Der O. J. Simpson-Fall

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Worum ging es vordergründig im O. J. Simpson-Fall? Mord an einer jungen Frau und ihrem männlichen Begleiter, der möglicherweise ihr Liebhaber war. Tatverdächtiger: der Ex-Mann der Getöteten. Mordmotiv: Extreme Eifersucht. Solch eine tragische Geschichte schaffte es in den Tageszeitungen von Los Angeles normalerweise nur in die Rubrik »Vermischtes«. Im Fall O. J. Simpson wurde daraus eine Jahrhundert-Story.

Der Verdächtige

Orenthal James Simpson wurde am 9. Juli 1947 in San Francisco geboren. Seine Eltern Eunice und Jimmy Lee Simpson trennten sich, als der Junge fünf Jahre alt war. Etwa zur selben Zeit erkrankte O. J. Simpson an Rachitis und musste über einen längeren Zeitraum Beinschienen tragen. Trotz dieses Handicaps entwickelte er sich in seiner Teenagerzeit zu einem hervorragenden Sportler. Während seiner Collegezeit brillierte er als Footballer und wurde 1968 als erster Spieler seines Jahrgangs von der amerikanischen Profiliga gedraftet. Er landete bei den Buffalo Bills.

O. J. Simpson, 1990 Quelle: US Military, Public Domain
O. J. Simpson, 1990
Quelle: US Military, Public Domain

Seine ersten drei Profijahre verbrachte er meist auf der Ersatzbank. Sein Durchbruch gelang ihm in der Saison 1973. In diesem Jahr holte er für sein Team als Running Back über 2.000 Yards Raumgewinn heraus. Das war noch keinem Spieler zuvor in der Geschichte der NFL gelungen. 1979 beendete er seine Profikarriere bei den San Francisco 49ers, für die er zwei Jahre spielte. 1985 wurde er in die Hall of Fame des American Football aufgenommen.

Nach seiner Profizeit arbeitete er als Co-Kommentator für das Sportfernsehen, allerdings mit überschaubarem Erfolg. Die meisten Menschen kannten ihn als Werbefigur der Hertz-Autovermietung. 1988 erlebte seine Karriere einen neuerlichen Aufschwung. Er war Teil der Besetzung des Films »Die nackte Kanone«, eine der erfolgreichsten Komödien jener Jahre. Simpson spielte auch in den beiden Fortsetzungen mit. Außerdem gründete er in dieser Zeit seine eigene Filmproduktion »Orenthal Productions«.

Noch vor Beginn seiner Karriere als Profispieler hatte er 1967 seine Highschool-Liebe Marguerite Whitley geheiratet. Das Ehepaar hatte drei gemeinsame Kinder: Arnelle und Jason sowie die 1977 geborene Tochter Aaren. Aaren Simpson kam jedoch 1979 bei einem tragischen Unfall ums Leben. Sie ertrank im privaten Swimmingpool der Familie Simpson. Im selben Jahr trennten sich O. J. und Marguerite Simpson. 1985 heiratete O. J. Simpson dann die zwölf Jahre jüngere Nicole Brown, mit er bereits seit 1977 eine dauerhafte Affäre unterhielt. Aus dieser Ehe gingen zwei weitere Kinder hervor. 1992 reichte Nicole Brown die Scheidung ein, die noch im gleichen Jahr in Kraft trat.

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Ziemlich genau drei Monate vor dem Mord erschien O.J. Simpson mit seiner Ex-Frau Nicole Brown und den gemeinsamen Kindern auf der Premiere des Films „Naked Gun 33 1/3“, in dem er mitspielte.

Das Verbrechen

Am Sonntag, dem 13. Juni 1994, verständigte ein Ehepaar aus Brentwood, Los Angeles, kurz nach Mitternacht die Polizei. Ein herrenloser Hund hatte die beiden durch sein auffälliges Verhalten zu einem Haus in ihrer Nachbarschaft am South Bundy Drive gelockt. Vor und neben dem Eingangstor, etwa fünf Meter vom Bürgersteig entfernt, lagen zwei Leichen. Wie die Ermittlungen ergaben, handelte es sich um die 35-jährige Hausbesitzerin Nicole Brown und den 25-jährigen Kellner Ronald Goldman.

OJ Simpson - Tatort 875 South Bundy Drive
Tatort 875 South Bundy Drive, Brentwood

Verletzungen

Der Täter hatte der zierlichen Nicole Brown die Kehle durchschnitten und dabei fast den gesamten Kopf abgetrennt, so tief und breit war die Wunde. Der Gerichtsmediziner stellte zudem mehrere Stichwunden an Hals und Kopf fest. Ihre Hände wiesen weitere Schnitte auf, die auf Abwehrverletzungen hindeuteten. Ansonsten fanden sich aber keine Spuren, die auf einen Kampf zwischen Nicole Brown und ihrem Angreifer schließen ließen.

Das sah im Fall von Ronald Goldman gänzlich anders. Der athletisch gebaute junge Mann, der über Erfahrungen im Kampfsport verfügte, hatte sich augenscheinlich heftig zur Wehr gesetzt. Der Pathologe zählte an der Leiche insgesamt 19 Stichwunden am Hals, Oberkörper und Oberschenkel. Der Mörder hatte ihm ebenfalls die Gurgel durchtrennt. Beide Opfer wiesen zudem große Blutergüsse auf der Rückseite des Schädels auf. Die Hämatome resultierten nicht aus dem Sturz, sondern waren die Folge von Schlägen mit einem stumpfen Gegenstand.

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Ron Goldman

Spuren am Tatort

Nicole Browns Leichnam lag am Fuß einer kleinen Treppe, die auf einen Gehweg zu ihrem Haus hinaufführte, und blockierte das offenstehende Eingangstor. Ronald Goldman war drei Meter daneben in einem Blumenbeet zusammengebrochen. Neben der Leiche von Goldman entdeckten die Polizisten unter anderem einen linken Handschuh aus dunkelbraunem Leder und eine Strickmütze – zwei Gegenstände, die aller Voraussicht nach vom Täter stammten.

