Der Krieg von Castellammare

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Die Goldenen Zwanziger

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Zu Beginn der 1920er Jahre fielen zwei Ereignisse zusammen, die auf lange Sicht der organisierten Kriminalität unserer Tage den Boden ebnen sollten. Zum einen trat im Januar 1920 der 18. Zusatzartikel der US-Verfassung in Kraft. Ab sofort galten die Herstellung, der Vertrieb und der Verkauf von alkoholischen Getränken als Bundesverbrechen.

Zum anderen übernahm im Herbst 1922 Benito Mussolini die Regierungsmacht in Rom und verwandelte Italien in den folgenden Jahren in eine faschistische Diktatur. Ein Nebenprodukt dieser politischen Entwicklung war der Exodus zahlreicher erfahrener Mafiagrößen aus Sizilien in die USA.

Italiener in New York

In den Vereinigten Staaten konnten diese Kriminellen problemlos in den bestehenden Gemeinschaften italienischer Einwanderer untertauchen. So lebten in New York City um 1920 bereits eine Million Italo-Amerikaner, die meist aus Süditalien oder Sizilien zugewandert waren. Damit stellten sie rund 15 % der damaligen Stadtbevölkerung. Der Großteil von ihnen war zu dieser Zeit in den Stadtvierteln Little Italy und East Harlem (jeweils Manhattan) und Williamsburg (Brooklyn) beheimatet.

Mulberry Street in Little Italy, New York, 1900

Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts – lange vor Mussolini – waren Schutzgelderpressungen oder Entführungen in diesen Vierteln an der Tagesordnung. Es waren Straftaten, die auch typisch für die sizilianische Mafia waren. Aber die amerikanischen Täter waren zu diesem Zeitpunkt noch Einzelgänger oder bestenfalls in losen Banden organisiert.

Zudem bekam die Gesamtbevölkerung in New York von diesen Verbrechen kaum etwas mit, weil sie in der Regel nicht betroffen war. Die italienischstämmigen Ganoven suchten sich ihre Opfer innerhalb der eigenen Ethnie. Ähnlich gingen auch die mitgliederstarken irischen Banden auf der West Side von Manhattan oder die jüdischen Banden auf der Lower East Side vor.

Benito Mussolini und die Mafia

Häufiger ist zu lesen, der sizilianische Mafiapate Vito Cascio Ferro habe frühzeitig erkannt, wie viel Saft sich aus dem „Big Apple“ New York noch herauspressen ließe. Er habe daraufhin in den 1920er Jahren seinen Schützling Salvatore Maranzano in die Staaten gesandt, um die Kontrolle über die dortige Unterwelt an sich zu reißen. Nach Ansicht anderer Experten wie etwa Selwyn Raab ist jedoch zu bezweifeln, dass die sizilianische Mafia jemals bewusst geplant hatte, die USA systematisch zu infiltrieren oder dort quasi eigene „Filialen“ zu errichten.

Das kriminelle Netzwerk, das sich seit dem 19. Jahrhundert vor allem in Sizilien ausgebreitet hatte, wurde schlichtweg von den politischen Entwicklungen im eigenen Land kalt erwischt. Die Mafia lehnte Benito Mussolini ab, weil sie jede Zentralregierung in Rom verabscheute, völlig egal ob faschistisch oder nicht. Und Mussolini verfolgte die Mafia, weil sie ihm die Gefolgschaft versagte und seinen Machtanspruch infrage stellte. Dass es sich um Kriminelle handelte, spielte dabei eine untergeordnete Rolle.

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Benito Mussolini, November 1923

Der eiserne Präfekt

Er entsandte ein Heer von Spezialagenten und Polizeikräften nach Sizilien, um die Macht der Mafia zu brechen. Leiter der Operation war Cesare Mori, der wegen seines brutalen Regimes auf Sizilien als „Eiserner Präfekt“ in die Geschichtsbücher einging. Die Großgrundbesitzer und Geschäftsleute vor Ort unterstützten die Aktion, denn sie waren die bevorzugten Opfer des Verbrechersyndikats.

Um die Mafiosi zu demütigen, ließ Mori sie während des Prozesses in eiserne Käfige einsperren und dem Publikum im Gerichtssaal vorführen. Nach rund einem Jahr waren 1.200 Menschen zu oftmals langen Haftstrafen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden.

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Eingesperrte Mafia-Angeklagte vor Gericht

Nur ein Teil von ihnen gehörte allerdings tatsächlich der Mafia an. Mussolini nutzte die für ihn günstige Gelegenheit, um sich Linke, Liberale und andere oppositionelle Kräfte vom Hals zu schaffen, in dem er sie kurzerhand ebenfalls als Mafiosi brandmarken ließ.

Das Paradies auf Erden

Zweifelsohne führte der Druck durch das Mussolini-Regime zur Abwanderung vieler Mafiaangehöriger ins amerikanische Exil. Aber es war eine aus der Not geborene Flucht und keine von langer Hand geplante Übernahme der Unterwelt jenseits des Großen Teichs.

So waren auch Salvatore Maranzano und Joseph Bonanno, Marazanos rechte Hand, Mitte der 1920er Jahre in den Vereinigten Staaten gelandet. Der damals erst 19-jährige Bonanno wurde von Verwandten, Mafiamitglieder in Sizilien, beispielsweise über Kuba in die USA eingeschleust.

