In Las Vegas kam John Wayne Gacy zunächst als Sanitäter bei einem Rettungsdienst unter. Dann jobbte er als Mädchen für alles in einem Beerdigungsinstitut. Von dem schmalen Gehalt konnte er sich keine eigene Wohnung leisten. Er schlief auf einer Liege gleich neben dem Raum, in dem die Leichen einbalsamiert wurden. Er schaute den Bestattern dort häufig bei ihrer Arbeit über die Schulter.
An einem der Abende, als er sich wieder einmal alleine in dem Bestattungsinstitut aufhielt, stieg er zu einem verstorbenen Jungen in den Sarg. Er gab später zu, den Leichnam gestreichelt zu haben. Doch weiter wäre er bei dieser Begegnung nicht gegangen. Nach wenigen Minuten sei ihm bewusst geworden, was er angestellt habe. Er habe sofort das Weite gesucht. Das für ihn schockierende Erlebnis habe ihn noch lange danach beschäftigt.
Rückkehr nach Chicago
Nach drei Monaten in Las Vegas strich Gacy die Segel. Was er bisher verdient hatte, reichte gerade einmal aus, um das Spritgeld nach Chicago zu begleichen. An der miesen Bezahlung würde sich nichts ändern. Ohne einen Schulabschluss oder eine vernünftige Ausbildung vorweisen zu können, würde er niemals auf einen grünen Zweig kommen.
Er rief seine Mutter an. Er bat sie, beim Vater nachzufühlen, ob er nach Hause zurückkehren dürfe. Der Senior gab sein Okay. Die Aussicht darauf, dem Sohn ständig sein Versagen vorhalten zu können, muss wie Musik in den Ohren dieses Mannes geklungen haben.
Ein geborener Verkäufer
John Gacy lernte aus seinen bitteren Erfahrungen. Er schrieb sich nach seiner Rückkehr Anfang der 1960er Jahre auf einer Handelsschule ein und holte dort 1963 seinen Abschluss nach. Auf der Schule blühte er regelrecht auf. Gacy entpuppte sich als geborener Verkäufer. Er hatte das Talent, anderen Menschen praktisch alles aufschwatzen zu können. Sein erster Arbeitgeber war der Schuhhersteller Nunn-Bush. Noch während er sich in der Ausbildung befand, bot ihm das Unternehmen bereits die Stellung als Leiter einer Filiale in Springfield (Illinois) an.
In Springfield engagierte sich Gacy sogleich in verschiedenen gemeinnützigen Vereinen. Er nahm dieses ehrenamtliche Engagement sehr ernst und opferte einen beträchtlichen Teil seiner Freizeit dafür. Seine Bekannten vermuteten dahinter ein gewisses Kalkül. Er knüpfte Kontakte, die ihm als Fremden den sozialen Aufstieg in der Stadt ebneten.
Zeit der Leiden
In dieser Phase litt Gacy erneut unter massiven gesundheitlichen Problemen. Er hatte inzwischen enorm an Gewicht zugelegt. Sein Herz machte ihm zu schaffen. Er kam zur Beobachtung ins Krankenhaus. Anschließend stellten sich Rückenprobleme ein. Er verbrachte wiederum einige Zeit in einer Klinik.
Diese drei körperlichen Leiden sollten Gacy für den Rest seines Lebens verfolgen. Herz, Rücken und Gewicht blieben seine Problemzonen. Dennoch wirkten sich die gesundheitlichen Schwierigkeiten nicht negativ auf sein Arbeitspensum aus. Gacys Terminkalender war stets randvoll.
In Springfield machte John Gacy 1964 auch seine zweite homosexuelle Erfahrung, dieses Mal allerdings freiwillig. Ein Kollege, den er aus einer der gemeinnützigen Organisationen kannte, lud ihn nach einem Treffen zu sich nach Hause ein. Die beiden betranken sich heftig. Der Bekannte bot Gacy an, auf dem Sofa zu übernachten. In der Nacht befriedigte er Gacy oral. Gacy war verwirrt, aber nicht abgestoßen.
Eine lukrative Heirat
Im September desselben Jahres heiratete John Wayne Gacy seine Arbeitskollegin Marlynn Myers. Ihren Eltern gehörten in Iowa mehrere Filialen der Fast-Food-Kette »Kentucky Fried Chicken«. 1966 bot ihm sein Schwiegervater Fred Myers eine Stellung als Geschäftsführer einer dieser Filialen an.
