Der Würger von Boston

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Die Presse taufte ihn den »Boston Strangler«. Zwischen Juni 1962 und Januar 1964 erdrosselte er vermutlich dreizehn Frauen, die jüngste 20, die älteste 85 Jahre alt. Dann endete die Mordserie abrupt. Trotz großen Fahndungsaufwands tappte die Polizei im Dunkeln. 1965 meldete sich Albert DeSalvo bei den Behörden und behauptete, der gesuchte Serienkiller zu sein. Bis heute ist umstritten, ob DeSalvo tatsächlich jener berüchtigte »Boston Strangler« war.

Anna Slesers

Zeugen sahen die 55-jährige Näherin Anna Slesers letztmals lebend am Nachmittag des 14. Juni 1962. Gegen 17.30 kehrte sie von der Arbeit zu ihrer Wohnung 77 Gainsborough Street in Boston zurück. Anna Slesers war geschieden und lebte alleine.

Gegen 19.00 Uhr klopfte ihr 25-jähriger Sohn Juris Slesers an die Tür von Apartment 3-F. Er war mit seiner Mutter verabredet. Die beiden wollten gemeinsam einen Gedenkgottesdienst für die lettischen Opfer des Zweiten Weltkriegs aufsuchen. Anna Slesers war nach dem Krieg mit ihrer Familie aus Riga zunächst nach Deutschland, später in die USA geflohen.

Als seine Mutter nicht öffnete, verschaffte sich Juris Slesers mit einem Zweitschlüssel Zutritt zur Wohnung. Anna Slesers lag tot im Flur. Der Bademantel stand offen, die Frau war darunter nackt. Der Gürtel des Mantels war wie eine Henkersschlinge um ihren Hals geknüpft. Im Bad lief Wasser in die Wanne ein. Juris Slesers glaubte zunächst, seine Mutter habe versucht, sich das Leben zu nehmen. Oben an der Badezimmertür befand sich ein Haken. Er vermutete, dass die Schlinge abgerissen sei.

Als sich Detective James Mellon, der leitende Ermittler von der Mordkommission, den Leichnam genauer ansah, kam ihm ein anderer Verdacht. Er entdeckte am Hals der Toten Kratzspuren. Aus der Vagina tropfte Blut. Von wegen Selbstmord, dachte Mellon. Anna Slesers war das Opfer einer Vergewaltigung geworden und ihr Peiniger hatte sie anschließend ermordet. Der Täter hatte auch eine Kommode durchwühlt. Seltsamerweise fehlten jedoch keinerlei Wertgegenstände aus dem Besitz der Toten.

Boston Strangler - Anna Slesers - Apartment
Durchwühlte Kommode in Anna Slesers Wohnung

Hatten sie es mit einem Einbrecher zu tun, der bei seiner Diebestour von der heimkehrenden Mieterin überrascht wurde? Draußen vor dem Fenster stand ein Baugerüst, über das der Mörder in die Wohnung hätte gelangen können. Doch wo in diesem kleinen Apartment hätte sich der Täter so lange unbemerkt verstecken sollen? Denn Anna Sleser war offensichtlich nicht sofort nach ihrer Rückkehr angegriffen worden. Sie hatte schließlich noch Zeit gefunden, sich auszukleiden und ein Bad einzulassen.

Zwei Tage nach dem Mord meldete sich das Kriminallabor bei James Mellon. Die Spurensicherung hatte mehrere Haare auf dem Teppichläufer im Flur sichergestellt. Drei davon konnte man einer männlichen Person zuordnen, definitiv ein Afroamerikaner. Drei weitere Haare stammten von einem Hund, wahrscheinlich einem kleinen Terrier. Anna Slesers besaß jedoch weder einen Hund noch war ihrem Umfeld irgendetwas darüber bekannt, dass sie afroamerikanische Bekannte hatte.

Nina Nichols

Am 30. Juni 1962 setzte sich die Mordserie fort. Opfer war in diesem Fall die 68-jährige Nina Nichols aus dem Stadtteil Brighton, eine pensionierte Physiotherapeutin und Schwägerin des Präsidenten der Anwaltskammer von Boston. Die Tote lag auf dem Boden ihres Schlafzimmer, 1940 Commonwealth Avenue. Ihr Mörder hatte sie mit zwei Nylonstrumpfhosen erdrosselt. Nichols war mit einem rosafarbenen Bademantel bekleidet, der Büstenhalter darunter war über die Brüste hochgeschoben.

