(2) Ein perfekter Plan

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Das Ziel versprach den Gangstern fette Beute. Und dennoch wäre der Coup beinahe schon im Vorfeld geplatzt – aus zwischenmenschlichen Gründen. Jimmy Burke hasste Marty Krugman. Die Abneigung reichte bis in die frühen 1970er Jahre zurück. Damals besaß Krugman den Friseurladen „For Men Only“. Außerdem baute er gleich neben Henry Hills Nachtklub „The Suite“ auf dem Queens Boulevard ein Perückengeschäft auf.

Der Perückenmann

Krugman schaltete für seinen neuen Laden Fernsehwerbung im Nachtprogramm. Die Zuschauer sahen ihn mit einem Fifi durch einen Pool schwimmen. Ein Erzähler sagte: „Krugmans Perücken verlieren nie den Halt.“

Burke erwartete von Krugman, dass er ihm Schutzgeld für seine Läden bezahlte. Er verlangte 200 Dollar die Woche. Aber Krugman weigerte sich. Stattdessen klagte er Henry Hill sein Leid. So viel werfe sein Geschäft nicht ab. Er müsse erst investieren, bevor er Gewinne einfahren könne. Hill versuchte zu vermitteln.

Doch jedes Mal, wenn Burke nachts nicht schlafen konnte, sah er Krugmans Werbung im Fernsehen. Der Typ hatte Geld, um TV-Werbung zu schalten, aber er wollte nicht abdrücken, was ihm zustand? Burke schickte zwei Schläger los, die einen von Krugmans Angestellten zusammenschlugen. Burke betrachtete dies als Warnung. Anstatt einzulenken, drohte Krugman aber damit, zum Staatsanwalt zu gehen.

Burke verlor nach dieser Geschichte das Vertrauen in Krugman. Ihm ging es gegen den Strich, dass er diesem Typ nun einen großen Batzen zahlen müsste, sollte der Coup gelingen. Schließlich hatte ihm Krugman die Gelegenheit auf dem Silbertablett serviert. Doch die Aussicht auf ein paar Millionen Dollar führten dazu, dass Burke seinen Ärger hinunterschluckte – zumindest vorübergehend.

Planung

Aber Burke bestand darauf, dass Krugman nicht direkt mit Werner zu tun hatte. Er schickte stattdessen Joseph „Buddha“ Manri los, der mit dem Lufthansa-Angestellten alle Details klären sollte. Manri würde außerdem der einzige aus Burkes Crew sein, mit dem Louis Werner jemals Kontakt haben sollte. Je weniger er wusste, umso weniger konnte er später der Polizei verraten.

Burke machte sich umgehend an die Planung. Manri übermittelte ihm alles, was Werner und Gruenwald bisher an Informationen zusammengetragen hatten. Burke kümmerte sich um die Einzelheiten, für die Amateure wie Werner oder Gruenwald keinen Blick hatten. Er stellte ein Überfallteam zusammen.

Abhängig von ihrer Funktion sollte jeder Beteiligte zwischen 10.000 und 50.000 Dollar erhalten. Krugmans Anteil lag bei 10 % der Beute. Burke kalkulierte die Zahlen auf einem geschätzten Erlös von 2 Millionen US-Dollar. Sollten sie mehr erbeuten, konnte die Bezahlung noch steigen.

Der Sizilianer

Burke genoss normalerweise zwar Narrenfreiheit. Aber einen Überfall in dieser Größenordnung konnte er nicht ohne Zustimmung der Mafia durchziehen. Denn die Geschichte würde mächtig Staub aufwirbeln. Die Gesetzeshüter würden jeden Ganoven zwischen New Jersey und Long Island aufs Korn nehmen. Solche unangemeldeten Störungen mochte die Cosa Nostra nicht.

Also holte sich Burke den Segen von Paul Vario und der Lucchese-Familie. Doch als die Gambino-Familie von der Sache Wind bekam, verlangte sie ebenfalls einen Anteil. Burke musste mit John Gotti verhandeln, dem späteren Paten der Gambinos, der zu dieser Zeit aber noch Capo war. Für die Zustimmung forderte Gotti 200.000 Dollar ein. Außerdem bestand Gotti darauf, dass der Gambino-Soldat Paolo LiCastri an dem Überfall teilnahm.

