Am 9. Februar 1978 erhielt die Polizei von Lake City, Florida, einen Anruf der besorgten Eltern der 12-jährigen Kimberly Leach. Ihre Tochter war spurlos vom Schulgelände verschwunden. Eine Lehrkraft hatte das Mädchen an diesem Morgen gebeten, zu ihrem Klassenlehrer zu gehen, um dort eine verloren gegangene Geldbörse abzuholen, die jemand gefunden hatte. Irgendwo auf diesem Weg ging Kimberly Leach selber perdu. Niemand konnte sich das Verschwinden erklären.
Die Polizei startete eine massive Suchaktion. Die Person, die Kimberly zuletzt gesehen hatte, war ihre Freundin Priscilla. Sie berichtete der Polizei, sie habe Kimberly in das Auto eines Fremden einsteigen sehen. Sie konnte sich jedoch nicht an den Autotyp oder den Fahrer zu erinnern. Sie wusste lediglich, dass es sich um einen weißen Lieferwagen gehandelt hatte.
Sieben Wochen später entdeckte man die bereits mumifizierte Leiche von Kimberly Leach in einem Schweinekoben in der Nähe des Suwannee River State Park, gut 50 Kilometer nordwestlich von Lake City. Der Körper war so stark verwest, dass sich keine brauchbaren Spuren sichern ließen – bis auf ein paar Textilfasern, die später entscheidende Bedeutung erlangten.
Der Feuerwehrmann in der Schifferjacke
In der Zwischenzeit hatte sich eine weitere Zeugin bei der Polizei gemeldet. Die 14-jährige Leslie Parmenter war am 8. Februar 1978, also einen Tag vor dem Verschwinden von Kimberley Leach, von einem Mann angesprochen worden, der vorgab, Feuerwehrmann zu sein. Er fragte das Mädchen, ob sie die Schule besuchen würde, vor der sie gerade stand und auf ihren Bruder wartete.
Der Teenager fand es sehr seltsam, dass der angebliche Feuerwehrmann karierte Hosen und einen Kaban trug. Leslie Parmenter fühlte sich unbehaglich. Ihr Vater, ein Kriminalbeamter der Polizei von Jacksonville, hatte sie oft genug gewarnt, sich nicht von Fremden ansprechen zu lassen. Sie war erleichtert, als in diesem Moment ihr Bruder vorfuhr und der Mann sofort verschwand. Dem Bruder kam der Typ in der blauen Schifferjacke ebenfalls suspekt vor. Er folgte seinem Wagen und schrieb sich das Kennzeichen auf. Am Abend überreichte er den Zettel seinem Vater.
Detective James Parmenter checkte am nächsten Tag das Nummernschild. Er erfuhr, dass ein gewisser Randall Ragen der Halter des Wagens war. Parmenter stattete dem Mann einen Besuch ab. Ragen sagte aus, dass man ihm vor einigen Tagen die Nummernschilder seines Wagens geklaut habe. Inzwischen habe er neue beantragt. James Parmenter überprüfte die Geschichte und fand heraus, dass Ragen den Diebstahl bereits gemeldet hatte, bevor seine Tochter von dem Fremden angesprochen wurde. Ragen schien die Wahrheit zu sagen.
Offensichtlich war auch der Wagen, den seine Kinder beschrieben hatten, gestohlen worden. Parmenter hatte von dem Vermisstenfall Kimberley Leach im 100 Kilometer entfernten Lake City gehört. Auch dort hatte ein weißer Lieferwagen eine Rolle gespielt. Er unterrichtete die dortigen Kollegen über seine Ermittlungsergebnisse.
Auf der Flucht nach Alabama
Den weißen Transporter, den Ted Bundy an der Florida State University in Tallahassee gestohlen hatte, hatte er nach dem Mord an Kimberly Leach stehen lassen. Er war mit einem neuen gestohlenen Wagen unterwegs durch den sogenannten Florida Panhandle, den Nordwestteil des Bundesstaates Florida, der auf der Karte einem Pfannengriff ähnelte. Dieses Mal war es ihm gelungen, einen Wagen zu knacken, mit dem er sich besser auskannte: einen VW-Käfer. Bundy hatte seine Zelte in Tallahassee abgebrochen. Ihm ging das Geld aus und er konnte die Miete für sein Zimmer nicht mehr bezahlen. Außerdem befürchtete er, dass die Polizei ihm bereits auf den Fersen war, was nicht stimmte.