Sein Grundgehalt würde jährlich 15.000 US-Dollar betragen, zusätzlich versprach ihm Myers eine Gewinnbeteiligung. Inflationsbereinigt würde der Betrag heute rund 110.000 Dollar entsprechen. Ein verlockendes Angebot für einen 24-jährigen Familienvater. Das Paar zog nach Waterloo (Iowa) um.
Gacy lernte seinen neuen Job von der Pike auf. Er arbeitete durchschnittlich 12 Stunden am Tag, häufig auch 14 Stunden oder mehr. Er ging in seiner Tätigkeit völlig auf. Er hoffte, dass ihm sein Schwiegervater eines Tages die Leitung aller Läden übertragen würde. Er engagierte sich darüber hinaus erneut in gemeinnützigen Organisationen.
In Waterloo konzentrierte er seine Aktivitäten vor allen Dingen auf die Junior Chamber International, die sich um Förderung junger Erwachsener bemühte. Dort verbrachte er den Großteil seiner Freizeit und schloss die meisten neuen Freundschaften. Gacy leierte ständig ein neues Projekt an, das er betreute. Der Klub wurde zu seinem Lebensinhalt.
Swinging Waterloo
Schon bald nach dem Umzug brachte Marlynn Gacy zwei Kinder zur Welt. Das Paar hatte ein hübsches Haus in der Vorstadt bezogen. Marlynn kümmerte sich um die Kinder, John Gacy war rund um die Uhr beruflich eingespannt. Ein Mann auf dem Weg nach oben. Nach außen hin schienen die Gacys die perfekte amerikanische Familie zu repräsentieren. Es war fast schon zu perfekt, um wahr zu sein.
Hinter der glatten Fassade taten sich bei genauerem Hinsehen tatsächlich Risse auf. Die »Jaycees«, wie sich die Mitglieder der Junior Chamber International gemeinhin nannten, experimentierten in ihrer Freizeit mit Partnertausch, Porno- und Drogenkonsum herum. John Gacy war mittendrin, statt nur dabei.
Gacy richtete in seinem Haus einen Partykeller ein, in dem er einen Billardtisch aufstellte. Er lud seine oftmals noch minderjährigen Angestellten nach der Arbeit zu ein paar Partien Billard ein. Dazu servierte er reichlich Alkohol auf Kosten des Hauses.
Annäherungsversuche
Gacy schmiss sich ausschließlich an die männlichen Jugendlichen heran. Waren sie erst einmal angetrunken, machte er ihnen ein eindeutiges Angebot. Wenn sie ihn zurückwiesen, stellte Gacy die Angelegenheit so dar, als habe er nur einen Scherz gemacht.
In einer Kleinstadt wie Waterloo war es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Gerüchte die Runde machten. Hinter vorgehaltener Hand tuschelten die Leute, Gacy sei schwul. Gacy baggere Teenager an. Seine Bekannten, Kollegen und Geschäftspartner wollten diesem Klatsch anfangs keinen Glauben schenken. Dass Gacy seine Frau regelmäßig betrog, bezweifelten sie nicht. Aber mit minderjährigen Jungs? Der Gedanke erschien ihnen unvorstellbar.
Doch im Mai 1968 entpuppten sich die Gerüchte als Wahrheit. Und John Wayne Gacy, der Mann auf dem Weg nach oben, sollte tief stürzen.
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Weitere Kapitel zum Fall John Wayne Gacy
- »Pogo der Killer-Clown« – John Wayne Gacy Jr.
- (2) Die Fassade bröckelt
- (3) Der dickliche Sadist
- (4) Das Spiel ist aus
- (5) Leichen im Keller
- (6) Archäologische Ausgrabungen
- (7) Eine Kindheit in Chicago
- (8) Ein Mann auf dem Weg nach oben
- (9) Flecken auf der weißen Weste
- (10) Neuanfang in Chicago
- (11) Gacys erste Morde
- (12) Ein entfesselter Serienkiller
- (13) Serienmörder mit Platzproblemen
- (14) Probleme bei der Identifizierung der Leichen
- (15) Hat Gacy noch weitere Opfer getötet?
- (16) Hatte Gacy Komplizen?
- (17) Das Ende von Pogo dem Killer-Clown
- Bücher zu John Wayne Gacy
- Filme zu John Wayne Gacy