Soweit sich das aus heutiger Sicht sagen lässt, begann Rodney Alcalas kriminelle Karriere im Jahre 1968. Am Morgen des 25. September sprach er mitten auf dem Sunset Boulevard in Hollywood ein achtjähriges Mädchen an. Tali Shapiro konnte sich später nur noch darin erinnern, dass ein Fremder in einem Auto neben ihr hielt, als sie sich gerade auf dem Weg zur Schule befand. Er versprach Tali, ihr ein wunderschönes Bild zu zeigen, wenn sie zu ihm ins Auto steige.
Dies sollte Alcalas typische Vorgehensweise bleiben, um seine Opfer in die Falle zu locken. Er bequatschte sie. Er ließ immer wieder den professionellen Fotografen heraushängen, der nur seriöse Absichten hegte. Er manipulierte seine Opfer. Bis sie genügend Vertrauen geschöpft hatten und sich auf seine Vorschläge einließen. Wenn er sie dann an einen einsamen Ort gelotst hatte, wo es keine Zeugen mehr gab, schlug Rodney Alcala brutal zu.
Ein aufmerksamer Zeuge
Doch an diesem Septembermorgen lief nicht alles so, wie es Rodney Alcala sich ausgemalt hatte. Denn ein aufmerksamer Zeuge hatte die Szene beobachtet. Die Unterhaltung zwischen dem erwachsenen Mann und dem Kind erschien ihm irgendwie merkwürdig. Offensichtlich kannten sich die beiden nicht. Und dem Augenzeugen fiel auf, dass das Mädchen recht zögerlich in den Wagen einstieg. Der aufmerksame Beobachter wendete inmitten des Berufsverkehrs seinen Wagen und nahm die Verfolgung des Fremden auf.
Die Fahrt dauerte nur einige Minuten und führte in die De Longpre Avenue, die wenige Blocks vom Sunset Boulevard entfernt lag. Der Wagen hielt vor einem Mietshaus. Als der Mann und das Kind ausstiegen, bemerkte der Zeuge erneut, dass sich das Mädchen recht unsicher bewegte. Es folgte dem jungen Mann mit schleppendem Schritt in ein paar Metern Abstand. Es wirkte so, als fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut. Sobald die beiden aus seinem Blickfeld verschwunden waren, suchte der Zeuge umgehend eine Telefonzelle auf und benachrichtigte die Polizei. Glücklicherweise nahm der Beamte den Anrufer ernst und reagierte sofort.
Der Trockenduscher
Zehn Minuten später traf eine Streife vor dem Haus in der De Longpre Avenue ein. Der Polizeibeamte ließ sich vom Zeugen die Wohnung zeigen, in der er den Mann mit dem Kind vermutete. Der Polizist klopfte an die Tür des Apartments. Es dauerte geraume Zeit, bis er hinter einem Fenster neben der Eingangstür eine männliche Person wahrnahm. Der Mann war augenscheinlich nackt. Er behauptete, gerade unter der Dusche gewesen zu sein. Er bat den Polizisten, ihm noch ein paar Sekunden zu geben, bis er sich etwas übergezogen habe.
Der Streifenbeamte wartete. Und während er vor der Tür verharrte, dämmerte ihm, dass der junge Mann am Fenster nicht im Geringsten nass gewesen war. Unter der Dusche gewesen. Von wegen. Der Polizist hämmerte an die Tür. Keine Reaktion. Der Polizist trat die Tür ein.
In allerletzter Sekunde
Der Anblick, der sich ihm dann darbot, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. Er fand das Mädchen auf dem Küchenboden. Sie lag leblos in einer riesigen Blutlache und atmete nicht mehr. Der Beamte konnte nicht glauben, dass all dieses Blut aus dem kleinen Körper vor ihm stammen sollte. Aber es gab keine andere Erklärung. Der geschockte Polizist rief einen Rettungswagen, obgleich er sich wenig Hoffnung machte. Die Hilfe würde zu spät kommen. Das Mädchen musste tot sein. Zum Glück irrte er sich.
Das zuständige Krankenhaus befand sich in derselben Straße, die Ambulanz war in wenigen Minuten vor Ort. Der Notarzt konnte einen schwachen Puls fühlen und kümmerte sich sofort um die klaffende Wunde am Hinterkopf des Mädchens, aus der das meiste Blut austrat. Keine Viertelstunde später lag das Kind bereits auf dem OP-Tisch. Das schnelle Handeln aller beteiligter Personen rettete Talis Leben. Zwar sollte es noch ein halbes Jahr dauern, bis sie schließlich das Krankenhaus verlassen konnte, aber zu dem Zeitpunkt waren zumindest die körperlichen Wunden vollständig verheilt. Welche seelische Schäden Tali zurückbehielt, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand beantworten.
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