Beim Überfall auf ein Lufthansadepot auf dem New Yorker JFK-Flughafen stehlen die Täter 1978 die größte Summe, die bis dato bei einem Raub in den USA erbeutet wurde. Die Freude über den Coup währt kurz. Fast alle Tatbeteiligten sterben einen gewaltsamen Tod. Die wenigen Überlebenden enden im Gefängnis oder Zeugenschutzprogramm.
Zockerprobleme
Louis Werner war ein Zocker, wie er im Buche steht. Der Lufthansa-Angestellte kassierte ein Jahresgehalt von 15.000 $ und platzierte täglich Wetten im Wert von bis zu 300 $. Gleichzeitig musste er Unterhalt für eine Ex-Frau und drei Kinder zahlen sowie eine Freundin versorgen. Dieser Lebensstil konnte auf Dauer nicht gutgehen. 1978 stand Werner bei seinen Buchmachern mit 18.000 $ in der Kreide. Sie pochten auf baldige Rückzahlung. Werner musste sich rasch etwas einfallen lassen.
Zwei Jahre zuvor hatte Werner bereits unter ähnlichem Druck gestanden. Damals heckte er mit seinem Kollegen und Freund Peter Gruenwald erstmals einen Plan aus, wie sie ihren Arbeitgeber berauben konnten. Am 8. Oktober 1976 verschwanden 22.000 Dollar in Fremdwährung aus dem Frachtgebäude der Lufthansa am Kennedy-Airport in New York.
Am nächsten Tag brachte Werner das Geld in einer Pappschachtel zu Gruenwalds Haus in Levittown auf Long Island. Gruenwald versteckte die Beute auf einer Mülldeponie und holte sie am nächsten Morgen wieder ab. Im Laufe des Tages trafen sich die beiden Ganoven an einer Tankstelle und füllten die Scheine in Plastiktüten um. Den Karton zerrissen sie und verteilten die Einzelstücke in Müllcontainern quer durch die Stadt. Dieses Mal vergrub Gruenwald die Tüten mit der Beute in seinem Garten.
Werner erkundigte sich bei einer Bank, wie er die ausländischen Devisen in amerikanische Dollar umtauschen könne. Ein Schalterbeamter gab ihm die Auskunft, dass Beträge bis zu einem Umtauschwert von 500 $ kein Problem darstellen würden. Alles, was darüber hinaus ginge, müsse die Bank automatisch dem US-Finanzministerium melden.
Eine Woche später beauftragte Werner seinen Bekannten William Fischetti, mit der Beute verschiedene Banken in Manhattan abzuklappern und dort kleine Stückelungen zu tauschen. Werner traf mit dem Komplizen eine interessante Wahl. Denn Fischetti, selber verheiratet, war der Liebhaber von Werners Frau Beverly, die allerdings schon in Trennung lebte.
Obwohl Louis Werner in dem Fall als Hauptverdächtiger galt, wurde er nie verhaftet oder der Tat offiziell beschuldigt. Die Fluggesellschaft sah deshalb auch davon ab, ihm zu kündigen.
Millionen aus Deutschland
Für diese Kulanz bedankte sich der Lufthansa-Angestellte auf seine Weise. Als ihm zwei Jahre später erneut das Wasser bis Oberkante Unterlippe stand, wollte er den Coup von 1976 wiederholen. Doch dieses Mal spielte Peter Gruenwald nicht mit. Sein Anteil an dem Diebstahl hatte seinerzeit 5.000 $ betragen. Angesichts solch mickriger Erträge lohne sich das Risiko und der Stress nicht, so Gruenwald. Er wäre nur bei „etwas richtig Großem“ dabei.
Werner hatte eine Idee. Jeden Monat flog die Lufthansa Millionen von US-Dollar aus Frankfurt ein. Das Bargeld stammte von US-Soldaten und Touristen, die es zuvor in Deutschland ausgegeben hatten. Bevor eine Sicherheitsfirma die Geldkisten abholte, lagerten diese für geraume Zeit in einem Tresor im Frachtdepot der Lufthansa. Die Sache hatte einen weiteren Vorteil: Die Seriennummern der Geldscheine waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht registriert, sodass die Behörden das Geld nicht zurückverfolgen konnte, sollten eines Tages Teile der Beute wieder auftauchen.
