Fred »Killer« Burke
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Die Polizei wusste, dass Bugs Moran in der Vergangenheit Detroiter Schnapslieferungen von Capone gekapert hatte. Deshalb konzentrierten die Beamten ihre Ermittlungen zunächst auf die Purple Gang aus Detroit. Zwei Zeuginnen aus der North Clark Street, die eine Pension betrieben, hatten den Ermittlern nämlich von einigen verdächtigen Mietern erzählt. Sie hatten in den Tagen und Wochen vor dem Verbrechen bei den Damen Quartier bezogen.
Die Polizisten zeigten Mrs. Doody und Mrs. Orvidson mehrere Fotos von Bandenmitgliedern der Purple Gang. Die Pensionsinhaberinnen identifizierten darauf Eddie Fletcher und die Brüder Harry und Philip Keywell.
Ein ausgebranntes Autowrack
Die Beamten verhörten die Verdächtigen. Doch die Männer schwiegen. Weitere Beweise tauchten nicht gegen sie auf. Und schließlich zogen die Zeuginnen ihre Aussagen wieder zurück. Die Polizei musste die Burschen wohl oder übel laufen lassen.
Am 22. Februar 1929, acht Tage nach den Morden, wurde die Polizei von Chicago zu einem Brand in der Wood Street gerufen. Dort brannte eine Garage lichterloh. Eine komplett ausgeschlachtete Cadillac-Limousine Baujahr 1927 war Opfer der Flammen geworden. Vermutlich handelte es sich um einen der Wagen, den die Attentäter benutzt hatten. Den Beamten gelang es, die Motornummer bis zu einem Händler auf der Michigan Avenue zurückverfolgen.
Die Garage existiert noch. Sie befindet sich in dieser rückwärtigen Gasse der Wood Street.
Der Autohändler hatte den Wagen an einen gewissen James Morton aus Los Angeles verkauft. Die Garage hatte ein gewisser Frank Rogers angemietet. Die Überprüfungen der Namen James Morton und Frank Rogers ergab nichts. Offensichtlich hatten die Männer Falschnamen benutzt. Doch die Adresse, die der angebliche Frank Rogers angegeben hatte – 1859 West North Avenue -, entpuppte sich als interessante Spur.
Dabei handelte es sich nämlich um die Anschrift des »Circus Café«, dessen Inhaber Claude Maddox war. Maddox war ein ehemaliger Gangster aus St. Louis, der in Verbindung mit Capones Organisation, der Purple Gang und den Egan‘s Rats aus St. Louis stand.
An dieser Kreuzung befand sich früher das Circus Café, aus dem die gleichnamige Gang operierte.
Der Täter mit der Zahnlücke
Der Polizei lagen zudem zwei Zeugenaussagen vor, die einen der Mörder beschrieben. Nur wenige Minuten vor dem Verbrechen war der Lastkraftfahrer Elmer Lewis einen Block vom Tatort entfernt in die North Clark Street eingebogen. Dabei war er an einem Wagen vorbeigeschrammt, der am Rand parkte.
Lewis hatte sofort angehalten und war zu dem beschädigten Fahrzeug gegangen. Doch auf dem Fahrersitz saß ein uniformierter Polizeibeamter, der ihn gleich wieder verscheuchte. Bei dieser Gelegenheit konnte Lewis das Gesicht des Polizisten erkennen. Ihm fiel auf, das dem Mann ein Schneidezahn fehlte.
H. Wallace Caldwell, Vorsitzender des städtischen Erziehungsausschusses, hatte den Verkehrsunfall beobachtet. Auch ihm hatte sich die auffällige Zahnlücke des Fahrers eingeprägt. Der Polizei war ein Mann aus dem Dunstkreis von Al Capone bekannt, auf den diese Beschreibung passte: Fred »Killer« Burke, ehemaliges Mitglied der Egan‘s Rats aus St. Louis.
