Mit Edwards, Krugman und DeSimone waren bereits drei Tatbeteiligte getötet bzw. spurlos verschwunden. Lediglich bei DeSimone war die Beteiligung am Lufthansa-Raub aller Wahrscheinlichkeit nach nicht maßgeblich für sein Verschwinden. Doch das große Sterben sollte erst im Februar 1979 beginnen.
Das Party-Girl
Erstes Opfer war Theresa Ferrara. Am 10. Februar verließ die 26-jährige Frau einen Schönheitssalon in Bellmore, Long Island. Ein unbekannter Anrufer hatte sie gebeten, jemanden in einem nahe gelegenen Restaurant zu treffen. Ferrara sagte den Mitarbeitern des Kosmetiksalons, sie sei nur eine Viertelstunde fort. Sie ließ ihre Handtasche, ihr Geld und ihre Schlüssel im Geschäft zurück. Ihr Leichnam wurde drei Monate später am 18. Mai bei Barnegat Inlet in New Jersey an Land gespült.
Theresa Ferrara war nicht an der Tat beteiligt, wusste aber möglicherweise zu viel. Sie hing häufig im Nachtklub „Robert’s Lounge“ ab, war die Geliebte mehrerer Krimineller (unter anderem von Tommy DeSimone) und verdingte sich gelegentlich als Drogenkurierin. Ihre Liebhaber versorgten sie mit Geld, kauften ihre teure Geschenke wie eine Penthouse-Wohnung oder einen Sportwagen. Gleichzeitig arbeitete sie als Informantin für das FBI.
Die Bundespolizei hatte die Frau im Sommer 1977 bei einer Undercover-Aktion verhaftet. Das FBI stellte ihr Straffreiheit in Aussicht, wenn sie der Behörde als Spitzel diente. Dank eines Tipps von ihr konnten Küstenwache und DEA am 11. November 1978 dreißig Tonnen Betäubungsmittel an der Uferpromenade von Queens beschlagnahmen. Die konfiszierte Ware gehörte Paul Vario.
Möglicherweise hatte Vario also inzwischen von Ferraras Spitzeldiensten erfahren und den Mordauftrag erteilt. Vielleicht befürchtete aber auch Burke, dass einer seiner Leute gegenüber Ferrara Betriebsgeheimnisse ausgeplaudert hatte. Die Hintergründe der Tat ließen sich nie zweifelsfrei aufklären. Zumindest setzten die Ermittlungsbehörden ihren Tod 1979 in Verbindung mit dem Lufthansa-Raub.
Der Trickbetrüger
Ebenso unklar ist, welche Rolle ein gewisser Richard Eaton eventuell bei dem Plot gespielt hat. Am Morgen des 18. Februar entdeckten Kinder beim Spielen auf einer wilden Müllkippe in Brooklyn Eatons Leichnam. Der Tote war gefesselt und geknebelt. Die Leiche lag auf einem Sattelschlepper-Wrack.
Die herbeigerufenen Beamten der Mordkommission durchsuchten die Kleidung des Toten. Im Futter seines Mantels bemerkten sie ein kleines Adressbuch. Dank des Eintrags eines Zahnarztes ließ sich das Opfer, bei dem sich keinerlei Ausweispapiere fanden, als Richard Eaton identifizieren. Doch in dem Buch war unter anderem auch die Telefonnummer von James Burke vermerkt. In welcher Beziehung stand der Tote zu ihm?
Eaton war der Polizei in der Vergangenheit als Falschspieler und Trickbetrüger aufgefallen. In den 1970er Jahren arbeitete er mit dem kanadischen Gangster Thomas Monteleone zusammen, der in Fort Lauderdale (Florida) ein Restaurant namens „Player’s Club“ betrieb. Der „Player’s Club“ war ein Treffpunkt des organisierten Verbrechens. Zu den regelmäßigen Gästen gehörten Paul Vario und James Burke. Dort lernten sich Burke und Eaton schließlich kennen.
