Der verdächtige Leonard Christopher saß am 6. September 1990 im Gefängnis ein, als man an diesem Tage die Leiche von Michelle Martin fand. Sie war 30 und lebte im vierten Stock eines Mietshauses in der Arrott Street, nicht weit von der Frankford Avenue entfernt. Für die Polizei war die Frau zudem keine Unbekannte. Denn es handelte sich um jene Rivalin, mit der sich das Mordopfer Jeanne Durkin in der Nacht vor ihrer Ermordung um eine Decke gestritten hatte.
Die Polizei fand sie am Samstagnachmittag auf dem Boden liegend vor. Der Täter hatte ihr 23 Mal in Brust und Bauch gestochen. Wieder einmal deuteten die Spuren darauf hin, als habe der Frankford Slasher zugeschlagen. Es gab keine Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen in die Wohnung. Der Täter hatte keine Tatwaffe am Schauplatz des Verbrechens zurückgelassen. Dieser Tatort war nur drei Blocks entfernt von der Stelle, an der Carol Dowd getötet worden war. Und Theresa Sciortino war quasi eine Nachbarin gewesen.
Kneipengängerin
Martin wurde als trinkfeste, paranoide Einzelgängerin beschrieben. Manche Bekannte nannten sie „Crazy Michelle“. Sie war als spleenig verschrien. Manchmal verbarrikadierte sie sich in ihrer Wohnung. Ein anderes Mal schmiss sie Möbel aus dem Fenster, ohne darauf zu achten, ob jemand unten vorbeiging. Martin war eine große Blondine, die meist mit schmutzigen Jeans und Sweatshirt bekleidet war.
Sie war Single und besuchte häufig dieselben Bars, in denen sich auch die übrigen Mordopfer aufgehalten hatten. Sie zog von einer Kneipe zur nächsten. Manchmal verkaufte sie Brezeln auf der Straße, um sich ein paar Dollar zu verdienen. Aber meistens betrank sie sich nur den ganzen Tag. Ein Zeuge behauptete, sie anderthalb Tage vor ihrem Tod in Begleitung eines weißen Mannes gesehen zu haben. Die beiden verließen gerade eine Kneipe. Nachbarn bezeugten, dass sie häufiger mit wechselnden Männerbekanntschaften in ihre Wohnung zurückgekehrt war.
Zweifel an Christophers Schuld
Das Verbrechen säte verständlicherweise Zweifel, ob die Polizei tatsächlich den richtigen Täter verhaftet hatte. Leonard Christopher hatte nun mal keinerlei Ähnlichkeiten mit dem weißen Begleiter mehrerer Frauen. Zudem lautete die damals gängige Theorie, dass sich Serienmörder ihre Opfer fast ausschließlich innerhalb der eignen Ethnie und Rasse suchten. Diese Erkenntnis ist zwar von der Realität etwas überholt worden. Aber es war schon auffällig, dass alle getöteten Frauen Weiße waren.
Auch die Polizei schien nicht endgültig von Christophers Schuld überzeugt zu sein. Sie entsandten verdeckte Ermittler nach Frankford. Sie sollten die Gegend überwachen und speziell nach Frauen Ausschau halten, die die Bars der Gegend besuchten und den bisherigen Opfern ähnelten.
Alle Spuren verlaufen im Sande
Gab es Männer, die sich auffällig verhielten? Die den Frauen nachstellten? Die gab es in der Tat. Es gerieten rund 50 Verdächtige auf den Radarschirm der Polizei. Zwei Männer stellte man unter intensivere Beobachtung. Doch da der Frankford Slasher sich weder an ein klares Zeitschema noch an einen bestimmten Opfertypus hielt, gestalteten sich die Ermittlungen schwierig. Was sollten die Kriterien sein, an denen die Beamten den gesuchten Serienmörder erkennen sollten? Es war ein Arbeiten im Blindflug.
Den Ermittlern kam es zudem seltsam vor, dass in keinem einzigen der Fälle irgendjemandem ein Mann mit stark blutbefleckter Kleidung aufgefallen war. Alle Opfer waren brutal erstochen worden. Das Blut war dabei heftig gespritzt. Die Kleidung des Mörders musste stark verunreinigt gewesen sein.
Der einzige wirklich konkrete Beweis war der blutige Schuhabdruck. Die Polizei konnte Fabrikat und Schuhgröße ermitteln. Doch als sie die Abdrücke mit dem Schuhwerk von Leonard Christopher überprüften, gab es keine Übereinstimmung. Nichtsdestotrotz begann im November des Jahres 1990 der Mordprozess gegen den Mann. Einen besseren Verdächtigen hatte die Polizei bis dato schlichtweg nicht gefunden.
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