Die Gambinos hatten Paolo LiCastri direkt aus der alten Heimat Sizilien importiert und setzten ihn als Schläger und Auftragskiller ein. 1975 verurteilte ihn ein US-Gericht wegen Mordes. Anfang 1978 schoben ihn die Behörden in sein Herkunftsland Italien ab. Im November 1978 hatten ihn die Gambinos bereits wieder in die Vereinigten Staaten hineingeschmuggelt.

LiCastri war schwer von seinen Fähigkeiten überzeugt. Er sonderte Sprüche ab wie: Er mache in Klimaanlagen. Dank Smith & Wesson seien seine Opfer immer bestens durchlüftet. Burkes Bande war in seinen Augen ein Haufen Strauchdiebe, bestenfalls nützliche Handlanger. Burke ging der Bursche mit seiner Art ganz schnell mächtig auf die Nüsse.

Startschuss

Am Freitag, dem 8. Dezember, kam im Frachtterminal der Lufthansa endlich eine Geldlieferung der Commerzbank aus Frankfurt an. Ein Geldtransporter holte einen Teil des Geldes umgehend ab, um es zur Chase Manhattan Bank zu bringen. Der Großteil der wertvollen Fracht sollte jedoch mit einem gepanzerten Wagen der Firma Brinks abtransportiert werden.

Doch als die Sicherheitsleute am Lufthansa-Terminal vorfuhren, teilte ihnen der zuständige Mitarbeiter mit, dass er zunächst die Genehmigung seines Vorgesetzten benötige, um das Geld freigeben zu können. Danach verschwand er und ward die nächsten anderthalb Stunden nicht mehr gesehen. Den Geldboten riss irgendwann der Geduldsfaden. Sie funkten ihre Zentrale an. Von dort kam die Anweisung, sie sollten ihre Runde ohne die Lieferung fortsetzen. Der Mann, der die Geldboten erfolgreich abgewimmelt hatte, war Louis Werner.

Werner rief sofort „Buddha“ Manri an. Burkes Crew traf am Wochenende die letzten Vorbereitungen. Am Montag, dem 11. November, fuhren gegen 3.00 Uhr morgens auf dem Parkplatz vor dem Frachtterminal ein Ford Econoline 150 Van und ein Buick-Pkw vor. Im Van saßen Angelo Sepe, Tommy DeSimone, Louis Cafora, Joe Manri, Frenchy McMahon und Paolo LiCastri.

Vorspiel

Den Pkw steuerte Burkes Sohn Frank Jesse. Der Buick diente als „Crash Car“. Falls die Polizei nach dem Überfall auftauchen und die Verfolgung aufnehmen sollte, würde Frank die Verfolger durch einen Unfall aufhalten. Der Transporter hätte dann die Chance, mit der Beute zu entkommen zu können.

Jetzt stiegen vier Männer in dunkler Kleidung und mit schwarzen Skimasken vor den Gesichtern aus dem Van und betraten das Frachtgebäude der Lufthansa. Die übrigen beiden Bandenmitglieder fuhren mit dem Transporter zur Rückseite des Terminals. Dort knackten sie mit einem Bolzenschneider das Kettenschloss am Sicherheitszaun und ersetzten es pro forma mit einem neuen Schloss, das sie aber nicht verriegelten. Frank Burke wartete derweil im Buick auf dem Parkplatz.

James Burke hatte den Beginn des Überfalls nicht ohne Grund für 3.00 Uhr eingeplant. Laut Werner hatten die Mitarbeiter der Nachtschicht zu diesem Zeitpunkt Pause. Insgesamt waren es in dieser Schicht zehn Kollegen. Die Mehrzahl würde sich im Aufenthaltsraum einfinden. Der Plan schien aufzugehen. Als die vier Räuber in das Lagergebäude eindrangen, war der Sicherheitsmann verschwunden. Die Männer gelangten ungehindert die Treppe hinauf zu Büros und Aufenthaltsraum.

Überwältigt

Der erste Lufthansa-Angestellte, auf den sie trafen, hieß John Murray. Der Cargo Agent war an seinem Schreibtisch eingenickt. Sie konnten ihn ohne Problem überwältigen. Die vier Gangster scheuchten Murray mit gezückten Waffen in den Aufenthaltsraum. Hier saßen bereits fünf Kollegen von Murray. Die Räuber zwangen sie, sich auf den Boden zu legen und die Augen zu schließen. Anschließend fesselten sie ihren Opfern die Hände mit Handschellen auf den Rücken.

Burkes Crew hatte von Louis Werner erfahren, dass der Schichtleiter in dieser Nacht ein gewisser Rudi Eirich war. Eirich hatte die Schlüssel zum Tresor. Sie fragten die Geiseln, ob einer von ihnen Eirich sei. Murray antwortete. Eirich halte sich mit den übrigen drei Kollegen noch im Frachtraum auf.

Burkes Männer mussten improvisieren. Während einer die Opfer bewachte, zerrten die drei anderen Murray zurück in sein Büro. Er solle Eirich im Frachtraum über das Intercom rufen und ihn nach oben locken. Er solle behaupte, er habe Frankfurt an der Strippe. Eirich müsse sofort nach oben kommen. Der Trick funktionierte. Jetzt waren es nur noch drei.

Störung

Kerry Whalen arbeitete als Fahrer für die Lufthansa. Er transportierte die Fracht vom Flieger zum Depot. Als er in dieser Nacht am Tor auf der Rückseite des Terminals vorfuhr, fiel ihm ein Van auf, der dort parkte. Er kannte den Wagen nicht. Whalen stieg aus, um den Fahrer zu bitten, sein Fahrzeug vor der Toreinfahrt wegzufahren. An der Fahrertür angekommen blickte Whalen plötzlich in den Lauf einer Waffe.

Whalen machte auf dem Absatz kehrt und rannte davon. Die beiden unmaskierten Insassen des Vans (ihnen war unter der Skimaske zu heiß geworden) holten ihn ein, schlugen seinen Kopf gegen den Lieferwagen und warfen den benommenen Mann auf die Ladenfläche des Vans. Sie befahlen ihm, ruhig liegen zu bleiben.

Auf der anderen Seite des Tors, im Innern des Frachtdepots, hielt sich zu diesem Zeitpunkt der Lufthansa-Mitarbeiter Rolf Rebmann auf. Er hörte zunächst laute Männerstimmen. Dann schlug eine Wagentür zu. Rebmann trat vor das Lager, um zu sehen, was da draußen vor sich ging. Die Räuber zielten mit einer Pistole auf ihn. Sie zwangen den Wachmann, sich neben den Whalen in den Transporter zu legen.

Drei Männer aus Burkes Crew hatten inzwischen mit Eirich als Geisel den Frachtraum erreicht. Dort fanden sie aber nur noch einen der Lufthansa-Mitarbeiter vor – nicht drei.

Insider

„Wer fehlt noch?“, fragten sie Eirich.
„Ich kann es nicht genau sagen“, antwortete Eirich.
„Pass auf, du Scheisskerl“, drohte einer der Täter, der eine abgesägte Schrotflinte in der Hand hielt. „Wir haben deine Adresse. Wir werden deine Familie umbringen, wenn du nicht endlich auspackst.“

In diesem Moment lugte einer der beiden Gangster aus dem Van in die Halle. Sie waren unruhig geworden. Man hinkte mittlerweile deutlich dem Zeitplan hinterher. Er sah eines der Gang-Mitglieder, der die Halle nach den verschwundenen Lufthansa-Mitarbeitern durchsuchte. Er teilte ihm mit, dass sie die beiden Burschen bereits überwältigt hatten. Rebmann, Whalen und ihr Kollege wurden in den Aufenthaltsraum gebracht.

Eirich blieb alleine mit den Gangstern zurück. Sie stießen ihn zum Tresor, während der Van in die Halle fuhr. Sie drohten Eirich erneut, ihm und seiner Familie Gewalt anzutun. Angeblich seien bereits weitere Männer in seinem Haus und warteten bloß auf ein Zeichen, um seine Frau und Kinder zu töten.

