Irgendwann im Laufe des Abends des 14. Januar oder in den frühen Morgenstunden des 15. Januar 1978 drang Ted Bundy in das Studentinnenwohnheim der Chi-Omega-Verbindung auf dem Campus der Florida State University ein. Bundy hatte sich dazu einen idealen Zeitpunkt ausgesucht. Das Heim stand weitestgehend leer. Die meisten jungen Frauen trieben sich an dem Wochenende auf Partys herum, waren mit Freunden im Kino oder in der Diskothek. Eine Sperrstunde gab es nicht, die Studentinnen machten ausgiebig Gebrauch davon.
Um 3.00 Uhr früh kehrte Nita Neary von solch einer Partynacht zurück. Ihr Freund setzte sie vor dem Chi-Omega-Haus ab. Als sie zum Eingang kam, bemerkte sie, dass die Haustür sperrangelweit offenstand. Vorsichtig trat sie ins Haus ein. Sie hörte im Stockwerk über sich Schritte. Die Schritte bewegten sich in Richtung Treppenhaus. Zu der Treppe, neben der sie just stand. Nita Neary kam die Sache unheimlich vor. Sie versteckte sich im Schatten einer Nische neben der Eingangtür.
Wenige Momente später sah sie eine Gestalt die Treppe herunterkommen. Offensichtlich ein Mann, auch wenn Nita Neary das Gesicht nicht genau erkennen konnte. Denn der fremde Eindringling hatte eine blaue Strickmütze tief in die Stirn gezogen. Er hielt einen länglichen Gegenstand in der Hand, der mit Stoff umhüllt war. Der Mann blieb kurz am Fuß der Treppe stehen und lauschte. Dann entschwand er durch die Tür.
Ein Massaker
Nita Nearys erster Gedanke war, dass der Fremde ein gewöhnlicher Einbrecher war. Sie lief sofort die Treppe hinauf, um ihre Mitbewohnerin Nancy zu wecken. Nita Neary erzählte ihr, was sie soeben beobachtet hatte. Die beiden Frauen waren unsicher, was sie tun sollten. Sie beschlossen, die Leiterin des Wohnheims aufzusuchen.
Auf dem Weg dorthin begegnete ihnen Karen Chandler, eine weitere Hausbewohnerin. Karen Chandler taumelte durch die Eingangshalle des Wohnheims. Ihr Kopf war blutüberströmt. Während Nancy versuchte, Karen Chandler zu helfen, weckte Nita Neary die Leiterin. Sie ging mit ihr zum Zimmer von Karen Chandler, um zu sehen, ob mit den anderen Bewohnerinnen alles in Ordnung war. Im ersten Zimmer fanden sie Kathy Kleiner. Sie lebte, war aber in einem fürchterlichen Zustand. Überall war Blut, das aus einer Vielzahl von Kopfwunden herausströmte. Nita Neary lief zu einem Telefonapparat und verständigte die Polizei.
Kathy Kleiner und Karen Chandler hatten beide Glück im Unglück. Sie überlebten die brutale nächtliche Attacke. Kathy Kleiner erlitt einen Kieferbruch und eine tiefe Fleischwunde in der Schulter. Karen Chandler trug eine Gehirnerschütterung, einen Kieferbruch, einen ausgeschlagenen Zahn und einen gebrochenen Finger davon. Doch als die Polizei die angrenzenden Zimmer durchsuchte, mussten die Beamten feststellen, dass Ted Bundy in dieser Nacht ein regelrechtes Massaker angerichtet hatte.
Margaret Bowman
Zunächst fanden die Beamten die Leiche der 21-jährigen Margaret Bowman. Wie die späteren Rekonstruktionen ergaben, hatte Bundy die Studentin im Schlaf überrascht und gegen 2.45 Uhr mit einem Stück Eichenholz auf sie eingeprügelt. Ihr Schädel war durch die Schläge regelrecht zerplatzt. Teile ihres Hirns waren ausgetreten. Danach hatte er das Mädchen mit einer Strumpfhose erdrosselt.
Lisa Levy
Anschließend wechselte Ted Bundy in das Zimmer der 20-jährigen Lisa Levy. Er schlug auch sie zunächst bewusstlos und erwürgte sie anschließend. Bei der weiteren Untersuchung entdeckte der Gerichtsmediziner tiefe Bissspuren an ihrem Gesäß und an einer ihrer Brustwarzen. Bundy hatte so fest zugebissen, dass der Warzenhof nahezu abgetrennt war. Zudem hatte er sein Opfer mit einer Flasche Haarspray sexuell misshandelt.
