(2) Weitere Geständnisse

0

Cassandra Corum habe er bereits zwei Jahre gekannt, bevor er sie am 13. Juli 1996 ermordete, so Andrew Urdiales in seinem Geständnis. Er habe sie in dieser Nacht in einer Bar in Hammond (Indiana) getroffen. Von dort seien sie direkt zum Wolf Lake gefahren.

Eine falsche Bemerkung

Carrie Corum habe auf der Fahrt irgendetwas gesagt, was ihn verärgert habe. Er könne sich aber nicht mehr an die Bemerkung erinnern. Er wisse nur noch, dass er sie vor lauter Wut mit der Faust ins Gesicht geschlagen habe. Der Mann schien schnell einen Anlass zu finden, um wütend zu werden, wie die Kriminalbeamten schon zu diesem frühen Zeitpunkt des Verhörs registrierten.

Die Frau habe sich zur Wehr gesetzt, fuhr Urdiales fort. Er habe ihr die Hände auf den Rücken gefesselt und anschließend die Kleidung vom Leib gerissen. Danach habe sie sich „passiv und unterwürfig“ verhalten und sei vor lauter Angst „wie gelähmt“ gewesen. Er habe sie mit Klebeband geknebelt und die Füße zusammengebunden.

Wortlos und voller Wut

Er sei dann zwei Stunden lang die Interstate 55 Richtung Süden gefahren. Er sei immer noch stinksauer wegen ihrer Bemerkung gewesen, obwohl Cassie Corum zu diesem Zeitpunkt wehrlos, gefesselt und verängstigt im Auto lag.

Als ihn Müdigkeit überkam, habe er die Autobahn verlassen. Danach sei er ziellos durch die Gegend geirrt. An einer Brücke, die in einen kleinen Park führte, habe er schließlich angehalten. Er habe die Pistole unter dem Sitz hervorgeholt und Corum aus dem Wagen geführt. Hinter dem Pick-up habe er sie erschossen, ohne ein einziges Wort zu verlieren.

Als sie zu Boden gefallen sei, sei er immer noch voller Wut auf sein Opfer gewesen. Er habe ein Messer gezückt und mehrere Male auf sie eingestochen. Danach habe er ihren Leichnam von der Brücke in den Fluss geworfen. Ihre Kleidung habe er auf dem Heimweg aus dem Fenster geschmissen. „Sie war doch bloß eine Hure“, endete seine Schilderung des Mordes.

Sein Verhalten nach der Tat war ebenfalls aufschlussreich. Eine enge Freundin von Cassie Corum wusste, dass Urdiales sie öfters gesehen hatte. Er unterhielt sich mit ihr und tat ganz unwissend. Sie erzählte ihm, dass Corum vermisst werde und sie sich Sorgen mache. Urdiales weinte und half der Freundin sogar noch, Flyer zu verteilen, auf denen um Hinweise zum Vermisstenfall gebeten wurde.

Der Müllsack und die Heilsarmee

Andrew Urdiales setzte sein Geständnis mit dem Fall Lynn Huber fort. Er sagte aus, dass er sie erstmals im Sommer 1996 getroffen habe. Er habe sich mit ihr bei zwei Gelegenheiten zum Sex verabredet. Ende Juli oder Anfang August – so genau wusste er es nicht mehr – habe er beobachtet, wie Huber einen großen Müllsack mit sich herumschleppte. Er habe ihr angeboten, sie mitzunehmen. Sie habe eingewilligt.

Er sei in eine Hintergasse abgebogen. Dort hätten sie im Wagen Sex gehabt. Er behauptete, sie habe einen Streit vom Zaun gebrochen und habe dann aussteigen wollen. Er habe sie festgehalten und ihr mit der Waffe, die er immer unter dem Fahrersitz aufbewahrte, in den Kopf geschossen.

Anschließend habe er die Leiche auf die Ladefläche des Pick-ups abgelegt. Er sei zum Wolf Lake hinausgefahren. Er habe Lynn Huber wie die anderen Opfer entkleidet. Dabei habe er sich aber an einer Nadel gestochen, die sich in einer Tasche eines ihrer Kleidungsstücke befand. Das habe ihn wütend gemacht. Er habe sein Messer herausgeholt und immer wieder auf ihren Rücken eingestochen. Danach habe er nochmals auf sie geschossen.