Im August 1978 einigten sich Werner und Gruenwald darauf, besagtes Frachtdepot bei passender Gelegenheit auszurauben. Werner war dort als Vorarbeiter eingeteilt. Er würde eine detaillierte Skizze des Gebäudes anfertigen. Er würde alle Informationen zum aufwendigen Alarmsystem zusammentragen. Gruenwald sollte einen Ablaufplan für den Überfall erstellen und zuverlässige Leute für den Überfall anheuern.
Der Läufer
Doch Gruenwald hatte bis zum Herbst immer noch kein geeignetes Team beieinander. Werner riss der Geduldsfaden. Er konnte nicht mehr länger warten. Der Einbruch musste so schnell wie möglich über die Bühne gehen, sonst war er finanziell erledigt. Also beschloss er, seine eigenen „Beziehungen“ zum Milieu spielen zu lassen. Diese Beziehung bestand im Wesentlichen aus einem Mann: Frank Menna.
Menna verdingte sich als „Läufer“ für Buchmacher. Er war damit so eine Art Wett-Makler. Er sammelte neue Wetten und entsprechende Einsätze bei den Zockern ein und vermittelte sie an einen passenden Buchmacher. Menna arbeitete dabei sehr eng mit dem Buchmacher Martin Krugman zusammen, bei dem Werner die größten Wettschulden offen hatte.
Krugman wusste, für wen Werner arbeitete. Deshalb hatte er Werner trotz steigender Schulden weiterzocken lassen. Er hatte ihn damit in der Hand. Werner würde ihn mit Tipps versorgen, so sein Kalkül, wenn ein Lkw mit lukrativer Fracht den Flughafen verließ. Irgendwie musste er seinen Gläubiger ja bei Laune halten. Krugman konnte diese Tipps dank seiner Connections zu Geld machen. Die Geduld hatte sich ausgezahlt. Denn der jüngste Coup versprach den Jackpot.
Anfang November 1978 erzählte Werner Menna erstmals von seiner Idee, der sich umgehend an Krugman wendete. Der Buchmacher kontaktierte seinen Freund Henry Hill und dessen Partner James Burke. Beide gehörten zwar nicht unmittelbar der Mafia an, waren aber mit der New Yorker Cosa Nostra bestens vernetzt. Speziell Burke galt als große Nummer in der Halbwelt.
Soziopath aus dem Lehrbuch
James Burke wurde am 5. Juli 1931 als uneheliches Kind geboren und gleich nach der Geburt von seiner Mutter zur Adoption freigegeben. Es folgte eine Odyssee von Pflegefamilie zu Pflegefamilie. Im Jahr 1944, als Burke 13 Jahre alt war, saß er auf dem Rücksitz eines Autos, das von seinem letzten Pflegevater gesteuert wurde.
Burke wusste, dass dem Mann schnell die Sicherungen durchbrannten. Er provozierte ihn dennoch. Der Pflegevater drehte sich um und schlug auf Burke ein. Dabei verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug. Der Wagen überschlug sich. Der Mann starb noch am Unfallort. Die Pflegemutter gab Burke die Schuld am Tod ihres Ehemanns. Sie verprügelte den Jungen regelmäßig, bis das Jugendamt einschritt und Burke in ein Heim einwies.
Burkes Entwicklung zum Lehrbuch-Soziopathen schritt in Siebenmeilenstiefeln voran. Im Alter zwischen 16 und 22 Jahren verbrachte er gerade einmal 86 Tage in Freiheit. Den Rest der Zeit war er in Besserungsanstalten und Gefängnissen weggesperrt. Es hieß, dass er während der Inhaftierung mehrere Mitgefangene im Auftrag von Mafia-Capos, die mit ihm einsaßen, umgebracht habe. Auch nach seiner Haftentlassung kursierten Gerüchte, er habe mehrere Menschenleben auf dem Gewissen. So viel steht fest: Burke war unberechenbar, wiederholt gewalttätig und eng mit der New Yorker Mafia verbandelt.