OJ Simpson - linker Handschuh
Der linke Handschuh, den die Polizei am Tatort sicherstellte

Tatablauf

Die Ermittler rekonstruierten in Zusammenarbeit mit dem Gerichtsmediziner folgenden Tatablauf: Der Täter hielt sich im Garten versteckt und versetzte Nicole Brown von hinten einen kräftigen Schlag, der sie vorübergehend bewusstlos machte. Danach lieferte er sich mit Ronald Goldman einen heftigen Kampf, bis er ihn ebenfalls von hinten zu packen bekam. Der Täter schlug Goldman zunächst nieder und tötete ihn schließlich mit einem gezielten Schnitt durch die Kehle.

Anschließend wendete er sich wieder Nicole Brown zu, die er aufrichtete und auf dieselbe Art und Weise ermordete. Die Ermittler mutmaßten, dass der Mörder sich noch geraume Zeit mit ihr unterhalten hatte, bevor er sie umbrachte. Eher oberflächliche Schnittverletzungen an Nicole Browns Hals deuteten darauf hin, dass er ihr zunächst nur gedroht hatte, bevor er den tödlichen Schnitt setzte.

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Präsentation des Obduktionsbefunds von Nicole Brown vor Gericht

Auch der vermutliche Tatzeitpunkt ließ sich näher bestimmten. Einem Nachbar war um 22.15 Uhr erstmals das Gebell des weißen Akitas von Nicole Brown aufgefallen. Das Bellen setzte sich bis zum Fund der Leichen nahezu ununterbrochen fort. [Näheres zu den Zeugenaussagen: Zeitlicher Ablauf – Tatort 875 South Bundy Drive]

Die Ermittlungen

Nicole Brown hatte das Sorgerecht für die beiden Kinder aus ihrer Ehe mit O. J. Simpson. Die Polizeibeamten entdeckten die 8-jährige Sydney und den 5-jährigen Justin im Haus. Sie schliefen fest und hatten von dem Verbrechen nichts mitbekommen. Allein ihretwillen mussten die Beamten den Vater der Kinder kontaktieren. Aber unabhängig davon zählte der Ex-Mann der Getöteten natürlich zunächst mal zur Gruppe der potenziell Verdächtigen, die man befragen musste.

Erster Verdacht

Die Ermittler suchten noch in der Tatnacht das lediglich fünf Fahrminuten entfernte Anwesen von O. J. Simpson in der Rockingham Avenue auf. Dort traf man Simpson jedoch nicht an. Auf dem Grundstück befanden sich zu diesem Zeitpunkt nur Arnelle Simpson, seine erwachsene Tochter aus erster Ehe, und ein Hausgast namens Brian »Kato« Kaelin. Sie erzählten den Polizisten, dass O. J. Simpson das Haus am Vorabend gegen 23.15 Uhr verlassen habe. Er sei zum Flughafen gefahren, um einen Flieger zu erwischen, der um 23.45 Uhr nach Chicago abgeflogen sei.

Wie die weiteren Überprüfungen ergaben, hatte O. J. Simpson um 4.15 Uhr im O‘Hare Plaza Hotel in Chicago eingecheckt. Gegen 5.45 Uhr riss ihn die Polizei wieder aus dem Schlaf. Sie informierte ihn telefonisch über die Ermordung seiner Ex-Frau Nicole Brown. O. J. Simpson kündigte an, die nächste Maschine nach Los Angeles zu nehmen. Der Flieger startete um 7.41 Uhr.

Währenddessen nutzten die Beamten die Gelegenheit und schauten sich auf dem Grundstück von Simpson um. Den Beamten war vor der Einfahrt ein weißer Ford Bronco aufgefallen, der auf die Autovermietung Hertz zugelassen war. Den Polizisten war bekannt, dass O. J. Simpson für diese Firma Werbung machte. Im Innern des Fahrzeugs lagen mehrere Kartons mit der Aufschrift »Orenthal Products«. Sie gehörten zweifelsohne Simpson. Am Türgriff auf der Fahrerseite war ein Blutfleck zu erkennen. Vom Ford Bronco führte eine Blutspur direkt die Einfahrt hinauf bis zur Haustür von Simpson. Außerdem bemerkten die Ermittler im Garten von Simpson einen rechten Lederhandschuh, der wie das fehlende Gegenstück zum Handschuh am Tatort aussah und gleichfalls blutbefleckt war.

OJ Simpson - rechter Handschuh
Beamten des LAPD entdeckten den zweiten Handschuh direkt neben dem Zaun von Simpsons Grundstück

Erste Befragung von O. J. Simpson

Als O. J. Simpson gegen Mittag in Los Angeles eintraf, baten ihn die Ermittler zu einem Gespräch ins Hauptquartier des LAPD. Trotz der Indizien, auf die die Ermittler vor dem Haus von Simpson gestoßen waren, galt O. J. Simpson zu diesem Zeitpunkt noch nicht als offizieller Tatverdächtiger. Insofern führt man mit ihm nun auch kein Verhör, sondern lediglich eine Zeugenbefragung durch. Genau genommen handelte es sich dabei um Polizeitaktik. Bevor man Strafanzeige stellte und einen Haftbefehl erwirkte, wollten die Beamten die Laborergebnisse bezüglich der Blutproben abwarten. Die Ermittler führten das Gespräch aber durchaus in dem Bewusstsein, dass sie O. J. Simpson für dringend tatverdächtig hielten.

Simpson zeigte sich kooperativ und beantwortete die Fragen, teilweise sogar in Abwesenheit seines Anwalts. Simpson hatte für die Zeit zwischen 21.40 Uhr und 22.50 Uhr kein Alibi. Die Polizei nahm wie erwähnt an, dass Nicole Brown und Ronald Goldman gegen 22.15 Uhr starben. Simpson behauptete, seine Sachen für die Reise gepackt und ein paar Golfschwünge im Garten geübt zu haben. Aber niemand hatte ihn dabei beobachtet.

Einem der Polizisten fiel auf, dass er einen frischen Verband um seinen Mittelfinger trug. Simpson behauptete, er habe sich an einer Glasscherbe verletzt. Ihm sei in seinem Hotel ein Weinglas zu Bruch gegangen. Die Beamten verständigten ihre Kollegen in Chicago, um der Geschichte nachzugehen. Die Chicagoer Polizei fand in Simpsons Hotelzimmer in der Tat Blutspuren im Waschbecken, dazu ein zerbrochenes Weinglas und einen blutbefleckten Waschlappen. Die Beamten von der Mordkommission in Los Angeles baten O. J. Simpson schließlich noch darum, ihm die Fingerabdrücke und eine Blutprobe abnehmen zu dürfen. Simpson willigte ein.