Durch die Überwachung von Sepe, DeSimone und Burke hatte das FBI in Erfahrung gebracht, dass Eaton vermutlich in einen Kokain-Handel mit Burke in Florida verwickelt war, bei dem es um 250.000 Dollar ging. Seine Rolle blieb jedoch unklar. Nun war Eaton nach New York zurückgekehrt und fand sich tot auf einem Sattelschlepper wieder.
Ging es dabei um den Drogendeal? Oder hatte Eaton etwas mit dem Lufthansa-Raub zu tun? Es gab Gerüchte, Burke habe einen Teil der Beute über Monteleones Laden waschen wollen. Möglicherweise hatte Eaton versucht, Burke bei diesem Handel abzuzocken. Die Polizei kannte die Antwort nicht. Die Ermittler wussten nur, dass der Mann die Wege von Burke gekreuzt hatte – mit tödlichem Ausgang für ihn.
Der einzige Zeuge, der bei der Klärung des Falls hilfreich sein konnte, war Thomas Monteleone. Doch bevor die Polizei ihn vernehmen konnte, wurde Monteleone ebenfalls ermordet. Seine Leiche fand sich in Connecticut.
Ein Wal verschwindet
Im März 1979 verschwand dann ein weiterer Mann, der definitiv mit dem Überfall auf die Lufthansa zu tun hatte: Louis „der Wal“ Cafora. Die Beamten des 113. Bezirks hatten ihn bereits seit geraumer Zeit als Tatverdächtigen auf dem Kieker. Sie unterzogen ihn mehreren Verhören. Anfänglich bestritt er jede Verwicklung in den Fall. Dann kündigte er an, auspacken zu wollen. Doch bevor es dazu kam, verschwanden Cafora und seine Frau Joanna.
Wusste Burke davon, dass Cafora kurz vor einer Aussage stand? Möglich. Aber der „Wal“ hatte sich auch auf andere Weise bei Burke in Ungnade gebracht. Caforas legale Fassade waren mehrere Parkplätze, die er in der Stadt betrieb. Über die Firma sollte er Geld aus der Beute waschen. Aber anstatt diese Aufgabe diskret abzuwickeln, quatschte er mit Freunden und seiner Frau Joanna über den Lufthansa-Raub. Noch schlimmer in den Augen von Burke: Er kaufte seiner Frau einen pinkfarbenen Cadillac Fleetwood, der alle Blicke auf sich zog – auch die des FBI.
Werner verurteilt
Derweil stimmte die Grand Jury am 2. März einer Anklageerhebung gegen Louis Werner im Fall des Lufthansa-Raubes zu. Werner schwieg dennoch eisern und plädierte auf nicht schuldig. Am Donnerstag, dem 4. Mai 1979, wurde das Verfahren eröffnet. Der Staatsanwalt benannte Gruenwald, Fischetti, Menna und Werners Freundin Janet Barbieri als Zeugen der Anklage. Die Verteidigung verzichtete ihrerseits auf Zeugen.
Am 16. Mai befanden die Geschworenen Louis Werner in drei der sechs gegen ihn erhobenen Anklagepunkte für schuldig. Dazu gehörten die Hilfe bei der Planung und Durchführung des Raubüberfalls im Dezember 1978 sowie der Diebstahl von 22.000 Dollar zwei Jahre zuvor. Das Urteil lautete auf 15 Jahre Haft.
Werner sollte der einzige Täter bleiben, der jemals wegen dieses Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde. Allerdings hätten nur weniger seiner Kompagnons überhaupt eine Chance dazu gehabt: Denn am Tag der Urteilsverkündung setzten sich bereits die Morde an Tatbeteiligten fort.
Weitere Leichen
Zeugen riefen die Polizei zu einem Buick Baujahr 1973, der auf der Schenectady Avenue in Brooklyn parkte. Auf den Vordersitzen saßen Robert „Frenchy“ McMahon und Joseph Manri. Beide waren durch Schüsse in den Hinterkopf getötet worden. Die Szene glich einer Hinrichtung. Für die Ermittler stand fest, dass die Opfer den oder die Täter gekannt haben mussten. Der Wagen hatte nur zwei Türen, der Mörder saß auf dem Rücksitz. McMahon und Manri hatten ihn also bereitwillig einsteigen lassen.
