Dorothea Blankenfeld und das Goldkorsett

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Dorothea Blankenfeld steigt 1809 in eine Kutsche, die sie von Dresden nach Augsburg bringen soll. Ihr Ziel ist Wien, wo sie ihren Verlobten heiraten will. Doch ihre Reisebegleiter sinnen während der Fahrt nur darauf, wie sie der jungen Frau ihre wertvolle Mitgift entreißen können. Es beginnt eine Höllenfahrt durch Süddeutschland.

Feiertags-Gäste

Der 26. November 1809 fiel auf einen Sonntag. Dennoch wartete auf den Postmeister von Meitingen an diesem Feiertag noch Arbeit. Gegen 16 Uhr fuhren zwei Postkutscher vor. Die Männer in französischer Armeekleidung konnten passende Ausweispapiere vorzeigen, die auf die Namen Antoine und Schulz ausgestellt waren.

Mit ihnen reiste eine junge Zivilistin, die sich als Dorothea Blankenfeld vorstellte. Die Reisegesellschaft bat um ein Quartier für die Nacht. Kurze Zeit später traf noch der 14-jährige Pferdejunge des Gespanns ein.

Postmeister Lahmer stellte den Personen zwei Zimmer im ersten Stockwerk seines Hauses zur Verfügung. In einem Raum nächtigte Dorothea Blankenfeld, im anderen die Armeeangehörigen.

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Von Hugo Kauffmann zugeschrieben – Gastwirt und Postillionhttp://www.zeller.de/, Gemeinfrei, Link

Geschrei am Morgen

Zwischen drei und vier Uhr in der Früh schreckten Posthalter Lahmer und sein Postknecht Lemmermeier aus dem Schlaf hoch. Sie hatten Schreie im Haus vernommen. Für sie klang es so, als habe ein Kind geschrien. Doch sobald sie aufgestanden waren, verstummten die Rufe. Sie legten sich schließlich wieder schlafen.

Kurz darauf kam jedoch der Pferdejunge die Treppe heruntergelaufen. Er hielt sich das Gesicht und weinte. Lemmermeier erzählte er, einer der Postkutscher habe ihn geschlagen.

Um 6 Uhr erschien der Postillion Antoine in der Stube der Postknechte. Er bat sie, die oberen Räume zu beheizen. Es sei sehr kalt. An seiner Hand bemerkten die Knechte Blut. Sie dachten, es rühre daher, dass er den Jungen geschlagen habe.

Der gleiche Postillion hatte am Vortag noch getönt, man wolle bereits um 5 Uhr in der Früh wieder abreisen. Nun zeigte die Uhr aber schon 9 Uhr an, als sich der Tross endlich in Bewegung setzte.

Beobachtungen am Fenster

Posthalter Lahmer beobachtete vom Fenster aus, wie die Gäste die Kutsche beluden. Dabei fiel ihm auf, dass sich einer der Postkutscher, der Junge und die Dame mit einem großen, schweren Bündel abmühten, welches sie ins Fuhrwerk hievten.

Seltsam. Solch einen Gegenstand hatten sie gestern gar nicht ins Haus gebracht. Und wieso musste ausgerechnet die Frau mit anpacken? Wo war der zweite Postillion abgeblieben?

Die Kutsche fuhr schließlich ab. Der Posthalter eilte zusammen mit den Knechten zu den Quartieren der Gäste. Keine Spur von dem vermissten Postkutscher. Stattdessen fanden sie in dem Zimmer, in dem die junge Dorothea Blankenfeld geschlafen hatte, jede Menge Blutflecken vor. Neben ihrem Bett auf dem Fußboden. An der Wand. Und auch am Bettzeug selbst.

Postmeister Lahmer nahm nun an, dass sein Haus in dieser Nacht Schauplatz eines Verbrechens gewesen war. Er eilte zum Patrimonialgericht des Grundherrn von Meitingen und zeigte die mutmaßliche Tat an. Sofort sandte man berittene Gerichtsdiener aus, um die Verdächtigen festzunehmen.

Endstation Augsburg

Die Polizeikräfte konnten die Flüchtigen jedoch erst am Gögginger Tor in Augsburg stellen, etwa 25 Kilometer entfernt von Meitingen. Das Bündel lag immer noch in der Kutsche. Die Beamten öffneten es und fanden den blutverschmierten Leichnam einer jungen Frau.

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Von unbekannt – Augsburger Allgemeine, Bild-PD-alt, Link
Das Gögginger Tor vor dem Abriss

Die Polizisten konfrontierten die drei Wageninsassen mit dem Fund. Während der Mann und die Frau zunächst schwiegen oder Ausflüchte zum Besten gaben, redete der Pferdejunge wie ein Wasserfall.

