(7) Ein Urteil mit fatalen Folgen

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Zwei Monate später sollte Rodney Alcalas Glückssträhne in New Hampshire reißen – zumindest vorübergehend. Während der Semesterferien in den vergangenen beiden Jahren hatte er einen Kurs bei einem Theaterworkshop geleitet. Der Workshop fand in einem kleinen Kaff namens Georges Mills in New Hampshire statt. Die Tätigkeit als Dozent bereitete ihm so viel Spaß, dass er seine erneute Mitarbeit auch nach Beendigung des Studiums zugesagt hatte. Das sollte sich rächen.

Die zehn meistgesuchten Gangster der USA

Denn zwei Teilnehmerinnen des Workshops suchten eines Nachmittags das Dorf auf. Sie wollten lediglich ein paar Postkarten in den Briefkasten schmeißen. Doch sie wurden von einem heftigen Gewitterschauer überrascht. Sie suchten Unterschlupf in dem kleinen Postladen. Während sie das Ende des Sommergewitters abwarteten, studierten sie gelangweilt die Auslagen und Broschüren. Da fiel ihr Blick auf ein Fahndungsplakat des FBI. Die zehn meistgesuchten Gangster der USA. Die Mädchen rissen Witze über die hässlichen Verbrechervisagen. Bis beide plötzlich verstummten.

Rodney Alcala - FBI 1971
Rodney Alcala, Fahndungsplakat FBI, 1971

Auf einem der Bilder blickte ihnen nämlich ein wohlvertrautes Gesicht entgegen. Das ihres Dozenten John Berger. Der Mann auf dem Foto wirkte zwar jünger, die Frisur war anders. Aber es waren unverkennbar seine markanten Augen, die ihnen dort entgegenblitzten. Doch unter dem Foto stand ein völlig anderer Name: Rod James Alcala.

Rodney Alcala - FBI 1971
Rodney Alcala, Fahndungsplakat FBI, Ausschnitt

Die Mädchen konnten sich nicht vorstellen, dass ihr charmanter Lehrer in Wahrheit ein gefährlicher Verbrecher sein sollte. Vielleicht war es nur eine Art Doppelgänger. Solche verblüffenden Ähnlichkeiten gab es ja zuweilen. Dennoch unterrichteten sie den Veranstalter des Workshops über ihre Entdeckung. Schließlich ging es um die Vergewaltigung eines kleinen Mädchens, wie sie dem Fahndungsplakat entnommen hatten. Der Veranstalter sah das ähnlich und benachrichtigte umgehend das FBI.

Die Tarnung fliegt auf

Es dauerte lediglich bis zum nächsten Tag und Alcalas Tarnung, die ihn drei Jahre geschützt hatte, flog auf. Ein Vergleich der Fingerabdrücke brachte Gewissheit. Aber wie war Alcala auf das Fahndungsplakat des FBI geraten? Steve Hodel hatte der ungeklärte Fall keine Ruhe gelassen, auch nach drei Jahren nicht. Es hatten sich in diesem Zeitraum keinerlei neue Hinweise auf den Verbleib des Flüchtigen ergeben. Dass Rodney Alcala irgendwo weit entfernt von Los Angeles ein neues Leben begonnen hatte, war inzwischen nur allzu klar. Hodels einzige Hoffnung war, dass der Täter die USA noch nicht verlassen hatte. Also bat er das FBI um Amtshilfe. Vielleicht würde eine landesweite Fahndung den entscheidenden Hinweis bringen. Und Hodels Kalkül ging auf.

Mildernde Umstände

Endlich musste sich Rodney Alcala für sein schreckliches Verbrechen an der kleinen Tali vor einem Gericht verantworten. Doch die Familie von Tali Shapiro lebte inzwischen in Mexiko und weigerte sich, wieder nach Los Angeles zurückzukehren. Der Prozess fand also ohne die Zeugenaussage von Tali Shapiro statt. Am Ende entschieden die Geschworenen aufgrund der Beweislage, dass Rodney Alcala lediglich ein versuchter Kindesmissbrauch nachzuweisen war. Das Gericht verurteilte daraufhin den Angeklagten Rodney Alcala zu einer Gefängnisstrafe von 34 Monaten. Für die Ermittlungsbehörden von Los Angeles stellte das Urteil eine herbe Enttäuschung dar. Nach nur zwei Jahren wurde Rodney Alcala wegen guter Führung auf Bewährung entlassen.

Fairerweise muss man hinzufügen: Es waren die 1970er. Der Resozialisationsgedanke war groß in Mode. Hatte Rodney Alcala nicht bewiesen, was für ein fleißiger und brillanter Student er sein konnte? Konnte man also nicht davon ausgehen, dass er sich noch als nützliches Mitglied der Gesellschaft erweisen sollte? Und war er in den drei Jahren nach dem Verbrechen an Tali nicht immer ein braver, gesetzestreuer Bürger gewesen? Noch ahnte ja niemand, dass er Cornelia Crilley ermordet hatte. Rodney Alcala war ein gewiefter Blender, der andere Menschen geschickt zu manipulieren wusste. Offensichtlich gaben diese Faktoren letztlich den Ausschlag, dass der Richter zu seinem überraschend milden Urteil gelangte.

Ohne den Hauch eines Skrupels

Was er allerdings bei der Urteilsfindung nicht beachtete: Rodney Alcala hatte seine Tat präzise geplant. Er musste sich sehr genau bewusst gewesen sein, was er da vorhatte. Und dennoch hatte er die Nummer ohne den Hauch eines Skrupels durchgezogen. In den wenigen Minuten, die er mit dem Mädchen alleine in der Wohnung verbracht hatte, war er mit äußerster Brutalität vorgegangen. Die Hantel, mit der Rodney Alcala Tali Shapiro niedergeschlagen hatte, fanden die Beamten in der Küche wieder. Die Metallstange lag quer über dem Kehlkopf des Mädchens und schnürte ihm die Luft ab.

Nach der Spurenlage am Tatort hatten die Ermittler keinerlei Zweifel, dass Rodney Alcala den Tod des Mädchens in sein Szenario fest einkalkuliert hatte. Der Bursche würde vor einem eiskalten Mord nicht zurückschrecken. Die Kriminalbeamten sollten mit ihrer düsteren Prognose recht behalten. Das milde Urteil war letzten Endes eine Entscheidung mit fatalen Folgen, wie sich noch herausstellen sollte.

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