(2) Bombenstimmung

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Am 29. März 1951 ließ es der »Mad Bomber« George Metesky dann zum ersten Mal richtig krachen. Er suchte sich als Anschlagsziel die belebte Grand Central Station inmitten von Manhattan aus. George Metesky hatte die Bombe auf der unteren Ebene des Bahnhofs in einem Ascher versteckt, der mit Sand gefüllt war. Die zahlreichen Pendler, die den Bereich wie jeden Tag frequentierten, kamen mit dem Schrecken davon. Der Sprengsatz explodierte, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten.

Die nächsten drei Bomben versteckte George Metesky jeweils in einer Telefonzelle:

  • im April 1951 in der New York Library
  • im August 1951 wieder in der Grand Central Station
  • im Oktober 1951 erneut in der Zentrale der Consolidated Edison am Irving Place. Gleichzeitig traf auch in einer Con Edison-Filiale in White Plains ein explosives Päckchen ein, das allerdings im Unterschied zu den anderen Sprengsätzen nicht zündete.
George Metesky - New York Public Library
New York Public Library
Quelle: Didier B Sam67fr, en.wikipedia.org

Vorliebe für Wollsocken

Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Opfer zu beklagen waren. Die Beamten des Entschärfungskommandos hatten die Bausätze genauer untersucht. Sie entsprachen zweifellos der Handschrift des Attentäters, der es in den 1940ern auf Consolidated Edison abgesehen hatte. Es handelte sich ausschließlich um mit Schießpulver gefüllte Rohrbomben. Die Bombenbehälter waren zwischen 10 und 25 Zentimeter lang, der Durchmesser betrug 1-5 cm. In der Regel verwendete der »Mad Bomber« einen Zeitschalter, den er aus billigen Taschenuhren und Taschenlampenbatterien fertigte.

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Bauteile der Bomben, welche die Polizei später beim Täter sicherstellte

Die Ermittler lernten auch rasch, wonach sie an einem Tatort Ausschau halten mussten, um einen Sprengsatz des »Mad Bomber« eindeutig zu identifizieren, nämlich nach einer Wollsocke. George Metesky benutzte die Socken, um die Bomben darin einzuwickeln und unauffällig transportieren zu können. Außerdem konnte er sie so leichter an einem Geländer oder einem Vorsprung anbringen. Die Beamten bemerkten allerdings, dass der »Mad Bomber« die zurückliegenden neun Jahre genutzt hatte, um seine Fertigkeiten zu verbessern. Die Bomben waren nun raffinierter konzipiert und verfügten über eine wesentliche größere Zerstörungskraft – eine beunruhigende Entdeckung.

Das nächste Bekennerschreiben

Und am 22. Oktober 1951 meldete sich der »Mad Bomber« auch wieder persönlich zu Wort. Die »New York Herald Tribune« erhielt ein Bekennerschreiben, das ohne Zweifel aus seiner Hand stammte: »Es werden so lange weitere Bomben folgen, bis man die Firma Consolidated Edison wegen der heimtückischen Verbrechen, die sie mir angetan hat, zur Verantwortung zieht. Alle anderen Mittel habe ich ausgeschöpft. Die Bomben sollen andere Menschen dazu bringen, für meine Person Gerechtigkeit einzufordern.«

Am Ende des Briefes hatte George Metesky noch einen Hinweis an die Polizei von New York angefügt. Er habe zwei weitere Bomben in der Stadt versteckt. Eine fände sich im »Paramount Theater«, einem Kino am Times Square, und eine zweite in einer Telefonzelle an der Pennsylvania Station. Erstere konnte das Entschärfungskommando bergen, die zweite Bombe am Bahnhof blieb unentdeckt. George Metesky ließ gerade einmal einen Monat verstreichen, bis er am 28. November 1951 das nächste Attentat verübte. Es war inzwischen die siebte Bombe, die George Metesky 1951 hochgehen ließ. Dieses Mal versteckte er sie in einem Münzschließfach an einer U-Bahn-Station auf der 14th Street.

Verräterische Buchstaben

Kurz vor Jahresende erhielt der »New York Herald Tribune« einen weiteren Brief von George Metesky: »Haben Sie die Bomben in Ihrer Stadt bemerkt? Falls Sie sich Sorgen machen sollten, tut mir das leid. Das gilt auch, falls sich jemand verletzen sollte. Aber ich habe keine andere Wahl, solange mir nicht Gerechtigkeit widerfährt. Mir geht es nicht gut und dafür werde ich Con Edison büßen lassen. Ja, sie werden ihre heimtückischen Taten noch bereuen. Ich werde sie vor die Schranken des Gerichts zwingen. Die Öffentlichkeit wird ihr schändliches Treiben verurteilen. Passen Sie gut auf, ich werde in naher Zukunft noch mehr Sprengsätze unter Kinositzen platzieren. F.P.«

Die meisten der Nachrichten verfasste der »Mad Bomber« inzwischen mit Bleistift und in Blockbuchstaben. Das Schriftbild war nach wie vor akkurat. Doch die Handschrift gab auch einige verräterische Details preis, die dem geübten Blick der Ermittler nicht entgingen. Die Buchstaben W, G und Y wirkten fast schon schlampig im Vergleich zur übrigen Schrift. Sie waren auffällig gebogen und standen etwas schräg im ansonsten kerzengeraden Textbild. Nach Ansicht der Briefe äußerten Schriftsachverständige die Vermutung, dass der Täter in Europa aufgewachsen und zur Schule gegangen war.

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Handschriftenprobe aus einem der Briefe des „Mad Bomber“

Gründung einer Sondereinheit

Dass der »Mad Bomber« einen speziellen Groll gegen das Unternehmen Consolidated Edison hegte, war schlichtweg nicht zu übersehen. Die Kripo konzentrierte daher ihre Untersuchung zunächst erneut auf die Personalakten der Firma. Als die Suche fruchtlos verlief, dehnten die Ermittler ihre Suche auf Klageschriften von renitenten Bürgern aus, die am Gericht anhängig waren. Zusätzlich überprüfte man die Unterlagen der psychiatrischen Anstalten im Großraum New York sowie die Schülerverzeichnisse von Berufsschulen, an denen Material und Know-how vorhanden waren, um solche Bomben herzustellen.

Gleichzeitig bekam die Polizei Hunderte von Hinweisen, denen sie nachgehen musste. Bürger verpfiffen ihre Nachbarn, die ihnen irgendwie schräg vorkamen. Leute schwärzten ihre Kollegen an, weil die sich ein wenig zu gut mit Bomben auszukennen schienen. Innerhalb der New Yorker Polizei schuf man eigens eine Abteilung, die sich ausschließlich mit dem Fall des »Mad Bomber« beschäftigte – die »Bomb Investigation Unit«. Anders wäre die Vielzahl an Spuren nicht mehr abzuarbeiten gewesen.

Fehlalarm

Die Ermittlungen wurden zusätzlich erschwert, weil sich die Zahl der Fehlalarme und Bombenattrappen massiv erhöhte. Im Oktober 1951 musste das NYPD beispielsweise den Wartesaal der Grand Central Station räumen. Ein anonymer Anrufer hatte telefonisch vor einem Anschlag gewarnt. Die Beamten durchsuchten an diesem Tag insgesamt 3.000 Schließfächer, von denen 1.500 in Gebrauch waren. Und für diese benutzen Fächer gab es nur einen einzigen Generalschlüssel. Der zuständige Beamte vom Entschärfungskommando ertastete in jedem Spind den Inhalt, während seine Kollegen einen tragbaren Röntgenapparat bereithielten. 35 Beamte des NYPD waren drei Stunden lang im Einsatz. Die Polizisten reagierten reichlich angesäuert, als sie feststellten, dass sich der Anrufer einen vermeintlichen Scherz mit ihnen erlaubt hatte.

Einer der Scherzkekse, die die Polizei von New York gehörig auf Trab hielten, ging ihnen noch 1951 in die Falle. Er hatte einem Personaldirektor der Con Edison eine Bombenattrappe mit der Post geschickt. Als der Bombenräumdienst den Inhalt überprüfte, stellte sich heraus, dass das Rohr nur Zucker enthielt. Die Spuren führten zu einem gewissen Friedrich Eberhardt, der in früheren Jahren für Consolidated Edison gearbeitet hatte und im Unfrieden geschieden war. Wie die weiteren Ermittlungen ergaben, handelte es sich bei Eberhardt nicht um den berüchtigten »Mad Bomber«.

Der Staatsanwalt war dennoch mächtig angefressen und wollte ein Exempel statuieren. Eberhardt hatte mehrere dieser Attrappen in der Stadt herumgeschickt. Jedes Mal war ein aufwendiger Polizeieinsatz vonnöten. Der Ankläger forderte eine gesalzene Strafe, die potenzielle Nachahmer abschrecken sollte. Der Richter ordnete hingegen vorübergehende Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt an. Die Psychiater sollten Eberhardt zunächst einmal untersuchen, ob er überhaupt zurechnungsfähig war.

Nach wenigen Monaten wurde das Verfahren eingestellt. Der Verteidiger von Eberhardt hatte überzeugend dargelegt, dass überhaupt keine rechtliche Grundlage existierte, den Mann zu bestrafen. Schließlich hatte er lediglich ein Rohr mit Zucker verschickt. Ohne Drohschreiben à la »Dies ist eine Bombe«, ohne telefonische Bombenwarnung. Jeder Bürger durfte nach Lust und Laune Zucker verschicken, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Juristisch gesehen mochte das stimmen. Aber der »Mad Bomber« manövrierte New York in den 1950ern in einen Zustand dauerhafter Angst. Dass ein Bürger da beim Anblick eines verdächtigen Stücks Rohr nicht gleich an eine gefährliche Bombe dachte, war praktisch ausgeschlossen. Denn George Metesky sorgte in den kommenden Jahren dafür, dass die Stadt ihn nicht so schnell vergessen würde.

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Ausführlicher Artikel über den "Mad Bomber" George Metesky. Kapitel 2: 1951. Nach 9 Jahren Pause beginnt die rätselhafte Anschlagsserie erneut.
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