Carroll Cole – Der angekündigte Serienmörder

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Carroll Edward Cole tötete von 1971 bis 1980 14 Frauen. Das Ungewöhnliche an diesem Fall: Bevor er den ersten Mord beging, wandte er sich mehrfach an die Behörden. Er verspüre den Drang, Frauen zu töten und zu vergewaltigen, und wisse sich nicht zu helfen. Tragischerweise fühlte sich keiner der angesprochenen Polizisten, Richter und Psychiater für Coles Hilfeschrei verantwortlich.

Mord im Vergnügungsviertel

Mittwoch, 12. November 1980. Kurz nach fünf Uhr morgens meldete sich ein Anrufer beim Dallas Police Department. Nahe der Bryan Street in der Innenstadt liege eine tote Frau. Eine Stunde später nahm Detective Gerald Robinson von der Mordkommission den Fundort der Leiche in Augenschein. Die Tote war von der Hüfte abwärts nackt, ihre Bluse zerrissen. Robinson bemerkte Würgemale am Hals der Frau. Er hatte es also aller Voraussicht nach mit einem Mordfall zu tun. Die Haut der Toten wies zahlreiche Abschürfungen auf. In den Wunden waren kleine Steine und Erdklumpen zurückgeblieben. Der Mörder hatte das Opfer vermutlich nach der Tat von der Straße hierher ins Gras geschleift.

Streifenbeamte entdeckten schließlich die fehlende Kleidung des Mordopfers nur wenige Meter von der Leiche entfernt. Der Täter hatte die Klamotten hastig unter ein paar Sträucher geworfen. In der Hose steckte ein Ausweis. Bei der Toten handelte es sich um die 32-jährige Wanda Faye Roberts. Ihre Wohnung lag in Sichtweite zu der Stelle, an der man ihre Leiche gefunden hatte. Der Gerichtsmediziner stellte am Leichnam keine Spuren fest, die auf eine Vergewaltigung hindeuteten. Der Täter hatte also möglicherweise die Polizei auf eine falsche Fährte locken wollen, indem er sein Opfer entkleidete.

Zudem ergab die Obduktion, dass Wanda Roberts vor ihrem Tod erhebliche Mengen Alkohol konsumiert haben musste. Detective Robinson musste nicht lange überlegen, wo sich die Tote die Birne zugeknallt haben mochte. Die Bryan Street war das, was man in Dallas gemeinhin unter einem »Vergnügungsviertel« verstand – eine üble Schnapsspelunke reihte sich an die nächste.

»Eddie«

Die Beamten putzten in den nächsten Stunden die Klinken der einschlägigen Kaschemmen auf der Bryan Street und wurden bald fündig. Ein Barmann bestätigte, dass Wanda Roberts den letzten Abend in seiner Kneipe verbracht habe. Sie habe – »wie üblich«, so der Barkeeper – eine Menge getankt, bevor sie gegen zwei Uhr morgens in Begleitung eines Mannes die Bar verlassen habe. Der Kellner kannte den Begleiter nur beim Vornamen: »Eddie«. Auch die Stammgäste wussten nicht mehr über den Typen zu berichten. Weder wo er wohnte, noch woher er kam oder für wen er arbeitete.

Detective Robinson notierte den Hinweis, obgleich er nahezu nutzlos war. In einer Millionenstadt wie Dallas war der Name »Eddie« nicht gerade ein Alleinstellungsmerkmal. Mangels weiterer Spuren musste sich Robinson in Geduld üben. Vielleicht würde sich ein anonymer Anrufer melden. Eine Freundin der Toten, die sich nicht traute, öffentlich mit der Polizei zu sprechen, weil sie fürchtete, der Täter würde sich an ihr rächen. Ein Nachbar, der gesehen hatte, was passiert war, und in nichts hineingezogen werden wollte. Zwei Wochen später zahlte sich Robinsons Geduld tatsächlich aus.

Der Fremde im Wohnzimmer

Als die beiden halbwüchsigen Söhne der 43-jährigen Sally Thompson am Abend des 30. Novembers heimkehrten, standen sie vor einer verriegelten Eingangstür. Ihre Mutter schien dennoch zu Hause zu sein. Im Wohnzimmer brannte Licht und der Fernseher lief. Die Jungen hämmerten gegen die Tür und riefen immer wieder den Namen ihrer Mutter. Nach einigen Minuten öffnete ihnen ein wildfremder Mann. Der Fremde stank nach Whiskey und wirkte orientierungslos. Die Söhne von Sally Thompson stießen den Mann beiseite und stürmten in die Wohnung.

Sie fanden ihre Mutter im Wohnzimmer. Sie lag regungslos mit dem Gesicht nach unten neben dem Sofa auf dem Boden. Ihre Jeans und Unterhose waren bis zu den Knöcheln heruntergezogen. Die Söhne rüttelten Sally Thompson und schrien ihren Namen, aber sie reagierte nicht. Die Jungen wählten den Notruf.

Als die Polizisten eintrafen, hielt sich der Fremde nach wie vor in der Wohnung auf. Er stand neben dem Leichnam von Sally Thompson und starrte die Tote an. Auf die Streifenbeamten wirkte der Mann so, als ob er überhaupt nicht begreife, was sich gerade in der Wohnung abspielte. Er zeigte den Beamten seinen Ausweis vor. Er hieß Carroll Edward Cole und wohnte gleich um die Ecke. Die Polizisten nahmen ihn in Gewahrsam. Cole leistete keinen Widerstand.

Auf dem Revier schilderte Cole dem Beamten von der Mordkommission, wie er in die Wohnung der toten Sally Thompson geraten sei. Er habe die Frau am Abend in einer nahe gelegenen Bar kennengelernt. Schließlich habe ihn Sally Thompson eingeladen, sie in ihre Wohnung zu begleiten. Sie habe ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie mit ihm schlafen wolle. In der Wohnung habe er ihr die Klamotten ausgezogen. Mittendrin in diesem »Vorspiel«, wie es Cole bezeichnete, sei Sally Thompson plötzlich zusammengebrochen.

Der Gerichtsmediziner bestätigte Coles Geschichte. Er hatte am Leichnam keine Anzeichen entdecken können, die dafür sprachen, dass Sally Thompson ermordet worden war. Todesursache war seiner Meinung nach Kreislaufversagen. Die Frau musste vor ihrem Tod Unmengen an Alkohol in sich hineingeschüttet haben. Irgendwann hatte der Körper gestreikt. Damit war Carroll Cole entlastet und konnte gehen.

Im Dauerclinch mit dem Gesetz

Detective Gerald Robinson überprüfte jeden Morgen routinemäßig die Polizeiberichte der vergangenen Nacht, um auf dem Laufenden zu bleiben. So überflog er auch das Protokoll zum Todesfall Sally Thompson. Dabei blieb sein Blick am Namen Carroll Edward Cole hängen. Konnte es sich bei Edward Cole um jenen mysteriösen »Eddie« handeln, dem er seit zwei Wochen vergeblich nachjagte? Die Wohnadresse, die Cole angegeben hatte, kam Robinson bekannt vor. Dann fiel es ihm ein. In der Lemmon Avenue stand ein Wohnheim für Ex-Knackis, die auf Bewährung draußen waren.

Robinson unterhielt sich mit einem Sozialarbeiter des Heims. Dabei erfuhr er, dass Carroll Cole am 8. Oktober 1980 in Dallas eingetroffen war. Zwei Tage zuvor war er aus einem Bundesgefängnis in Missouri entlassen worden, wo er wegen Unterschlagung eingesessen hatte. Am 3. November war er aus dem Wohnheim rausgeflogen, nachdem er mehrfach gegen die Hausregeln verstoßen hatte. Ausgerechnet am 16. November, in der Nacht, als Wanda Roberts ermordet wurde, war er zu dem Wohnheim zurückgekehrt. Er hatte den Pförtner angefleht, ihn hineinzulassen.

Daraufhin besorgte sich Robinson Coles Vorstrafenregister. Mit dem Ausdruck hätte er sein komplettes Büro tapezieren können. Carroll Cole schien seit annähernd zwanzig Jahren mit dem Gesetz im Dauerclinch zu liegen. Doch Robinson musste lange in den Unterlagen nach einem Hinweis suchen, welcher Cole mit einem Gewaltverbrechen in Verbindung brachte. Die Mehrzahl seiner Festnahmen erfolgten wegen Trunkenheit und Erregen öffentlichen Ärgernisses. Dazu gesellten sich zahlreiche Anklagen aufgrund von Diebstahl und häuslicher Gewalt.

Aus Mangel an Beweisen

Ein Verbrechen aus dem Jahre 1967 ließ Robinson jedoch aufhorchen. Seinerzeit war Carroll Cole nachts in ein Wohnhaus eingedrungen und hatte ein 11-jähriges Mädchen im Schlaf gewürgt. Zum Glück hatten die Eltern des Kindes den Lärm bemerkt und waren rechtzeitig eingeschritten, um das Schlimmste zu verhindern. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Cole vorhatte, das Kind zu vergewaltigen.

Der Fall lag 13 Jahre zurück. Er war zudem gänzlich anders gelagert als der Mord an Wanda Roberts. Dennoch setzte Robinson die Bereitschaftspolizei in Bewegung. Die Kollegen verhafteten Carroll Cole an seinem derzeitigen Arbeitsplatz, einem Lagerhaus des Spielzeughändlers »Toys R Us«. Robinsons vager Verdacht schien sich zunächst zu bestätigen. Cole gab zu, Wanda Roberts gekannt zu haben. Er habe sie auch in der Nacht, in der sie starb, in einer Bar getroffen. Doch mit ihrem Tod habe er nichts zu schaffen. Er wisse nicht, wer die Frau umgebracht habe.

Carroll Cole war binnen 14 Tagen gleich zwei Frauen begegnet, die kurz darauf ums Leben kamen. Robinson glaubte nicht an Zufälle. Er war überzeugt, dass Cole die beiden Frauen ermordet hatte, selbst wenn der Gerichtsmediziner im Fall Sally Thompson Fremdverschulden als Todesursache ausgeschlossen hatte. Gleichzeitig war Robinson bewusst, dass er Cole diese Verbrechen mangels Beweisen niemals nachweisen könnte. Wenn der Gewohnheitsganove die Taten nicht gestehen würde, müsste er ihn wieder laufen lassen. Im Moment sah es ganz danach aus.

Carroll Cole
Carroll Edward Cole

Ein unerwartetes Geständnis

Als die Vernehmung fast ans Ende gelangt war, betrat ein Kollege von Robinson den Verhörraum. Es habe eine Schießerei gegeben, in die ein Polizeibeamter verwickelt sei. Robinson müsse das Verhör abbrechen und am Tatort erscheinen. Man benötige alle verfügbaren Kräfte. Die Unterbrechung sollte Folgen haben. Plötzlich platzte Carroll Cole mit einem Geständnis heraus.

Ja, er habe in Dallas eine Frau getötet. Cole lieferte Details des Verbrechens. Robinson, der sich inzwischen wieder hingesetzt hatte, war verwirrt. Nichts von dem, was Cole ihm da erzählte, stimmte mit den Fällen Sally Thompson oder Wanda Roberts überein. Allmählich dämmerte ihm, dass Cole gerade einen dritten Mord an einer bisher unbekannten Person gestand.

Der Kripobeamte ließ sich die Akten der letzten Wochen bringen. Coles Schilderungen trafen auf den Fall Dorothy King zu. Die alleinlebende 52-jährige Frau war am 11. November tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden und vermutlich zwei Tage zuvor verstorben. Ein Fremdverschulden hatte der Gerichtsmediziner allerdings ausgeschlossen. Aber mit dieser Einschätzung hatte er nach dem Dafürhalten von Robinson bereits bei Sally Thompson danebengelegen. Außerdem tauchte ein Merkmal bei allen drei Opfer auf: Die Frauen waren zum Zeitpunkt ihres Todes stark alkoholisiert.

Mit dieser Information kehrte Gerald Robinson in den Verhörraum zurück. Der Fall schien eine weitere Tragweite zu haben, als er bisher angenommen hatte. Er wollte nochmals ganz von vorne beginnen: »Fangen wir mal mit dieser Frau an, die Sie in der Kneipe getroffen und später getötet haben. Erzählen Sie mal ganz genau, wie das abgelaufen ist, Cole.«

Cole runzelte die Stirn: »Welche meinen Sie denn jetzt? Da gab es ja schließlich nicht nur eine.« Am Ende dieses Tages sollte Carroll Cole dem verblüfften Kripobeamten neun Morde gebeichtet haben. Robinson kam mit seinen Notizen kaum hinterher. Und als der Fall schließlich vor Gericht ging, erhöhte sich die Zahl der Toten, die Cole zum Opfer gefallen waren, auf insgesamt 15 Personen.

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Weitere Kapitel zum Fall Carroll Cole 

3 Kommentare

  1. Einfühlsam und spannend beschrieben. Ein uniquer Fall, der alles enthält, was so einen Fall ausmacht. Das ist mit Sicherheit der Intelligenz Coles zuzuschreiben. Herr Deis beschreibt das Leid sowohl der Opfer, als auch des Täters, der in diesem Fall sogar auf seinen Zwang zu töten hingewiesen hat, bevor etwas passiert ist. Seltsam ist und sichtbar wird an diesem besonderen Fall, dass erst etwas passieren muss, bevor man etwas Ernst nimmt. Es stellt sich die Frage, ob und wie man zB. Serienmorde im Vorhinein verhindern kann.

  2. Noch etwas wird deutlich: Die meisten Biographien von Serienkillern ähneln sich darin, dass sie eine extrem zerstörte und extrem leidvolle Kindheit und Jugend hatten. Das scheint Bedingung für das zu sein, was dann folgt.

  3. Auf ein Drittes möchte ich hinweisen: Was muss einer Person konkret in Kindheit und Jugend widerfahren, sodass der psychische Apparat dieser Personen diese Konsequenzen und Wirkungsfolgen hervorbringt? Wie bekommt man eine Systematisierung hin, auf Grund derer man wahrscheinliche Vorhersagen treffen kann. Dazu müsste man sich mit einer relevanten Anzahl von Fällen beschäftigen, im besten Fall im persönlichen Kontakt. Das wäre dann eine qualitativ psychologische Untersuchung.

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