Aileen Wuornos

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In den Jahren 1989 und 1990 tötet Aileen Wuornos entlang der Highways in Florida sieben Männer. Die Mordserie schockiert Amerika. Wer ist sie? Eine Amazone auf dem Kriegspfad gegen die Männer? Ein wahnsinniges Monster? Oder nur ein weiterer Soziopath, der aus purer Mordlust tötet?

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By Florida Department of Correctionshttp://www.dc.state.fl.us/InmateReleases/Detail.asp?Bookmark=1&From=list&SessionID=1004301404, Public Domain, Link

In der Brandschneise

In der Brandschneise

Am 1. Dezember 1989, einem Freitag, fiel einem Streifenpolizisten in Ormond Beach an der Ostküste Floridas ein Cadillac auf, der in einer Brandschneise stand. Die Feuerschneise ging vom John Anderson Drive ab, der eigentlich nur von Anwohnern benutzt wurde. Der Wagen hatte keine Nummernschilder und stand etwa zehn Meter von der Straße entfernt auf dem schmalen Feldweg.

Der Polizist gab die Fahrgestellnummer über Funk an die Zentrale durch. Dort konnte der Fahrzeughalter sofort ermittelt werden: Richard Mallory. Der Mann war in Clearwater gemeldet, einer Stadt an der Westküste Floridas. Was wollte der Fahrzeughalter hier? Vor allem: Wo war er?

Das Auto stand unverschlossen im Wald. Der Streifenpolizist sah sich um, konnte den Mann aber nicht entdecken. Stattdessen stieß er zehn Meter entfernt auf die Brieftasche des Vermissten. Sie enthielt kein Bargeld, aber Ausweispapiere, Kredit- und Visitenkarten, alle auf den Namen Richard Mallory ausgestellt. Jemand hatte die Brieftasche notdürftig in einer Sandmulde vergraben. Das blaue Nylon der Brieftasche schimmerte noch an der Oberfläche.

Ein verstellter Autositz

Der Beamte kehrte zum Wagen zurück und nahm den Innenraum genauer unter die Lupe. Zuerst fiel ihm die Position des Fahrersitzes auf. Laut seinen Ausweispapieren war Mallory rund 1,80 m groß und 80 kg schwer. Für eine Person dieser Größe war der Sitz viel zu weit nach vorne ans Lenkrad geschoben. Scheinbar war der letzte Fahrer des Wagens von kleinerer Statur gewesen.

Zudem konnte der Polizist auf der Rückenlehne des Fahrersitzes Flecken erkennen, die für ihn stark nach Blut aussahen. Im Innern lag eine Brille, die vermutlich vom Besitzer stammte. Denn gemäß dem Führerscheinfoto war Mallory Brillenträger.

Neben dem Wagen fand der Beamte im Gebüsch eine braune Papiertüte mit einer halb geleerten Flasche Wodka der Marke Smirnoff, zudem zwei benutzte Plastikbecher. Mallory war also nicht allein gewesen.

Vom Zündschlüssel fehlte jede Spur. Wie eine spätere Überprüfung der Spurensicherung ergab, hatte jemand den Wagen gründlich mit einem Tuch abgewischt. Wahrscheinlich, um verräterische Fingerabdrücke zu entfernen.

Ein unsteter Charakter

Für die zuständige Polizei des Volusia County deuteten die Umstände darauf hin, dass der Wagenbesitzer einem Verbrecher zum Opfer gefallen war. Sie kontaktierten ihre Kollegen in Clearwater. Die dortigen Polizisten fuhren zu Mallorys Wohnung, anschließend zu seiner Geschäftsadresse, trafen ihn jedoch nicht an.

Sein Ladenlokal, ein Reparaturdienst für Fernseher und andere Elektrogeräte, war geschlossen, ohne Angabe der Gründe. Eine Vermisstenmeldung war bei der Polizei bisher nicht eingegangen, was angesichts seines Lebenswandels auch nicht verwunderte.

Denn der 51-jährige Richard Mallory war ein unsteter Charakter, um es nett zu formulieren. Es kam häufiger vor, dass seine Mitarbeiter morgens vor einer verschlossenen Ladentür standen. Dann war ihr Boss zu einer spontanen Spritztour durch die Bars, Oben-ohne-Lokale und Stripclubs in der Umgebung von Clearwater sowie Tampa aufgebrochen und blieb mehrere Tage spurlos verschwunden.

Sobald ihm das Geld ausging, kehrte er zurück, öffnete den Laden wieder und arbeitete die aufgelaufenen Aufträge ab. Dann ging das Spiel wieder von vorne los. Gleichzeitig war Mallory misstrauisch – um nicht zu sagen: paranoid – veranlagt. Innerhalb von drei Jahren hatte er acht Mal seine Schlösser ausgetauscht.

Ein Wochenende in Daytona

Er fühlte sich offenbar bedroht. Ob zu Recht oder zu Unrecht, vermochte niemand zu beantworten. Fest stand: Er war mit 4.000 Dollar Miete für sein Geschäft im Rückstand. Und das Finanzamt hatte ihm eine Steuerprüfung angekündigt.

Mallory war schon lange geschieden und hatte weder Familie noch enge Freunde vor Ort. Von seiner letzten Lebensgefährtin hatte er sich kürzlich getrennt. Diese erzählte der Polizei, dass sie zuletzt am 26. November 1989 mit dem Verschollenen gesprochen habe. Er habe sie zu einem verlängerten Wochenende in Daytona Beach überreden wollen. Sie sei aber nicht bereit gewesen, die Beziehung fortzusetzen.

Möglicherweise war Mallory also alleine zu dem Trip aufgebrochen. Denn Daytona Beach war die Nachbargemeinde von Ormond Beach, in der sein unverschlossener Pkw nun aufgetaucht war.

Ein Mitarbeiter von Mallory bezeugte außerdem, dass er seinen Chef zuletzt am Donnerstag, den 30. November, gegen 18.10 Uhr gesehen habe, als er das Geschäft verlassen habe. Er habe seine Arbeitstasche mit sich geführt und ihm gesagt, er wolle noch einen Hausbesuch bei einem Kunden machen. Da sein Wagen am nächsten Mittag herrenlos in Ormond Beach aufgefunden wurde, war er vermutlich noch in derselben Nacht zu seinem verlängerten Wochenende aufgebrochen.

Unterm roten Teppich

Am 13. Dezember 1989 suchten zwei junge Männer im Volusia County einen Feldweg nach Metallschrott ab. Der Weg zweigte von der vielbefahrenen Interstate 95 ab. Die Stelle war bekannt dafür, dass sie den Leuten der Umgebung als wilde Mülldeponie diente. Doch statt des erhofften Metalls fanden die Schrottsucher eine Leiche unter dem Gerümpel. Sie war mit Kartons und einem roten Teppichrest bedeckt.

Die herbeigerufene Polizei konnte den Toten schließlich anhand der Fingerabdrücke identifizieren. Es handelte sich um den verschwundenen Richard Mallory. Der Täter hatte vier Schüsse aus einer Waffe vom Kaliber .22 auf ihn abgefeuert. Die Schusswunden waren allesamt im Brustbereich. Zusammen mit den im sichergestellten Auto vorgefundenen Spuren ließ sich das Tatgeschehen nun halbwegs rekonstruieren.

Der erste Schuss traf Mallory, als er noch auf dem Fahrersitz seines Cadillacs saß. Das bewiesen die dort gefundenen Blutflecken. Der Schütze musste sich auf der Beifahrerseite befunden haben, entweder noch im Wagen selbst oder direkt neben der Beifahrertür.

Mallory war es offensichtlich gelungen, nach dem ersten Schuss aus dem Wagen zu fliehen. Der Täter hatte sich daraufhin um den Wagen herumbewegt, um Mallory dann aus nächster Nähe mit drei weiteren Schüsse zu töten. Der Fundort der Leiche war identisch mit dem Tatort. Denn der Leichnam war nach dem Mord nur noch geringfügig bewegt worden, um dem Opfer die Taschen zu leeren.

Teilskelettiert

Dem zuständigen Ermittler Larry Horzepa fiel jedoch ein merkwürdiges Detail ins Auge. Der Tote war vom Schlüsselbein bis zum Kopf bereits vollständig skelettiert. Die Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit in Florida waren zwar berüchtigt dafür, den Verwesungsprozess zu beschleunigen. Doch da der Körper hier erst 13 Tage lag und der übrige Leichnam in einem gänzlich anderen Zustand war, war dies merkwürdig.

Horzepa spekulierte, dass der Täter nicht nur eine Schusswaffe benutzt hatte, sondern dem Opfer zusätzlich die Kehle mit einem Messer durchgeschnitten hatte. Die Gerichtsmedizin konnte für diese These aber keinerlei Beweis finden.

Kameras und ein Radarwarner

Was der Täter aus dem Besitz des Opfers entwendet hatte, konnte die Polizei nur mutmaßen. Die Brieftasche hatte man, wie erwähnt, ohne Bargeld vorgefunden. Laut seinem Umfeld führte Mallory bei seinen Spritztouren mindestens mehrere hundert Dollar in bar mit sich.

Die Ex-Freundin konnte den Ermittlern zudem weitere Gegenstände beschreiben, die der Mann vermutlich im Gepäck hatte: eine goldene Seiko-Armbanduhr, eine Minolta-Fotokamera, eine Polaroid-Kamera mit einem ungewöhnlichen, braunen Gehäuse sowie ein Radarwarner des Herstellers Radio Shack.

Die Polizei fand keines dieser Objekte beim Toten oder im Auto. Außerdem fehlten aus seinem Besitz eine Aktentasche, ein Werkzeugkoffer und eine Reisetasche mit der Kleidung für den Wochenendtrip.

Danielle und Chastity aus Tampa

Die Ermittler durchleuchteten in den nächsten Monaten das chaotische Leben von Mallory. Dabei verfolgten sie über Monate hinweg eine Spur, die zunächst sehr vielversprechend klang. Sie führte zu zwei Prostituierten aus Tampa namens „Chastity“ und „Danielle“. Mallory hatte sich deren Namen und die dazugehörigen Telefonnummern auf einem Zettel notiert. Die Polizei fand den Zettel neben seinem Telefon in der Küche.

Die Vermutung lag nahe, dass er sich mit einer oder beiden Frauen am Abend vor seiner Abfahrt nach Daytona Beach noch verabredet hatte. Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass Zeugen Chastity zuletzt um 1 Uhr nachts am 1. Dezember in der Tampa-Bar „2001 Odyssey“ gesehen hatten. Danach tauchte sie bis Mitte Dezember unter. Hatte sie einen konkreten Grund dazu?

Es wurde noch interessanter. Die polizeilichen Befragungen einer Club-Besitzerin und des Ex-Freundes von Chastity schienen nahezulegen, dass die Ermittler einen Volltreffer gelandet hatten. Die Prostituierte hatte gegenüber beiden Personen behauptet, mit Mallory mehrere Tage unterwegs gewesen zu sein. Damit nicht genug. Sie habe ihn auch ermordet, so die Prostituierte. Das bekräftigte sie sogar mehrfach vor den Zeugen.

Zudem hatte Chastity ein Vorstrafenregister, war bereits wegen Körperverletzung aktenkundig und hatte darüber hinaus nachweislich eine Pistole vom Kaliber .22 besessen. Einziger Wermutstropfen aus Ermittlersicht: Sie hatte über die Tat und ihre vermeintliche Beteiligung erst nach Weihnachten 1989 gesprochen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Medien längst ausführlich über den Fall berichtet.

Bauchgefühle

Larry Horzepa spürte beide Frauen auf. Danielle unterzog er einem Lügendetektor-Test, der keine Auffälligkeiten ergab. Sie äußerte, sie habe mit Mallory lediglich im November Kontakt gehabt, Tage vor dem Mord.

Der Ermittler verhörte anschließend Chastity in New Orleans, wo sie wegen einer anderen Geschichte im Gefängnis einsaß. Die Verdächtige behauptete, dass sie an Weihnachten wütend auf ihren Ex-Freund gewesen sei. Mit der frei erfundenen Geschichte über den Mord an Mallory habe sie ihm Angst einjagen wollen, damit er aus ihrem Leben verschwand.

„Mein Bauchgefühl sagte mir: Sie hatte mit dem Mord nichts zu tun, selbst wenn vieles zunächst auf sie hindeutete“, beschrieb Horzepa später dieses Verhör. Zudem fand die Polizei auch keinerlei Beweismaterial, das Chastity mit dem Tatort und Verbrechen in Verbindung brachte.

Knapp ein halbes Jahr nach Beginn der Ermittlung war die Untersuchung somit in eine Sackgasse geraten. Dennoch ging Horzepa weiterhin davon aus, dass eine Frau an der Tat mindestens beteiligt, wenn nicht sogar alleinige Täterin gewesen war. Dafür sprach der verstellte Sitz, aber auch die Details, die über das Leben des Opfers bekannt waren.

Mallory war ein misstrauischer Kontroll-Freak gewesen. Bekannte hielten es für ausgeschlossen, dass er beispielsweise einen ihm fremden, männlichen Anhalter in seinem Wagen mitgenommen hätte. Bei einer Frau, die alleine unterwegs war, hätte er sich jedoch möglicherweise anders verhalten, sofern er sich körperlich überlegen fühlte.

 

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