Was geschah mit dem weißen Ford Bronco?

0

Vorab: In der O. J.-Simpson-Saga gab es zwei weiße Ford Broncos, die eine wichtige Rolle spielten. Der erste Bronco war auf die Autovermietung Hertz zugelassen. Die Ermittler mutmaßten, dass O. J. Simpson dieses Fahrzeug in der Tatnacht benutzte. Am frühen Morgen des 13. Juni 1994 entdeckten die Beamten verdächtige Blutspuren an dem Auto. Der Wagen wurde daraufhin von der Polizei sichergestellt. Was nach der kriminaltechnischen Untersuchung mit diesem Fahrzeug geschah, entzieht sich meiner Kenntnis.

Der zweite weiße Ford Bronco gehörte Simpsons bestem Kumpel Allen »Al« Cowlings. Der zweitürige SUV mit V8-Motor hatte gut ein Jahr zuvor, im März 1993, das Fließband verlassen. Dieser Ford mit dem amtlichen Kennzeichen 3DHY503 erlangte weltweite Berühmtheit, als er sich am späten Nachmittag des 17. Juni 1994 eine »Verfolgungsjagd« mit der Polizei lieferte. Alle großen Fernsehsender der USA unterbrachen ihr Programm, um Livebilder der zweistündigen Irrfahrt quer durch L.A. zu zeigen. Geschätzte 95 Millionen US-Zuschauer verfolgten das Spektakel.

Al Cowlings steuerte den weißen Ford Bronco, während sein Freund O. J. Simpson auf dem Rücksitz kauerte und sich eine Pistole an den Schädel hielt. Jahre später veröffentlichte die Polizei die Tonbandaufzeichnung der Telefonate, die der leitende Ermittler Tom Lange mit O. J. Simpson im Laufe dieser zweistündigen Fahrt geführt hatte. Der Beamte der Mordkommission verzweifelte mehrfach an der Technik. Während er O. J. Simpson dazu überreden wollte, die Pistole aus dem Fenster zu schmeißen, brach wiederholt die Verbindung zusammen. Das Mobilfunknetz steckte noch in den Kinderschuhen. Larry King zeigte in seiner Sendung auf CNN einen Zusammenschnitt dieser Gespräche (siehe Video unten). Wer den kompletten Text der Telefonate nachlesen möchte, findet auf folgender Seite ein Transkript: [Link zu CNN / Bronco Chase Transcript]

Der passionierte Sammler

Am Nachmittag des 17. Juni schaute sich Michael Kronick in Las Vegas gerade die Übertragung eines Finalspiels der amerikanischen Basketballliga an, als der Sender NBC sein Programm für die Livebilder aus Los Angeles unterbrach. Kronick starrte wie seine Landsleute gebannt auf den Bildschirm. Der passionierte Sammler begriff sofort, dass dieser Wagen durch die Medienpräsenz einmalige Berühmtheit erlangen würde. Er griff noch während der Sendung zum Telefonhörer und setzte sich mit seinem Anwalt in Verbindung: »Wir müssen diesen Wagen bekommen, koste es, was es wolle.«

Sie setzten alle Hebel in Bewegung, um einen Kontakt zum Fahrzeughalter herzustellen. Doch im Unterschied zu O. J. Simpson scheute Al Cowlings das Rampenlicht. Und nachdem man ihn am 17. Juni wegen Beihilfe zur Flucht verhaftet hatte und er Teil eines gigantischen Medienhypes wurde, schottete sich Cowlings erst recht ab. Doch den Ex-Footballer plagten finanzielle Probleme. Er war nur gegen Zahlung einer Kaution in Höhe von 250.000 Dollar wieder auf freien Fuß gekommen. Er brauchte dringend Geld. Der Ford Bronco war für ihn inzwischen nutzlos geworden. Er hatte sich geschworen, niemals mehr einen Fuß in diesen Wagen zu setzen. Also bat er Don Kreiss, einen seiner wenigen Vertrauten, einen Kaufinteressenten für den Bronco aufzutreiben.

Don Kreiss erfuhr, dass sich bereits ein Sammler in Los Angeles umgehört hatte und scharf auf den SUV war. Er setzte sich mit Michael Kronick in Verbindung. Kronick unterbreitete ihm und Cowlings ein konkretes Angebot. Er würde 75.000 US-Dollar für den Ford Bronco zahlen. Zusätzlich verlangte er 250 unterschriebene Fotos, die Al Cowlings am Steuer des Fahrzeugs zeigten. Cowlings erklärte sich mit den Bedingungen einverstanden.

Ein geplatzter Deal

Am 2. November 1994 sollte der Deal über die Bühne gehen. Sechs Tage später musste Cowlings wegen seiner Anklage vor Gericht erscheinen (man sprach ihn schließlich frei). Als Treffpunkt diente das Westwood Marquis Hotel (heute: Starwood Hotels & Resorts). Michael Kronick und Don Kreiss erschienen pünktlich. Nur Al Cowlings und sein weißer Ford Bronco fehlten. Cowlings rief zweimal an und entschuldigte sein Zuspätkommen. Er sei unterwegs, stecke jedoch im Stau fest, ließ er verlauten. Dann folgte drei Stunden nach dem verabredeten Zeitpunkt Cowlings‘ dritter Anruf. Der Deal sei geplatzt. Er würde den Bronco nicht verkaufen.

Michael Kronick witterte ein abgekartetes Spiel. Während er mit einem Scheck über 75.000 Dollar im Hotel wartete, so mutmaßte Kronick, hatte Cowlings mit anderen Interessenten verhandelt und den Verkaufspreis in die Höhe getrieben. Kronick verklagte daraufhin Cowlings vor einem Zivilgericht. Der Streitwert wurde auf 200.000 Dollar festgesetzt. Kronick behauptete, dies sei der Betrag, der ihm wegen Cowlings‘ Zockerei durch die Lappen gegangen sei. 1996 einigten sich beide Parteien in einem Vergleich. Über das Ergebnis vereinbarte man Stillschweigen. Es kann nicht zu Cowlings Gunsten ausgefallen sein. Denn im folgenden Jahr meldete der Ex-Footballer Privatinsolvenz an. Aber was war nun mit dem berühmt-berüchtigten Ford Bronco geschehen?

Der Pornoking

Nur zwei Wochen nach der gütlichen Einigung vor dem Zivilgericht deutete Kronicks Anwalt Stanley Stone an, dass der Wagen inzwischen für 200.000 Dollar einen neuen Besitzer gefunden habe. Den Namen gab er jedoch nicht preis. Später stellte sich heraus, dass es sich dabei um einen gewissen Michael Pulwer handelte – ebenfalls ein Mandant von Stanley Stone. Damit verdiente der Anwalt gleich mehrfach an diesem Deal.

Der neue Besitzer des Ford Bronco stammte ursprünglich aus New Jersey und hatte an einer Kunsthochschule in Lancaster, Pennsylvania, studiert. 1972 hatte es den Kunsthochschüler nach Südkalifornien verschlagen, wo er sich mit dem Handel von Pornomagazinen und -filmen finanziell über Wasser hielt. Er fand Gefallen an dem Geschäft. In den 1990ern hatte er seine eigene Produktionsfirma gegründet und mehr als 50 Pornos produziert. Diese Tätigkeit brachte ihn in Kontakt mit Al Cowlings, O. J. Simpson und deren Freundeskreis. Pulwer schleppte auf den Partys bekannte Pornodarstellerinnen wie Traci Lords oder Christy Canyon an und betätigte sich als Kuppler für die ehemaligen Footballstars.

Nachdem der Staatsanwalt Anklage gegen O. J. Simpson erhoben hatte, waren diese Art von Partys Geschichte. Der Freundeskreis hatte sich in Nullkommanichts aufgelöst. Doch Pulwer und Cowlings blieben in Verbindung. Als der Pornoproduzent hörte, dass sein Kumpel in finanziellen Schwierigkeiten steckte, bot er seine Hilfe an. Er kaufte den Ford Bronco schließlich für die Summe von 200.000 Dollar – deutlich mehr, als Kronick geboten hatte.

Aus der Versenkung ins Rampenlicht

Danach vergammelte der berühmt-berüchtigte Wagen fast zwanzig in der Tiefgarage der Westford Condos, einer Luxuswohnanlage am Wilshire Boulevard in Los Angeles, Pulwers damaliger Wohnadresse. Er schien sich wenig um den Wagen zu kümmern. Ein Wachmann, der in der Garage arbeitete, berichtete, dass die Luft vollkommen aus den Reifen des Broncos entwichen sei. Pulwer war nicht abgeneigt, den Wagen weiterzuverkaufen. Aber die Angebote, die er erhielt, blieben deutlich unter seinen Erwartungen. So stand der Wagen noch in der Garage, als Pulwer schließlich nach Florida umzog.