Fachmann für Raubüberfälle
Burkes Haupteinnahmequelle stellten seit den 1950er Jahren Überfälle auf Lkws dar, die ihre Fracht auf dem Idlewild Airport luden, den man später im Gedenken an den ermordeten US-Präsidenten in John F. Kennedy International Airport umbenannte. Sein Partner Henry Hill beschrieb Burkes Passion später mit folgenden Worten: „Was man bei Jimmy verstehen muss: Er liebte es, zu stehlen. Beim Stehlen war er in seinem Element. Er brauchte es wie die Luft zum Atmen. Ich denke, wenn jemand Jimmy eine Milliarde Dollar cash auf die Hand als Geschenk angeboten hätte, hätte er sie zurückgewiesen. Stattdessen hätte er einen Plan ausgeheckt, wie er dem Typen die Kohle klauen könnte. Anderen etwas wegzunehmen, war das Einzige, was er wirklich genoss. Es war sein Lebensexlixier.“
Trotz seiner Brutalität hörte Burke auf den Spitznamen „Jimmy the Gent“ = der Gentleman. Dies lag unter anderem an seiner speziellen Masche, mit denen er seine Raubzüge durchzog. Die Gangster, die Lkws überfielen, nahmen dem Fahrer in der Regel den Führerschein ab. Das Vorgehen beinhaltete eine simple, aber effektive Drohung: Wir wissen, wie du heißt und wo du wohnst. Wenn du uns an die Polizei oder die Versicherungsleute verpfeifst, kommen wir dich und deine Familie besuchen.
Auch Burke knöpfte den Fahrern ihren Führerschein ab. Doch er steckte ihnen einen 50-Dollar-Schein ins Portemonnaie, bevor er ihnen die Brieftasche zurückgab. Dieses Verhalten führte dazu, dass Burke immer wieder aus Fahrerkreisen Tipps erhielt, wann ein besonders wertvoller Transport unterwegs war. Burke schmierte zudem viele Polizeibeamten. Selbst als die Polizeispitze den Fahndungsdruck auf ihn erhöhte, wurde er deshalb nie geschnappt – zumindest nicht wegen Lasterüberfällen.
Offener Vollzug
1972 begleiteten Burke und Henry Hill einen New Yorker Gewerkschaftsfunktionär namens Casey Rosado nach Florida. Rosado wollte dort Spielschulden eintreiben. Er benötigte zwei Schläger, um seinen Forderungen gegebenenfalls Nachdruck zu verleihen. Der Schuldner zeigte sich wenig einsichtig, also wurde es rasch hässlich. Burke und Hill prügelten auf den Mann ein und hielten ihn als Geisel fest. Nach einigen Stunden war er bereit, seine Schulden zu begleichen.
Einen Monat später verhaftete das FBI Burke und Hill in New York. Was die Gangster nicht wussten: Die Schwester des Opfers arbeitete für die Bundespolizei als Schreibkraft. Sie hatte ihre Beziehungen spielen lassen. Geiselnahme und Erpressung waren Bundesvergehen, für die das FBI zuständig war. Der Fall ging vor Gericht, das beide Täter jeweils zu einer Haftstrafe von 10 Jahren verurteilte.
Ab dem 25. Oktober 1978 kam Burke in den offenen Vollzug. Er durfte sich tagsüber frei bewegen, musste aber nachts in eine Einrichtung nahe des Times Square in Manhattan zurückkehren. Besondere Sicherheitsvorkehrungen waren dort allerdings nicht vorhanden. Bei der Außenstelle des Gefängnisses handelte es sich um ein ehemaliges Hotel. Den heruntergekommenen Laden hatte man schlicht umbenannt, ohne bauliche Änderungen vorzunehmen.
Die Organisation
Burke war zwar eng mit den Luccheses verbunden, einer der fünf New Yorker Mafia-Familien, agierte aber unabhängig. Ihn verband eine langjährige Freundschaft mit Paul Vario senior, einem der Capos der Lucchese-Organisation. Solange er die Mafia an seinen Raubzügen finanziell beteiligte, konnte er ausrauben, wen er wollte. Burke arbeitete dabei mit einer festen Crew zusammen, zu denen folgende Personen gehörten:
Robert „Frenchy“ McMahon stammte aus dem Viertel Hell’s Kitchen in Manhattan. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein Börsenmakler von der Wall Street. Doch McMahon finanzierte sich seit seiner Jugend vorwiegend aus kriminellen Aktivitäten. Seinen Spitznamen erhielt er, weil er 1972 am Frachtterminal der Air France gearbeitet hatte, um einen Überfall auszubaldowern. Bei dem Coup erbeutete die Gruppe 2 Millionen Dollar von einem Lkw.