Anschließend habe er die Leiche in den See geworfen. Die Mülltüte habe er an sich genommen und den Inhalt durchsucht. Doch in dem Sack seien nur weitere Klamotten von ihr gewesen. Er habe ihre übrigen Kleider hineingestopft und alles der Heilsarmee übergeben. Huber würde sie ja nun nicht mehr benötigen, sagte Urdiales, ganz so, als würde diese angeblich „gute Tat“ alles andere rechtfertigen.

Was war von Urdiales‘ Geständnis zu halten?

Die Mordserie, welche die Polizei rund ein Jahr beschäftigt hatte, war damit aufgeklärt. McGrath und Krakausky kauften Urdiales sicherlich nicht jedes Detail seiner Erzählung ab. Vermutlich hatte er einiges schöngefärbt. Zu seinen Motiven befragt, gab er sich nur schmallippig. Es habe ihn erregt, wenn die Frauen um ihr Leben gebettelt hätten.

Ja, er mochte tatsächlich Wut verspürt haben, wie er dauernd betonte. Aber diese Wut hatte sich schon angestaut, bevor er die Frauen traf, mutmaßten die Kriminalbeamten. Die Opfer waren dann für Urdiales nur das Ventil, um der Wut freien Lauf zu lassen und einen Machtrausch zu genießen. Er war nun der Herr über Tod und Leben. Gut möglich, dass er die Frauen viel länger unter Todesängsten leiden ließ, um sich diesen Kick zu verschaffen, als er dies im Verhör zugegeben hatte.

Weitere Geständnisse

Immerhin hatte er die Taten gestanden. Das Geständnis und die Tatwaffe machten den Fall wasserdicht. Urdiales würde für die Morde bezahlen. Doch der Serienmörder hatte noch weitaus mehr auf dem Kerbholz, als die Polizisten zu diesem Zeitpunkt ahnten.

Ohne dass McGrath oder Krakausky ihn danach fragten, beichtete Andrew Urdiales plötzlich fünf weitere Morde. Wie die Ermittler erkennen mussten, reichten die Taten bis in das Jahr 1986 zurück. Einen Zusammenhang mit der Mordserie im Großraum Chicago hatte bisher niemand vermutet.

Furcht und Wut

Andrew Urdiales wurde am 4. Juni 1964 in Chicago geboren, wuchs aber in Dolton auf, einem südlichen Vorort der Metropole, wo er 1982 die Highschool abschloss. Er galt in der Schule als ein Außenseiter und hatte nur wenige Freunde.

Nach seiner Schulzeit trat er dem Marinekorps der Vereinigten Staaten bei. In den nächsten Jahren war er in Südkalifornien stationiert, vor allem auf der Militärbasis Camp Pendleton, nördlich von San Diego gelegen. Man bildete ihn zum Funker aus. Urdiales diente im ersten Golfkrieg 1990/91.

Dr. Dorothy Otnow Lewis sagte als psychiatrische Sachverständige vor Gericht aus, dass er dem Militär aber nicht aus patriotischen Erwägungen beigetreten sei. Für ihn hätten andere Motive eine Rolle gespielt. Er habe lernen wollen, sich selbst zu verteidigen. Und im zweiten Schritt, wie er andere vernichten könnte. Denn Furcht und daraus resultierende Wut seien die bestimmenden Themen seiner Kindheit und Jugend gewesen.

Schikanen

Dr. Lewis führte aus, dass es in der Familie Urdiales mehrere Fälle psychischer Erkrankungen gegeben habe. Zudem hätten ihn seine Eltern physisch und psychisch misshandelt. Er sei außerdem von seiner Schwester und einem Cousin sexuell missbraucht worden. In der Schule und während seines Militärdienstes habe man ihn unaufhörlich schikaniert.

Seine Schwester habe ihn als kleines Kind die Treppe hinunterfallen lassen, was eine Schädigung des Hirns zur Folge gehabt haben könnte. Zeugen der Anklage widersprachen dem jedoch vor Gericht und attestiertem dem Beschuldigten lediglich eine „begrenzte geistige Leistungsfähigkeit“. Salopp formuliert: Der Mann war vielleicht kein Albert Einstein, aber deswegen noch lange nicht geistig unzurechnungsfähig.

