Der Raub einer so großen Summe Geldes war Big News. Alle Medien sprangen auf die Geschichte an. Später sollten mehrere Filmproduzenten das Potenzial der Story erkennen. Zuerst entstanden zwei Fernsehfilme – „The 10 Million Dollar Getaway“ und „The Big Heist“. Aber erst Martin Scorseses Blockbuster „Goodfellas“ verlieh dem Fall internationale Bekanntheit. In „Goodfellas“ wird der eigentliche Überfall nur in einer eher kurzen Sequenz gezeigt, spielt aber dennoch eine wichtige Rolle. Die Details fußen auf der Biografie von Henry Hill und entsprechen in vielen Punkten den realen Ereignissen.
Schneller Fahndungserfolg
Mit dem Fall befassten sich gleich vier verschiedene Ermittlungsbehörden: das Raubdezernat des 113. Bezirks der Stadt New York, die Kriminalabteilung der Bezirksstaatsanwaltschaft von Queens, die Hafenpolizei (in deren Zuständigkeitsbereich auch die Flughäfen fielen) sowie das FBI. Die Ermittler waren sich nach den ersten Zeugenvernehmungen rasch einig, dass sie es mit einem Insider-Job zu tun hatten.
Ein Polizeizeichner fertigte nach den Angaben der Zeugen Phantomzeichnungen von den beiden Tätern an, die ihre Masken vorübergehend ausgezogen hatten. Die Polizei gab eine Beschreibung des Ford Ecoline Vans an die Medien weiter. Die Behörden kontaktierten ihre Spitzel. Und sehr bald lieferten ihnen die Informanten erste konkrete Namen: Tommy DeSimone, Angelo Sepe, Frank Burke und ein Mann namens Anthony Rodriquez. Die Vögel zwitscherten in der ganzen Stadt.
Nachdem die Presse den Fahndungsaufruf nach dem verdächtigen Lieferwagen gedruckt hatte, meldete sich ein Ehepaar aus Long Island bei der Polizei. Ihnen war am Tag vor dem Überfall ein Fahrzeug des gleichen Fabrikats gestohlen worden. Der Wagen hatte in Flushing, Queens, geparkt. Am 13. Dezember entdeckte eine Polizeistreife den fraglichen Van, abgestellt auf einer Straße in Brooklyn. Die Beamten fanden im Innenraum die Geldbörse von Kerry Whalen.
Was war bei der Entsorgung des Wagens schiefgelaufen? Dieses Wissen hat „Stacks“ Edwards mit ins Grab genommen. Die heute gängige Erklärung lautet: Auf der Fahrt zum Schrottplatz nach New Jersey habe er einen Joint geraucht und plötzlich Lust auf einen Abstecher zu seiner Freundin verspürt. Dort angekommen habe er sich betrunken und zudem Kokain reingezogen. Als er dann seinen Rausch ausschlief, sei einer Streife der Van aufgefallen, der zu allem Überdruss im Parkverbot abgestellt war.
Dummerweise heißt es in der New York Times, dass der Wagen erst am 13. Dezember, also mehr als zwei Tage nach dem Überfall gefunden wurde. Da müsste Edwards folglich sehr lange geschlafen haben. Wie immer es auch in Wahrheit gelaufen sein mag: Die Spurensicherung entdeckte am Lenkrad einen Fingerabdruck, der von Edwards stammte. Da Edwards Beziehung zu Burke polizeibekannt war, hatten die Räuber nun ein schwerwiegendes Problem.
Spiel mit dem Feuer
Einen Tag nach dem Fund, am 14. Dezember, trafen sich alle Tatbeteiligten in „Robert’s Lounge“, um den Coup zu feiern. Auch Paul Vario erschien mit zwei Brüdern. Obwohl Burke und die anderen inzwischen erfahren hatten, dass der Van wieder aufgetaucht war, besaß „Stacks“ Edwards die Chuzpe, ebenfalls auf der Party zu erscheinen. Er riss Witze über die Mafiatypen, die sich nun die Millionen unter die Finger rissen, ohne dass er selbst bisher einen einzigen Penny gesehen habe.
Augenscheinlich war ihm nicht klar, dass er mit dem Feuer spielte. Am Abend des 18. Dezember erhielt Edwards Besuch von Tommy DeSimone und Angelo Sepe. Sie schossen Edwards mehrfach in den Kopf. Man fand ihn im Bett in seiner Wohnung in Queens.
Martin Krugman hatte gleichfalls ein Talent dafür, sich unbeliebt zu machen. Er erinnerte Burke permanent daran, dass sein Anteil aus der Beute zehn Prozent betrug. Er rechnete ihm detailliert vor, dass dies auf mindestens eine halbe Million Dollar hinauslief. Krugman wollte wissen, wann er endlich sein Geld sehe. Er beklagte sich bei Burke, dass er jede Woche Zinsen an einen Kredithai abdrücke. Warum müsse er noch Zinsen berappen, obwohl er mit seinem Anteil jederzeit den gesamten Kredit ablösen könne?