Joseph „Joe Buddha“ Manri hieß eigentlich Manriquez mit Nachnamen. Er strebte aber eine Aufnahme in der Mafia an. Er rechnete sich bessere Chancen mit einem italienisch klingenden Namen aus. Seine Freunde nannten ihn „Buddha“ wegen seines kugelrunden Bauchs. Neben den Raubzügen für Burke verdingte er sich als Buchmacher und Autodieb. Manri bewohnte gemeinsam mit „Frenchy“ McMahon eine Wohnung in Ozone Park, Queens.
Angelo Sepe war spindeldürr, nur 1,52 m groß und meist ungepflegt. Er hatte ein Herz für umherstreunende Tiere. Sein Zuhause war ein Asyl für Kaninchen, Vögel, Schildkröten und alles andere, was in New York kreuchte und fleuchte. Sepe war insgesamt 14 Mal verhaftet worden. Die erste Verurteilung kassierte er mit 14 Jahren. Sein Vorstrafenregister reichte von kleinen Betrügereien bis hin zu Einbruchdiebstahl.
Parnell Steven Edwards war quasi das Mädchen für alles der Crew, aber kein wirklich anerkanntes Gang-Mitglied. Er träumte von einer Karriere als Blues-Sänger und trat gelegentlich in „Robert’s Lounge“ auf, dem Treffpunkt der Bande. Edwards arbeitete tagsüber und war für die Bande meistens als Fahrer tätig. Sein Anteil an der Beute bestand in der Regel aus Diebesgut, das er dann auf der Straße verhökerte. Edwards hatte eine Vorstrafe wegen Kreditkarten-Betrugs. Sein Spitzname lautete „Stax“ oder „Stacks“.
Louis „der Wal“ Cafora hatte einen selbsterklärenden Spitznamen: Er verfügte über einen unersättlichen Appetit, hatte sich 136 kg angefuttert und kutschierte in einem auffälligen, belugaweißen Cadillac durch die Gegend. Er war im Drogenhandel und als Kredithai aktiv. Caforas ständiges Gerede über Essen ging Burke zwar gehörig auf den Senkel. Aber er besaß darüber hinaus reichlich praktische Erfahrungen mit Raubüberfallen. Sein Know-how war für die Bande unverzichtbar.
Thomas „Two-Gun Tommy“ DeSimone war ein großer Mann mit einer Vorliebe für teure Anzüge und makellos polierte Schuhe. Er trug immer ein Paar Pistolen mit Perlmuttgriff bei sich, was ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte. Er war mit der einflussreichen DeSimone-Mafiafamilie aus Los Angeles verwandt, die wiederum enge Kontakte mit den New Yorker Luccheses unterhielt.
Er hoffte, bald von der Lucchese-Familie als Vollmitglied aufgenommen zu werden. Doch insbesondere Paul Vario hielt den Jungen für zu dumm und zu impulsiv für das Geschäft. Der Möchtegern-Mafiosi brachte mehr Ärger als Geld ein. DeSimone war 1978 in der gleichen Einrichtung wie Burke untergebracht, nachdem er einen Teil einer Gefängnisstrafe wegen Diebstahls verbüßt hatte. Er war zudem der engste Freund von Burke.
Henry Hill war ein Ziehsohn von James Burke und Paul Vario. Er war geschäftstüchtig und einfallsreich. Er entdeckte ständig neue Möglichkeiten, um auf illegalem Weg Geld zu verdienen. Er machte bei Burkes Raubzügen mit, hatte aber eine Reihe eigener Geschäfte am Laufen. Er betrieb Spielhöllen und Nachtklubs. Später mischte er auch im Drogenhandel mit.
Der hagere, kahlköpfige Martin Krugman trug den Spitznamen „Bug Eyes“ wegen seiner hervorstehenden Augäpfel. Krugman war eigentlich Friseur und Perückenverkäufer, verdingte sich aber auch als Buchmacher. Burke hatte ihm den Kennedy-Airport als Revier zugeschustert. Dort durfte er die Wetten von allen Beschäftigten entgegennehmen. Mit seinen Kontakten vor Ort fungierte er auch als Tippgeber für Burkes Raubzüge.
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- Das große Ding bei der Lufthansa
- (2) Ein perfekter Plan
- (3) Wenn die Vöglein singen
- (4) Das große Sterben