Bei der Toten handele es sich um Dorothea Blankenfeld, die mit ihnen von Dresden nach Meitingen gereist sei. Der Mann in der Postillions-Uniform sei sein Schwager Joseph Antonini, die Frau seine Schwester Maria Therese Antonini. Er selbst heiße Carl Marschall.

Verdorbenes Früchtchen

Der Junge behauptete, die Frau gemeinsam mit seinem Schwager getötet zu haben. Doch das Ehepaar leugnete jegliche Tatbeteiligung. Carl Marschall habe die bedauernswerte Dorothea Blankenfeld ohne ihr Mitwissen ermordet. Therese Antonini habe lediglich ihren Bruder vor Strafverfolgung schützen wollen und deshalb habe man geholfen, die Tat zu vertuschen.

Der Junge sei ohnehin ein ausgesprochen verdorbenes Früchtchen. Er habe schon seinen Vater ermordet und seine Schwester erstechen wollen. Sie hätten ihm nochmals eine Chance geben wollen und für die Reise als Pferdejunge angestellt. Doch sie hätten vergeblich auf Besserung gehofft, wie die Leiche in der Kutsche eindeutig beweise.

Die Leichenschau

Die Behörden führten eine Leichenschau durch. Die Obduktion zeigte, dass der Täter mit einem stumpfen Gegenstand zugeschlagen hatte. Insgesamt zählte der Arzt neun Kopfwunden.

Die Hirnschale wies einen großen Sprung auf. Der Riss erstreckte sich vom oberen Stirnbein über die linke Schädelseite im Halbkreis bis zum Schläfenbein. Vereinfacht ausgedrückt: Die Bruchkante verlief über die gesamte linke Stirn bzw. Schläfe. Außerdem war es zu zahlreichen Hirnblutungen gekommen.

Im Autopsiebericht hieß es zur Todesursache: „Die vielen beträchtlichen Wunden, und vorzüglich die große Menge von extravasirtem Geblüte, welches auf dem Gehirn gefunden worden und durch seinen Druck alle Lebensthätigkeit aufgehoben; die äussere Verblutung und die Blutanhäufung in den edlen innern Theilen; endlich die gewaltsame Erschütterung des Gehirns, hätten den unvermeidlichen Tod herbeiführen müssen.“

Aber: „Jedoch glaube er geradezu behaupten zu dürfen, daß die grausam Gemarterte nicht sogleich an den Wunden gestorben, sondern ihr Tod durch eine fortgesetzte gewaltsame Behandlung unter diesen Umständen noch beschleunigt worden sey.“

Zudem stellte der Arzt noch fest, dass das rechte Schlüsselbein gebrochen war. Die Hände des Opfers wiesen Hautabschürfungen auf und waren angeschwollen.

Geständnisse

Die Beamten konnten nicht so recht glauben, dass der 14-jährige Junge die Tat alleine begangen hatte. Aber das Ehepaar Antonini leugnete zunächst hartnäckig jede Mitschuld. Erst nach 19 Verhören gab zumindest Therese Antonini den Widerstand auf und bestätigte im Wesentlichen die Schilderungen ihres Bruders.

Ihr Ehemann äußerte sich zwar irgendwann auch zu dem Tatablauf. Bis zum Schluss legte er jedoch kein umfassendes Geständnis ab. Stattdessen tischte er den Beamten immer wieder neue Erzählungen darüber auf, was in der Mordnacht geschehen war und wie es überhaupt zu der Tat gekommen war.

Postillion aus Messina

Der 30-jährige Joseph Antonini war in Messina auf Sizilien zur Welt gekommen. Sein Vater war Tuchmacher, er selbst lernte Perückenmacher. Im Alter von elf oder zwölf Jahren, so Antonini, sei er angeblich auf einer Seereise nach Neapel von algerischen Piraten entführt worden.

Die Freibeuter hätten ihn auf einem Sklavenmarkt verkaufen wollen. Doch vor der ägyptischen Küste sei der Piratenkahn von einem französischen Kriegsschiff geentert worden. So habe er die Freiheit wiedererlangt und sei über Griechenland in die Heimat zurückgekehrt.

Danach habe er als Trommelschläger bei einem korsischen Bataillon der französischen Armee gedient, in der Folge als Lohndiener, Marketender und schließlich als Postillion Arbeit gefunden. Ob das der Wahrheit entsprach? Die Polizei konnte nicht alle Angaben überprüfen. Antoninis Lebenslauf wies aus polizeilicher Sicht viele Lücken auf.