Am 13. Juni 1979 tauchte an der Flatlands Avenue in Brooklyn eine weitere Leiche auf. Der Sizilianer Paolo LiCastri aus der Gambino-Familie wies vier Einschusswunden auf. Er war nur noch mit einer Hose bekleidet. Der Leichnam wurde auf einem Gelände gefunden, das die Anwohner als illegale Müllkippe missbrauchten.
Kronzeuge Henry Hill
Im April 1980 nahmen die Behörden Henry Hill wegen Drogenhandels fest. Sie spielten ihm den Mitschnitt eines Gesprächs zwischen Paul Vario und James Burke vor. Hill gewann den Eindruck, als planten die beiden Gangster seine Ermordung. Er erklärte sich zur Zusammenarbeit mit dem FBI bereit, sollten er und seine Familie im Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden.
Seine Aussagen waren alles in allem recht dünn. Das FBI hatte vermutlich auf einen entscheidenden Schlag gegen das organisierte Verbrechen spekuliert. Doch entweder konnte Hill diese Informationen mangels Wissen nicht liefern oder er wollte es schlichtweg nicht. Dank seiner Mitarbeit kamen zwar etliche Verbrechen zur Anklage. Die dicken Fische waren aber nicht darunter.
Selbst im Falle von James Burke, den Hill bestens kannte, musste das FBI lange warten, bis sich eher zufällig aus einer Aussage Hills ein Anklagepunkt ergab. Wie sich herausstellte, hatte Burke zahlreiche Basketball-Collegespiele manipuliert, um Wetten zu seinen Gunsten zu gestalten. Die Anklage wegen Bestechung brachte Burke eine Haftstrafe von 12 Jahren in einem Bundesgefängnis ein.
1985 verurteilte ihn ein Gericht zusätzlich wegen Mordes an Richard Eaton zu weiteren 20 Jahren Haft. Burke hätte frühestens 2004 Bewährung beantragen können. Dazu kam es nicht mehr. James „Jimmy the Gent“ Burke starb am 13. April 1996 in einem Krankenhaus in Buffalo an Lungenkrebs, nachdem er aus der Strafvollzugsanstalt dorthin verlegt worden war.
Die Ermittler hatten natürlich auch darauf spekuliert, dass Hill ihnen neue Erkenntnisse zum Lufthansa-Raub liefern könnte, sahen sich jedoch abermals enttäuscht. Hills Wissen basierte fast ausschließlich auf Hörensagen. Und die meisten Beteiligten, die mit ihm über den Überfall gesprochen hatten (wie z.B. Krugman), waren bereits tot.
Auch die Aussage eines zweiten Zeugens war aus Ermittlersicht ein Schlag ins Kontor. Die Haft hatte Louis Werner mürbe gemacht. Im Juni 1980 war er endlich zur Kooperation mit den Ermittlungsbehörden bereit. Aber er hatte lediglich Kontakt zu Manri gehabt. Von den anderen Beteiligten kannte er nicht einmal die Namen. Und Manri war inzwischen ebenfalls ermordet worden – eine weitere Sackgasse. Immerhin konnte Werner eine Haftverkürzung auf 5 Jahre für sich herausschlagen. Im Anschluss an seine Entlassung verschaffte das FBI ihm und seiner Freundin Janet Barbieri neue Identitäten.
Die letzten Mohikaner
Henry Hill brachte noch einen weiteren Mann hinter Gittern, der vermutlich vom Lufthansa-Raub profitiert hatte: Paul Vario. Im Februar 1984 bezeugte Hill, dass Vario ihm einen Job verschafft habe, der nur auf dem Papier existiert habe. Mithilfe des Arbeitsplatznachweises sei er frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden.
Vario erhielt wegen dieser Straftat eine Gefängnisstrafe von vier Jahren und musste eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Dollar zahlen. Während er in Haft saß, konnten ihm die Ermittler Schutzgelderpressungen von Luftfrachtunternehmen nachweisen, die am JFK-Flughafen operierten. Vario erhielt weitere zehn Jahre. Am 3. Mai 1988 starb er im Bundesgefängnis von Fort Worth, Texas.
Angelo Sepe musste wegen seiner Bewährungsverletzung lediglich 10 Monate im Gefängnis einsitzen. Dennoch verblieben ihm nicht viele Jahre in Freiheit. Anfang 1984 verhaftete die Polizei ihn erneut wegen Waffenhandels. Bis zum Prozess durfte er auf freiem Fuß verbleiben. Doch am 18. Juli 1984 fand man ihn ermordet in einer Kellerwohnung in der 20th Avenue im Bensonhurst-Viertel von Brooklyn auf. Neben ihm lag seine 19-jährige Freundin Joanne Lombardo, getötet durch einen Schuss in den Mund. Der Auftrag zu dem Doppelmord stammte wahrscheinlich von der Lucchese-Familie. Eine Woche zuvor hatte Sepe einen Drogenhändler ausgeraubt, der für das Lucchese-Syndikat arbeitete.
Der letzte Beteiligte am Lufthansa-Raub, der bisher nicht verhaftet oder getötet worden war, war Frank James Burke, der Sohn von „Jimmy the Gent“. Am 18. Mai 1987 um 2:30 Uhr morgens endete auch sein Leben. Ein Drogendealer erschoss ihn in der Liberty Avenue im Stadtteil Cypress Hills in Brooklyn. Laut New York Times gehörte Frank Burke zum Zeitpunkt seines Todes der Gambino-Familie an.
Rätsel um die Beute
Am 23. Januar 2014 machte der Lufthansa-Raub erneut Schlagzeilen. An diesem Tag musste sich der 78-jährige Vincent Asaro, Capo der Bonnano-Familie, vor einem Gericht in New York verantworten. Die Anklage behauptete, nicht die Gambino-Familie um John Gotti, sondern das Bonanno-Syndikat um Asaro sei in den Lufthansa-Raub verwickelt gewesen. Asaro gehörte 1979 eine Bar, in der die Crew von James Burke umzog, als ihnen der Boden in der „Robert’s Lounge“ aufgrund der Überwachung durch das FBI zu heiß wurde. Allerdings reichten die Indizien der Staatsanwaltschaft nicht aus, um Asaro eine konkrete Tatbeteiligung nachzuweisen.
Louis Werner blieb also der Einzige, der jemals für den spektakulären Überfall strafrechtlich verfolgt wurde. Fast 30 Jahre später fehlen noch die Leichen von Tommy DeSimone, Martin Krugman, Louis Cafora und seiner Frau Joanna. Und natürlich die 5,8 Millionen Dollar sowie Juwelen aus dem damals größten Raubüberfall in der Geschichte der Vereinigten Staaten.
In dem 2015 erschienen Buch „The Mystery of the Lufthansa Airlines Heist“ behaupten die Autoren Robert Sbrna und Dominick Cicale (ein früheres Mitglied der Bonanno-Familie), dass James Burke die Beute in einem Bankschließfach versteckt habe. Die Schlüssel zu dem Schließfach habe er seinen Töchtern Robin und Cathy überreicht. Cathy Burke war mit Anthony Delicato verheiratet, einem Capo der Bonanno-Familie und einer der drei Killer, die im Juli 1979 Mafiaboss Carmine Galante getötet hatten.
Laut Dominick Cicale bedienten sich Anthony Delicato und sein Kumpel Vincent Basciano, ebenfalls ein Bonanno-Capo, freizügig an dem prall gefüllten Schließfach. 250.000 Dollar seien so in einer Kinoproduktion versenkt worden, die niemals die Kinoleinwand erblickt habe. Das übrige Geld hätten die beiden Mafiosi im Laufe der Jahre in Spielcasinos durchgebracht. Moral der Geschicht‘: Mit Zocken fing alles an, mit Zocken endete es.
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