(3) Der große Schwindel

3

Doch Delorto und Hamm waren nicht bereit aufzugeben. Sie rollten den Fall Werner Hartmann nochmals ganz von vorne auf. Sie nahmen sich die drei Kartons des Northbrook Police Departments vor, in dem die Berichte, Vernehmungsprotokolle, Fotos und Beweismittel lagerten.

Und einige Details hatten die Kollegen tatsächlich übersehen. So war bisher niemandem aufgefallen, dass Hartmanns Unterschrift auf der letzten Versicherungspolice, die er abgeschlossen hatte, nicht mal annähernd seiner normalen Signatur glich. Irgendetwas war an dieser Sache faul.

Diese Entdeckung führte zu einer weiteren Frage. Wer hatte eigentlich die Versicherungsprämie für diese dritte Police aufgebracht? Sie betrug zwar nur 450 US-Dollar. Werner Hartmann war jedoch damals in ernsten finanziellen Schwierigkeiten. Warum sollte er eine dritte Versicherung abschließen, wenn er schon kaum wusste, wie er das Geld für die anderen beiden auftreiben sollte?

Delorto und Hamm hakten bei der Versicherungsgesellschaft nach. Sie wollten den Einzahlungsscheck sehen, um Datum und vor allem die Unterschrift zu überprüfen. Es stellte sich heraus, dass der Scheck verschwunden war.

Verräterische Daten

In der Ermittlungsakte fand sich jedoch eine Aufstellung der Finanzunterlagen von John Korabik. Und da hatten die Ermittler es plötzlich schwarz auf weiß. Korabik hatte seine Kreditkarte verwendet, um Werner Hartmanns Versicherungsprämie zu zahlen.

Nun wurde es kurios. Warum sollte ausgerechnet der Liebhaber, mit dem Debra Hartmann ihren Ehemann betrog, diese Prämie bezahlt haben? Es gab aus Sicht der Beamten nur eine plausible Antwort: Der Mord an Werner Hartmann war Teil eines von langer Hand geplanten Versicherungsbetrugs.

Delorto und Hamm überprüften als Nächstes die Einzelverbindungsnachweise der Telefonate der einzelnen Verdächtigen. Bei genauerer Betrachtung ergab sich ein Muster. Offensichtlich hatte Debra Hartmann zunächst mit Harvey Loochtan, dem zuständigen Sachbearbeiter der Prudential Versicherung, telefoniert. Dann rief sie ihren Liebhaber Korabik an, schließlich dessen Freund Kaenel. Daraufhin telefonierte Kaenel mit Korabik, dieser wiederum im Anschluss mit Loochtan. Diese Art von „Telefonkette“ hatte mehrfach vor und nach dem Mord an Werner Hartmann stattgefunden.

Das schwächste Glied

Die Ermittler beschlossen, sich zunächst Harvey Loochtan vorzuknöpfen. Er erschien ihnen das schwächste Glied in der Kette zu sein. Ein normaler Bürger mit einem normalen Job, der bisher noch nie in Konflikt mit dem Gesetz geraten war. Das war der Typ, der normalerweise sofort zusammenbrach, sobald man ihn etwas einschüchterte. Sie behielten recht. Das Vögelchen sang in den lautesten Tönen, als man ihm mit Gefängnis drohte.

Laut Loochtan hatte Debra Hartmann irgendwie erfahren, dass ihr Ehemann sie als Begünstigte aus seinen Lebensversicherungen streichen wollte. Sie brachte daraufhin Loochtans Namen in Erfahrung und suchte ihn auf. Sie bot ihm 3.000 Dollar in bar an, wenn er ihr helfen würde. Und obendrein möglicherweise noch ein paar sexuelle Gefälligkeiten, so die Vermutung der Polizisten.

Doppelter Schwindel

Zunächst verlangte Debra Hartmann von Loochtan, dass er das Formular ihres Mannes, in dem er andere Begünstigte aufführte, verschwinden ließ. Sie hatte bereits einen alternativen Antrag mitgebracht, auf dem sie augenscheinlich die Unterschrift ihres Mannes gefälscht hatte. Loochtan sollte nun wieder ihren Namen als Nutznießerin einsetzen. Da der Sachbearbeiter das Formular bisher noch nicht bearbeitet hatte, fiel der Schwindel keinem seiner Kollegen auf.

Zur Überraschung der Ermittler stellte sich aber heraus, dass Werner Hartmann – trotz seiner finanziellen Situation – in der Tat eine zweite Lebensversicherung bei Prudential abgeschlossen hatte. Laut Loochtan wollte er damit seine Töchter noch besser absichern. Doch bisher war er noch die erste Prämie schuldig geblieben und der Vertrag damit noch nicht in Kraft getreten.