Urdiales habe Stimmen gehört, die sich ihm teilweise in „verschlüsselter Sprache“ mitteilten. Habe er den Code geknackt, hätte die Botschaft für ihn immer gelautet, er habe eine „Mission zu erfüllen“. Darüber hinaus habe man bei ihm ein Tourette-Syndrom diagnostiziert.

In seinen persönlichen Einlassungen hatte Andrew Urdiales behauptet, dass er sich während seiner Dienstzeit in ein 15-jähriges Mädchen verliebt habe, das von ihm schwanger wurde. Eine Hochzeit sei jedoch unmöglich gewesen.

Er habe sich vor der Reaktion der Eltern des Mädchens gefürchtet. Außerdem habe er mit einer Bestrafung seitens des Militärs gerechnet, wenn es von seiner sexuellen Beziehung zu einer Minderjährigen erfahren hätte. So hätten sie sich gemeinsam zu einer Abtreibung entschlossen, obwohl er dies eigentlich nicht wollte.

Während seiner Militärzeit wurde Urdiales mehrfach befördert, aber auch wieder herabgestuft. Die Vorgesetzten waren der Ansicht, dass es ihm an ausreichender Führungsstärke mangelte. Untergebene von ihm hatten sich wiederholt geweigert, seinen Befehlen Folge zu leisten.

Beginn der Mordserie

Kurz nach seinem Einsatz bei der Operation „Desert Storm“ entließ man ihn 1991 ehrenhaft aus dem Militärdienst. Er kehrte zurück in sein Elternhaus nach Chicago. Später suchte er dort psychiatrische Hilfe in einer Klinik für Veteranen. Am 12. April 1996 forderte der behandelnde Arzt Urdiales während einer Sitzung auf, „offener seine Wut auszudrücken“. Zwei Tage danach tötete er Laura Uylaki.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Den Psychiater traf keine Schuld daran, dass Urdiales mordete. Denn damit hatte er bereits zehn Jahre zuvor begonnen, genauer gesagt am 18. Januar 1986, wie er den Kriminalbeamten McGrath und Krakausky gestand.

Am Abend dieses Tages entdeckte ein Wachmann auf dem Gelände des Saddleback College in Mission Viejo (Kalifornien) gegen 22.30 Uhr eine leblose Gestalt auf dem Parkplatz im Westen des Universitätsgeländes. Da der Parkplatz schlecht beleuchtet war, glaubte der Sicherheitsmann zunächst an einen Studentenulk. Für ihn wirkte es auf den ersten Blick, als hätte dort jemand eine Schaufensterpuppe abgelegt.

Deshalb fuhr der Wachmann einfach weiter. Aber einige Sekunden später entschied er sich anders, wendete den Wagen und hielt neben der vermeintlichen Puppe an. Der Parkplatz war ansonsten menschenleer.

Der Gegenstand lag neben einem Chevrolet Citation. Der Wachmann näherte sich. Er sah eine Blutlache. Und realisierte plötzlich, dass er es nicht mit einer Puppe zu tun hatte. Es war der Leichnam einer jungen Frau.

Robbin Brandley

Zwei Studenten eilten in diesem Moment gerade zu einem abgestellten Fahrzeug und kamen dabei am Fundort vorbei. Sie kannten die Tote. Es war die 23-jährige Robbin Brandley, die am College Kommunikationsdesign studierte.

Sie hatte erst wenige Minuten zuvor eine Party in der Kunstfakultät verlassen. Früher am Abend hatte dort ein Jazz-Konzert stattgefunden, bei der Brandley als Platzanweiserin ausgeholfen hatte. Im Anschluss hatten die Studenten weitergefeiert.

Die Leitung der Ermittlungen übernahm Detective Michael Stephany vom Sheriff-Büro des Orange County. Die Tote trug ein langes Kleid mit Blumenmustern. Das Kleid war bis über den Bauch hochgeschoben und gab den Blick auf ein Bikinihöschen und Kniestrümpfe aus Nylon frei. Neben dem Leichnam lag die Handtasche der jungen Frau.