OJ Simpson - Verletzung Mittelfinger
Verletzung an O.J. Simpsons linkem Mittelfinger, 13. Juni 1994

Haftbefehl

Am 16. Juni trug man Nicole Brown am Wohnort ihrer Eltern im Orange County zu Grabe. Bei der Beerdigung waren Familie, Freunde und auch Ex-Mann O. J. Simpson anwesend. Am selben Tag ergab ein erster DNA-Test, dass der Handschuh, den man auf Simpsons Grundstück gefunden hatte, sowohl Blut von Simpson als auch von dem Mordopfer Ronald Goldman enthielt. Zusätzlich hatte sich eine Zeugin bei der Polizei gemeldet, die O. J. Simpson am Tattag gegen 23.00 Uhr in unmittelbarer Nähe von Nicole Browns Haus gesehen haben wollte – in einem weißen Ford Bronco. Die Ermittler hatten nun genug Indizien in der Hand, um einen Haftbefehl gegen O. J. Simpson und einen Durchsuchungsbeschluss für sein Haus zu beantragen, dem der Richter stattgab.

Die Beamten setzten Simpsons Anwalt Robert Shapiro über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis. Simpson habe die Wahl: Entweder erscheine er am 17. Januar bis 11.00 Uhr im Hauptquartier der Polizei oder man würde ihn zu Hause abholen und in Handschellen abführen müssen. Shapiro versprach, dass sein Mandant sich zum vereinbarten Zeitpunkt beim LAPD melden würde. Die Ermittler warteten vergeblich. Anderthalb Stunden später löste das LAPD Fahndung nach dem flüchtigen O. J. Simpson für das gesamte Stadtgebiet und alle angrenzenden Countys aus.

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Anwalt Robert Shapiro

Die langsamste Verfolgungsjagd der Geschichte

Die Beamten wussten, dass Simpson die Nacht nach der Beerdigung bei seinem Freund und zweiten Anwalt Robert Kardashian verbracht hatte. Sie riefen Robert Kardashian an. Simpson sei bereits ohne Angabe eines Ziels verschwunden, behauptete Kardashian. Dann verlas er eine Notiz, die von Simpson stammte. Darin betonte er seine Unschuld, fürchtete aber, durch die gegen ihn erhobenen Vorwürfe lebenslang gebrandmarkt zu sein. Er drohte mit Selbstmord.

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Anwalt Robert Kardashian

Eine Streife aus dem Orange County entdeckte schließlich am späten Nachmittag auf einem Highway einen weißen Ford Bronco, baugleich mit Simpsons Wagen. Das Fahrzeug war allerdings auf dessen besten Kumpel Al Cowling zugelassen, der sich zusammen mit Simpson in dem Auto befand. Als er den Streifenwagen erblickte, wählte Cowling über Handy den Notruf. Er verlangte von der Polizei, dass sie Abstand wahre. O. J. Simpson führe eine Schusswaffe mit sich und halte sie sich gerade an den Kopf.

Cowling kroch nun mit 60 Stundenkilometer über den Highway, im Schlepptau eine Armada von Streifenwagen. Oben am Himmel kreisten neben dem Polizeihubschrauber jetzt auch die Helikopter der Fernsehanstalten. Die Medien hatten von der Verfolgungsjagd Wind bekommen. Durch die Liveberichterstattung im Fernsehen angelockt drängten sich alsbald Tausende Neugieriger am Streckenrand und auf den Brücken. Sie grölten und johlten. Die Mordermittlung hatte sich in einen unkontrollierbaren Medienzirkus verwandelt. (Mehr zum Schicksal des Wagen, der an diesem Tage weltweite Berühmtheit erlangte unter —> Was geschah mit dem weißen Ford Bronco?)

Im Vordergrund der weiße Ford Bronco. Auf der Brücke und am Straßenrand jubeln die Passanten. Los Angeles, 17. Juni 1994.

Die »Verfolgungsjagd« führte einmal quer durch die Metropole Los Angeles. Gegen 20.00 Uhr traf der Ford Bronco auf Simpsons Grundstück ein. Nach einer weiteren Stunde zäher Gespräche mit dem Verhandlungsexperten des LAPD, der normalerweise für Geiselnahmen zuständig war, gab O. J. Simpson schließlich auf und ließ sich verhaften.

OJ Simpson - Verhaftung
O.J. Simpson am Tag seiner Verhaftung, 17. Juni 1994

Der Prozess

Der Prozess gegen O.J. Simpson begann am 23. Januar 1995. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn des zweifachen Mordes an, forderte aber nur eine Verurteilung für Mord 2. Grades. In der Konsequenz bedeutete dies, dass Simpson eine lebenslängliche Haftstrafe drohte, jedoch nicht die Todesstrafe. Die Unterscheidung, die das amerikanische Recht zwischen Mord 1. und 2. Grades macht, lässt sich nicht eins zu eins auf das deutsche Rechtssystem übertragen. Am ehesten entspricht dem die Differenzierung zwischen vorsätzlichem Mord aus niedrigen Beweggründen und einer Tötung ohne Heimtücke.

Salopp formuliert: Die ganze Beweisführung der Anklage basierte darauf, dass O. J. Simpson extrem eifersüchtig war und ihm kurzfristig die Sicherungen rausgeflogen waren. Um dieser Argumentation treu zu bleiben, ignorierte die Staatsanwaltschaft geflissentlich die Tatsache, dass der Täter in einer lauen kalifornischen Sommernacht Handschuhe und Strickmütze getragen hatte. Ein Umstand, der ja eher auf ein vorsätzlich geplantes Verbrechen hindeutete – und damit laut amerikanischem Recht auf einen Mord 1. Grades.