Das Auto tauchte dann urplötzlich 2012 vor dem Luxor Hotel auf dem Strip in Las Vegas auf. Den Machern des neugegründeten Sportmuseums SCORE! war es gelungen, das Originalstück für Promotionszwecke von Michael Pulwer zu mieten. Vermutlich hatten ihn »Argumente« finanzieller Art überzeugt. Denn nur ein halbes Jahr später diente der Ford Bronco erneut Werbezwecken. Der Künstler Nate Lowman kurbelte damit eine Vernissage in Connecticut an. Eines seiner Bildmotive: die ermordete Nicole Brown Simpson. Danach verschwand der Ford Bronco wieder spurlos.

Michael Pulwer will bis heute nicht den Ort preisgegeben, an dem er den Wagen eingelagert hat. Er ließ sich lediglich zum 20. Jahrestag der Morde an Nicole Brown und Ron Goldman von der »New York Daily News« ein kurzes Statement entlocken: »Für den Wagen ist gut gesorgt. Ich denke, eines Tages wird ein Automuseum sich um das Fahrzeug bemühen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt sollten unsere Gedanken nicht um den Ford Bronco kreisen. Stattdessen sollten wir in unseren Gebeten der beiden jungen Menschen gedenken, die seinerzeit so grausam dem Leben entrissen wurden.« Mit anderen Worten: Der fromme Pornoproduzent erwartet ein Kaufangebot deutlich über 200.000 Dollar.

Unbezahlbare Werbung, lauer Ertrag

Angesichts der Publicity, die der Ford Bronco 1994 erhielt, müsste man annehmen, dass die Firma Ford in der Folge ein Bombengeschäft mit diesem Autotyp machte. Die Realität sah anders aus. Nur zwei Jahre nach den spektakulären Livebildern, die ganz Amerika verfolgt hatte, stellte Ford die Produktion dieses Fabrikats ein. Was war geschehen? War es dem Autokonzern unangenehm, mit einem Doppelmord in Verbindung gebracht zu werden? Stellte Ford die Pietät über die eigenen Geschäftsinteressen?

Nichts dergleichen. Die Tage des Broncos waren bereits gezählt, bevor die Verfolgungsjagd startete. Der unverhoffte Fernsehruhm zögerte den Tod des Modells lediglich etwas hinaus. Denn die Konzeption des Bronco hatte sich als Fehlschlag erwiesen. Der zweitürige SUV mit nur zwei Sitzreihen traf nicht den Geschmack der Kunden. Die Käufer bevorzugten familientaugliche Viertürer mit drei Sitzbänken. Ford hatte darauf reagiert und bereits vor 1994 die beiden Modelle Explorer und Expedition entwickelt. Nun sollte der Ford Bronco eigentlich aus dem Verkehr gezogen werden. Aber der Publicity-Coup veränderte kurzfristig die Lage.

Proftibale Vergesslichkeit

1994 verkaufte Ford weltweit 37.000 Fahrzeuge vom Typ Bronco. Das waren 7.000 Stück mehr als im Vorjahr. Das Interesse verflüchtigte sich schnell. 1996, im letzten Produktionsjahr, fielen die Verkaufszahlen auf 28.000 Exemplare ab. Erst mit Einstellung der Produktion setzte eine erstaunliche Entwicklung ein. Denn der Ford Bronco ist auf dem Gebrauchtwagenmarkt nach wie vor ein gefragtes Modell und wird dort zu Preisen gehandelt, die über Jahre hinweg stabil geblieben sind. Das ist im Normalfall ein untrügliches Zeichen dafür, dass eine anhaltende Nachfrage nach dem Fahrzeugtyp besteht. Angesichts der offensichtlichen Nachteile, unter denen der Wagen wegen seiner Konstruktionsweise leidet, eine beispiellose Entwicklung.

Die Experten am Gebrauchtwagenmarkt erklären sich das so: Der Ford Bronco hat sich vor zwanzig Jahren den Menschen tief ins Gedächtnis eingeprägt. Erstaunlicherweise bringen die meisten Kunden den Wagen überhaupt nicht mehr mit dem Fall O. J. Simpson in Verbindung. Die Erinnerung an dieses Detail ist verblasst. Doch fast jeder erwachsene Amerikaner meint, den Ford Bronco irgendwo her zu kennen. Und etwas vermeintlich zu kennen, schafft Vertrauen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber anderen Fahrzeugtypen.

O. J. Simpson wäre vermutlich froh gewesen, wenn sich für ihn die Dinge nach dem Prozess ähnlich entwickelt hätten wie für den Ford Bronco. Es kam bekanntlich anders.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein