(3) Der Prozess

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Das Verfahren gegen Sam Sheppard wurde am 18. Oktober 1954 eröffnet. Direkt zu Beginn stellte Verteidiger Corrigan den Antrag, den Prozess zu verschieben und einen anderen Gerichtsort zu bestimmen. Angesichts der massiven Berichterstattung in der Lokalpresse sei es zweifelhaft, ob sich in Cleveland eine unvoreingenommene Geschworenen-Jury finden lasse. Vor diesem Hintergrund scheine es nahezu unmöglich, dass seinem Klient ein fairer Prozess gewährt werde.

Prozessauftakt

Richter Blythin entschied, dass die Anwälte sich zuerst bemühen sollten, eine Jury aus dem County zusammenzustellen. Anklage und Verteidigung einigten sich tatsächlich binnen zwei Wochen auf zwölf Geschworene, ohne dass eine der beiden Parteien ihr Kontingent für Ablehnungen ausschöpfen musste.

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Die Geschworenen im Sheppard-Prozess

Doch nur einer der Auserwählten behauptete, bisher den Fall nicht in den Medien verfolgt zu haben. Zudem veröffentlichte die Lokalpresse die vereidigten Geschworenen mit Foto, Namen und Postanschrift noch vor dem eigentlichen Prozessauftakt in der Zeitung.

Am 3. November karrte man die sieben Männer und fünf Frauen der Jury zum Sheppard-Haus. Sie sollten gemeinsam mit dem Richter den Tatort begutachten. Sie sahen sich das Schlafzimmer an, das Arbeitszimmer, die Treppe zum Strand. Ein Polizeibeamter führte Sam Sheppard in Handschellen hinter der Gruppe her.

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Ortstermin mit Richter und Geschworenen

Versäumnisse

Die Beweisaufnahme der Anklage begann am 4. November. Sie rief als ersten Zeugen Deputy Coroner Lester Adelson auf, der die Obduktion von Marilyn Sheppards Leiche beschrieb und den Geschworenen die Tatortbilder erklärte. Laut seiner Analyse war die Frau bei Bewusstsein, als der Täter auf sie einschlug, und starb infolge der massiven Kopfverletzungen durch die Schläge.

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Lester Adelson

Verteidiger Corrigan konnte dem Pathologen entlocken, dass er keine Analyse des Mageninhalts vorgenommen hatte. Zudem hatte er die Wunden nicht unter dem Mikroskop untersucht, um zum Beispiel die Tatwaffe näher zu bestimmen. Bisher war es der Polizei nicht gelungen, das Tatwerkzeug zu finden. Und Adelson hatte auch keine Feststellung getroffen, ob Marilyn Sheppard möglicherweise vom Täter vergewaltigt wurde – angesichts der Auffindesituation der Frau ein seltsames Versäumnis.

Die Aussage des Streifenpolizisten Fred Drenkhan legte den Grundstein für den Indizienprozess der Anklage. Drenkhan ließ kaum Zweifel daran, dass er Sheppards Geschichte von einem Kampf mit einer großen „Gestalt“ am Strand für wenig glaubwürdig hielt. Er sagte der Jury, dass er keine Anhaltspunkte für einen Kampf innerhalb des Hauses oder einen Einbruch gefunden habe. Außerdem seien für die Tatnacht aus der Nachbarschaft keine Hinweise auf Personen eingegangen, die sich in irgendeiner Weise verdächtig benommen hätten, indem sie zum Beispiel auf fremden Privatgrundstücken herumgeschlichen wären.

Hörensagen

Die Zeugen Don und Nancy Ahern erzählten von ihrem Abendessen mit den Sheppards am 3. Juli. Mrs. Ahern gab zu, dass Marilyn Sheppard ihr in der Vergangenheit von Eheproblemen erzählt habe. So habe Sheppards Frau zum Beispiel gewusst, dass ihr Mann seiner Geliebten Susan Hayes eine Uhr geschenkt habe. Von einer gemeinsamen Freundin habe sie zudem erfahren, dass Marilyn an Scheidung gedacht habe. Obwohl es sich bei der letzten Aussage offensichtlich um Hörensagen handelte (normalerweise nicht zulässig vor Gericht), machte Richter Blythin eine Ausnahme und ließ die Bemerkung protokollieren.

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Don Ahern

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Nancy Ahern

Spencer und Esther Houk erzählten vom morgendlichen Weckruf seitens Sam Sheppard und welche Situation sie vorfanden, als sie das Sheppard-Haus am 4. Juli betraten. Mrs. Houk ging noch weiter als Nancy Ahern und sprach von einem Zerwürfnis zwischen Sam und Marilyn Sheppard. Der Bürgermeister berichtete von einer Unterhaltung, die er an diesem Morgen im Tathaus mitangehört habe. Richard habe seinen Bruder gefragt: „Sam, hast du es getan?“

Ein mysteriöser Blutabdruck

Dr. Gerber war der Hauptzeuge der Anklage. Er beschrieb zunächst seine umfangreichen beruflichen Qualifikationen. Dann widmete er sich akribisch seinen Ermittlungsergebnissen, der Befragung von Sam Sheppard und dem, was er als mangelnde Kooperation der Sheppard-Familie bezeichnete.

Von besonderer Bedeutung für das Verfahren war Gerbers Aussage zu dem blutigen Kissenbezug im Bett der Toten: „In diesem Blutfleck konnte ich den Abdruck eines chirurgischen Instruments ausmachen … ein zweischneidiges chirurgisches Instrument mit Klauen an beiden Enden der Klinge.“ Gerber sagte nicht, zu welchem chirurgischen Instrument der vermeintliche Abdruck passen könnte. Richter Blythin fragte deshalb nochmals nach. „Ich meinte, dass der Abdruck nur durch ein chirurgisches Instrument hätte entstehen können“, erwiderte Gerber. Anwalt Corrigan hakte an dieser Stelle nicht nach.

Ein einziger Fingerabdruck

Detective Schottke von der Mordkommission Cleveland las ein Vernehmungsprotokoll vor, das Sheppard am 10. Juli unterschrieben hatte. Die letzte Frage im Protokoll lautete: „Wurden Sie im Verlauf dieser Befragung fair behandelt?“ – Sheppard: „Ja, absolut.“ Schottke sagte zudem aus, Sheppard habe seine Aussage in den ersten Tagen nach der Tat mehrfach abgeändert. Der stellvertretende Sheriff Carl Rossbach vom County widersprach dieser Darstellung. Sheppard habe im Wesentlichen immer die gleiche Geschichte vorgetragen.

Jerome Poelking von der Spurensicherung bezeugte, dass er nur einen Fingerabdruck im Schlafzimmer gesichert habe. Der Abdruck habe sich am Kopfende von Marilyn Sheppards Bett befunden und stamme vom linken Daumen Sam Sheppards. Es ist richtig, dass die Sheppards in getrennten Betten schliefen, zwischen denen ein Nachttisch stand. Aber es gab dennoch genügend plausible Gründe, wie Sheppards Fingerabdruck bei anderen Gelegenheiten an diese Stelle gelangt sein konnte. Auf Nachfrage des Verteidigers musste Poelking auch einräumen, dass er nicht bestimmen könne, seit wann sich der Abdruck dort befinde.

Im gleichen Bett

Dr. Lester Hoverston, ein College-Kommilitone von Sheppard, erklärte, dass Sheppard ihm wenige Tage vor dem Mord gesagt habe, dass er daran dachte, sich von Marilyn scheiden zu lassen. Darüber hinaus berichtete er von einer Unterhaltung zwischen den Brüdern Richard und Sam Sheppard, die er bei einem Krankenbesuch mitangehört habe. Richard habe geäußert: „Lass uns die Abfolge der Ereignisse durchgehen, damit du deine Geschichte richtig verstehst.“

Der Neurologe, der von Gerber gerufen wurde, um Sheppard am 5. Juli zu untersuchen, gab im Kreuzverhör der Verteidigung zu, dass er bei Sam Sheppard keinerlei Reflexe in den Beinen und im Bauchbereich habe feststellen können. In seinem Gutachten hatte er diesem Fakt allerdings keine Relevanz eingeräumt. Letztlich war es aber ein Indiz für die Schwere der Verletzung, die Sheppard davongetragen hatte.

Nachdem die Anklage weitere Ermittlungsbeamte und Gutachter als Zeugen befragt hatte, rief sie schließlich Susan Hayes in den Zeugenstand. Sie beschrieb ihre Beziehung zu Sam Sheppard, ging auf Treffen und Geschenke ein und bestätigte, dass sich das Liebespaar auch über das Thema Scheidung unterhalten habe. Dann befragte der Staatsanwalt sie zu ihrer letzten Begegnung mit Sheppard, die in der ersten Jahreshälfte 1954 in Los Angeles stattfand. Sheppard wohnte während dieses Aufenthalts bei einem Dr. Arthur Miller.

Staatsanwalt: „Und wo haben Sie die Nacht verbracht, Miss Hayes?“
Hayes: „Bei den Millers.“
Staatsanwalt: „Und wo hat Dr. Sheppard die Nacht verbracht?“
Hayes: „Bei den Millers.“
Staatsanwalt: „Waren Sie im gleichen Zimmer wie Dr. Sheppard untergebracht?“
Hayes: „Ja.“
Staatsanwalt: „Im gleichen Bett?“
Hayes: „Ja.“

Die Zigarette im Klo

Im Anschluss an die Zeugenbefragung von Susan Hayes begann die Verteidigung am 2. Dezember ihrerseits mit der Beweisaufnahme. Steve Sheppard war der erste Zeuge. Er erzählte von einer Zigarette, die er am Tatmorgen in einer Toilette im Obergeschoss gesehen habe. Da die Sheppards nicht rauchten, nahm er an, der oder die Einbrecher hätten die Zigarette zurückgelassen. Später war der Stummel allerdings verschwunden – ein Indiz dafür, dass die Polizei bei der Tatortaufnahme schlampig gearbeitet hatte?

Richard Sheppard bezeugte, dass der Leichnam seiner Schwägerin bewegt worden war, bevor der Polizeifotograf seine Aufnahmen machte. Die Tatortbilder, die der Staatsanwalt den Geschworenen vorgelegt hatte, entsprachen also nicht exakt der Auffindesituation. Er bestritt nachdrücklich die Aussage von Bürgermeister Houk, er habe seinen Bruder gefragt, ob er der Täter sei: „Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil es mir nie in den Sinn gekommen ist, dass mein Bruder seine Frau hätte töten können.“

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Sam Sheppard (links) mit seinen Brüdern Stephen (Mitte) und Richard (rechts)

Schlag in den Nacken

Ein Röntgentechniker aus dem Krankenhaus, in dem Sam Sheppard behandelt wurde, sagte aus, der Angeklagte habe am Morgen des 4. Juli aufgrund starker Schmerzen nicht einmal den Mund öffnen können, um einen Schluck Wasser zu trinken. Ein Radiologe, ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt und ein Zahnarzt schilderten detailliert die Verletzungen, die sich Sam Sheppard zugezogen hatte: unter anderem ein gebrochener Halswirbel, eine Schwellung an der Schädelbasis und abgebrochene Zähne.

Dr. Charles Elkins, Chef-Neurologe an Clevelands bekanntem Stadtkrankenhaus, war von der Familie hinzugezogen worden, um Sams Sheppards Verletzungen zu begutachten. Er wiederholte, was der Gutachter der Anklage bereits geäußert hatte. Während seiner Untersuchung waren mehrere Nervenreflexe nicht feststellbar. Zudem litt Sheppard unter Halskrämpfen. Diese Symptome seien typisch für eine Rückenmarksverletzung und könnten zudem unmöglich simuliert werden. Sprich: Sheppard hatte keine Show abgezogen. Die schwerwiegenden Verletzungen waren echt.

Die Blessuren waren eines der stärksten Gegenargumente der Verteidigung. Zum einen hätte sich Sheppard die Verletzungen kaum selbst zufügen können, was nahelegte, dass ein Fremder der Täter war – oder Sheppard hatte einen Komplizen, der ihn schlug, um die Geschichte vom Einbruch zu fingieren. Doch ein gebrochener Halswirbel konnte zu einer chronischen Lähmung oder gar dem Tod führen. Hätte sich ein erfahrener Arzt freiwillig dem Risiko eines solchen Schlages ausgesetzt? Das ist wohl kaum anzunehmen.

Die Anklage führte eine dritte Erklärung an: Marilyn Sheppard habe sich gegen ihren Angreifer gewehrt und Sheppard dabei verletzt. Theoretisch sicherlich denkbar, aber die Ermittler gingen immer davon aus, dass der Täter sein Opfer frontal angriff, ohne dass es zu einem wirklichen Kampf kam. Aus dieser Position ist es schlichtweg schwierig bis unmöglich, dem Angreifer einen Schlag in den Nacken zu versetzen, der so heftig ist, dass ein Wirbel bricht.

Zudem wies Sam Sheppard bei der ärztlichen Untersuchung keinerlei Kratzspuren oder sonstige blutende Wunden am Körper auf. Das wären jedoch genau die Art von Verletzungen gewesen, die man erwarten könnte, hätte sich Marilyn Sheppard gegen seine Angriffe gewehrt.

Die Verteidigung stellte eine weitere Ungereimtheit heraus. Die Spuren am Tatort sprachen dafür, dass der Täter mit Blutspritzern übersät war. Doch an Sheppard fanden sich – bis auf den einzelnen Fleck an der Hose – keinerlei Blutspuren.

Der Angeklagte im Zeugenstand

Schließlich nahm Dr. Sam Sheppard selbst im Zeugenstand Platz. Er behauptete, er und seine Frau hätten nie über eine Scheidung gesprochen. Er erzählte, wie die Polizei nach seiner Verhaftung tagelang versuchte, ihn einzuschüchtern und zu einem Geständnis zu drängen. Im Kreuzverhör des Staatsanwalts musste er zugeben, mindestens zwei Jahre eine sexuelle Beziehung zu Susan Hayes unterhalten zu haben. Zudem gestand er ein, während seiner Ehe mit mindestens zwei weiteren Frauen ein intimes Verhältnis eingegangen zu sein. Aber er stritt energisch ab, seine Frau ermordet und sich selber Verletzungen zugefügt zu haben, um sich ein Alibi zu verschaffen.

Zwei Zeugen erschienen vor Gericht, die in der Tatnacht einen Mann mit weißem Hemd und Mecki-Frisur in der Nähe des Sheppard-Hauses gesehen haben wollten. Auf Nachfrage des Staatsanwalts bestätigten sie, dass sie sich erst bei den Behörden gemeldet hatten, nachdem Sam Sheppard eine Belohnung in Höhe von 10.000 Dollar ausgelobt hatte. Sergeant Jay Hubach von der Polizei in Bay Village bestätigte Steve Sheppards Aussage, dass am Morgen des 4. Juli im Abwasser einer der Toiletten im Obergeschoss des Sheppard-Hauses eine Zigarette trieb.

Es folgten die Plädoyers. Anwalt Corrigan erhob Vorwürfe gegen Medien und Polizei, die seinen Mandanten vorverurteilt hätten. Für die Ermittler der Mordkommission Cleveland habe Sheppard bereits am Tattag als Mörder festgestanden. Alle weiteren Ermittlungen seien ausschließlich darauf ausgerichtet gewesen, ihm die Tat nachzuweisen. Der Umstand, dass Sheppard seine Frau betrogen habe, sei jedoch kein hinreichender Beweis für ein Tatmotiv oder gar einen Mord.

Die Staatsanwaltschaft konzentrierte sich in ihrem Abschlussplädoyer hingegen auf Sheppards Ausführungen zur Tatnacht und deren Ungereimtheiten. Wieso brauchte er fast zwei Stunden, um die Polizei bzw. seine Nachbarn zu verständigen? Warum gab es keinerlei Hinweise auf einen Einbrecher, bis auf ein paar vage Zeugenaussagen, die erst infolge einer hohen Belohnung zustande kamen?

Und angenommen, es gab tatsächlich einen Einbrecher, der keine lebenden Zeugen zurücklassen wollte. Warum schlug er mit der Tatwaffe 35 Mal auf die Frau ein, um sicherzugehen, dass sie ihn nicht verraten könnte, während er die Waffe gegen den Mann nur einmal verwendete? Wo war da die Logik?

Langwierige Entscheidung

Die Geschworenen zogen sich am Freitag, dem 17. Dezember, zur Beratung in einem Hotel der Innenstadt zurück. Die Jury brauchte mehr als 100 Stunden, bis sie sich auf ein Urteil verständigte. Am Dienstag versammelten sich die Prozessbeteiligten, um die Entscheidung der Geschworenen zu hören. Sie sprachen den Angeklagten zwar von der Anklage des vorsätzlichen Mordes frei, hielten ihn aber des Mordes im Affekt für schuldig. Richter Blythin verkündete schließlich das Strafmaß: einmal lebenslänglich.

Im Nachhinein wurde bekannt, dass die Jury insgesamt 18 Mal abstimmen musste, bis sie zu einem einstimmigen Urteilsspruch gelangte. Bei der ersten Abstimmung waren 6 männliche und 1 weibliche Geschworene von Sheppards Schuld überzeugt. Vier Frauen und ein Mann plädierten für Freispruch. Im Laufe des Samstags wurde sich die Jury einig, dass Sheppard die Tat begangen hatte.

Für einen Schuldspruch wegen vorsätzlichen Mords, wie ihn die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, sprach sich niemand aus. Die Entscheidung drehte sich einzig und allein darum, ob man Sheppard wegen Mord im Affekt oder wegen Totschlag verurteilen sollte, was eine deutlich geringere Strafe nach sich gezogen hätte. Nach vielen Diskussionen setzte sich die Gruppe der Geschworenen durch, die für Ersteres plädierte.

Aussichtslos

Nur wenige Tage nach der Urteilsverkündung, am 7. Januar 1955, jagte sich Sheppards Mutter eine Kugel in den Kopf. Sie hinterließ eine kurze Notiz: „Ich kann einfach nicht weiterleben … Danke für alles.“ Elf Tage später starb Sheppards Vater, der an Darmkrebs erkrankt war, an einem offenen Magengeschwür.

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Sams Mutter Ethel Sheppard

Corrigan reichte in den kommenden Jahren rund ein dutzend Mal Berufung gegen das Urteil ein, indem er immer wieder neue Argumente für eine Revision ins Feld führte. Seine Bemühungen waren vergeblich. Alle Anträge wurden abgelehnt. 1961 verstarb Corrigan. Sheppards Schicksal schien endgültig besiegelt zu sein. Doch dann ereigneten sich mehrere Dinge, die dem Fall Sheppard eine gänzliche neue Wendung geben sollten.

Zerbeulte Taschenlampe, gestohlene Ringe

Im Januar 1955 hatte Dr. Paul Kirk, ein renommierter Forensiker aus Kalifornien, den Tatort inspiziert. Auf Grundlage der Blutspuren verfasste er ein umfassendes Gutachten für Sheppards Anwalt. Er kam zu dem Schluss, dass der Täter Linkshänder war (Sam Sheppard war Rechtshänder), eine Taschenlampe als Tatwerkzeug benutzte und zudem die Sheppards kannte. Er musste eine unbändige Wut auf die Familie, insbesondere auf Marilyn Sheppard, verspürt haben. Im Juli 1955, drei Monate nach Veröffentlichung des Gutachtens, entdeckte ein Schwimmer eine verbeulte Taschenlampe im seichten Wasser des Lake Erie, unweit des Sheppard-Hauses.

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Dr. Paul Kirk

Das zweite Ereignis fand seinerzeit zunächst weniger Beachtung, sollte aber noch reichlich Sprengstoff bergen. 1959 verhaftete die Polizei einen Fensterputzer namens Richard Eberling, der Kunden bestohlen hatte. Bei einer Durchsuchung hatten die Beamten unter den Beutestücken unter anderem zwei Ringe entdeckt, der Marilyn Sheppard gehört hatten. Eberling hatte den Schmuck der Schwägerin der Toten gestohlen, die ihn nach Marilyns Tod geerbt hatte.

Ein erfolgreicher Bluff

Es ist nicht ganz klar, was den verhörenden Polizeibeamten veranlasste, Eberling nach dem Sheppard-Mord zu befragen. Der Polizist behauptete, man habe Eberlings Blut am Tatort entdeckt. Wahrscheinlich war die Frage nur ein Bluff. Aber Eberling ging darauf ein. So sagte er aus, dass er wenige Tage vor dem Mord an Marilyn Sheppard die Fenster im Hause Sheppard geputzt habe. Dabei habe er sich am Finger verletzt. Deshalb habe er im Haus eine Blutspur bis in den Keller hinterlassen, wo er die Wunde ausgewaschen habe.

Die Polizei von Bay Village Polizei reichte das Vernehmungsprotokoll an John T. Corrigan weiter, den neuen Staatsanwalt des County (nicht verwandt oder verschwägert mit William Corrigan, dem Anwalt von Sam Sheppard). Dieser zeigte jedoch kein Interesse. Polizeichef Eaton wollte Eberling zwar einem Lügendetektortest unterziehen, ließ die Sache aber dann doch auf sich beruhen.

Darüber hinaus erschienen nach der Verurteilung von Sheppard mehrere Bücher über den Fall. Einer der Autoren, Paul Holmes, war nicht von der Schuld Sam Sheppards überzeugt. Nach dem Tod von Rechtsanwalt Corrigan, wandten sich Steve und Richard Sheppard an ihn, um einen neuen Rechtsbeistand zu finden, der die Interessen ihres Bruders wahrte. Er empfahl ihnen einen jungen Prozessanwalt namens F. Lee Bailey. Die Empfehlung war ein Volltreffer. Denn Bailey sollte sich mit dem Sheppard-Fall seine Sporen verdienen und zur lebenden Legende im US-amerikanischen Justizsystem aufsteigen.

 

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