Loochtan schlug Debra Hartmann deshalb vor, selber Eigentümerin der Police zu werden, indem sie die erforderliche Summe überwies. So könnte er sie als Begünstigte eintragen und ihr Mann hätte keinerlei Chance, daran etwas zu ändern. Ab Mai 1982 war diese Police gültig.

Delorto und Hamm verhörten im Anschluss nochmals Kenneth Kaenel und konfrontierten ihn mit den neuen Erkenntnissen. Jetzt gab er zu, dass Debra Hartmann und John Korabik einen Mordplan ausgetüftelt hätten. Dann hätten sie sich an ihn gewandt, weil sie wussten, dass er sein Geld mit kriminellen Aktivitäten verdiente. Sie hätten ihm 50.000 Dollar angeboten, wenn er Werner Hartmann für sie umbringen würde. Er habe jedoch abgelehnt. Angeblich weil die Waffe, die ihm Korabik für das Attentat besorgt hatte, bei einem Test Ladehemmungen hatte.

Aus Mangel an Beweisen

Delorto und Hamm besprachen sich mit der Staatsanwaltschaft. Es gab immer noch keine Beweise dafür, dass die vier in den Komplott verwickelten Personen tatsächlich den Mord durchgeführt hatten. Und weiterhin war offen, wer letzten Endes geschossen hatte.

Die Aussage von Kaenel war möglicherweise nur eine Schutzbehauptung. Jeder gewiefte Anwalt würde die Stellungnahme eines Berufskriminellen im Kreuzverhör binnen Minuten in ihre Einzelteile zerlegen. Vielleicht war die Aussicht auf 50.000 Dollar zu verlockend für ihn gewesen und er hatte das Angebot angenommen. Doch wie sollte man ihn ohne konkrete Beweise jemals der Tat überführen?

Die Staatsanwälte Steven Miller und John Farrell ersannen dennoch einen Plan, wie sie die mutmaßlichen Täter dran bekommen könnten. Die Strategie hatte schon bei Al Capone funktioniert. Den berühmten Mafiaboss hatte man weder der Morde, die er in Auftrag gab, noch der illegalen Geschäfte, denen er seinen Reichtum verdankte, jemals anklagen können. Es gab schlichtweg keine Beweise für seine Täterschaft.

Doch die Ermittlungsbehörden hatten Capone schließlich zu Fall gebracht, indem sie ihm Steuerhinterziehung nachweisen konnten. Es ging dabei um vergleichsweise kleine Beträge. Doch diese reichten aus, um ihn nach dem Gesetz für eine lange Zeit hinter Gittern zu bringen.

Die Anklagestrategie

Im Januar 1989 präsentierte die Staatsanwaltschaft den Fall vor einer Bundesjury in Chicago. Dort warf man den Beschuldigten Debra Hartmann, John Korabik und Ken Kaneel mehrere Fälle von Post- und Überweisungsbetrug vor. Im Falle einer Verurteilung drohten den Angeklagten für diese Verbrechen nach Bundesrecht bis zu 25 Jahre Haft.

Ein Vorzug dieser Anklagestrategie war, dass die Staatsanwaltschaft nicht beweisen musste, welcher der Beschuldigten Werner Hartmann ermordet hatte. Um die Geschworenen zu überzeugen, musste man lediglich nachweisen, dass die drei Angeklagten sich verschworen hatten, um die verschiedenen Lebensversicherungen des Opfers einzustreichen. Dazu war logischerweise der Tod des Versicherungsnehmers notwendig. Wer den Abzug betätigt hatte, war dann unerheblich. Mit Henry Loochtan konnte die Staatsanwaltschaft einen Zeugen präsentieren, der diese Verschwörung beschreiben konnte. Der Fall ging vor Gericht.

Unterschiedliche Tatversionen

Die Gerichtsverhandlung dauerte drei Wochen. Zu einer wirklichen Klärung des Falls kam es nicht. Die Staatsanwaltschaft rief Curtis Stover, den Bruder von Debra Hartmann, in den Zeugenstand. Er behauptete, John Korabik habe ihm den Mord kurz nach der Tat gestanden. Doch mit seinem vermeintlichen Insiderwissen hatte er sich erst Jahre nach dem Verbrechen an die Polizei gewandt. Zudem saß er zum Zeitpunkt seiner Aussage wegen Einbruchs selbst in Haft. Diese Umstände sprachen nicht für seine Glaubwürdigkeit.

Donald Zorc, ein weiterer Zeuge, sagte hingegen aus, dass Kenneth Kaenel ihm und seinem Bruder 6.000 Dollar für ein Alibi in der Tatnacht geboten hätte. Kaenel sei bei ihnen an diesem Abend etwa drei Stunden nach der Tat aufgetaucht, völlig durch den Wind. Auch mit seiner Aussage gab es Probleme. Er hatte sie erstmals 1986 gegenüber der Polizei geäußert, also vier Jahre nach der Tat. Zudem war Zorc ebenfalls wegen mehrerer Einbruchs- und Diebstahlsdelikte vorbestraft.