Mehrere Schubladen und Schranktüren standen offen. Sachen waren wahllos in der Wohnung verstreut worden. Doch eine genauere Untersuchung ergab, dass der Täter Bargeld, Silberbesteck, eine teure Fotokamera und die Armbanduhr des Opfers am Tatort zurückgelassen hatte. Zudem stellte der Gerichtsmediziner bei der Obduktion fest, dass der Mörder Nina Nichols vor ihrem Tod vergewaltigt hatte.

Helen Blake

Der nächste Mord ereignete sich in Lynn, einer nördlichen Vorstadt von Boston. Bewohner des Mietshauses 73 Newell Street hatten am 2. Juli 1962 mehrfach vergeblich bei ihrer Nachbarin Helen Blake geschellt. Sie sorgten sich, dass die 65-jährige geschiedene Frau möglicherweise in ihrer Wohnung verunglückt war, und verständigten um 18.00 Uhr den Hausmeister. Doch die Hilfe kam zu spät. Helen Blake war bereits seit Stunden tot. Jemand hatte sie mit einer Nylonstrumpfhose erwürgt. Jedes Strumpfbein war einzeln im Nacken verknotet. Außerdem hatte ihr Mörder auch den Büstenhalter um den Hals seines Opfers gewickelt und die Frau damit stranguliert.

Die Tote lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett. Sie trug noch das Oberteil ihres pinkfarbenen Schlafanzugs aus Flanell. Die dazugehörige Hose hatte ihr der Täter abgestreift und auf den Boden geschmissen. Das Bettlaken war blutbefleckt. Der Gerichtsmediziner entdeckte Risswunden an Vagina und Anus, die auf eine Vergewaltigung hindeuteten. Er konnte jedoch keinerlei Samenflüssigkeit finden. Helen Blake war vermutlich zwischen 8.00 und 10.00 Uhr morgens gestorben. Ihr Magen war leer, sie hatte also noch nicht gefrühstückt.

Die Polizei von Lynn bat Detective James Mellon aus Boston zum Tatort. Die Beamten hatten von den Mordfällen Slesers und Nichols gelesen. Aus ihrer Sicht gab es auffällige Ähnlichkeiten. Als Mellon die Wohnung von Helen Blake näher in Augenschein nahm, stutzte er. Draußen vor dem Fenster befand sich ein Baugerüst. Die weiteren Nachforschungen ergaben, dass das Gerüst einer Malerfirma gehörte. Drei Wochen zuvor war dieselbe Firma im Gebäude von Anna Slesers tätig gewesen. Wer da an einen Zufall glaubte, war ein schlechter Polizist.

Die Ermittler verhörten Pat MacDaniel, den Inhaber des Malerbetriebs. MacDaniel war in der Vergangenheit mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Er verhielt sich alles andere als kooperativ. Eher widerwillig zeigte er den Beamten seine Personalakten. Allerdings hatte er nur zwei Anstreicher in Vollzeit angestellt. Den Rest seiner Mitarbeiter beschäftigte MacDaniel schwarz. Über diese Personen existierten keine Aufzeichnungen. Und MacDaniel rückte auch nicht mit den Namen heraus. Die Beamten kamen hier nicht weiter.

Spätestens nach dem Mord an Helen Blake befand sich die Bevölkerung von Boston in heller Aufruhr. Polizeipräsident Edmund McNamara machte den Fall zur Chefsache. Er setzte die gesamte Polizei von Boston auf den unheimlichen Würger an. Die Zeitungen waren jeden Tag voll mit neuen schrecklichen Details über die Verbrechen. Der Polizei konnte nach wie vor nicht erklären, wie der Täter in die Wohnungen seiner Opfer gelangt war und nach welchen Kriterien er die Frauen ausgesucht hatte. Die Ermittlungsbehörden konnten nur allgemeine Ratschläge erteilen. Die weibliche Bevölkerung sollte die Türen geschlossen halten und insbesondere bei fremden Personen sehr misstrauisch sein. Die Betroffenen zogen ihre eigenen Schlüsse aus der Mordserie. Zur Standardausrüstung jedes Nachttischs in Boston gehörten ab sofort Scheren, Küchenmesser und angespitzte Skistöcke.

Ida Irga

Die Warnungen schienen zu fruchten. Im Juli wurden keine weiteren Überfälle bekannt. Doch sechs Wochen nach dem Mord an Helen Blake kehrte der Killer wieder auf die Bildfläche zurück. Dieses Mal war das Opfer eine 75-jährige Witwe, die ebenso allein lebte wie die übrigen Frauen zuvor. Ida Irga wohnte 7 Grove Garden in Beacon Hill, dem Westend von Boston.

Harry Halpern, ein Bruder des Opfers, fand ihre Leiche am 21. August 1962. Ida Irga lag im Wohnzimmer und war mit einem braunen Nachthemd bekleidet, das der Täter regelrecht zerfetzt hatte. Eine Blutspur führte vom Schlafzimmer bis ins Wohnzimmer. Der Täter hatte sie offensichtlich im Bett überwältigt, auf ihren Kopf eingeschlagen und anschließend ins Wohnzimmer geschleppt. Ida Irgas Beine waren weit auseinandergedrückt. Die Füße ruhten auf zwei Stühlen. Der Täter hatte ihr ein Kissen unter das Gesäß geschoben. Statt Strümpfen hatte der Mörder dieses Mal einen weißen Kopfkissenbezug benutzt, um sein Opfer zu erdrosseln.

Trotz der bewusst inszenierten Entblößung der Frau fanden sich jedoch keine Hinweise auf eine Vergewaltigung. Wieder suchte die Polizei vergeblich nach Spuren, die auf ein gewaltsames Eindringen in die Wohnung schließen ließen. Den Beamten von der Mordkommission war es ein Rätsel, wie der Mann in das Schlafzimmer von Ida Irga gelangen konnte. Während der Obduktion fiel eine zweite Abweichung vom bisherigen Tatmuster auf. Ida Irga war nicht infolge der Strangulation mit dem Kissenbezug gestorben. Der Mörder hatte sie offensichtlich zunächst mit bloßen Händen gewürgt und dabei einen Nackenwirbel gebrochen.

Jane Sullivan

Nur eine Woche später entdeckte man das nächste Opfer des unheimlichen Würgers von Boston. Am 30. August 1962 stattete Dennis Mahoney seiner Tante Jane Sullivan einen Besuch ab. Die 67-jährige Frau arbeitete als Nachtschwester im Longwood Hospital und war seit einer Woche nicht mehr zur Arbeit erschienen. Als Dennis Mahoney gegen 16.00 die kleine Wohnung 435 Columbia Road betrat, empfing ihn ein strenger Verwesungsgeruch.

Jane Sullivans Leiche lag in der Badewanne. Die Frau trug noch ihren Bademantel, jedoch war die Unterhose bis zu den Knien heruntergezogen. Der Kopf war mehrere Zentimeter tief ins Badewasser eingetaucht, das Gesäß auf dem Rand der Wanne platziert. Im Leichnam hatten sich bereits Maden eingenistet. Jane Sullivan war mit zwei Strumpfhosen erdrosselt worden.

Der Gerichtsmediziner mutmaßte, dass die Frau etwa am 23. August ums Leben kam. Wieder fanden sich keine Hinweise auf eine Vergewaltigung. Der Mörder hatte aber offenbar nachgeholfen, die Tote in eine Position zu bringen, die genau diesen Tatumstand nahelegen sollte. Die Ermittler nahmen an, dass sich Jane Sullivan gerade ein Bad einlassen wollte, als der Täter sie von hinten überrumpelte. Ihr Mörder hatte nichts aus der Wohnung gestohlen.

Sophie Clark

Die nächste Pause in der Mordserie währte drei Monate lang. Am 5. Dezember 1962 kehrte die Studentin Gloria Todd von der Uni in ihre Wohnung 315 Huntington Street zurück. Das Apartment befand sich nur einen Block entfernt von dem Mietshaus, in dem man im Sommer Anna Slesers tot aufgefunden hatte. Im Wohnzimmer entdeckte Gloria Todd die Leiche ihrer 21-jährigen Mitbewohnerin Sophie Clark. Sie war wie die übrigen Opfer der Mordserie erdrosselt worden. Dieses Mal hatte der Täter dazu eine Strumpfhose und eine Unterhose benutzt. Im Mund steckte ein Knebel. Neben der Leiche lag der zerrissene Büstenhalter des Opfers.

Im Unterschied zu den beiden letzten Opfern war Sophie Clark vergewaltigt worden. Erstmals während der Ermittlungen gelang es der Spurensicherung, Samenflüssigkeit vom Täter sicherzustellen. Die Spuren am Tatort deuteten darauf hin, dass es innerhalb der Wohnung zu einem Kampf gekommen war. Neben Sophie Clarks Füßen fand man ein zerbrochenes Glas. Ein Tischbein war herausgebrochen. Ein voller Aschenbecher war auf dem Boden gelandet, Zigarettenstummel und Asche hatten sich quer durchs Wohnzimmer verteilt. Der Mörder hatte zudem die Schränke durchwühlt und den Inhalt einer Handtasche ausgeleert.

Wie üblich fehlte jeder Hinweis auf einen Einbruch. Ihre Mitbewohnerinnen erzählten der Polizei, dass Sophie Clark jedes Mal, wenn jemand an die Tür geklopft habe, zunächst mal gefragt habe, wer da sei. Wenn ihr die Person unbekannt gewesen sei, habe sie nicht geöffnet. Die Freundinnen waren überzeugt, dass sie einen Fremden niemals freiwillig in die Wohnung hereingelassen habe. Dazu sei sie viel zu ängstlich gewesen. Wie zum Beweis zeigten sie den Beamten ein zweites Schloss an der Tür. Sophie Clark habe auf den Einbau gedrängt, um die Wohnung zusätzlich vor Einbrechern zu sichern.

Den Mitbewohnerinnen war auch nichts darüber bekannt, dass Sophie Clark männliche Bekannte in Boston hatte. Sie sei seit Längerem mit einem Mann liiert, der in ihrer Heimatstadt Englewood in New Jersey lebe. Tatsächlich fanden die Ermittler einen Brief vor, den Sophie Clark offenbar kurz vor ihrem Tod begonnen hatte. Er war an ihren Freund Chuck gerichtet und endete abrupt nach zwei Absätzen. Der letzte Satz lautete: »Es ist nun fast schon halb drei [nachmittags].«

Bei allen Parallelen zu den vorhergehenden Morden waren dieses Mal mehrere gravierende Unterschiede zu beobachten. Zunächst das Alter: Die ersten fünf Opfer waren zwischen 55 und 85 Jahre alt. Für die Polizei war klar, dass der Täter ältere Frauen bevorzugte und aus irgendwelchen Gründen einen besonderen Hass gegen diese Personengruppe hegte. Nun tötete er plötzlich eine 21-Jährige. Dieser Wechsel in der Opferwahl war kaum zu erklären.

Außerdem hatte der Mörder sich bisher ausschließlich für allein lebende Frauen entschieden. Zwar hielt sich während des Verbrechens niemand außer Sophie Clark in der Wohnung auf. Doch sie bewohnte das Apartment gemeinsam mit zwei Mitbewohnerinnen. Woher hatte der Täter gewusst, dass Sophie Clark zur Tatzeit alleine in der Wohnung war? Schließlich eine letzte Abweichung vom bisherigen Verhaltensmuster: Alle Opfer waren Weiße gewesen, Sophie Clark jedoch Afroamerikanerin. Die Beamten fragten sich, ob sie es in ihrem Fall möglicherweise mit einem Trittbrettfahrer zu tun hatten.

Eine Nachbarin meldete sich bei der Polizei. Sie berichtete, ein Mann habe am Tattag an ihre Tür geklopft. Er habe behauptet, dass der Vermieter ihn schicke, um Malerarbeiten in der Wohnung auszuführen. Sie habe ihm dennoch nicht geöffnet und stattdessen gesagt, ihr Mann würde nebenan schlafen. Der Fremde sei sofort verschwunden.

Andere Zeugen hatten etwa eine Stunde vor dem Mord einen Mann in der Nähe der Tür des Opfers gesehen. Es war aber unklar, ob er tatsächlich an die Tür geklopft hatte. Da der Mann in der Gegend wohnte und den Zeugen namentlich bekannt war, wollte die Polizei ihn persönlich befragen. Zu ihrer Überraschung stellten die Beamten fest, dass der Gesuchte Hals über Kopf aus Boston geflohen war.

Sie konnten seine Spur wieder in New York aufnehmen. Dort war er bei einem Bekannten untergetaucht. Der Mann verstrickte sich während des Verhörs zunehmend in Widersprüche. Er gab zu, dass er an dem fraglichen Tag in dem Haus des Mordopfers gewesen sei. Er habe dort seine Freundin besuchen wollen. Er konnte sich jedoch nicht an den Namen seiner angeblichen Freundin erinnern. Als die Beamten von ihm wissen wollten, warum er geflohen sei, antwortete der Verdächtige, der selber Afroamerikaner war: Als er von dem Mord an Sophie Clark erfahren habe, habe er Panik bekommen. In Boston liefe jemand herum, der es auf Schwarze abgesehen habe, so seine Rechtfertigung.

Man unterzog den Verdächtigen zweimal einem Lügendetektortest. Zweimal fiel er durch. Die Ermittler riefen einen forensischen Psychiater hinzu. Der Gutachter war der Meinung, dass der Verdächtige ein notorischer Lügner sei. Deshalb seien die Testergebnisse komplett unbrauchbar und würden nicht als Beweismittel taugen. Die Behörden müssten den Mann wieder laufen lassen.

Patricia Bissette

Am 31. Dezember 1962 fuhr Jules Rothman wie an jedem Werktag bei seiner Mitarbeiterin Patricia Bissette vorbei, die 515 Park Drive wohnte. Die beiden bildeten eine Fahrgemeinschaft. An diesem Morgen schellte er jedoch gegen 8.00 Uhr vergeblich an der Tür seiner 23-jährigen Sekretärin. Daraufhin begab sich Rothman alleine in die Firma. Als Patricia Bissette gegen Mittag immer noch nicht aufgetaucht war, begann sich ihr Chef Sorgen zu machen. Er fuhr nochmals zur Wohnung seiner Sekretärin und verständigte den Hausmeister, der die Wohnungstür aber nicht öffnen konnte.

Rothman hangelte sich über die Feuerleiter bis zum Wohnzimmerfenster und gelangte in das Apartment. Patricia Bissette lag in ihrem Bett, das Laken bis zu ihrem Kinn hochgezogen. Um ihren Hals waren drei Strumpfhosen und eine weiße Bluse geknotet. Bissette trug ein blaurotes Hauskleid, das bis über die Brüste hochgeschoben war. Eine Nachbarin erzählte der Polizei, dass sie am Tag zuvor zwischen 15.00 und 16.00 Uhr Schreie einer Frau vernommen habe.

Der Gerichtsmediziner stellte fest, dass die Frau kurz vor ihrem Tod mit einem Mann geschlafen hatte. Indizien für eine Vergewaltigung fanden sich jedoch keine. Außerdem ergab die Obduktion, dass Patricia Bissette seit einem Monat schwanger war. Zu den Beweisstücken, welche die Polizei in der Wohnung sicherstellte, zählte eine Weihnachtskarte. Die kurze Nachricht lautete: »Für Patsy. In Liebe Jules.«

Die Ermittler waren überzeugt, dass Jules Rotham sie angeschwindelt hatte. Die Beziehung zwischen ihm und dem Opfer war nicht nur rein beruflicher Art gewesen. Der Chef und seine Sekretärin hatten ein Verhältnis gehabt, von dem niemand erfahren durfte. Denn Rotham war verheiratet. Falls er der Vater des Kindes war, das Patricia Bissette erwartete, hatte Rotham ein klares Mordmotiv.

Hatte er die Spuren am Tatort fingiert, damit die Polizei an eine weitere Tat des Serienkillers glaube sollte? Auch ein anderes Detail war verdächtig. Der Täter hatte das private Fotoalbum des Opfers gestohlen, während er gleichzeitig 125 Dollar in bar nicht angerührt hatte. Aber aus nicht näher bekannten Gründen ließ die Polizei den Mann nach einer Weile wieder laufen.

Die Journalistinnen Loretta McLoughlin und Jean Cole veröffentlichten nach dem Mord an Patricia Bissette eine vierteilige Artikelreihe über die Verbrechensserie, die Boston seit dem Sommer 1962 erschütterte. Die Polizei hegte, wie gesehen, noch begründete Zweifel, ob wirklich derselbe Täter alle sieben Morde begangen hatte. Die Reporterinnen waren anderer Meinung. Durch die Straßen von Boston streifte ein Monster, das es an Gefährlichkeit mit dem berüchtigten »Jack the Ripper« aufnehmen konnte. McLouglin und Cole tauften den unheimlichen Mörder auf einen Namen, der für immer haften bleiben sollte: »Boston Strangler«.

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