(6) Edmund Kemper stellt sich

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Als Edmund Kemper am 23. April 1973 in Pueblo zum Hörer griff, hatte er vielleicht erwartet, dass zehn Minuten später wildes Sirenengeheul ertönte und ein Haufen Cops mit gezückten Kanonen markige Kommandos bellten. Er wurde enttäuscht. Kemper stand ein zäher Kampf bevor, der ihn viel Kleingeld kosten sollte und einige Tütchen mit Koffeinpulver, die er in den vergangenen drei Tagen kiloweise verputzt hatte. So lange hatte er inzwischen nicht mehr geschlafen.

Die Polizei glaubt Edmund Kemper nicht

Die Beamten in Santa Cruz hörten am Telefon die Stimme des völlig übernächtigten Edmund Kempers. Der wollte ihnen nun allen Ernstes weismachen, dass er in seinem Haus einen Doppelmord begangen und dabei Mutti gekillt habe. Ach ja, und die sechs verschwundenen Studentinnen, nach deren Mörder die Polizei von halb Kalifornien fahndete, die habe er ebenfalls kaltgemacht.

Schon klar, Big Ed. Schlaf mal deinen Rausch aus, dann reden wir weiter, meinten die Polizisten. Sie wussten ja, wer am anderen Ende der Leitung war. Sie hatten mit Edmund Kemper zusammen gegessen, getrunken, geredet, gelacht. Dieses gutmütige Riesenbaby tat doch keiner Fliege was zuleide. Nun waren mit dem Jungen halt mal die Gäule durchgegangen. Der hatte sich über die Feiertage ein paar Drinks zu viel genehmigt und dachte sich: Jetzt nehme ich die Jungs vom Revier mal so richtig auf den Arm. Kam vor. Die Polizisten von Santa Cruz konnten mit solch rauen Scherzen leben.

Edmund Kemper lässt nicht locker

Ein paar Stunden später klingelte das Telefon erneut : R-Gespräch aus Pueblo. Kemper hatte sich brav an die Anweisung des Beamten gehalten, aber er erzählte nach wie vor den gleichen Stuss. Er sei ein gemeingefährlicher Killer. Er habe die Studentinnen kaltgemacht. Studentinnen, Studentinnen, Studentinnen. Immer wieder fing er mit dem Quatsch an. Er verlangte, dass ihn jemand aus Schweinebacke Pueblo abholen komme. Sofort. Langsam ging Edmund Kemper den Polizisten auf die Nerven. Der Beamte erklärte das Gespräch für beendet und legte auf.

Nun ließ Edmund Kemper nicht mehr locker und probierte den halben Nachmittag, jemanden aus dem Polizeirevier an die Strippe zu bekommen, der ihm seine Geschichte abkaufte. Er sei am Ende, fertig mit den Nerven. In seinem Wagen lägen drei Kanonen mit 200 Schuss Munition. Er könne für nichts garantieren, wenn ihn nicht bald jemand hier abholen käme. Die Cops wimmelten ihn immer noch ab.

Schließlich kam Kemper die zündende Idee, wie er die Polizisten überzeugen konnte. Er schlug vor, dass man sich mit Michael Aluffi in Verbindung setzen solle. Der habe erst vor ein paar Tagen von ihm einen Revolver Kaliber .44 beschlagnahmt. Der wisse, wo er wohne. Er könne sich doch mal dort umschauen und nachprüfen, ob an seiner Story etwas dran war.

Die Folterwerkzeuge seiner Mutter

Michael Aluffi konnte sich in der Tat noch lebhaft an Edmund Kemper und die Waffe erinnern. Erneut schickte man den Jüngsten im Team los, um nach dem Rechten zu schauen. Sobald Aluffi das Haus betrat, wehte ihm der unverwechselbare Verwesungsgeruch entgegen. Er durchsuchte die Räume. Er öffnete Schranktüren. In einem sah er schließlich jede Menge Blut und Haare. Aluffi sicherte den Tatort und verständigte die Mordkommission.

Die Ermittler fanden alles exakt so vor, wie es Edmund Kemper am Telefon beschrieben hatte. Zwei weibliche Leichen mittleren Alters. Beide enthauptet. Aus einem der Köpfe ragten Dartpfeile hervor. In der Küche entdeckten sie eine Zunge und einen Kehlkopf, die Kemper Clarnell Strandberg herausgeschnitten hatte. Die Folterwerkzeuge seiner Mutter, wie Kemper später erläuterte. »Dies erschien mir nur angemessen zu sein, nachdem sie mich so viele Jahre angemeckert, angeschrien und angebrüllt hatte.« Er hatte versucht, sie in den Müllzerkleinerer zu geben. Doch der hatte sie wieder ausgespuckt. Seine Mutter sei selbst für den Müll noch zu übel gewesen, so Kemper dazu.

Bizarre Geständnisse

Die Polizei von Santa Cruz informierte die Kollegen in Pueblo, damit sie Edmund Kemper in Gewahrsam nahmen. Staatsanwalt Peter Chang machte sich dann zusammen mit einigen Beamten auf den Weg nach Colorado, um Kemper nach Santa Cruz zu überführen. Kemper hinterließ einen gespenstischen Eindruck auf die Ermittler. Er war die Ruhe selbst. Er zeigte Verständnis, dass man ihn eingesperrt hatte. Schließlich hatte er selbst die Polizei zu Hilfe gerufen. Ihm sei bewusst, dass er hochgradig gefährlich sei und sich nicht immer unter Kontrolle habe. Die Beamten waren verblüfft aufgrund der Selbsteinsicht.

Edmund Kemper - April 1973
Edmund Kemper, 28. April 1973

Und Edmund Kemper war bereit zu reden. Die Ermittler gaben später an, er habe während dieses ersten Verhörs zweimal ausdrücklich abgelehnt, einen Anwalt hinzuziehen. Kemper würde dies anders darstellen. Er habe nach einem Anwalt verlangt, er sei ihm zunächst verweigert worden. Wie auch immer. In diesem ersten Verhör, das mehrere Stunden dauerte, gestand Kemper alle seine Morde. Er ließ kein Detail aus und schilderte minutiös, was er mit seinen Opfern angestellt hatte.

Keiner der Beamten hatte jemals im Laufe seiner Karriere etwas ähnlich Bizarres gehört. Der Horror in seiner reinsten Form. Die Geschichten würden noch schauriger werden, sobald man den Fall vor Gericht verhandeln sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Psychiater mit Edmund Kemper beschäftigt, noch tiefer gebohrt, noch mehr Unglaubliches zutage gefördert. Was sollte man bloß mit diesem gestörten jungen Mann anfangen, der so freimütig, analytisch und klug über seine gesammelten Perversitäten berichtete, fragten sich Richter, Ärzte, Polizisten und Öffentlichkeit gleichermaßen?

Edmund Kemper führt die Beamten zu den Leichenverstecken

Während des ersten Verhörs hegten die Beamten jedoch weiterhin Zweifel, ob Edmund Kemper in allen Dingen die Wahrheit sagte. Dass er seine Mutter und Sally Hallett getötet hatte, mussten sie ihm inzwischen glauben. Aber war er tatsächlich auch der Mörder der Studentinnen? Welchen Zusammenhang sollte es da geben? Damit die Ermittler sein Geständnis ernst nahmen, führte Kemper die Polizisten zu den Schauplätzen seiner Verbrechen.

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Er zeigte den Beamten die Stellen, an denen er die Überreste seiner Opfer vergraben hatte, die man bisher nicht gefunden hatte. Kemper fing mit dem Schädel von Cynthia Schall an, den er einen halben Meter tief im Rasen unter seinem Schlafzimmerfenster verscharrt hatte. Einem der Ermittler sagte er, er habe sie bewusst dort begraben. So musste Cynthia Schall immer zu ihm aufblicken. Sie gehörte ganz und gar ihm. Das sei überhaupt sein Motiv gewesen, all die Frauen zu töten. Er habe das Gefühl geliebt, seine Opfer und ihre Körper vollständig für sich zu besitzen. Ganz ähnlich hatte sich der Serienmörder Ted Bundy in den Verhören hinsichtlich seiner Motivation geäußert. Auch bei ihm bestimmte der Begriff »Besitz« sein gesamtes Handeln.

Ausgetrickst vom Serienmörder Edmund Kemper

Die Ermittler begriffen allmählich, warum ihnen der »Co-ed Butcher« so lange entkommen konnte. Kemper hatte ständig an den Orten rumgelungert, an denen sich Polizisten aufhielten. Sie hatten offen vor ihm gesprochen. Hatten erzählt, welche Spuren sie entdeckt hatten, welchen Hinweisen sie nachgingen, welche Fallen sie dem Täter stellen wollten, welche Ermittlungsstrategie man verfolgte. Kemper wusste über jeden Schritt der Polizei Bescheid und konnte sie so austricksen.

Die Polizisten hatten schwer daran zu schlucken. Nicht nur, weil Edmund Kemper ihr Vertrauen missbraucht und sie aufs Kreuz gelegt hatte. Jeder Polizist hielt sich etwas auf seine Menschenkenntnis zugute. Sie hörten tagtäglich so viele Lügen, dass sie mit der Zeit feinste Antennen für Schwindel jeglicher Art entwickelten. Bei Kemper hatte ihr Warnsystem versagt.

Kemper war ein angenehmer Zeitgenosse, der richtig was auf dem Kasten hatte und zu dem man schnell Vertrauen fasste. Wahrscheinlich war dies auch der Schlüssel gewesen, warum er die Studentinnen auch noch in seinen Wagen locken konnte, als der »Co-ed Butcher« bereits das Gesprächsthema Nummer eins an der Westküste war, speziell unter jungen Leuten, die es in erster Linie betraf. Die Frauen waren misstrauisch. Die Frauen hatten Angst. Und dennoch war es Kemper gelungen, diese Zweifel zu zerstreuen.

Erschütternde Erkenntnisse

Einige Beamte trafen Kempers Enthüllungen besonders hart. Terry Medina beispielsweise lebte nur wenige Hundert Meter von der Stelle entfernt, an der Kemper die Überreste von Aiko Koo beseitigt hatte. Dieses Monster musste an seinem Haus vorbeigekommen sein, in dem seine Frau und Töchter tagsüber alleine waren, ging es Medina durch den Kopf.

Jim Conner wiederum hatte einen persönlichen Bezug zu einem der Opfer. Die 19-jährige Studentin Cindy Schall, die Kemper dazu verdammt hatte, stets zu ihm aufzuschauen, war viele Jahre der Babysitter seiner Kinder. Und er hatte zusammen mit ihrem Mörder in der Kneipe gehockt, getrunken und gelacht, auch noch nach dem 7. Januar 1973, dem Tag, an dem Cindy Schall starb.

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Der Co-ed Killer stellt sich der Polizei - Edmund Kemper (6/10)
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Der Co-ed Killer stellt sich der Polizei - Edmund Kemper (6/10)
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Der Serienmörder Edmund Kemper stellt sich der Polizei und führt sie zu den Leichenverstecken seiner Opfer.

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