Bundy musste irrsinnig schnell vorgegangen sein. Die Beamten der Mordkommission gingen davon aus, dass er alle vier Angriffe innerhalb von 15 Minuten durchgeführt hatte. Karen Chandler und Kathy Kleiner konnten der Polizei keine Angabe hinsichtlich des Täters machen. Sie waren im Schlaf überrascht worden und konnten sich an den Überfall überhaupt nicht erinnern. Insgesamt hatten sich 30 Frauen zum Zeitpunkt der Morde im Gebäude befunden. Keine hatte etwas gehört, geschweige denn gesehen. Einzig Nita Neary lieferte den Beamten eine grobe Beschreibung des Angreifers. So tappten die Polizisten zunächst im Dunkeln. Aber der Mörder sollte sie weiter auf Trab halten. Denn in der derselben Nacht schlug er unweit des Chi-Omega-Hauses erneut zu.
Nur eine Stunde später
Ungefähr einen Kilometer entfernt vom Studentinnenwohnheim wurde eine junge Frau in dieser Nacht von lauten Klopfgeräuschen geweckt, die aus der Wohnung neben ihr kamen. Sie blickte auf die Uhr. Es war 4.00 Uhr morgens. Was zum Teufel trieb ihre Freundin Cheryl Thomas da, fragte sich die junge Frau. Sie wurde misstrauisch und weckte ihre Mitbewohnerin. Nun hörten sie deutlich ein Stöhnen von nebenan. Keines von der Sorte, das Gutes erwarten ließ. Sie riefen bei Cheryl Thomas an. Sie hörten das Telefon läuten, aber niemand hob den Hörer ab. Die Frauen verständigten umgehend die Polizei.
Die Polizisten waren in Rekordtempo vor Ort, denn schließlich war ja nur acht Blocks entfernt ein Großaufgebot in dieser Nacht zugange. Sie betraten Cheryl Thomas‘ Kellerwohnung und gingen in ihr Schlafzimmer. Die Studentin saß aufrecht in ihrem Bett. Sie war halb nackt, noch bei Bewusstsein, aber offensichtlich erheblich verletzt. Ihr Gesicht war von schweren Schlägen verwüstet, aus dem Kopf quoll Blut.
Im Krankenhaus stellte sich heraus, dass Ted Bundy ihr die Schulter ausgerenkt und den Kiefer und Schädel an fünf verschiedenen Stellen gebrochen hatte. Cheryl Thomas würde lebenslang auf dem linken Ohr taub bleiben und eine Gleichgewichtsstörung von der Attacke zurückbehalten. Ihre Karriere als Tänzerin, von der sie geträumt hatte, war damit beendet.
Spuren am Tatort
Die Ermittler sicherten akribisch Beweise, die der Täter am Tatort zurückgelassen hatte. Am Fußende des Bettes fanden die Beamten eine Maske. Spätere Vergleiche ergaben, dass die Maske identisch mit einem Exemplar war, welches man 1975 in Bundys VW-Käfer sichergestellt hatte. Die Beamten waren zudem in der Lage, Blut des Täters, Spermaspuren sowie Fingerabdrücke zu sichern.
Leider war das Spurenmaterial nicht sonderlich beweiskräftig. Die Fingerabdrücke waren verschmiert und unvollständig. Aus dem Blut und Sperma ließ sich mit den damaligen Methoden nicht mehr als die Blutgruppe bestimmen. Das interessanteste Detail aus Sicht der Ermittler stellten die Haare dar, die man in der Maske gefunden hatte und die man später Bundy zuordnen konnte, sowie die Bissspuren am Körper von Lisa Levy. Damit konnte man den Täter möglicherweise vor Gericht überführen. Ted Bundy geriet allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht ins Visier der Fahnder, da er in Florida bisher gänzlich unbekannt war.
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Weitere Kapitel zum Fall Ted Bundy
- Ted Bundy - Der Campus Killer
- (2) Lynda Ann Healy
- (3) Washington und Oregon 1974
- (4) Lake Sammamish
- (5) Utah 1974
- (6) Carol DaRonch
- (7) Debra Kent
- (8) Colorado 1975
- (9) Verhaftung von Ted Bundy
- (10) Lebensgeschichte Ted Bundy
- (11) Prozess in Utah 1976
- (12) Flucht von Ted Bundy
- (13) Chi-Omega
- (14) Kimberly Leach
- (15) Prozess in Miami 1979
- (16) Prozess in Orlando 1980
- (17) Im Todestrakt
- (18) Modus Operandi Ted Bundy
- (19) Pathologie Ted Bundy
- (20) Mögliche weitere Opfer von Ted Bundy
- (21) Bücher zu Ted Bundy
- (22) Filme zu Ted Bundy
- Ann Marie Burr - Die Sturmnacht
Bilder und Bildunterschriften sind wohl vertauscht. Das Bild von Karen Chandler zeigt Kathy Kleiner und umgekehrt
Ja, danke für den Hinweis, ist geändert.
Herzliche Grüße
Richard Deis