Gleichzeitig kannten sich die Räuber bestens mit den Sicherheitsvorkehrungen im Frachtdepot aus. Der Tresor bestand aus zwei Türen. Die erste Tür musste sich zunächst schließen, bevor man die zweite Tür öffnete. Ansonsten löste das System einen stillen Alarm bei der Flughafenpolizei aus. Die Täter wussten darüber Bescheid. Eirich dämmerte allmählich, dass die Männer über Insiderinformationen verfügten. Er hatte keine Wahl, als ihren Anweisungen zu folgen.

Alles nach Plan

Die Bande lud 72 Kartons (laut New York Times; in anderen Quellen ist von 40 Kartons die Rede), randvoll mit Geldscheinen, in den Van ein. Die Männer brachten Eirich schließlich in den Mitarbeiterraum zu den anderen. Beim Schichtleiter verzichteten sie auf Handschellen und fixierten ihn stattdessen mit Klebeband. Vor ihrer Flucht nahmen die Räuber den Angestellten noch alle Autoschlüssel ab und ließen zudem Whalens Brieftasche mitgehen.

Sie wiesen ihre Gefangenen an, sich zehn Minuten nicht zu rühren. Werner hatte ihnen verraten, dass die Flughafenpolizei binnen 90 Sekunden am Terminal sein konnte, sobald sie verständigt wurde. Das wäre zu knapp. Einer der Gangster fuhr den Lieferwagen zum Haupteingang des Depots. Zwei Räuber kletterten in den Van, die anderen stiegen in den Buick zu Frank Burke. Es war 4.21 Uhr.

Die beiden Fahrzeuge verließen ohne Schwierigkeiten das Terminal und das Flughafengelände. Eirich konnte zwar seine Handfesseln an einer scharfen Tischkante durchschneiden. Aber als er gegen 4.30 Uhr endlich die Flughafenpolizei verständigte, waren die Täter längst über alle Berge.

Der Van und der Buick begaben sich derweil zu einer Autowerkstatt nach Brooklyn in den Stadtteil Canarsie. James Burke und „Stacks“ Edwards erwarteten sie dort bereits. Die Männer luden die Geldkisten vom Van in den Kofferraum eines der wartenden Pkws um.

Burke und sein Sohn fuhren in dem Auto mit der Beute davon. Manri, McMahon, DeSimone und Sepe teilten sich das zweite Auto. Cafaro wurde von seiner Frau abgeholt, die in seinem weißen Cadillac ein paar Blocks weiter wartete. LiCastri nahm die U-Bahn nach Hause. Und Edwards sollte den Van verschwinden lassen. Zunächst tauschte er in der Werkstatt die Nummernschilder aus. Anschließend sollte er den Transporter zu einem Schrottplatz nach New Jersey fahren und dort in einer Schrottpresse entsorgen.

Fette Beute

Als die New York Times am 12. Dezember 1978 erstmals über den Überfall berichtete, betrug die geraubte Summe nach ersten Schätzungen 3 Millionen Dollar in bar. Außerdem hatten die Räuber Juwelen im Wert von etwa 2 Millionen Dollar erbeutet. Zwei Tage später korrigierte die Lufthansa die Schätzung. Jetzt waren den Tätern 5,875 Millionen Dollar in bar und Schmuck im Wert von 850.000 Dollar in die Hände gefallen.

Die Beute in Höhe von knapp 5,9 Millionen US-Dollar bedeutete laut FBI-Angaben, dass es sich um den größten Raubüberfall in der Geschichte der Vereinigten Staaten handelte. Gemessen an der Kaufkraft würde die Summe heute einem Wert von knapp 22 Mio. Dollar entsprechen (Stand 2016). Bis hierher war Burkes Plan perfekt aufgegangen. Doch dann machte der verhinderte Sänger „Stacks“ Edwards einen verhängnisvollen Fehler. Und die Burke Crew sollte alsbald der Blues ereilen.

 

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