Von Fred Burke und seinem Komplizen James Ray war zudem bekannt, dass sie sich häufiger mit Polizeiuniformen verkleideten, wenn sie ihre Raubüberfälle begingen. Burke war jedoch seit geraumer Zeit untergetaucht. In Ohio existierte gegen ihn ein Haftbefehl wegen Mord und Raub.
Weitere Verdächtige
Die Ermittler gingen auch weiteren Spuren nach. So kam der Verdacht auf, dass Joseph Lolardo möglicherweise zu den Tätern zählte. Die Moran-Gang hatte einen Monat zuvor seinen Bruder Pasqualino getötet.
Außerdem ermittelten die Beamten gegen Mitglieder von Capones Bande. Im Frühjahr 1929 gaben die Behörden bekannt, dass sie nun Frank Rio, Jack »Machin Gun« McGurn, John Scalise und Albert Anselmi der Tat verdächtigten. Frank Rio war ein Leibwächter von Al Capone, McGurn Capones Stellvertreter und Scalise sowie Anselmi zwei Auftragskiller, die häufiger für das Chicago Outfit gearbeitet hatten.
Doch Jack McGurn konnte ein »blondes Alibi« vorweisen, wie es die Zeitungen nannten. Er war am Tattag mit seiner Freundin Louise Rolfe in einem Hotel außerhalb der Stadt abgestiegen. Kurz darauf heiratete McGurn seine Geliebte. Sie musste nun vor Gericht nicht mehr gegen ihren frisch angetrauten Ehemann aussagen.
Tod zweier Auftragskiller
Die Ermittlungen erlebten am 8. Mai 1929 ihren nächsten Tiefschlag. Auf einer einsamen Straße nahe Hammond in Indiana fand man die Leichen von Anselmi, Scalise und Joseph »die Kröte« Giunta. Die »Kröte« Giunta war in Chicago Vorsitzender der von der Mafia unterwanderten Unione Siciliana, Scalise kürzlich zu seinem Stellvertreter ernannt worden.
Wie sich herausstellte, hatte Al Capone die drei Toten im Verdacht gehabt, gegen ihn ein Mordkomplott zu schmieden. Nachdem Capone davon erfahren hatte, habe er angeblich ihnen zu Ehren ein Bankett veranstaltet. Auf dem Höhepunkt der Veranstaltung habe er sie dann eigenhändig mit einem Baseballschläger zu Tode geprügelt.
Vermutlich gehört diese Geschichte aber eher in den Kreis der Legenden, die sich um Capone ranken. Fakt ist: Die drei Leichen waren übel zugerichtet, doch sie wiesen darüber hinaus Schusswunden auf. Und selbst wenn Capone sie nicht persönlich umgebracht hatte, hatte er aller Wahrscheinlichkeit den Auftrag dazu erteilt.
Fahrerflucht
Die Untersuchung des Valentinstag-Massakers trat nach diesen weiteren Morden bis zum 14. Dezember 1929 auf der Stelle. In dieser Dezembernacht baute ein gewisser Frederick Dane in betrunkenem Zustand einen Auffahrunfall im Berrien County in Michigan und beging anschließend Fahrerflucht.
Der Streifenbeamte Charles Skalay nahm die Verfolgung auf und konnte Dane schließlich von der Straße abdrängen. Als Skalay aus seinem Wagen stieg, streckte Dane ihn mit drei Schüssen nieder. Die Polizei fand später den Wagen des flüchtigen Täters nahe der Stadt St. Joseph auf.
Eine Halterabfrage führte auf die Spur von Fred Dane. Doch als den Beamten das Foto jenes angeblichen Dane in die Hände fiel, bemerkten sie eine verblüffende Ähnlichkeit zu Fred »Killer« Burke, der landesweit zur Fahndung ausgeschrieben war.