Henry Hill, der einerseits mit Krugman enger befreundet war, andererseits wusste, wie Burke tickte, versuchte den Perückenverkäufer zu beruhigen. Er sagte ihm, er würde das Geld bald bekommen. Noch sei die Sache zu heiß. Die Polizei warte nur auf einen Fehler. Kurz vor Weihnachten gab Burke Krugman dennoch 50.000 Dollar.
Doch Krugmans Jammern verstummte nicht. Er habe Werner 40.000 Dollar der Summe in die Hand gedrückt. Der Junge habe sich für sie den Arsch aufgerissen. Nun müsse er aber immer noch Zinsen zahlen. Wann zahle ihm Burke endlich seinen vollen Anteil aus, der ihm zustehe?
Spurlos verschwunden
Am Morgen des 6. Januars erhielt Henry Hill einen Anruf von Krugmans Frau Fran. Sie mache sich Sorgen. Marty sei in der letzten Nacht nicht nach Hause zurückgekehrt. Hill konnte ihr nichts sagen. Wieder und wieder rief Fran an diesem Tag an. Hill versprach ihr, nach Krugman zu suchen.
Er fuhr zum Treffpunkt von Burkes Crew. Vor der Bar parkte Burkes Wagen. Burke saß an der Theke. Hill berichtete über die Anrufe von Fran Krugman. Burke sagte bloß: „Er ist weg. Hol deine Frau ab und fahr zu Fran. Sag ihr, dass er wahrscheinlich bei einer Freundin ist. Erzähl ihr irgendeine Geschichte.“ Krugman wurde nie mehr gesehen.
Im Januar 1979 verschwand ein weiteres Mitglied von Burkes Crew spurlos. Laut Henry Hill hatte Tommy DeSimone konkrete Hoffnungen, dass sein größter Wunsch in der Woche nach Weihnachten in Erfüllung ginge. Die Lucchese-Familie habe ihm eine Aufnahme als Mafiamitglied, als „gemachter Mann“, in Aussicht gestellt. Burke und Hill hielten sich während der Feiertage in Florida auf. Burke telefonierte mehrfach mit DeSimone und dessen Familie.
Erst hieß es, das Aufnahmeritual sei wegen heftigen Schneefalls verschoben worden. Am nächsten Tag beobachtete Hill, wie Burke in einer Telefonzelle mit dem Hörer auf den Apparat eindrosch. Irgendetwas war furchtbar schiefgegangen. Burke kam aus der Telefonzelle und hatte Tränen in den Augen. „Sie haben Tommy erschlagen“, sagte Burke laut Hill. „Die gottverdammte Gotti Crew hat Tommy erschlagen.“
Wie sich herausstellte, hatte DeSimone in früheren Tagen zwei Gambino-Mafiosi getötet: William „Billy Batts“ DeVino and Ronald „Foxy“ Jerothe. Aus persönlichen Gründen. Aus Wut. Unbedacht. Wie Paul Vario schon über DeSimone geurteilt hatte: „Zu dumm und zu impulsiv fürs Geschäft.“ Die Mafia übte Vergeltung. Am 14. Januar 1979 stellte DeSimones Frau Cookie Vermisstenanzeige bei der Polizei. Der Leichnam wurde nie gefunden.
Abhöraktion
Die Ermittlungen schienen zu Beginn mit Riesenschritten voranzukommen. Den Behörden lagen nach wenigen Stunden bereits vier konkrete Namen von Tatverdächtigen vor. Obgleich sich der Tipp zu Anthony Rodriquez (ein Mafia-Freund von Angelo Sepe) später als Fehlalarm erweisen sollte, waren Sepe, DeSimone und Burke jedoch Volltreffer.
Ein Mafioso der Colombo-Familie, der als Informant für das FBI arbeitete, erzählte den Agenten, dass Jimmy Burke der Strippenzieher bei diesem Raub gewesen sei. Kerry Whalen identifizierte Angelo Sepe als einen der Männer, die ihn angegriffen hatte. Whalens Kollege Rebmann deutete auf das Bild von Tommy DeSimone – das war der zweite Räuber, der seine Maske in der Tatnacht fallengelassen hatte.
Doch anstatt auf eine schnelle Verhaftung zu drängen, besorgten sich die Ermittler zunächst eine Abhörerlaubnis bei Gericht. Die Beamten brachten an den Wagen der Verdächtigen Peilsender und Wanzen an. Sie hörten die Telefone in „Robert’s Lounge“ und alle Münzfernsprecher in der näheren Umgebung ab. Die Polizei hoffte, dass sie mithilfe dieser Maßnahme alle Tatbeteiligten fassen könne. Sepe, DeSimone und Burke ahnten entweder von der Überwachung oder hatten von ihren Polizeikontakten konkrete Hinweise erhalten. Sie verhielten sich extrem vorsichtig und konnten sich immer wieder der Überwachung entziehen.
Bestes Beispiel war das spurlose Verschwinden von Tommy DeSimone Anfang Januar 1979. Das FBI und die anderen Ermittlungsbehörden hatten keinen blassen Schimmer, wo der Verdächtige abgeblieben war. Zunächst gingen sie davon aus, dass er lediglich untergetaucht sei. Aber dann verdichteten sich die Gerüchte, DeSimone sei von der Mafia umgebracht worden.
Die erste Verhaftung
Am 17. Februar zog das FBI die Konsequenzen. Die Agenten verhafteten Angelo Sepe, der von einem Augenzeugen identifiziert worden war. Frei nach dem Motto: Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Der Haftrichter setzte die Kaution auf 1 Million Dollar fest. Der Staatsanwalt hatte das Gericht überzeugen können, dass der Verdächtige enge Beziehungen zu Paul Vario und damit dem organisierten Verbrechen pflegte.
Als das FBI Sepe verhaftete, durchsuchten die Agenten sein Haus. Sie fanden weder die Beute aus dem Lufthansa-Raub noch andere Hinweise, die Sepe mit dem Überfall in Verbindung brachten. Doch sie trafen einen interessanten Besucher an: James Burke. Sepes Anwalt konnte am 23. März zwar eine Einstellung des Verfahrens gegen seinen Klienten im Falle des Lufthansa-Überfalls erwirken, da die Anklage alleine auf der Zeugenaussage von Whalen fußte, deren Beweiskraft der Verteidiger erfolgreich in Zweifel stellte.
Doch sowohl Sepe als auch Burke standen noch unter Bewährung. Durch ihr Treffen hatten sie gegen ihre Bewährungsauflagen verstoßen. Kontakte zu anderen verurteilten Straftätern waren in dieser Phase tabu. Sepe verblieb somit im Gefängnis. Burke wurde am 12. April verhaftet. Die Ermittler bekamen dadurch Zeit, andere Beweise gegen die mutmaßlichen Haupttäter zusammenzutragen – zum Beispiel durch ein Geständnis.
Ans Messer geliefert
Die Behörden gingen wie bereits erwähnt sehr frühzeitig von einem Insider-Job aus. Die Ermittlungen im Umfeld des Lufthansa-Depots führten schnell auf die Spur von Louis Werner und Peter Gruenwald. Beide waren als langjährige Zocker bekannt. Gruenwald hatte kürzlich hohe Spielschulden beglichen. Werner fuhr seit neuestem mit einem nagelneuen Sportwagen umher. Bei den ersten Befragungen behaupteten die Männer, sie hätten zuletzt einfach Glück im Spiel gehabt. Das Geld stamme aus gewonnenen Wetten.
Anfang Februar 1979 erhielt Grünwald eine Vorladung zur Grand Jury, die sich mit dem Lufthansa-Raub beschäftigte. Am 19. Februar hielten ihn Beamten in der Abflughalle am Flughafen fest. Er wollte gerade einen Flieger nach Asien besteigen, um dort einige Zeit mit seiner Ex-Frau zu verbringen. Aufgrund der offenen Vorladung durfte er das Land aber nicht verlassen. Das FBI erwirkte einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr.
Der leitende Staatsanwalt bot Gruenwald einen Deal an. Würde er als Kronzeuge aussagen, käme er ungestraft davon. Gruenwald lehnte das Angebot ab. Der Staatsanwalt steckte den Lufthansa-Mitarbeiter eine Nacht ins Bezirksgefängnis. Am folgenden Morgen redete Gruenwald wie ein Wasserfall.
Gruenwald konnte der Ermittlungsbehörde zwar nicht sagen, wer letztlich am Raubüberfall beteiligt war, da er die Hintermänner nie kennengelernt hatte. Doch er packte über die ursprüngliche Planung und den Diebstahl von 1976 aus. Damit lieferte er Louis Werner, William Fischetti und Frank Menna ans Messer.
Schließlich vernahm der Staatsanwalt noch Werners Frau Beverly und seine aktuelle Partnerin Janet Barbieri. Beide Frauen gaben zu, dass Werner ihnen gegenüber mit seiner Rolle beim spektakulären Raubüberfall im Dezember geprahlt habe. Beverly Werner konnte als direkte Angehörige von Rechts wegen eine Aussage vor der Grand Jury verweigern. Für Janet Barbieri galt diese Einschränkung nicht.
Die Staatsanwaltschaft erwirkte Haftbefehl gegen William Fischetti und Frank Menna. Als Menna an seiner Tür zwei FBI-Agenten gegenüberstand, sagte er nur: „Ich will einen Anwalt. Ich will Immunität.“ Fischetti zeigte sich hingegen darüber besorgt, dass seine Frau von seiner Affäre mit Beverly Werner erfahren könnte. Am 20. Februar verhaftete das FBI schließlich auch Louis Werner, als er vor einer Bowlingbahn auf Long Island in seinen nagelneuen Sportwagen einstieg.
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Weitere Kapitel zum Fall Lufthansa-Raub
- Das große Ding bei der Lufthansa
- (2) Ein perfekter Plan
- (3) Wenn die Vöglein singen
- (4) Das große Sterben