Die Verteidiger

O. J. Simpson bestritt, die Morde begangen zu haben. Oder wie er es selbst gegenüber dem Richter ausdrückte: »Einhundertprozentig nicht schuldig«. Simpson war vermögend und hatte sich ein Team aus zwölf Verteidigern zusammengestellt, das die Medien alsbald das »Dream Team« tauften. Dazu zählten eine Reihe prominenter Anwälte wie Alan Dershowitz, F. Lee Bailey, Robert Kardashian, Johnnie Chochran und Robert Shapiro, der Simpsons Hauptanwalt blieb und das Team koordinierte. Shapiro hatte zudem die beiden New Yorker Anwälte Barry Scheck und Peter Neufeld angeheuert, die als absolute Koryphäen auf dem damals für die Forensik noch relativ neuen Gebiet der DNS-Analyse galten.
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O.J. Simpson neben seinem Verteidiger Robert Kardashian (Mitte)

Die Staatsanwälte

Für die Gegenseite traten die Bezirksstaatsanwältin Marcia Clark und der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Christopher Darden an. Marcia Clark eilte der Ruf voraus, eine toughe, entschlossene und unnachgiebige Prozessanwältin zu sein. Kenner der Justizszene in Los Angeles behaupteten, diese harte Haltung fuße auf persönlichen Erfahrungen mit Gewalt. Marcia Clark war als Teenagerin auf einer Urlaubsreise in Europa Opfer einer Vergewaltigung geworden. Zwei frühere Ehemänner hatten sie zudem misshandelt. Clark arbeitete seit mehreren Jahren für eine Sonderabteilung der Anklagebehörde, die sich ausschließlich mit komplizierten und öffentlichkeitsträchtigen Rechtsfällen beschäftigte.

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Staatsanwältin Marcia Clark

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Staatsanwalt Chris Darden

Der Richter

Den Vorsitz über das Verfahren hatte Richter Lance Ito inne. Er war der Nachfahre von japanischen Einwanderern, die die amerikanischen Behörden zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs aufgrund ihrer Herkunft interniert hatten. Er war dank seiner Familiengeschichte für die Probleme von Minderheiten sensibilisiert. Das sollte ein Signal an die Öffentlichkeit sein, dass der Angeklagte einen fairen Prozess bekam. Aus politischen Gründen machte diese Entscheidung Sinn. Aber etliche Kritiker monierten, dass Ito wegen seiner laschen und widersprüchlichen Prozessführung die Kontrolle über das Verfahren zunehmend entglitt.

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Richter Lance Ito

Auswahl der Geschworenen

Die Strategie der Verteidigung war bereits vor Prozessauftakt erkennbar. Die Anwälte, allen voran Johnnie Cochran, waren überzeugt, dass der Rassenfrage eine Schlüsselrolle in dem Prozess zukommen würde. Sie stritten so lange mit der Staatsanwaltschaft um die Auswahl der Geschworenen, bis sie eine Geschworenenjury beisammenhatten, die ihnen genehm war: acht Afroamerikanerinnen, zwei weiße Frauen, ein schwarzer Mann und ein Hispanic. Die Verteidiger waren der Ansicht, dass schwarze Frauen am ehesten Sympathien für O. J. Simpson entwickeln würden.

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O.J. Simpson und Verteidiger Eddie Cochran

Eine lückenlose Beweiskette

Die Anklage ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Sie war überzeugt, alle Trumpfkarten in Händen zu halten. O. J. Simpson hatte kein Alibi, dafür ein plausibles Motiv. Er hatte Nicole Brown über Jahre hinweg physisch und psychisch misshandelt. Zahlreiche Übergriffe waren dokumentiert und letztlich der Grund, dass Nicole Brown Simpson die Scheidung einreichte. O. J. Simpson galt nach übereinstimmenden Zeugenaussagen als besitzergreifend und extrem eifersüchtig. Als er sie an sie an diesem Abend mit Ronald Goldman gesehen hatte, musste er durchgedreht sein.

Dabei war noch nicht einmal klar, ob Nicole Brown mit Goldman ein intimes Verhältnis hatte. Die Polizei hatte zumindest keine Hinweise darauf entdecken können. Laut den offiziellen Ermittlungen wollte Ronald Goldman nur eine Brille von Nicole Browns Mutter vorbeibringen. Sie hatte diese am Abend in dem Restaurant liegen lassen, in dem Goldman arbeitete. Ronald Goldman war also vermutlich bloß ein Zufallsopfer gewesen – zur falschen Zeit am falschen Ort.

OJ Simpson - Bruno Magli Schuhe
Profil eines Schuhs der Marke Bruno Magli. Von dem Modell waren nur 300 Exemplare verkauft worden. O. J. Simpson besaß eines davon, wie Fotos bewiesen, die 9 Monate vor dem Doppelmord entstanden waren.

Zudem hatten die Ermittler einen Berg an Beweismitteln angehäuft, die nur einen Schluss zuließen: O. J. Simpson war der Mörder von Nicole Brown und Ronald Goldman. Der Täter hatte Fußspuren am Tatort hinterlassen. Das Profil konnte man Schuhen von Simpson zuordnen. Der Täter hatte neben den Leichen seine Strickmütze verloren. In der Mütze fanden sich Simpsons Haare. In Simpsons Garten hatte man einen Handschuh entdeckt, der das exakte Pendant zum Handschuh am Tatort war. Ihm haftete die DNS von Ron Goldman an. In Simpsons Schlafzimmer hatte man Socken von ihm gefunden, die mit Blutspritzern von Nicole Brown befleckt waren. Im Ford Bronco hatte man Blutspuren gesichert, die die DNS von Simpson, Brown und Goldman aufwiesen. Der Fall der Staatsanwaltschaft war so wasserdicht, wie ein Fall nur wasserdicht sein konnte. Diese Anklage konnte man nicht verlieren. Eigentlich.

OJ Simpson - Socken
Auf dem Teppich liegt das Paar Socken, dem die Blutspuren von Nicole Brown anhafteten

Der Märtyrer

Die Verteidigung verkehrte die überwältigende Beweislast in ihr Gegenteil. Gerade die Tatsache, dass im Mordfall Brown/Goldman so viele erstklassige Spuren auf ihren Mandanten O. J. Simpson als Täter hindeuteten, sei hochgradig verdächtig. Von solch einer lückenlosen Beweiskette träumten Staatsanwälte doch sonst allenfalls – in der Realität sei sie bis dato unbekannt. Es gebe nur einzigen plausiblen Grund, warum sich dies im Fall O. J. Simpson anders verhalte: Die Spuren seien bewusst gelegt und manipuliert worden. Wer daran Schuld trage? Natürlich die bekanntermaßen inkompetente, korrupte und zutiefst rassistische Polizei von Los Angeles, die sich zu einem gewaltigen Komplott gegen ihren vollkommen unschuldigen Mandanten verschworen habe.

