In den einschlägigen Datenbanken ließ sich kein Hinweis auf ein irgendwie ähnlich geartetes Verbrechen finden. Mörder, die ihren Opfern die Augäpfel herausschnitten, hatte es in den USA noch nicht gegeben. So baten die Ermittler die Kollegen vom FBI bereits nach dem zweiten Mord um eine operative Fallanalyse. Ein Psychologe fertigte ein Täterprofil.
Der Profiler ging in seiner Analyse davon aus, dass der Mörder vermutlich ebenso wie seine ersten beiden Opfer ein Weißer war, der in Oak Cliff lebte. Wahrscheinlich hatte er Naturwissenschaften studiert. Oder als medizinisch-technischer Assistent in einem Labor gearbeitet. Auf jeden Fall war er irgendwann einmal in einem Bereich tätig, in dem er die menschliche Anatomie von der praktischen Seite kennengelernt hatte. Niemand las ein paar Bücher und trennte dann so fachgerecht die Augäpfel heraus. Der Täter besaß Übung, so viel stand fest.
Der Psychologe mutmaßte weiterhin, dass der Mann Mitte dreißig und körperlich in hervorragender Verfassung war. Er wurde von seinem sozialem Umfeld respektiert und galt keineswegs als ein Einzelgänger oder Außenseiter. Vermutlich hatte er sogar Freunde bei der Polizei oder anderen Behörden, die mit Polizeiermittlungen zu tun hatten. Er fuhr wahrscheinlich einen Pick-up älteren Baujahrs.
Der Täter ein Sadist
Der Augapfel-Killer mordete aus Lust am Töten. Er war ein Sadist. Nach den Erfahrungen des FBI teilten alle sadistischen Sexualstraftäter eine Gemeinsamkeit. Sie hassten Frauen. Und zwar ausnahmslose alle. Frauen waren für sie Schlampen und Huren. Das schloss auch die eigenen Freundinnen, Ehefrauen sowie Mütter ein. Die Art und Weise wiederum, wie der Täter seine Opfer beseitigt hatte, gab Aufschluss über seine Motive. Er hatte nicht einmal ansatzweise versucht, seine Verbrechen zu verbergen. Er bildete sich einiges auf das ein, was er getan hatte. Für ihn stellten die Toten Siegestrophäen dar. Er zeigte sie stolz her. Auf der Straße, wo jeder sie sehen konnte.
Aber die Leiche musste er hergeben. Die Augen der Opfer hingegen konnte er behalten. Das waren seine persönlichen Trophäen. Gleichzeitig belebte er mit ihrer Hilfe die Erinnerung an das Geschehene und den unbeschreiblichen Kick, den er beim Töten fühlte, Tag für Tag aufs Neue. Allerdings würde dieses Gefühl schwächer werden. Der Täter wäre enttäuscht. Und er würde ein weiteres Verbrechen planen, um die Empfindung in voller Intensität erneut spüren zu können. Schon bald würde er wieder durch die Straßen von Oak Cliff streifen, auf der Suche nach einem geeigneten Opfer.
Die nächste Eskalationsstufe
Die Obduktion hatte bewiesen, dass der Mörder die Frauen nach ihrem Tod operierte. Aber es sei nur noch eine Frage der Zeit, so der Psychologe, bis der Sadist brutaler vorginge. Dann würde er die Prostituierten fesseln, fixieren, dominieren. Und ihnen die Augen bei lebendigem Leib herausschneiden. Wer von solch extremen Fetischen besessen sei, schrecke nicht davor zurück, eine immer härtere Gangart an den Tag zu legen. Vielleicht würde er bald das Blut seiner Opfer trinken. Bei diesen Typen sei mit allem zu rechnen. Der Gesuchte sei glücklich über die öffentliche Reaktion auf seine Verbrechen. Das befriedige sein Streben nach Macht. Er ganz allein hielte die Stadt in Angst. Er bestimme darüber, wann er wieder zuschlagen würde. Er würde das nächste Opfer aussuchen.
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