(6) Cornelia Crilley

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Am 12. Juni 1971 klingelte gegen fünf Uhr nachmittags im Büro des jungen New Yorker Staatsanwalts Leon Borstein das Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldete sich die aufgeregte Mutter seiner Verlobten Cornelia Crilley. Cornelia war verschwunden! Borstein versuchte seine Schwiegermutter in spe zu beruhigen. Sie sollte ihm erst einmal erklären, was genau passiert sei. Mutter und Tochter Crilley telefonierten regelmäßig, häufig mehrfach täglich. So hatten sie auch an diesem Dienstag bereits zweimal miteinander gesprochen. Schließlich war es ein besonderer Tag im Leben von Cornelia Crilley.

Die TWA-Stewardess zog mit zwei Kolleginnen in eine neue Wohnung um. Nun, genau genommen musste Cornelia den Umzug alleine bewältigen, weil ihre Mitbewohnerinnen kurzfristig für einen Flug eingeteilt worden waren. Für 14.00 Uhr hatten die Crilleys ein weiteres Telefonat verabredet. Doch Cornelia war nicht mehr an den Apparat gegangen, selbst als ihre Mutter es alle fünf Minuten probierte. Inzwischen machte sich die Frau große Sorgen.

Leon Borstein kämpfte sich daraufhin durch den Berufsverkehr von Brooklyn nach Manhattan zur 427 E 83rd Street, der neuen Adresse seiner Verlobten. Da sie auf sein Klingeln nicht reagierte, suchte Borstein das nächste Polizeirevier auf. Als Staatsanwalt kannte er einige der Beamten persönlich. Er konnte zwei der Polizisten überreden, ihn zur Wohnung seiner Verlobten zu begleiten. Die beiden hangelten sich die Feuertreppe hoch und schlugen ein Fenster ein. Dann die Gewissheit: Die 23-jährige Cornelia lag tot in einem der Schlafzimmer des Apartments. Gefesselt, brutal vergewaltigt und anschließend mit ihrer Nylonstrumpfhose erdrosselt.


Die vordere Haustür gehört zu Crilleys ehemaligem Wohnhaus.

 

Der Staatsanwalt gerät unter Tatverdacht

Die herbeigerufenen Kriminalbeamten konnten keine Spuren entdecken, die darauf hinwiesen, dass der Täter gewaltsam in die Wohnung eingedrungen war. Es ließen sich auch keine Zeugen auftreiben, die Cornelia Crilley an diesem Tag gemeinsam mit einem Mann gesehen hatten. Leon Borstein war lange genug bei der Staatsanwaltschaft, um zu begreifen, was das für ihn bedeutete. Er würde ab sofort als der Hauptverdächtige in diesem Mordfall gelten. Bei solch einer Spurenlage deutete alles auf eine Beziehungstat hin. Das war das kriminalistische Einmaleins. Und da von Cornelia Crilley bekannt war, dass sie extrem misstrauisch gegenüber fremden Personen war, rückte das Borstein noch mehr in den Fokus der Ermittlungen.

Zum Glück gelang es den Ermittlern nicht, Borstein den Mord anzuhängen. Denn der Staatsanwalt war unschuldig. Aber Borstein musste hilflos zusehen, wie ihn die Polizei in den nächsten Monaten in die Mangel nahm, während der Mörder seiner Verlobten unerkannt entkommen konnte. Noch Jahre später ließen die Kriminalbeamten ihn deutlich spüren, dass sie ihn – und nur ihn – im Verdacht hatten. Der Mann erlebte also in doppelter Hinsicht ein Trauma.

Bissspuren überführen den wahren Täter

Es sollte dreißig Jahre dauern, bis Beweise auftauchten, die den wahren Mörder entlarvten: Rodney Alcala. Und weitere zehn Jahre vergingen, bis dieser für das Verbrechen verurteilt wurde. Man konnte Alcala schließlich nur überführen, weil er sehr auffällige Bisswunden an der Brust der getöteten Cornelia Crilley hinterlassen hatte. Der Gerichtsmediziner war so vorausschauend, die Bissspuren zu sichern. Vielleicht wäre damit eines Tages ein Gebissvergleich möglich, so sein ursprünglicher Hintergedanke. Dem Gewebe haftete aber auch noch DNA von Alcala an. Drei Jahrzehnte nach der Tat war die Forensik so weit, dass sie diese Art von Spurenmaterial auswerten konnte.

Der Verführer

Da Alcala zunächst nicht geständig war, musste sich die Polizei ihre eigene Theorie zurechtbasteln. Gegen 12.30 Uhr hatte ein Nachbar letztmals das spätere Mordopfer lebend gesehen. Zu diesem Zeitpunkt mühte sich Cornelia Crilley in der prallen Mittagssonne mit einem schweren Sofa ab, das noch auf dem Bürgersteig stand. Sie hatte offensichtlich vor, das Möbelstück alleine in den ersten Stock zu hieven. Die Polizei mutmaßte, dass just in diesem Moment Rodney Alcala aufgetaucht sein musste. Er bot der Frau vermutlich seine Hilfe beim Tragen an.

Wie gesagt: Cornelia Crilley galt gegenüber Fremden als sehr misstrauisch. Doch Alcala war von jeher äußerst geschickt im Umgang mit anderen Menschen. Die Jahre im Greenwich Village hatten seine diesbezüglichen Fähigkeiten noch weiter verfeinert. Es war ihm wohl gelungen, Cornelias Zweifel zu zerstreuen. Und sobald er mit ihr alleine in der Wohnung war, schlug Alcala erbarmungslos zu. Es musste eine spontane, ungeplante Tat gewesen sein, bei der Rodney Alcala einfach Glück hatte. Er hatte am helllichten Tag inmitten einer belebten Großstadtstraße ein Opfer verführt, ohne dass ihn Zeugen dabei beobachtet hatten. Und er war damit davongekommen. Aus seiner Sicht hatte sich das Risiko gelohnt.

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