In Amerika erwartete sie dann – aus Verbrechersicht – ein wahres Paradies. „Als ich das erste Mal mit Alkoholschmuggel zu tun hatte, dachte ich, das ist zu gut, um wahr zu sein“, schrieb Bonanno später in seiner Autobiografie „A Man of Honor“. Die Prohibition war für die Kriminellen die „goldene Gans“, die dreizehn Jahre zuverlässig Eier legte.

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Joseph Bonanno, 1966

Praktizierte Nächstenliebe

Über Nacht waren nach Einführung des Alkoholverbots in Privatwohnungen, in Schuppen, in Hinterräumen von Geschäftslokalen primitive Braustuben und Schnapsbrennereien entstanden. Das Risiko der Strafverfolgung ging gegen null. Ein Großteil der Bevölkerung sah im Schmuggel und Verkauf von Alkohol schlimmstenfalls ein Kavaliersdelikt, meist aber nur einen Akt praktizierter Nächstenliebe.

Unter diesen stillen Befürwortern gab es auch viele Polizisten, Richter und andere Amtspersonen, die öfters mal ein Auge zudrückten – vor allem wenn man sie noch kräftig schmierte. Einige Regierungen der US-Bundesstaaten teilten die laxe Einstellung gegenüber der nationalen Gesetzgebung.

Der Staat New York war da gewissermaßen in einer Vorreiterrolle. 1923 merkte die Regierung hinsichtlich der Umsetzung des Prohibition Act ausdrücklich an, dass die lokalen Polizeikräfte die Bundesagenten nicht unterstützen müssten, sollte es sich um Personen handeln, die gegen das Alkoholverbot verstießen.

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Bundesagenten beschlagnahmen Brauutensilien

Enorme Profite

Die italienischen, irischen und jüdischen Banden von New York fühlten sich angesichts dieser Rahmenbedingungen regelrecht ermutigt, den Handel mit verbotenem Alkohol auf ein neues Niveau zu hieven. Zunächst einmal verdrängten sie alle kleineren Wettbewerber vom Markt. Sie beschränkten sich nicht mehr nur auf Eigenproduktion, sondern fanden auch Wege, qualitativ besseren Alkohol aus Kanada oder Großbritannien ins Land zu schmuggeln.

Die Profite waren enorm. Jedes Fass Bier kostete weniger als 5 Dollar in der Herstellung. Die Abnehmer zahlten hingegen bis zu 36 Dollar. Mit hochprozentigen Spirituosen ließ sich noch viel mehr Geld verdienen. Alle Einnahmen waren zudem steuerfrei.

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Illegale Bar („Speakeasy“) während der Prohibition

Vor der Prohibition stammten die einzigen halbwegs regelmäßigen Einkünfte der größeren Banden aus Schutzgelderpressung, Glücksspiel und Prostitution. Die Erträge waren überschaubar, die Banden zudem vergleichsweise leicht zu zerschlagen, wenn die Polizei es ernst meinte. Mit den Gewinnen ließ sich nun mal nur eine begrenzte Zahl an Beamten wirkungsvoll bestechen.

Dank der Prohibition war Geld plötzlich im Überfluss vorhanden. Aus Banden wurden Verbrecher-Syndikate, die sich eine regelrechte Armee von Schlägern und Schmugglern leisten konnten. Darüber hinaus bauten sie jede Menge nützliches Know-how auf – über Schmuggelrouten, Vertriebsnetze, Geldwäsche und Bestechungsmöglichkeiten.

Die Gier obsiegt

Mit dem Erfolg ging jedoch die Gier nach immer mehr einher. Die irischen Banden verfügten über einen strategischen Vorteil gegenüber der italienischen Konkurrenz. Die Polizeikräfte in Städten wie New York oder Chicago rekrutierten sich in der damaligen Zeit vorwiegend aus irischstämmigen Amerikanern. Im Rathaus war der Einfluss ebenfalls nicht zu unterschätzen. Die italienischen Syndikate galten hingegen als straffer organisiert, gingen brutaler vor und schreckten auch nicht vor tödlicher Gewalt zurück.

Von diesen „Tugenden“ machten sie in der zweiten Hälfte der 1920er reichlich Gebrauch, als die Revierkämpfe eskalierten. Doch diese Taktik erwies sich beinahe als Bumerang. Denn die Leichen, die in der Folge die Straßen pflasterten, ließen die Stimmung in der Öffentlichkeit kippen. Die Ganoven waren plötzlich keine harmlosen Schnapslieferanten mehr, sondern eine gemeingefährliche Bedrohung des gesellschaftlichen Friedens. Der Druck auf Polizei und Politik stieg, dieses Problem zu beheben.

In Chicago mündeten die Streitigkeiten 1929 im sogenannten Valentintags-Massaker, in dem sich die Auseinandersetzung zwischen Al Capone von der South Side und den Iren von der North Side entschied. In New York gipfelte der Konflikt 1930 im berüchtigten Krieg von Castellammare, quasi eine inneritalienische Angelegenheit, bei der jüdischen Gangstern aber eine entscheidende Rolle zufiel.

3 Kommentare

  1. Hallo!
    Ich muss sagen, dass mich überrascht hat, wie qualitativ hochwertig Sie schreiben. Besonders die Auswahl an weniger bekannten Fällen ist interessant. Die habe die Webseite markiert.

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