Der Beamte bemerkte mehrere Stichwunden an Hals, Brust und Rücken. Die Hände des Opfers wiesen Schnittwunden auf, was auf typische Abwehrverletzungen bei Messerangriffen hindeutete. Die Autopsie ergab, dass der Täter insgesamt 41 Mal auf Brandley eingestochen hatte.

Ansonsten fanden sich allerdings keine brauchbaren Hinweise am Tatort: keine Fingerabdrücke, keine Tatwaffe, keine Textilfasern, keine Haare, keine DNS. Wegen des hochgeschobenen Kleides drängte sich der Verdacht auf, dass es sich um ein Sexualdelikt gehandelt haben könnte. Doch es gab keine weiteren Spuren einer Vergewaltigung.

Auch Raub schied als Motiv aus. Der Mörder hatte die Handtasche des Opfers samt Inhalt am Tatort zurückgelassen. Detective Michael Stephany stand vor einem Rätsel. So blieb das Verbrechen über Jahre hinweg ungeklärt – bis Andrew Urdiales das Verbrechen gestand.

Seinerzeit war er im Camp Pendleton nahe San Diego stationiert, nur rund eine halbe Autostunde vom Saddleback College entfernt. Seiner Aussage zufolge war der konkrete Auslöser der Tat, dass er wieder einmal von seinen Kameraden schikaniert worden war. Er war wütend. So wütend, dass er glaubte, jemanden ausrauben zu müssen, um seinen Zorn zu besänftigen.

Camp Pendleton front gate.jpg
By SSGT RICHARD P. TUDOR, USMC – This Image was released by the United States Marine Corps with the ID 971112-M-CP985-019 (next).
This tag does not indicate the copyright status of the attached work. A normal copyright tag is still required. See Commons:Licensing.
العربية | বাংলা | Deutsch | English | español | euskara | فارسی | français | italiano | 日本語 | 한국어 | македонски | മലയാളം | Plattdüütsch | Nederlands | polski | پښتو | português | svenska | Türkçe | українська | 中文 | 中文(简体)‎ | +/−
ID: DMSD9806490, 971112M7988T019, Public Domain, Link

Camp Pendleton, Haupteingang

Schwarzer Schmodder

Wie gesagt: So stellte Andrew Urdiales den Ablauf dar. Die Tat selbst deutete aus Ermittlersicht eher darauf hin, dass er von Anfang an einen Mord und nicht nur Raub im Sinn hatte. Er hatte ein Jagdmesser eingesteckt, dessen Klinge 27,5 cm maß. Er begab sich zu dem düsteren College-Parkplatz, wo er sich auf die Lauer legte. Er hielt nach einem Opfer Ausschau. Seinen eigenen Worten zufolge war ihm einerlei, wie dieses Opfer aussah. Hauptsache, es war eine Frau.

Die erste Frau, die er sah, war Robbin Brandley. Er schlich sich von hinten an die Studentin an und hielt ihr die Hand vor den Mund. Er verlangte ihre Handtasche. Sie händigte sie ihm aus.

Dann stach er sie in den Rücken. Sie sank zu Boden. Er rammte ihr das Messer mehrfach in die Brust. Wie bereits erwähnt: 41 Mal. Sieht so das typische Verhaltensmuster eines Raubmörders aus? Ich habe meine Zweifel.

Das Messer blieb schließlich in den Rippen stecken. Er stemmte sich mit seinem Fuß gegen den Körper des Mädchens, um die Klinge wieder herausziehen. Anschließend verschwand Andrew Urdiales und ließ Robbin Brandley sterbend zurück.

Seine Hose, die Jacke und die Hände waren blutverschmiert. So konnte er nicht in der Kaserne erscheinen, das war ihm bewusst. Er kratzte die Ölrückstände vom Motorblock seines Wagens ab. Mit dem Schmodder rieb er sich die Hände ein und überdeckte die Blutspuren an seiner Kleidung. Der Wache am Eingang zur Kaserne erzählte er, er habe eine Autopanne gehabt.

 

weiter zu —> (3) Mordserie in Kalifornien

Weitere Kapitel zum Fall Andrew Urdiales 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein