(3) Mordserie in Kalifornien

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Es vergingen zweieinhalb Jahre bis zur nächsten Tat, die nach einem gänzlich anderen Muster ablief. Kein Wunder, dass die Ermittler keinen Zusammenhang gesehen hatten. Am 17. Juli 1988 sprach Andrew Urdiales die 29-jährige Prostituierte Julie McGhee in Cathedral City an.

Julie McGhee

Er fuhr mit ihr zu einer Baustelle hinaus, die in einer Wüstenregion nahe Palm Springs im Riverside County lag. Sie hatten Sex. Anschließend zwang er die Frau, auszusteigen, und schoss ihr in den Kopf. Die Polizei fand später Hülsen vom Kaliber .45 ACP am Tatort.

Urdiales behauptete, nichts gefühlt zu haben, als er abdrückte. Er erinnere sich nur, wie „ruhig und friedlich“ es in der Wüste gewesen sei, so seine Aussage. Er sei anschließend in eine Striptease-Bar gefahren und habe ein paar Bier getrunken.

Er hatte die persönlichen Gegenstände, die das Opfer bei sich trug, mitgenommen. Die Ermittlungen in diesem Fall wurden durch den Umstand erschwert, dass sich Coyoten und andere Aasfresser am Leichnam bedient hatten, bevor die Polizei die Leiche fand.

Mary Ann Wells

Am 25. September 1988 verübte Andrew Urdiales seinen nächsten Mord an der 31-jährigen Mary Ann Wells. Er fuhr mit der Prostituierten in ein verlassenes Industriegebiet in San Diego. Nach dem Sex schoss er Mary Ann Wells in den Kopf und ließ den Leichnam in einer Gasse liegen.

Er nahm die 40 Dollar, die er ihr zuvor bezahlt hatte, wieder an sich. Doch dieses Mal machte er einen Fehler. Er ließ das Kondom, das er benutzt hatte, am Tatort zurück. Das Labor konnte DNS-Spuren von Mary Ann Wells und einem unbekannten Mann sichern. Da das DNS-Profil von Urdiales in keiner Datenbank erfasst war, konnte ihm die Polizei auf diesem Weg nicht auf die Spur kommen. Erst ein Abgleich nach seiner Verhaftung ergab eine Übereinstimmung.

Tammy Erwin

Am 16. April 1989 sprach Andrew Urdiales die 20-jährige Prostituierte Tammy Erwin an und fuhr mit ihr zu einem entlegenen Platz in der Umgebung von Palm Springs. Die beiden kannten sich bereits zuvor. Er verlangte Oralsex im Auto.

Als Tammy Erwin anschließend ausstieg, schoss Urdiales vom Fahrersitz auf sie. Er verließ den Wagen und feuerte zwei weitere Schüsse auf das Opfer ab. Die Polizei fand mehrere Patronenhülsen am Tatort.

Mit dem Fall Tammy Erwin keimte bei den Ermittlern erstmals der Verdacht auf, dass sie es mit einer Mordserie zu tun hatten. Die Ermittler aus San Diego und dem Riverside County verglichen ihre Akten und Spuren.

Die ballistischen Untersuchungen bewiesen, dass McGhee, Wells und Erwin mit derselben Waffe getötet wurden. Aber es fehlte neben der Tatwaffe vor allem ein Verdächtiger. Der Name Andrew Urdiales war in keiner der Ermittlungsakten jemals aufgetaucht.

Vorgehensweise

Was augenscheinlich mit der Vorgehensweise zusammenhing. Er hatte zu fast allen Opfern bereits lange vor dem Mord Kontakt aufgenommen und Vertrauen hergestellt. Nach den Aussagen von Zeugen galt Urdiales als „harmlos“, „nett“ und „freundlich“.

Niemand hätte ihm einen Gewaltausbruch oder gar einen Mord zugetraut. Die Opfer vermutlich ebenso nicht. Sonst hätten sie ihn nicht zu verlassenen Plätzen begleitet, die für sie schließlich zur tödlichen Falle werden sollten.

Den Fall Robbin Brandley hatten die Beamten, wie gesagt, als Bestandteil der Mordserie nie auf der Rechnung. Dazu unterschied er sich zu stark von den übrigen Taten. Brandley arbeitete nicht wie die anderen Opfer als Prostituierte. Und der Täter verwendete in ihrem Fall ein Messer, keine Pistole.

Doch die Untersuchung versandete. In den nächsten dreieinhalb Jahren geschah kein einziges Verbrechen, das dem gleichen Schema folgte. Erst im Herbst 1992 trat Andrew Urdiales wieder in Erscheinung. Zu diesem Zeitpunkt verbrachte er einen Kurzurlaub in Kalifornien.

Jennifer Asbenson

Am 27. September 1992 erledigte die 19-jährige Jennifer Asbenson rasch noch ein paar Einkäufe, bevor sie zur Bushaltestelle eilte. Als sie dort eintraf, war ihr der Bus vor der Nase weggefahren. Asbenson war verzweifelt. Sie arbeitete als Krankenschwester in einem Heim für behinderte Kinder und war auf dem Weg zur Nachtschicht. Aber dies war der letzte Bus, der an diesem Abend fuhr.

Aus dem Nichts tauchte ein Wagen auf und hielt neben ihr an. Der Fahrer fragte sie, ob sie Hilfe benötige. Könne er sie vielleicht irgendwohin mitnehmen? Asbenson hatte nicht das Gefühl, als gehe von dem Mann irgendeine Gefahr aus. Sie warf ihre Bedenken über Bord und ließ sich von dem Fremden zu ihrem Arbeitsplatz fahren.

„Mir blieben nur Sekunden, um mich zu entscheiden. Ich war 19, da denkst du nicht an Konsequenzen. Ich dachte nur: Wenn ich nicht mitfahre, verliere ich meinen Job“, äußerte sie später in einem Interview über die Situation.

Nichts geschah. Im Gegenteil. Der Fremde wirkte auf Asbenson freundlich und charmant. Okay, am Ende versuchte er doch noch, an ein Date und ihre Telefonnummer zu gelangen. Aber damit konnte Asbenson umgehen. Dachte sie zumindest.

Denn Urdiales behauptete später, sie habe ihm eine Fake-Nummer gegeben. Er habe dort noch in der Nacht angerufen. Alles, was er zu hören bekam, war: kein Anschluss unter dieser Nummer. Das habe ihn wütend gemacht. Er sei am anderen Morgen zum Arbeitsplatz von Absenson zurückgekehrt. Er wusste aus dem Gespräch, dass ihre Schicht um 6.00 Uhr endete.

Flucht aus dem Kofferraum

Asbenson verließ pünktlich das Heim. Draußen wartete schon der vermeintliche gute Samariter und bot ihr an, sie nach Hause zu fahren. Wegen des gut verlaufenen Trips am Abend zuvor hatte sie keine Bedenken. Doch dieses Mal hatte der Fremde anderes im Sinn.

Urdiales sagte aus, er sei rechts rangefahren, habe seinen Revolver hervorgezogen und sie bedroht. Dann habe er ihren Kopf gepackt und gegen das Armaturenbrett geknallt. Schließlich habe er der benommenen Frau die Hände auf den Rücken gefesselt. Er sei mit ihr an eine einsame Stelle in der Wüste rund um Palm Springs gefahren.

Dort nötigte er die Frau zu verschiedenen sexuellen Handlungen. Er riss ihr die Kleider vom Leib. Er versuchte sie zu vergewaltigen, bekam aber keine Erektion. Er würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit. Als sie aus der Ohnmacht erwachte, zwang er sie, auszusteigen und sich in den Kofferraum zu legen.

Jennifer Absenson war überzeugt, dass der Mann sie töten wollte. Sie fummelte am Schloss des Kofferraums herum. Es ließ sich von innen öffnen. Sie wartete ab, bis das Fahrzeug an einer Kreuzung anhalten musste.

Dann sprang sie aus dem Heck und rannte die Straße hinunter. Urdiales bemerkte die Flucht, traute sich aber wegen der vielen Zeugen nicht, die Verfolgung aufzunehmen. Jennifer Absenson rettete sich schließlich zu einem Lkw, in dem – ausgerechnet – zwei US-Marines saßen.

Andrew Urdiales trat das Gaspedal durch und sah zu, dass er aus der Gegend entkam. Er gab den Mietwagen zurück und flog noch am gleichen Tag nach Chicago zurück. Jennifer Absenson zeigte die Entführung bei der Polizei an. Die Beamten glaubten ihr jedoch nicht. Erst Jahre später war aufgrund der Aussagen des Täters klar, dass sie die Wahrheit gesagt hatte.

Ein ungewöhnliches Verhalten

Bis zur nächsten Tat verging wieder ein längerer Zeitraum. Dieses Mal waren es zweieinhalb Jahre. Nach dem letzten Vorfall hatte Urdiales Angst, dass die Polizei ihm auf die Spur kommen könnte. Deshalb unternahm er vorläufig auch keinen Versuch, die Mordserie in seiner Heimatstadt Chicago fortzusetzen. Zumindest behauptete er das in seinem Geständnis. Die Polizei konnte ihm nichts Gegenteiliges nachweisen.

Was ungewöhnlich für einen Serientäter ist. Denn laut der gängigen Theorie über diesen Tätertyp verkürzen sich die Intervalle zwischen den Taten mit steigender Zahl der Verbrechen. Der Kick hält nicht mehr so lange vor, die Täter verlieren zunehmend die Kontrolle. So die Theorie. Der Fall Urdiales zeigt, dass diese Erkenntnisse nicht in Stein gemeißelt sind.

Denise Maney

Am 11. März 1995 schlug Urdiales wieder in der Umgebung von Palm Springs zu. Erneut weilte er auf Urlaub in Kalifornien. Dieses Mal fiel die 32-jährige Prostituierte Denise Maney dem Serienmörder zum Opfer.

Er verfuhr nach seinem üblichen Muster. Er sprach Denise Maney auf dem Straßenstrich an und fuhr mit ihr an eine entlegene Stelle. Er fordert sie auf, sich zu entkleiden und ihn oral zu befriedigen.

Er packte sie am Haar und befahl ihr, sich auf den Bauch zu legen. Dann fesselte er ihr die Hände auf den Rücken. Er zwang sie erneut zu Oralverkehr. Doch „er fühlte sich nicht wirklich befriedigt“, wie sich Urdiales im Verhör ausdrückte. Er begrabschte sie so brutal, dass sie vor Schmerzen aufschrie.

Er forderte sie auf, aus dem Wagen auszusteigen und in Richtung Wüste zu gehen. Er hielt sie an, schob ihr den Revolver in den Mund und drückte ab. Es reichte ihm nicht. Er war mal wieder wütend. Er ging zurück zum Wagen, holte sein Messer und stach mehrfach auf sie ein.

Urteile und Tod

1997 klagte man Urdiales im Cook County (Illinois) der Morde an Laura Uylaki und Lynn Huber an. Der Prozess fand allerdings erst zwischen 8. April und 30. Mai 2002 statt. Das Gericht verurteilte ihn wegen Mordes in zwei Fällen zum Tode. Das Todesurteil wurde jedoch 2003 in lebenslängliche Haft umgewandelt.

Der damalige Gouverneur George Ryan hatte alle ausstehenden 167 Todesurteile im Bundesstaat Illinois gestoppt. Eine Studie der Northwestern University von Illinois hatte nachgewiesen, dass mehr als ein Dutzend der Insassen im Todestrakt unschuldig inhaftiert waren. Ryan wollte kein Risiko eingehen, bis alle Fälle überprüft waren. Vollstreckte Todesurteile lassen sich nun mal nicht mehr rückgängig machen.

Am 24. April 2004 stand Urdiales das nächste Mal in Illinois vor Gericht, dieses Mal wegen des Mordes an Cassie Corum. Auch in diesem Fall erging die Todesstrafe. Er legte Widerspruch ein. 2011 wandelte der seinerzeit amtierende Gouverneur Pat Quinn auch dieses Urteil in eine lebenslängliche Haftstrafe um.

Doch damit war Andrew Urdiales noch nicht aus dem Schneider. Nur Stunden nach der Entscheidung von Quinn erhob die Staatsanwaltschaft des Orange County in Kalifornien Klage gegen den Häftling aufgrund von fünf Morden. Im Mai 2018 musste sich Urdiales schließlich wegen dieser Taten vor einem kalifornischen Gericht verantworten.

Am 5. Oktober 2018 verurteilten die Geschworenen ihn auch für diese Morde zum Tode. Wegen des Prozesses hatte man ihn zuvor aus Illinois in die Haftanstalt San Quentin verlegt. Dort nahm sich Andrew Urdiales am 2. November 2018 das Leben.

Die Opfer

  • 18.1.1986: Robbin Brandley (23), Mission Viejo (Kalifornien)
  • 17.7. 1988: Julie McGhee (29), Cathedral City (Kalifornien)
  • 25.9. 1988: Mary Ann Wells (31), San Diego (Kalifornien)
  • 16.4.1989: Tammy Erwin (20), Palm Springs (Kalifornien)
  • 28.9.1992: Jennifer Asbenson (19), Palm Springs (Kalifornien); kann Urdiales entkommen
  • 11.3.1995: Denise Maney (32), Palm Springs (Kalifornien)
  • 14.4.1996: Laura Uylaki (25), Wolf Lake (Illinois)
  • ca. 13.7. 1996: Cassandra Corum (21), Vermilion River (Illinois)
  • ca. 1.8. 1996: Lynn Huber (22), Wolf Lake (Illinois)

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Fotos zum Fall u.a. auf den Seiten von CBS News und Daily Mirror

Bücher (englisch)

Jennifer Asbenson: The Girl in the Treehouse. A Memoir

Die Autorin ist das einzig überlebende Opfer der Mordserie so weit bekannt. Sie geht im Buch auf ihre Begegnung mit dem Täter ein, aber es handelt sich um eine Autobiografie. Sprich: Der Fall füllt das Buch nicht aus, sondern stellt nur einen Teil der Geschichte dar, die sie erzählt. Zudem entzieht es sich meiner Erkenntnis, ob die Erzählung überhaupt auf die übrigen Opfer und Hintergründe näher eingeht.

Doku (englisch)

Inside Evil with Chris Cuomo: Confessions of a Serial Killer (2019)

Das Interview von Chris Cuomo mit dem Serienmörder Andrew Urdiales mag nicht jedermanns Geschmack sein. Aber die rund 80-minütige Doku bietet weitere Interviews mit Zeitzeugen.

People Magazine Investigates: Monster in the Desert (2019)

Rund 43-minütige Doku über den Fall mit Interviews und Reenactment.

 

Weitere Kapitel zum Fall Andrew Urdiales 

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