Wer die Maschinenpistole in Händen hielt und abdrückte, blieb also letztlich ungeklärt. Die Ermittler vermuteten, dass Debra Hartmann entweder ihren Geliebten John Korabik oder Kenneth Kaelen in das Haus einließ. Der Täter versteckte sich dann vermutlich im Schlafzimmer und wartete, bis Werner Hartmann aus der Dusche kam, um den wehrlosen Mann zu erschießen. Aber natürlich lässt sich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen, dass Debra Hartmann selbst den Mord beging.

Das Urteil

Die Geschworenen benötigten nur drei Stunden für ihre Beratung. Sie sprachen alle vier Angeklagten schuldig. Der Richter verurteilte Debra Hartmann zu 22 Jahren Gefängnis, Kenneth Kaenel zu 20 Jahren und John Korabik zu 16 Jahren Gefängnis. Henry Loochtan kam wegen seines Geständnisses mit lediglich zwei Jahren Haft davon.

Allerdings mussten die Täter ihre Strafen nicht zur Gänze absitzen. John Korabik kam bereits Ende März 1999 wieder auf freien Fuß, Debra Hartmann Ende September 2002. Kenneth Kaenel ist 1996 verstorben.

Die Töchter von Werner Hartmann reichten im Anschluss an den Strafprozess noch Zivilklage gegen die Prudential-Versicherung und Debra Hartmann ein. Sie forderten die volle Summe ein, die der Versicherer an die Witwe ausgezahlt hatte. Ein Gericht gab den Klägerinnen recht. Prudential musste zahlen, durfte sich bei Debra Hartmann jedoch zurückholen, was von den 589.000 gezahlten Dollar noch übrig war.

*****

 

Quellen

Dokus (deutsch)

 

„Wenn Liebe tötet: Die Schwarze Witwe“ (2013, Investigation Discovery)

„Böse Stiefmütter: Blind vor Liebe“ (2017)

Dokus (englisch)

 

„American Justice: Marriage & Murder“ (1998)

„Power, Privilege & Justice: The Trophy Wife and the Tennis Pro“ (2006, Court TV)

„Scorned – Love Kills: Sex, Lies and Hi-Fis“ (2015)

 

Berichterstattung in der „Chicago Tribune“

 

http://articles.chicagotribune.com/1988-08-10/news/8801210628_1_investigators-slaying-federal-grand-jury
http://articles.chicagotribune.com/1989-10-25/news/8901250196_1_contract-murder-document-double-indemnity-policy
http://articles.chicagotribune.com/1989-11-23/news/8903120105_1_federal-court-prosecutor-miller-wire-fraud
http://articles.chicagotribune.com/1989-11-29/news/8903130649_1_wire-fraud-cocaine-possession-charges-wife
http://articles.chicagotribune.com/1989-11-30/news/8903130965_1_wire-fraud-father-insurance-policy
http://articles.chicagotribune.com/1989-12-01/news/8903140303_1_wire-fraud-murder-exotic-dancer
http://articles.chicagotribune.com/1989-12-06/news/8903150664_1_wire-fraud-boyfriend-shell-casings
http://articles.chicagotribune.com/1989-12-07/news/8903160045_1_1st-wife-exotic-dancer-car-stereo-store
http://articles.chicagotribune.com/1989-12-08/news/8903160407_1_murder-plot-gun-charges-boyfriend
http://articles.chicagotribune.com/1989-12-09/news/8903160623_1_fraud-charges-zorc-home-murder
http://articles.chicagotribune.com/1989-12-13/news/8903170729_1_killed-insurance-murder
http://articles.chicagotribune.com/1990-03-13/news/9001210328_1_millionaire-husband-conspirator-life-sentence
http://articles.chicagotribune.com/1989-12-16/news/8903180528_1_verdict-separate-trial-convicted
http://articles.chicagotribune.com/1989-01-21/news/8902270168_1_boyfriend-insurance-policy-bond
http://articles.chicagotribune.com/1990-04-04/news/9001270595_1_insurance-policies-charges-fraud
http://articles.chicagotribune.com/1990-07-23/news/9003020048_1_insurance-policy-sentence-disinheriting

 

Weitere Kapitel zum Fall Werner Hartmann 

3 Kommentare

  1. Ein sehr interessanter Fall, nur haben sich leider einige kleinere Fehler eingeschlichen. So heißt das Opfer auf Seite 2 einmal Hauptmann jnd einmal wird die Mordtat in das Jahr 1983 gelegt. Vielleicht kann dax geändert werden. Lg und bitte weiter machen

Schreibe einen Kommentar zu Stephie Antwort abbrechen

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein