(3) Ende der Flucht

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Karl Rudolf Hennig befand sich seit fünf Wochen auf der Flucht. Da schwang sich am 14. März 1906 in Stettin ein Mann auf das Fahrrad eines Wachmanns der örtlichen Wach- und Schließgesellschaft und radelte von dannen. Der Bestohlene war jedoch flink auf den Beinen und stellte den Dieb. Er übergab ihn der örtlichen Polizei. Als man dort dessen Personalien überprüfte, stellte sich heraus, dass sich dort auf dem Stuhl vor den Beamten niemand anderes als der landesweit gesuchte Raubmörder Karl Rudolf Hennig fläzte.

Eine weitere Blamage für die Polizei durfte sich nicht wiederholen. Die Truppe, die man nun losschickte, um den Gefangenen von Stettin nach Spandau zu schaffen, hätte auch problemlos einen Goldtransport bewachen können. Das Goldjüngelchen verfrachtete man anschließend in den Moabiter Knast. Heute ein reichlich in die Jahre gekommenes Bauwerk, damals so etwas wie das Hochsicherheitsgefängnis im Deutschen Reich.

Kurzer Prozess

Der Prozess wurde jedoch nicht in Berlin, sondern vor dem Potsdamer Landgericht verhandelt, da die Leiche von August Giernoth auf Potsdamer Stadtgebiet gefunden worden war. Die Verhandlung dauerte lediglich zwei Tage, vom 30. April bis zum 1. Mai 1906. Karl Rudolf Hennig musste sich vor dem Schwurgericht wegen Mordes, Diebstahls, Urkundenfälschung und mehrfachen Mordversuchs verantworten. Denn wie die Ermittlungen ergeben hatten, hatte Hennig weitaus mehr auf dem Kerbholz als nur den Mord an dem Kellner Giernoth.

Karl Rudolf Hennig war am 30. Oktober 1874 als Sohn eines Handwerksmeisters zur Welt gekommen. Er machte eine Lehre als Lederarbeiter und wurde bereits in dieser Zeit erstmals straffällig. 1890 verurteilte man den damals 16-Jährigen wegen Körperverletzung zu einer Haftstrafe von fünf Monaten. Drei Jahre später verknackte man ihn erneut wegen einer Vielzahl von Ladendiebstählen. Danach machte er in der Hauptstadt »Karriere« als gefürchteter Einbrecherkönig.

Vom Einbrecherkönig zum Heiratsschwindler

Die Jahre im Knast bescherten ihm viele Ideen für neue Schandtaten. Nach der nächsten Haftentlassung verlegte er sich auf den Betrug mit gefälschten Pfandscheinen sowie Heiratsschwindeleien. Ich habe keine Ahnung, welchen Männergeschmack die Damen der Jahrhundertwende um 1900 hatten. Aber Karl Rudolf Hennig muss ihn voll getroffen haben.

Mal gab er sich als Kaufmann oder Fabrikant aus, mal als adliger Herr von Hohenheim, der sich mit ernsthaften Heiratsabsichten trage. Die Berliner Frauen fielen reihenweise auf den Quatsch herein. Die Jungen, die nach einer guten Partie Ausschau hielten, plünderten ihre Sparbücher. Die Witwen vermachten ihm ihre Erbschaft. Auch in den Wochen nach seiner Flucht hatte sich Hennig mit dieser Masche seinen Lebensunterhalt finanziert.

Der mysteriöse „Franz“

All diese Verbrechen räumte Karl Rudolf Hennig freimütig vor Gericht ein. Allerdings stritt er ab, August Giernoth ermordet zu haben. Das sei der »Franz« gewesen, ein Kumpel, den er aus einer einschlägigen Spelunke in der Linienstraße kenne, dessen Nachnamen ihm aber – leider, leider, Euer Ehren – nicht geläufig sei. Als der Franz den Giernoth dann gemeuchelt habe, habe er da nur zufällig herumgestanden, mitten im Düppeler Forst. Da habe er sich halt das Sparbuch und die Ausweispapiere geschnappt. Dem Toten hätten die Sachen doch schließlich nichts mehr genutzt. Wäre doch schade drum gewesen. Aber ein Mörder sei er nicht. Ganz ehrlich, Herr Richter.

Zum Schluss hielt Karl Rudolf Hennig, der sich in seiner Knastzeit durchaus einige juristische Kenntnisse angeeignet hatte, noch eine flammende Verteidigungsrede in eigener Sache. Das Plädoyer gipfelte darin, dass er die Geschworenen aufforderte, ihn doch, bitte schön, »in dubio pro reo« von dem Mord freizusprechen. Von den Zuschauerbänken war daraufhin schallendes Gelächter zu vernehmen. Schadenfreude? Man weiß es nicht.

Die Geschworenen zumindest hatten nicht den geringsten Zweifel an Hennigs Schuld und verurteilten ihn zum Tode. Zwar versuchte der Todeskandidat seine Henker noch zu erweichen, indem er versprach, den »Franz« ausfindig zu machen. Doch es nützte ihm nichts mehr. Am 7. Dezember 1906, fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Mord an dem 21-jährigen Kellner August Giernoth, starb Karl Rudolf Hennig unter dem Fallbeil auf dem Hof des Potsdamer Landgerichts.

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Buchinweis:
Hugo Friedländer schildert die Geschichte in Band 1 seiner »Interessanten Kriminal-Prozesse«. Hier findet man noch mehr Informationen über den Prozess.

 

 

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