O. J. Simpson sei nur ein weiteres Opfer eines von Weißen geprägten Strafverfolgungssystems, das sich in erster Linie gegen Minderheiten richte. Er stehe vor Gericht, weil er ein Schwarzer sei, nicht weil er ein Verbrechen begangen habe. Die Vorgänge um den Fall Rodney King im Jahre 1991 waren jedem noch in frischer Erinnerung. Vier weiße Polizisten aus Los Angeles prügelten wie von Sinnen vor laufender Kamera auf einen Schwarzen ein, der sich lediglich eine Geschwindigkeitsübertretung zuschulden kommen ließ. Vier weiße Polizisten wurden anschließend von vorwiegend weißen Geschworenen in Los Angeles freigesprochen.

Simpsons Verteidiger bauten ihren Mandaten zu einer Art Märtyrer eines weißen Unrechtssystems auf. Ein Freispruch von O. J. Simpson würde ein Teil des Unrechts wiedergutmachen, das Rodney King und der ganzen schwarzen Gemeinde von Los Angeles angetan wurde, so in etwa die emotionale Botschaft der Verteidiger an die Geschworenen. Das war harter Tobak. Doch die Beamten des LAPD lieferten Simpsons Anwälten das passende Streichholz frei Haus.

Mark Fuhrman

Die Verteidiger nahmen jeden mit dem Fall befassten Ermittler in ein scharfes Kreuzverhör, um seine persönliche Gesinnung abzuklopfen. In Detective Mark Fuhrman fanden sie schließlich einen veritablen Bösewicht. Fuhrman war in der Tatnacht sowohl am South Bundy Drive als auch in der Rockingham Avenue gewesen. Er hatte als erster Beamter die Blutspuren am Ford Bronco entdeckt. Und Fuhrman hatte den rechten Handschuh in Simpsons Garten gefunden. Nun spielten die Anwälte den Geschworenen Tonbänder vor, auf denen zu hören war, wie Fuhrman 41 Mal das Wort »Nigger« benutzte und andere unschöne Dinge über die schwarze Bevölkerung sagte.

Daraufhin wollten die Verteidiger von Fuhrman wissen, ob er jemals Zeugen unter Druck gesetzt oder Beweise an einem Tatort manipuliert habe. Detective Mark Fuhrman sorgte für ein Novum in der amerikanischen Justizgeschichte. Als erster Polizist, der lediglich als Zeuge in einem Prozess geladen war, berief er sich auf den fünften Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung und verweigerte die Aussage, um sich nicht selbst zu belasten.

Damit hatte er der Anklage einen Bärendienst erwiesen. Nun sprachen Simpsons Verteidiger aus, was nach Fuhrmans denkwürdigen Auftritt zumindest glaubwürdiger geworden war: Fuhrman habe den rechten Handschuh am Tatort entwendet und bewusst im Garten von O. J. Simpson platziert, um einen Mann, den er wegen seiner Hautfarbe und seiner gemischtrassigen Beziehungen gehasst habe, schwer zu belasten.

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Mark Fuhrman (links) im Zeugenstand neben seinem Anwalt Darryl Mounger

Der Durchsuchungsbeschluss

Das nächste Ziel der Angriffe seitens der Verteidigung stellte der Durchsuchungsbeschluss dar. Darin waren mehrere faktische Fehler enthalten. Das »Dream Team« argumentierte, der Richter, der den Beschluss unterzeichnet habe, sei von den Beamten des LAPD bewusst getäuscht worden. Dadurch sei der Beschluss hinfällig. In der Konsequenz hätte das bedeutet: Alle Beweise, die die Ermittler aufgrund des Beschlusses sichergestellt hatten, wären im Verfahren nicht mehr als Beweismittel zulässig gewesen. Das hätte alle Spuren betroffen, die man im Haus und Garten sowie im Ford Bronco von Simpson gefunden hatte. Die Anklage wäre mit einem Schlag in sich zusammengefallen.

Richter Ito lehnte diesen Antrag jedoch ab. Das Beweismaterial blieb Bestandteil des Prozesses. Aber Ito übte harsche Kritik an dem aus seiner Sicht unverantwortlich und irreführend formulierten Text des Beschlusses. Das rückte die Mordkommission vor den Geschworenen erneut in ein sehr schlechtes Licht. Die Ermittler vom LAPD hatten von Anfang an alles daran gesetzt, O. J. Simpson diesen Doppelmord anzuhängen, lautete die Botschaft, die bei der Jury ankam. Andere Hinweise hätten sie erst gar nicht in Betracht gezogen und verfolgt.

Mit harten Bandagen

Das »Dream Team« kämpfte mit harten Bandagen und war bereit, sich über jegliche juristische Gepflogenheiten hinwegzusetzen, um Erfolg zu haben. So riefen Simpsons Verteidiger überraschend Zeugen auf, die sie zuvor nicht benannt hatten. Nach der kalifornischen Prozessordnung waren beide Prozessparteien dazu angehalten, die Namen der Zeugen gleich zu Beginn des Verfahrens offenzulegen. Die Gegenseite sollte ausreichend Gelegenheit bekommen, den Wahrheitsgehalt einer Aussage überprüfen zu können. Die Verteidigung ignorierte diesen Grundsatz einfach. Und Richter Ito ließ ihnen diesen eklatanten Verstoß gegen die Prozessordnung durchgehen. Nicht bloß einmal, sondern gleich 26 Mal. So viele Zeugen rief das »Dream Team« nämlich im Prozessverlauf auf, ohne sie vorher angekündigt zu haben.

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Staatsanwältin Marcia Clarke und Starverteidiger F. Lee Bailey

Verschwundenes Blut

Dann nahm sich die Verteidigung die Beweistücke vor. Die Anwälte bemängelten Schlampereien im Umgang mit dem Spurenmaterial. Der Beamte der Mordkommission zum Beispiel, der die Blutprobe von O. J. Simpson entgegengenommen hatte, hatte das Röhrchen nicht auf dem schnellsten Weg ins Kriminallabor geschafft, wie es Vorschrift war. Stattdessen hatte er die Probe stundenlang mit sich herumgeschleppt, bevor er sie der Spurensicherung überreichte.

Zu allem Überdruss wichen die Angaben des medizinisch-technischen Assistenten, der Simpson das Blut abgenommen hatte, und des Beamten der Spurensicherung, der die Blutprobe katalogisiert hatte, hinsichtlich der enthaltenen Blutmenge voneinander ab. Es fehlten schlichtweg mehrere Milliliter Blut. Simpsons Verteidiger schlossen daraus, dass der Ermittler der Mordkommission das überschüssige Blut abgezweigt habe, um damit die O. J. Simpson belastenden Blutspuren zu legen.

Schlampiger Umgang mit DNS-Material

Die beiden DNS-Experten Barry Scheck und Peter Neufeld schlugen in die gleiche Kerbe. Sie monierten beispielsweise den Umgang der Spurensicherung mit den Blutspuren. Wie konnte es angehen, dass Dennis Fung, der verantwortliche Beamte der Spurensicherung, die Auszubildende Andrea Mazzola mit der Sicherstellung praktisch aller Blutspuren auf dem Anwesen von O. J. Simpson betraut hatte, ohne sie dabei zu beaufsichtigen? Außerdem konnten Scheck und Neufeld anhand von Fernsehbildern beweisen, dass mehr als ein Dutzend Kripobeamter über den Tatort am South Bundy Drive trampelten und dabei reihenweise Spurenmaterial kontaminiert haben mussten, bevor die Spurensicherung vor Ort war.

Die Diskussionen, die sich Scheck und Neufeld mit den Fachleuten von der Kriminaltechnik hinsichtlich der Aussagekraft des DNS-Materials lieferten, waren allerdings dermaßen abgehoben und abstrakt, dass im Gerichtssaal praktisch niemand mehr folgen konnte. Und Scheck und Neufeld zogen gnadenlos ihren Vorteil daraus. Sie konnten damit verhindern, dass die eigentlich vernichtende Beweiskraft, die dem Material innewohnte, zum Tragen kam.

Fast schon verzweifelt wiesen die Staatsanwälte wieder und wieder darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit 1 : 170 Millionen betrug, einen anderen Menschen mit der DNS von O. J. Simpson zu finden. Die Verteidiger torpedierten diese Argumentation, indem sie geschickt immer weitere hypothetische Betrachtungen über die menschliche DNS und die gängigen Beweisverfahren anstellten. Der aus Sicht der Verteidigung entscheidende Punkt an diesem Spektakel: Die Geschworenen zweifelten zunehmend an der Aussagekraft eines solchen DNS-Beweises.

Die Handschuhe passen nicht

Die Staatsanwaltschaft verlor den Fall endgültig, als sie O. J. Simpson bat, die beiden Handschuhe überzuziehen, die man am Tatort und in seinem Garten sichergestellt hatte. Die Handschuhe des Mörders. O. J. Simpson stülpte sich vor zig Kameras die Tatwerkzeuge über. Und sie passten einfach nicht. Er musste dazu überhaupt keine Mätzchen veranstalten, sich umständlich anstellen, die Fäuste ballen oder was auch immer. Die Handschuhe waren einfach mehrere Nummern zu klein. Die Geschworenen sahen das. Alle Welt sah das.

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O.J. Simpson bei der Handschuhanprobe

Es nützte den Staatsanwälten nichts, dass sie wortreich zu erklären versuchten, warum die Handschuhe eingeschrumpft waren. Das viele Blut. Das Einfrieren des Beweismittels. Das Auftauen der Handschuhe. Wenn sie das gewusst hatten, weshalb waren sie dann auf die wahnwitzige Idee gekommen, Simpson die Handschuhe überstülpen zu lassen? Sie mussten doch um die verheerende Symbolkraft eines solchen Bildes wissen. Der Schaden war angerichtet und nicht mehr wiedergutzumachen. Der Fall war für die Anklage verloren.

Das Urteil

Am 3. Oktober 1995 verkündeten die Geschworenen ihr Urteil. 142 Millionen Amerikaner verfolgten das Ereignis live an den Fernsehgeräten oder an den Radioapparaten. Ein Zuschauerrekord für die Ewigkeit. Das ganze Land schien stillzustehen. Als die Geschworenen O. J. Simpson dann freisprachen, war die amerikanische Nation so tief gespalten wie seit den Tagen der Bürgerrechtsbewegung und Dr. Martin Luther King nicht mehr.

Zivilverfahren

Ein Jahr nach dem Freispruch stand O. J. Simpson erneut vor Gericht. Er musste sich in einem Zivilprozess verantworten, den der Vater von Ronald Goldman angestrengt hatte. Dieses Mal verlor Simpson das Verfahren und wurde zur Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 33,5 Millionen US-Dollar verdonnert. O. J. Simpson beglich jedoch nur einen geringen Teil der Summe. Aufgrund der Honorare, die er seinem »Dream Team« für die Verteidigung bezahlen musste, war er inzwischen nahezu pleite – zumindest offiziell. Das einzige Einkommen, das Simpson zum Leben verblieb, war die Rente, die ihm die amerikanische Football-Profiliga zahlte. Diese war ebenso wenig pfändbar wie die Immobilie in Florida, in die er nach Prozessende umzog.

Raubüberfall in Las Vegas

Am 16. September 2007 raubte O. J. Simpson zusammen mit Komplizen zwei Sammler von Fanartikeln in einem Hotelzimmer in Las Vegas aus. Das Gericht verurteilte Simpson 2008 wegen bewaffneten Raubüberfalls und Geiselnahme zu einer Gefängnisstrafe von mindestens 9 bis maximal 33 Jahren. Simpson sitzt seine Strafe in Lovelock, Nevada, ab. Frühestens ab 2017 darf er auf eine Entlassung wegen guter Führung hoffen.

* * * * *

 

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6 Kommentare

  1. Hallo. Vorab muss ich sagen dass ich eure Seite sehr schätze. Die Berichte sind sehr spannend und aufschlussreich geschrieben. Danke dafür 🙂 Zum Thema O.J : Ich bin der festen Überzeugung dass er ein kaltblütiger Killer ist und Hoffe dass er nach seinem Tod nach unten in die Hölle fährt. Lg.

  2. Hallo,

    ich habe Ihre Seite von vorn bis hinten durchstöbert. Bin dann beim OJ Simpson Trial „hängengeblieben“.
    Eine persönliche Frage? Wie stehen Sie zu dem Doppelmord, war er es oder nicht?
    Ich persönlich halte ihn für schuldig, aus einem recht einfachen (vielleicht auch zu einfachen) Grund, wer soll es sonst gewesen sein.
    2 Menschen werden brutal ermordet, eine Tür zum Haus steht offen, ohne einem stattgefundenen Raub o.Ä.. Das ergibt schon einmal keinen Sinn. Klar gibt es „einfache“ Gewaltverbrechen, aber warum metzelt einer 2 Menschen nieder mitten in einem belebten Stadtteil, spät abends, wenn es kein Raubdelikt o.Ä. dargestellt.

    Ich weis nicht, ob ich mich deutlich genug ausdrücke, aber die Beweise, die dann vor Gericht zerstört wurden, legen nur eines zu Grunde, OJ Simpson war es.

    Es verhält sich allerdings wie bei dem Mord an JFK, es werden sich immer Mythen und Theorien finden, solange Fakten geschaffen werden bzw. die vorhandenen nicht als solche angesehenen werden.

    Ich freue mich, wenn Sie auf meinen Betrag eingehen und verbleibe

    Mit freundlichen Grüßen
    Marcel

    • Hallo Marcel,

      vielen Dank für Ihr Feedback! Im Mordfall Nicole Brown/Ron Goldman steht für mich Folgendes zweifelsfrei fest: O.J. Simpson hat sich in zeitlicher Nähe zum Tatgeschehen am Tatort aufgehalten.

      Die zahlreichen sichergestellten Blut- und DNA-Spuren an Tatort, Ford Bronco und Simpsons Haus lassen meiner Meinung nach gar keinen anderen Schluss zu. Den Verteidigern ist es zwar gelungen, bei den Geschworenen Zweifel an der Beweiskraft von DNA-Spuren zu wecken. Doch dies geschah zu einer Zeit, als dieses Beweisverfahren der breiten Öffentlichkeit noch eher unbekannt war. Aus heutiger Sicht muss ich die damalige Beweislage einfach anders deuten.

      Und ja, mir ist durchaus bewusst, dass es auch beim DNA-Beweis spektakuläre Pannen gab (siehe das berühmt-berüchtigte „Phantom von Heilbronn“). Ich sage dies wohlgemerkt als medizinischer Laie: Aber nach Lektüre einer ganzen Reihe von Büchern über den Fall ist solch ein Fehler auszuschließen, weil es angesichts der konkreten Spurenlage ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre.

      Wenn es sich so verhält, bleiben aus meiner Sicht nur drei logische Erklärungen:

      1) Obwohl O.J. Simpson einen Flug nach Chicago gebucht hatte, ist er unmittelbar vor Abfahrt nochmals spontan bei seiner Ex-Frau vorbeigefahren, zufällig in den frischen Tatort hineingetappt und verschreckt davon gedüst, ohne den Notarzt oder die Polizei zu benachrichtigen. Mehr als nur unwahrscheinlich.

      2) Simpson hat den Täter gedeckt bzw. ihm geholfen. Dazu existiert meines Wissens nur die Theorie, dass Simpsons Sohn aus erster Ehe der Täter sein könnte. Dafür konnten aber keinerlei Indizien vorgelegt werden, die Simpsons Sohn direkt mit der Tat in Verbindung gebracht hätten. Geschweige denn Beweise. Zudem fehlen konkrete Spuren, die auf einen zweiten Täter hindeuten. Was allerdings immer noch eine offene Frage ist, die nicht endgültig beantwortet werden konnte: Wie ist es Simpson als Einzeltäter gelungen, zwei erwachsene Menschen zu überwältigen, ohne dass sie um Hilfe gerufen haben? Zeugen gab es schließlich genug in der näheren Umgebung. Dennoch: Auch dieses zweite Szenario ist aus meiner Sicht sehr unwahrscheinlich.

      3) O.J. Simpson war der Täter. Das ist – hier gebe ich Ihnen recht – sowohl von der Spurenlage als auch von den Tatumständen und der möglichen Motivlage die mit weitem Abstand plausibelste Erklärung.

      Die Verteidigung im Strafverfahren hatte ja noch eine vierte Lösung des Rätsels in petto, ohne sie jemals so explizit zu benennen. Man hat lediglich alles daran gesetzt, dass die Geschworenen 1 + 1 zusammenzählten. Dieser Theorie zufolge haben die Ermittlungsbeamten Simpsons Blutprobe, die man ihm am Tag nach der Tat abzapfte, dazu benutzt, um all die DNA-Spuren von Simpson am Tatort zu legen. Zudem haben die Beamten demzufolge auch noch Blut der Opfer eingesammelt, um es dann rund um und in Simpsons Haus bzw. seinem Wagen zu verteilen. Das klingt nicht nur hanebüchen. Das ist wohl auch praktisch aus mehrerlei Gründen ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Aber da verweise ich darauf, was ich bereits eingangs erwähnt habe: Diese Schlussfolgerung äußere ich als medizinischer Laie nach Lektüre etlicher Bücher zum Fall.

      Was für mich bis heute nicht vollständig geklärt ist: Wann und wie genau hat sich die Tat abgespielt? War es ein Mord im Affekt oder eine vorsätzliche Tötung? Simpson hatte man damals nur wegen Mord 2. Grades angeklagt (entspricht im amerikanischen Recht in etwa dem Mord im Affekt), weil sich die Staatsanwalt nicht zutraute, ihm den Vorsatz zu beweisen. Und hinsichtlich des Tatablaufs zeichnen die zahlreichen Zeugenaussagen, die Aussagen der Sachverständigen und die Beweismittel nun mal kein eindeutiges Bild und in einzelnen Punkten sogar ein widersprüchliches.

      Zudem bleibe ich bei meiner Einschätzung: Der Fall ging für die Staatsanwaltschaft nicht nur deshalb verloren, weil das DNA-Verfahren noch eher unbekannt war und die Verteidigung die Rassenkarte spielte. Den Ermittlungsbehörden sind Fehler unterlaufen, die einfach nicht hätten passieren dürfen. Da waren wirklich kapitale Böcke darunter. Und sie hatten das Pech, dass ihnen eine Armada hochbezahlter Juristen gegenüberstand, die diese Schlampereien aufgedeckt und für ihre Zwecke ausgeschlachtet hat. Sonst wäre niemals ein Urteil denkbar gewesen, wie es dann seinerzeit gefällt wurde. Immerhin führten die Versäumnisse dazu, dass die Polizei von L.A. ihre Verfahrensweise komplett auf den Prüfstand gestellt hat (z.B. in Bezug auf die Sicherung von DNA-Material). Die veränderten Regeln waren dann Vorbild für viele andere Polizeibehörden in den USA und weltweit.

      Herzliche Grüße
      Richard Deis

      • Hallo Herr Deis,

        vielen Dank für Ihre Ausführungen.
        Ich bin der Meinung, dass es ein Mord ersten Grades war.
        Wie sich das alles abgespielt hat kann man nur mutmaßen.

        Meine Theorie ist, Simpson war bei seiner Ex Frau, verlies sie und unter Umständen kam in dem Moment Herr Goldmann um die Brille der Mutter von Nicole Brown Simpson vorbeizubringen. Ihm brannten daraufhin die Sicherungen durch und die Situation eskalierte mit dem brutalen Ergebnis. Dem widerspricht natürlich, dass der Täter (Simpson) Handschuhe trug, sowie eine Strickmütze. Das deutet dann schon eher auf eine vorsätzlich geplante Tat hin.
        So oder so war OJ Simpson kein unbeschriebenes Blatt was häusliche Gewalt angeht, gab ja wohl 8/9 Fälle, wo die Polizei gerufen wurde. Ermittelt wurde wohl nie so wirklich.

        Zum Prozess selbst kann ich für meinen Teil wirklich nur sagen, „nur in Amerika“. Es wurden Beweise vorgebracht, wie Sie auch detailliert schildern, die deutlicher nicht sein können.
        Blutspuren von Simpson/Brown/Goldmann in seinem Auto. Eine Socke mit Blutspuren von seiner Exfrau im Schlafzimmer, der blutige Handschuh. Blutspuren von Simpson am Tatort.
        Deutlicher geht es nicht.
        Die Farce vor Gericht stellte dann das „bezirzen“ der Geschworenen dar. Da wurden alle Geschütze aufgefahren, um vom Offensichtlichem abzulenken. So etwas geht nur in Amerika, wo 12 Laien über ein Menschenleben entscheiden.

        Es stand schon für die schwarzen Geschworenen vorher fest, relativ egal was da alles zu Tage getragen wird während des Prozesses, das sie Simpson freisprechen. Verrückt ist natürlich das die Ermittler nicht gerade Glanzlichter waren während der Ermittlungen und dann auch noch dazu nachweislich teils rassistisch geprägt. Das war natürlich ein gefundenen Fressen für die Verteidiger, wie Sie selbst schon schrieben, sowas spielte dann einfach in die Karten und wurde ausgeschlachtet und lenkte von dem eigentlich offensichtlichem ab. Da wurde dann behauptet die Beweise seien keine, sondern wurden nachträglich platziert, Blut von den Beteiligten „gestohlen“ um da und dort Tröpfchen zu platzieren. Vollkommen verrückt, aber die es funktionierte.

        Im Zivilprozess lief dann vieles anders, auch die Farce mit dem Probieren der Handschuhe und es folgte die Verurteilung im Gegensatz zum Strafprozess. Nur mit dem Unterschied, dass Simpson, soweit ich weis, noch nicht wirklich etwas an die Hinterbliebenen gezahlt hat, da seine NFL Pension, sowie seine private Pension nicht pfändbar sind nach US Recht.

        Das Schlimmste ist auch für die Hinterbliebenen, sie wissen wer ihre Liebsten brutal aus dem Leben gerissen hat und Ende der Geschichte. Es wurde nicht weiter ermittelt nach einem anderen „möglichen“ Täter, wo man sich auch fragen muss, warum? Wahrscheinlich weil nur einer in Frage kommt/kam.

        Um ein bisschen überspitzt meinen Text abzuschließen, Simpson wurde freigesprochen, weil er reich war (Topjuristen Team, das „Dreamteam“)und „dank“ der Rassenproblematik (Freispruch für die (weißen) Polizisten die Rodney King zusammenschlugen). Dazu kamen dann noch die von Ihnen auch ausführlich und sehr gut geschilderten Fehler des LAPD.

        Heutzutage ist so ein Verfahrensverlauf inklusive Urteil kaum denkbar, hofft man zumindest.
        Der Fall Simpson ist für mich sehr faszinierend und ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen und wie Sie sich dazu platziert haben. Es soll ja auch wirklich andere Meinungen geben. Ein Bekannter von mir behauptet steif und fest es war sein Sohn Jason Simpson, obwohl dieser zu der Tatzeit nachweislich auf Arbeit war, aber ich höre mal mit meinem Roman besser auf und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag und danke für den Austausch.

        Beste Grüße
        Marcel

  3. O J erzählt in einem Interview:
    1. Nicole kam mit einem Messer aus der Tür:
    ohne dieses Messer – wäre die Tat nie geschehen…
    2. Ron nahm eine Karatestellung ein – das provozierte O J

    es stellt sich die Frage – ob jemand O J informierte, Ron G würde zu Nicole fahren.

    dann wäre es eine Blitz-Aktion, im Moment entschieden.
    das muss dann Nach dem Fastfood – Essen zusammen mit Kato blitzartig geschehen sein.

    War sein Sohn Jason am Tatort?
    Hat er seinen Vater informiert?

    Die dunklen Spots die wohl nie auf zu klären sind
    darum wird dieser Fall immer interessant sein.
    Sucht Faktor – wo sind die Geheimnisse verborgen…

  4. Sicherlich nicht neu: Aber unabhängig von O.J. Simpson. Wer hätte das vitale Interesse gehabt gleich 2 Personen mit sehr viel Gewalt zu töten. Gab es da noch andere Beteiligte mit Motiven wie Raub, Drogen, Eifersucht, Vergewaltigung. Oder ist da jemand einfach so vorbei gelaufen streckt die Frau nieder, dann den Typen um später die Frau vermutlich mit einem Messer an der Kehle zeitversetzt nieder zustrecken. So wieder verlauf der Tat war muss das ja auch ein fitte(r) Frau oder Mann gewesen sein. Sicherlich hat das nichts mit dem Beweisen einer Schuld zu tun. Aber das macht Simpson halt sehr verdächtig.

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