Im November 1976 begann vor der Großen Strafkammer 21 am Hamburger Landgericht der Prozess gegen Fritz Honka. Der Angeklagte war nicht dafür geschaffen, im Rampenlicht zu stehen. Am liebsten hätte er den Prozess im Bauch des Untersuchungsgefängnisses abgesessen. Staatsanwalt, Verteidiger und Richter hätten auch gerne ohne sein Beisein über sein Schicksal verhandeln können.
Adrettes Erscheinungsbild
Doch dies sah die deutsche Prozessordnung nicht vor. Honka musste wohl oder übel an seinem Verfahren teilnehmen. Das schüttere Haar war adrett über die Stirnglatze zurückgekämmt. Dazu hatte er sich einen gepflegten Kinn- und Oberlippenbart wachsen lassen. Er erschien äußerst korrekt gekleidet mit Krawatte, Weste und Anzug, den er an jedem Verhandlungstag wechselte. Nur die weißen Socken und gelben Schuhe trübten das äußere Erscheinungsbild.
Fritz Honka nahm eine Sitzposition ein, die er während der gesamten Verhandlung kaum veränderte. Eine Hand stützte er auf dem Tisch ab, die andere lag auf seinem Knie. Die schiefen Augen waren von dicken Brillengläsern eines riesigen Kassengestells geschützt. Meistens starrte er das Mikrofon an, das vor ihm auf dem Tisch stand. Den Blickkontakt mit den übrigen Anwesenden im Gerichtssaal mied er, so gut es ging.
Honka widerruft sein Geständnis
Von seinem ursprünglichen Geständnis war Honka inzwischen wieder abgerückt. Er berief sich nun darauf, dass er im Vollrausch eingeschlafen und morgens neben einer Leiche wieder aufgewacht sei. Die habe ja nicht da liegen bleiben können. Habe er sie also beseitigen müssen.
Fritz Honka begegnete den Fragen, die die Prozessbeteiligten ihm stellten, mit stereotypen Sätzen, welche fast alles offenließen. »Wie soll ich das irgendwie ausdrücken«, antwortete er. »Ich hab keine Erinnerung davon.« Oder: »Es ist schwer, das hier plausibel auszudrücken.« Konkrete Antworten blieb er schuldig.
Warum bei ihm die Sicherungen durchknallten? Er habe Wut verspürt, wenn die Frauen ihn «Dreckschwein«, »Sau« oder »Penner« gerufen hätten. Und dann hätten sie ihm noch zu allem Überdruss die Wohnung versaut. Keinen Finger hätten sie gerührt, um die Schweinerei zu beseitigen. Die Schult hätte obendrein versucht, ihn zu beklauen.
Wie die Verbrechen sich im Detail abspielten? Honka drechselte sich Sätze zurecht, die ihn überforderten: »Ich muss bezweifeln, dass ich im sexuellen Rausch jemand umgebracht hab.« Oder als der erste Mord zur Sprache kam: »Ich muss die Leiche zerstückelt haben. Aber wie? Warum? Weshalb? Weiß nicht.«
Der Staatsanwalt hakte nach. Warum er sie denn gleich zerstückelt habe? Wieso habe er nicht zuerst einen Arzt verständigt? Schließlich habe er doch nicht ausschließen können, dass die Frau zu dem Zeitpunkt noch gelebt habe. Honkas bauernschlaue Antwort laute: „Das sagen Sie!“ Als die nächste Tat verhandelt wurde, wandelte er sein nebulöses Bekenntnis nochmals ab: »Es ist möglich, dass ich sie zerstückelt habe. Denn außer mir war ja niemand da.«
Mordlust und Machtrausch
Da der Angeklagte ein plausibles Motiv verweigerte, musste das Gericht auf die Diagnose der psychiatrischen Gutachter vertrauen. Professor Werner Krause sinnierte über die strafrechtlichen Unterschiede zwischen Lustmord und Mordlust. Für Krause zählte Fritz Honka eindeutig zu den mordlüsternen Gesellen. Per Definition war Mordlust durch die unnatürliche Freude am Töten charakterisiert.
Wenn Honka betrunken gewesen sei, habe er seinen Aggressionen unkontrollierten Lauf gelassen. Er habe sich gezielt Opfer ausgesucht, die ihm verhältnismäßig wehrlos ausgesetzt gewesen seien. Honka sei ein zutiefst gehemmter Mann mit einer Vielzahl an Makeln, die sein ausgeprägtes Minderwertigkeitsgefühl geprägt hätten. Den Frauen gegenüber, die er in seine Wohnung lockte und die er dort mit Alkohol regelrecht betäubte, konnte sich selbst eine labile Existenz wie Honka überlegen fühlen.
Das Töten war ein Vehikel, um den Machtrausch mit allerletzter Konsequenz zu steigern. Nun war Honka plötzlich auch noch der Herr über Leben und Tod. Eine völlig neue und berauschende Erfahrung für den vom Schicksal gebeutelten Nachtwächter aus Ottensen.
Rolf Bossi
Honkas Anwalt sah das naturgemäß anders. Aber interessanterweise hielt er die Meinung des Gutachters nicht für übertrieben, sondern für untertrieben. Honkas Rechtsbeistand war niemand anderes als Rolf Bossi, der sich gerne als einziger Staranwalt der Republik inszenierte.
Bossi hatte das Mandat erst drei Wochen vor Verhandlungsbeginn übernommen. Fritz Honkas Sohn hatte seinen Vater gedrängt, Bossis Vorgänger zu entlassen. Und irgendjemand hatte wohl Honkas Sohn gedrängt, seinen Vater von diesem Schritt zu überzeugen. Wer das gewesen war, blieb unbekannt. Auf jeden Fall hatte der Starverteidiger nun einen weiteren Klienten, dem ein Höchstmaß an Publicity sicher wahr.
Bossis Strategie: Er wollte aus dem Alkoholkranken mit Minderwertigkeitskomplexen ein veritables Sexmonster machen. In Wahrheit würden Honkas Abartigkeiten noch bei Weitem alle schwülstigen Fantasien übertreffen, die die Boulevardblätter über den Mörder aus Ottensen verbreitet hatten. Der Angeklagte sei schwerstens gestört, um nicht zu sagen: komplett irre.
Sadistische Raserei eines sexuell Abartigen
Rolf Bossi verkündete, er gehe davon aus, dass sein Mandant weit mehr als die ihm vorgeworfenen vier Morde auf dem Gewissen habe. Und er sei der Ansicht, dass Honka die Leichen nicht nur aus praktischen Erwägungen heraus zerteilt habe.
Ihn sei eine unbezwingliche Sucht überkommen, die ihn dazu gedrängt habe, seine Opfer zu verstümmeln. Das Nachspiel zum Mord sei der eigentliche Hauptakt gewesen. Eine sadistische Raserei eines sexuell abartigen Menschen.
Und schwere seelische Abartigkeit gelte nun mal vor dem Gesetz als möglicher Grund, die Schuldfrage zu verneinen. Bossis Kalkül war es, dass das Gericht seinem Mandanten zumindest verminderte Schuldfähigkeit einräumte. Der Einzige im Gerichtssaal, der nicht kapierte, worauf sein Anwalt hinauswollte, war Fritz Honka selbst.
Unerbittlicher Machtkampf
Um seine Theorie zu untermauern, berief Bossi die Psychiaterin Elisabeth Müller-Luckmann als Sachverständige ein. Sie zeichnete vom Angeklagten das Bild eines Mannes, der ursprünglich nach einem weiblichen Partner gesucht habe. Die Frau sollte ihm Hausfrau, willige Bettgenossin und Kumpel zugleich sein.
Honka verfüge über einen ausgeprägten sexuellen Trieb. Doch gleichzeitig würden ihn Frauen, die ihm zu viel Entgegenkommen zeigten, abstoßen. Er sei niemals in der Lage gewesen, diese psychologische Sperre zu überwinden.
Die Psychologin fand den Umstand bemerkenswert, dass sich Honka in der Regel Frauen aussuchte, die deutlich älter waren als er. Sie deutete dieses Verhalten so, dass sich Honka auch im sexuellen Bereich nach Bemutterung sehnte.
Diese Frauen seien jedoch so heruntergekommen gewesen, dass sich Fritz Honka ihnen überlegen habe fühlen können – ob zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt. Er habe von ihnen erwartet, dass sie bereitwillig seinen sexuellen Wünschen nachkamen. Doch ausgerechnet diese erfahrenen Prostituierten seien es gewohnt gewesen, ihre Gunstbeweise nur dosiert zu gewähren, wenn sie selbst einen Vorteil daraus zogen.
Für Elisabeth Müller-Luckmann begann an diesem Punkt ein unerbittlicher Machtkampf in der vermeintlichen Beziehung, die Honka mit seinen Opfer zu haben glaubte. Der Sex sei hingegen nur nebensächlich gewesen.
Frust über Versagen in Beziehungen
Honka habe die Frauen getestet. Wie reagierten sie auf seine Forderungen? Ordneten sie sich ihm unter? Oder widersetzten sie sich seinen Wünschen und stellten damit seinen Machtanspruch infrage?
Entschieden sie sich für letztere Option, war dies für Honka das Signal, die nächste Eskalationsstufe einzuläuten. Für ihn rechtfertigte das Verhalten der Frauen, seinem geballten Zorn, der aufgestauten Wut und seinen Rachegelüsten freien Lauf zu lassen. Eigentlich sei der Mord das Resultat eines gescheiterten Kommunikationsversuchs seitens Honkas gewesen, so Müller-Luckmann. Hier brach sich der Frust über sein eigenes Versagen in zwischenmenschlichen Beziehungen Bahn.
weiter zu —> (7) Vom Serienmörder zum Serientotschläger