuell als Täter infrage kamen.
Susan Olszef war in der Bar nur in den drei Tagen vor ihrem Tod aufgefallen. Sie hatte sich mit mehreren anderen Gästen unterhalten. Anna Carroll war als Stammgast bekannt, war in der Regel aber für sich allein geblieben, hatte ihre Drinks selbst bezahlt und war mit niemandem zusammen beobachtet worden. Auch das letzte Opfer Jeanne Durkin war häufiger im „Goldie’s“ gewesen. Allerdings kam sie weniger der Drinks wegen, die sie sich kaum leisten konnte, sondern um sich aufzuwärmen.
Zoff um eine Decke
Die Polizei erfuhr im Zuge der Ermittlungen, dass Durkin einen Tag vor ihrer Ermordung in einen Streit verwickelt gewesen sei. Sie habe sich mit einer anderen Obdachlosen namens Michelle Martin um eine Decke gezofft. Die Polizei hatte jedoch keinerlei Anlass anzunehmen, dass Martin die Konkurrentin in der Nacht darauf mit einem Messer brutal abgeschlachtet hatte.
Jeanne Durkin hatte die letzten fünf Jahre häufiger in psychiatrischen Einrichtungen verbracht. Als sie entlassen wurde, landete die vierfache Mutter auf der Straße. Sie fand sich in dieser Welt zurecht, blieb unabhängig und hatte sich eine gewisse Toughness zugelegt, die für das Überleben unter solchen Umständen unabdingbar war. Wer sie kannte, hielt es für unmöglich, dass sie sich nicht heftigst gewehrt hätte, wenn ein Fremder sie angegriffen hätte. Demnach musste der Täter einen Weg gefunden haben, sein Opfer in Sicherheit zu wiegen.
Catherine M. Jones
Am 29. Januar 1987 geschah ein weiterer Mord, der die Polizei jedoch aufgrund der Tatumstände ratlos zurückließ. Hatte er etwas mit den Fällen des „Frankford Slasher“ zu tun? Bis heute herrscht über diesen Punkt keine Klarheit.
Das Opfer war in diesem Fall die 29-jährige Catherine M. Jones. Ihre Leiche wurde auf einem Gehweg im Viertel Northern Liberties gefunden. Der tote Körper war angesichts der Außentemperaturen hart gefroren und mit Schnee bedeckt. Jones hatte als Kellnerin auf der Frankford Avenue gearbeitet. Dies sprach für eine Verbindung zu der Mordserie.
Allerdings passten einige andere Dinge nicht zusammen. Der Mörder hatte Catherine Jones erschlagen und erdrosselt. Unter anderem waren ihr Kiefer und Schädel gebrochen. Es gab keinerlei Stichwunden und auch keinen Hinweis auf einen sexuellen Missbrauch wie bei den übrigen Opfern.
Sonderkommission löst sich ergebnislos auf
Die Sonderkommission ermittelte etwa ein Jahr. In diesem Zeitraum kam es zu keinen weiteren Mordfällen. Vielleicht hatte der Mörder aufgrund des Fahndungsdruck kalte Füße bekommen und seine Verbrechen vorübergehend eingestellt. Eine konkrete Spur hatte sich in all dieser Zeit nicht ergeben, sodass die Task Force im Januar 1988 ergebnislos aufgelöst wurde. Am Ende hatten die Ermittler sogar Zweifel bekommen, ob sie es wirklich mit einer Mordserie zu tun hatten. Doch diese Skepsis sollte im Laufe des Jahres noch verfliegen. Denn da schlug der Frankford Slasher erneut zu.
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