Zwei Tatwaffen tauchen auf
Burke alias Dane hatte in St. Joseph einen Bungalow angemietet. Die Polizei durchsuchte das Haus. Sie entdeckten unter anderem einen großen Koffer, der rund 320.000 Dollar in Pfandbriefen enthielt. Die Papiere waren kürzlich bei einem Raubüberfall auf eine Bank in Wisconsin gestohlen worden. Außerdem lagen in dem Koffer noch mehrere schusssichere Westen, zwei Schrotflinten, Pistolen, zwei Maschinengewehre der Marke Thompson und mehrere Tausend Schuss Munition.
Die Behörden in St. Joseph informierten umgehend die Polizei von Chicago. Chicago war elektrisiert. Man bat die Kollegen in Michigan, die beiden Maschinengewehre mit den Seriennummern 2347 und 7580 so schnell wie möglich nach Illinois zu bringen. Der Bezirksstaatsanwalt des Berrien County setzte sich daraufhin höchstpersönlich ans Steuer und brachte die heiße Fracht zum Ballistikexperten Calvin Goddard.
Damals war die Ballistik noch eine relativ neue Disziplin der Forensik. Dennoch konnte Goddard anhand von Schusstests zweifelsfrei feststellen, dass die Täter mit beiden Maschinenpistolen während des Valentinstag-Massakers geschossen hatten.
Goddard hielt eine weitere Überraschung bereit. Mit einer der Waffen war zudem anderthalb Jahre zuvor der New Yorker Gangster Frankie Yale ermordet worden. Damit bestätigte sich indirekt eine Mutmaßung der New Yorker Polizei. Die dortigen Ermittler hatten Al Capone im Verdacht gehabt, der Drahtzieher dieses Anschlags gewesen zu sein.
Verschlungene Wege
Der ursprüngliche Besitzer der Maschinenpistole mit der Seriennummer 2347 hieß Les Farmer. Er hatte die Waffe am 12. November 1924 gekauft. Farmer war ein korrupter Hilfssheriff in Marion, Illinois, der zu mehreren Alkoholschmugglern und den Egan‘s Rats aus dem 160 Kilometer entfernten St. Louis in Kontakt stand.
Spätestens Anfang 1927 musste Farmer die Waffe an Fred Burke veräußert haben, der Mitglied der Egan‘s Rats war. Vermutlich hatte Burke dieselbe Waffe bereits in Detroit für das Milaflores-Massaker am 28. März 1927 eingesetzt.
Die Maschinenpistole mit der Seriennummer 7580 hatte hingegen in Chicago den Besitzer gewechselt. Dort hatte sie Peter von Frantzius, Inhaber eines Sportgeschäfts, an einen Victor Thompson verkauft, der das »Fox Hotel« in Elgin (Illinois) als Adresse angegeben hatte. Von hier geriet die Waffe in die Hände von James »Bozo« Shupe, einem Kleinganoven aus dem westlichen Chicago. Shupe unterhielt Kontakte zu mehreren Gangmitgliedern von Capone.
Sackgasse
Doch hier endeten die Ermittlungen der Polizei in einer Sackgasse. Sie konnte letztlich niemandem nachweisen, am Valentinstag den Abzug einer der beiden Thompson-Maschinenpistolen betätigt zu haben.
Fred »Killer« schnappte man über ein Jahr nach seiner Fahrerflucht auf einer Farm in Missouri. Burke wurde niemals der Morde in der North Clark Street angeklagt. Stattdessen konzentrierte sich die Staatsanwaltschaft auf den Mordfall Charles Skalay. Hier lagen den Ermittlern bessere Beweise vor, die zu einer Verurteilung reichten. Ein Gericht in Michigan schickte Burke schließlich lebenslänglich hinter Gittern, wo er 1940 verstarb.
Beide Tatwaffen – die Thompson-Maschinenpistolen 2347 und 7580 – existieren im Übrigen noch heute. Sie befinden sich mittlerweile im Besitz des Berrien County Sheriff‘s Department in St. Joseph, Michigan.