(2) Die Mordserie

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Mary Lou Pratt

Am 13. Dezember 1990 fanden Schulkinder die Leiche der 33-jährigen Mary Lou Pratt, die im Stadtteil Oak Cliff als Straßenprostituierte arbeitete. Oak Cliff erlangte eine gewisse Berühmtheit, weil Lee Harvey Oswald in dem Stadtviertel gelebt hatte. Nach dem Attentat auf John F. Kennedy hatte die Polizei Oswald in einem Kino in Oak Cliff gestellt. Dreißig Jahre nach den Schüssen auf JFK war der Stadtteil zum Rotlichtbezirk verkommen. Die einstigen Bewohner hatten dem Viertel längst den Rücken gekehrt, in den zurückgebliebenen Häusern hatten sich Obdachlose und Junkies einquartiert. Auf den Straßen von Oak Cliff florierte der Drogenhandel und Frauen wie Mary Pratt prostiuierten sich dort, um sich das nächste Korn Crack zu verdienen.

Der Täter hatte die Leiche von Mary Pratt in den frühen Morgenstunden mitten auf die Straße eines Wohnviertels im südlichen Dallas abgelegt. Mary Pratt war bis auf ein hochgeschobenes T-Shirt nackt. Die Todesursache stand schnell fest. In Mary Pratts Hinterkopf klaffte ein gewaltiges Loch, verursacht von einer Kugel des Kalibers 44 Magnum.

Makabre Trophäen eines Mörders

Erst während der Obduktion zeigte sich, dass der Mörder die Leiche zudem verstümmelt hatte. Beide Augäpfel fehlten. Die Gerichtsmedizinerin Dr. Peacock konstatierte aufgrund der sauberen Schnittkanten: Der Täter war bei dieser Operation äußerst präzise vorgegangen und verstand mit ziemlicher Sicherheit etwas von chirurgischen Eingriffen. Die Beamten konnten die herausgetrennten Augäpfel nirgends finden. Deshalb nahmen sie an, dass der Mörder sie als Trophäen mitgenommen hatte.

Susan Peterson

Am 10. Februar 1991 tauchte eine weitere Frauenleiche auf. Die Auffindesituation war fast identisch wie im Fall Mary Lou Pratt. Die Frau war bis auf ein T-Shirt, welches ihr der Täter über die Brüste hochgeschoben hatte, vollständig nackt. Sie war erschossen worden. Und bei dem Opfer handelte es sich erneut um eine Prostituierte: Susan Peterson, 27.

Die Gerichtsmedizinerin Dr. Peacock war dieses Mal vorgewarnt. Noch am Fundort schob sie der Toten die von der Leichenstarre steifen Augenlider zurück. Auch Susan Peterson fehlten beide Augäpfel. Der Täter hatte den Eingriff erneut mit nahezu chirurgischer Präzision vorgenommen. Zudem ergab die ballistische Untersuchung, dass Susan Peterson mit der gleichen Munition getötet worden war wie zuvor Mary Pratt. Damit gewannen die Ermittler die Gewissheit, dass sie es mit einem Serienmörder zu tun hatten.

Dr. Peacock untersuchte die Schnittkanten näher, die in den Augensockeln zurückgeblieben waren. Sie fand heraus, dass der Täter ein Schablonenmesser für den Eingriff benutzt haben musste. Solche Messer verwendeten in der Regel Grafiker, wenn sie mit Papier oder Karton arbeiteten. Oder Leute, die sich die Zeit mit Bastelarbeiten vertrieben.

Overkill

Was die Vorgehensweise des Täters betraf, fiel den Kriminalbeamten nur ein einziger nennenswerter Unterschied auf. Der Mörder hatte Mary Pratt mit einem gezielten Schuss in den Hinterkopf regelrecht hingerichtet. Auch bei Susan Petersons Leiche fand sich solch ein aufgesetzter Schuss am Hinterkopf. Aber der Killer hatte dieses Mal insgesamt dreimal geschossen. Eine zweite Kugel traf Susan Peterson an der Oberseite des Kopfes, eine weitere durchschlug die linke Brust. Jeder der Schüsse war tödlich. Also ein klassischer Overkill.

Die Beamten schlossen daraus, dass der Täter wütend gewesen war. Susan Peterson hatte bei der Army gedient. Susan Peterson ließ sich von niemandem etwas gefallen, auch als es mit ihrem Leben steil bergab ging und sie schließlich in der Gosse landete. Die Ermittler vermuteten, dass Susan Peterson dem Mörder unerwartet Widerstand geleistet und ihn damit in Wut versetzte hatte.

Shirley Williams

Am 18. März 1991 meldeten Lehrer einer Grundschule den dritten Leichenfund, den man der Mordserie zurechnete. Die Tote lag auf der Straße unmittelbar vor dem Schulgebäude. Der Frau waren ebenfalls beide Augäpfel entfernt worden. Der Mörder hatte sie mit einem Revolver Kaliber 44 Magnum erschossen. Der „Eyeball Killer“ hatte erneut zugeschlagen. Aber es gab in diesem Fall auch gravierende Unterschiede zu den vorhergehenden Verbrechen.

Gravierende Unterschiede

Das Opfer war die 41-jährige Shirley Williams, eine Afroamerikanerin. Mary Pratt und Susan Peterson waren Weiße gewesen. Laut der operativen Fallanalyse des FBI passte dies nicht zusammen. Serienmörder suchten sich ihre Opfer immer innerhalb der eigenen Rasse, so die bis dahin gängige These der Abteilung für Verhaltungsforschung im FBI. Da wusste man noch nicht, dass Serienmörder wie der „Green River Killer“ Gary Ridgway sich nicht an solch theoretischen Kram hielten.

Außerdem verdingte sich Shirley Williams im Unterschied zu den übrigen Opfern nur als Gelegenheitsprostituierte. Tagsüber arbeitete die alleinerziehende Mutter einer Tochter als Verkäuferin. Shirley Williams prostituierte sich nur dann, wenn ihr das Geld ausgegangen war. Auch sie war crackabhängig. Eine Zeugin sagte aus, dass sie in der Nacht, in der sie ums Leben kam, vermutlich anschaffen gegangen sei.

Auch Shirley Williams musste den Täter in Rage versetzt haben. Doch dieses Mal war die Gewalt noch weiter eskaliert als im Fall Susan Peterson. Bevor der Mörder Shirley Williams tötete, hatte er ihr Gesicht mit heftigen Schlägen malträtiert. Der Kopf war übersät mit Blutergüssen, die Nase gebrochen. Anschließend hatte der Täter Shirley Williams frontal in die Stirn und ins Gesicht geschossen. Sein bisheriges Markenzeichen – der aufgesetzte Schuss am Hinterkopf – fehlte dieses Mal.

Stümperhafte Schnitte

Aber den gravierendsten Unterschied zu den übrigen Fällen der Mordserie bemerkte Gerichtsmedizinerin Dr. Peacock, sobald sie die ausgehöhlte Augenpartie genauer untersuchte. Zuvor war der Serienmörder bei der Entfernung der Augäpfel fachkundig vorgegangen. Bei Shirley Williams hingegen hatte er offensichtlich wild herumgeschnippelt und -gesäbelt, bis er die Augen entfernt hatte. Dabei war die Klingenspitze des Schablonenmessers abgebrochen und im Jochbein stecken geblieben.

Die Kriminalbeamten reagierten verunsichert. Hatten sie es wirklich mit demselben Täter zu tun? Andererseits war ein Trittbrettfahrer, der den Serienmörder ungeschickt nachahmte, um seine eigenen Verbrechen zu verschleiern, höchst unwahrscheinlich. Denn bisher hatte die Polizei gegenüber den Medien verschwiegen, dass der Mörder seinen Opfern die Augen herausschnitt. Es war lediglich durchgesickert, dass die Frauen im Gesicht verstümmelt waren. Daraufhin taufte die Presse den gesuchten Täter »Dallas Slasher« und »Dallas Ripper« nach dem berühmtesten Serienkiller der Geschichte.

Die Ermittler spekulierten über mögliche Gründe für die veränderte Vorgehensweise. Vielleicht, so die These, habe der Mann bei den ersten Morden völlig ungestört zu Werke gehen können. Möglicherweise in einem geschlossenen Raum, in dem ihm ausreichend Licht zur Verfügung gestanden habe. Das könne ein großes geräumiges Auto, eine Garage, ein Keller oder auch ein Haus gewesen sein, wenn er alleine lebe. Doch beim letzten Mord habe er den schwierigen Eingriff irgendwo im Dunkeln versucht. Vielleicht sei er gezwungen gewesen, draußen zu operieren, weil er sein übliches Versteck an diesem Abend nicht habe aufsuchen können. Oder er habe unter gewaltigem Stress gestanden, weil er befürchtet habe, entdeckt zu werden.

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