Aktenkundig

Aber eine Sache war aktenkundig: Joseph Antonini war mindestens zweimal mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Das erste Mal stand er unter Verdacht, einen Diebstahl begangen zu haben. Die Berliner Behörden ließen ihn schließlich nach Mainz überführen.

Der zweite Vorfall lag nur unlängst zurück. Im Oktober 1809 hatte die Berliner Polizei ihn und seine Frau im Verdacht, sich im Besitz gestohlener Gegenstände zu befinden. Die Antoninis konnten zumindest nicht nachweisen, dass sie die rechtmäßigen Eigentümer dieser Dinge waren. Die Beamten verhafteten daraufhin das Ehepaar, setzten es nach acht Tagen aber wieder auf freien Fuß.

Bei dieser Gelegenheit erzählte Joseph Antonini seinem Zellengenossen von einem Diebstahl, bei dem er 300 Louisdors und mehrere Brillantringe erbeutet habe. Außerdem sei er einmal erfolgreich aus dem Gefängnis in Erfurt geflohen.

Ein wildes Geschöpf

Die 26-jährige Therese Antonini und ihr 14-jähriger Bruder Carl Marschall stammten aus Berlin. Ihr Vater Johann Christian Marschall war dort Fabrikarbeiter als tätig. Der Mann war zwar bettelarm, aber immerhin noch lebendig – und nicht vom eigenen Sohn abgemurkst, wie Therese Antonini in der ersten Vernehmung behauptet hatte.

Die Polizei vernahm die Eltern, Lehrer und Bekannte der Familie Marschall. Diese bezeichneten den Jungen übereinstimmend als „gutmütig“ und „äußerst folgsam“. Therese hingegen sei seit ihrer Kindheit ein „wildes, halsstarriges, bösartiges und liederliches Geschöpf“ gewesen.

Ihren Ehemann traf sie in Berlin, als er dort als Postillion für die französische Armee arbeitete. Die beiden heirateten 1806 in Kostrzyn nad Odrą (deutsch: Küstrin) nahe der heutigen deutsch-polnischen Grenze. Wovon hatte das Paar zwischen 1806 und 1809 gelebt? Hatten sie in dieser Phase weitere Straftaten begangen? Die Polizei konnte diese Fragen nicht klären. Lediglich die bereits beschriebene Verhaftung im Oktober 1809 war den Behörden bekannt.

Nach der Haftentlassung wollte das Ehepaar in die Heimatstadt des Mannes nach Messina reisen. Joseph Antonini überredete seinen Schwager, sie auf der Reise zu begleiten. Er würde ihm unterwegs auch ein eigenes Pferd besorgen. Carls Eltern waren dagegen. Doch der sonst so „äußerst folgsame“ Junge widersetzte sich dieses eine Mal dem Willen der Eltern und schloss sich seiner Schwester an.

Falsche Papiere

Das Opfer Dorothea Blankenfeld stammte aus Friedland in Ostpreußen (heute Prawdinsk). Die russische Stadt liegt rund 50 Kilometer südöstlich von Kaliningrad (Königsberg). Die 24-jährige Frau aus bürgerlichem Hause hatte sich mit einem französischen commissaire ordonnateur – einer Art Schatzmeister im Dienste des französischen Staates – verlobt, der nun nach Wien versetzt worden war. Im November 1809 brach sie von Danzig auf, um ihm dorthin zu folgen. Das Paar wollte in der österreichischen Hauptstadt heiraten.

In Dresden legte sie einen mehrtägigen Zwischenstopp ein. Der Sekretär des dortigen französischen Statthalters war über die Heiratspläne informiert und besorgte der jungen Frau im Hôtel de Bavière in der Schlossgasse 337 (spätere Schlossstraße) eine Unterkunft. Dorothea Blankenfeld bat den Beamten darüber hinaus, ihr eine Mitreisegelegenheit nach Wien zu organisieren.

Kurz zuvor hatten sich zwei vorgebliche französische Armee-Postillione an ihn gewandt und um Reisepässe auf die Namen Antoine und Schulz gebeten. Sie waren in Richtung Italien unterwegs. Der Sekretär empfahl Blankenfeld deshalb die Mitfahrt. So sei sie bestens geschützt. Außerdem könne er ihren Namen in die Reisedokumente aufnehmen, sodass sie problemlos durch alle Kontrollen komme. Sie willigte sofort ein.

Doch wie waren die Antoninis an diese Papiere gelangt? Offensichtlich hatte sich Carl Marschall bei Antragstellung als vermeintlicher zweiter Postillion neben Joseph Antonini ausgegeben. Während der Reise hatte dann seine Schwester die Uniform angezogen und ihr Bruder war in die Rolle des Pferdejungen geschlüpft.

 

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