Am 15. Februar 1978 hatte Ted Bundy gegen ein Uhr nachts fast die Staatsgrenze zu Alabama erreicht. Officer David Lee patrouillierte zur selben Zeit im Westen von Pensacola. Da fiel dem Verkehrspolizisten ein orangefarbener VW-Käfer auf. Er hatte den Wagen noch nie in der Gegend gesehen. Er meldete sich per Funk in der Zentrale und ließ das Kennzeichen überprüfen. Das Fahrzeug sei gestohlen, meldete man ihm. David Lee schaltete sein Rotlicht an und nahm die Verfolgung auf.
Niedergerungen
Bundy fuhr rechts ran. David Lee befahl ihm, auszusteigen und sich mit ausgestreckten Armen auf den Bauch zu legen. Als David Lee ihm gerade Handschellen anlegen wollte, drehte sich Bundy um und zog Lee zu Boden. Bundy gelang es, sich zu befreien. Er rannte auf die angrenzende Wiese. Lee entsicherte seine Waffe und feuerte einen Warnschuss ab. Bundy tat so, als hätte die Kugel ihn getroffen, und ließ sich fallen. Sobald sich David Lee ihm wieder auf Armweite genähert hatte, griff Bundy erneut an. Die beiden rangen um Lees Pistole. Dieses Mal war der Polizeibeamte allerdings in der Lage, Bund zu überwältigen und zu fesseln. Er brachte ihn aufs Revier.
Laut David Lee sagte Bundy zu ihm, nachdem er die Handschellen angelegt hatte: „Wäre besser gewesen, Sie hätten mich umgebracht.“ In dem gestohlenen Fahrzeug fanden die Beamten drei Ausweise von Studentinnen der Florida State University, 21 gestohlene Kreditkarten und einen geklauten Fernseher. Zusätzlich entdeckte man ein Brillengestell mit dunklem Rahmen und Fensterglas sowie eine karierte Hose. Genau so ein Modell hatte der Mann getragen, der Leslie Parmenter in Jacksonville angesprochen hatte.
Zwei Mordprozesse
In den nun folgenden Monaten sammelten die Ermittler Beweise, die Ted Bundy mit dem Mord an Kimberly Leach in Verbindung brachten. Man fand den weißen Lieferwagen, den Bundy gestohlen hatte. Man trieb drei Augenzeugen auf, die Bundy mit dem Wagen am 9. Februar, dem Tag des Verschwindens von Kimberly Leach, gesehen hatten. In dem Lieferwagen fanden sich Textilfasern, die von Bundys Kleidungsstücken stammten. Auf einem Teppichstück, das in dem Transporter lag, entdeckten die Beamten Blutflecken. Die Blutgruppe stimmte mit der von Kimberly Leach überein. An der Unterwäsche des Mädchens hatte das Kriminallabor Sperma sichergestellt. Das Sperma hatte dieselbe Blutgruppe wie Bundy. Neben dem Leichnam von Kimberly Leach hatte man einen Schuhabdruck entdeckt. Das Profil entsprach einem Schuh, der sich Bundys Besitz befand.
Der zuständige Staatsanwalt war überzeugt, dass diese Indizien ausreichen würden, um Ted Bundy des Mordes an Kimberley Leach zu überführen. Am 31. Juli 1978 erfolgte die Anklageerhebung. Doch bevor dieser Prozess stattfand, musste sich Bundy zunächst für die beiden Morde und drei Mordversuche an den fünf Studentinnen der Florida State University vor Gericht verantworten. Das Verfahren begann am 25. Juni 1979 in Miami, Florida.
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Weitere Kapitel zum Fall Ted Bundy
- Ted Bundy - Der Campus Killer
- (2) Lynda Ann Healy
- (3) Washington und Oregon 1974
- (4) Lake Sammamish
- (5) Utah 1974
- (6) Carol DaRonch
- (7) Debra Kent
- (8) Colorado 1975
- (9) Verhaftung von Ted Bundy
- (10) Lebensgeschichte Ted Bundy
- (11) Prozess in Utah 1976
- (12) Flucht von Ted Bundy
- (13) Chi-Omega
- (14) Kimberly Leach
- (15) Prozess in Miami 1979
- (16) Prozess in Orlando 1980
- (17) Im Todestrakt
- (18) Modus Operandi Ted Bundy
- (19) Pathologie Ted Bundy
- (20) Mögliche weitere Opfer von Ted Bundy
- (21) Bücher zu Ted Bundy
- (22) Filme zu Ted Bundy
- Ann Marie Burr - Die Sturmnacht