(4) Die To-do-Liste

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Les Zoeller, zuständiger Beamter der Mordkommission, reagierte zunächst skeptisch auf die Anschuldigungen der May-Brüder. Zoeller konnte angesichts der Indizien, die sie vorlegten, ja noch nachvollziehen, dass Joe Hunt im großen Stil Anlagebetrug begangen hatte. Aber Mord? Nach den Schilderungen der Brüder May hatte Zoeller eher den Eindruck gewonnen, dass Hunt ein gewohnheitsmäßiger Lügner und Aufschneider war.

Doch als Zoeller die Datenbank nach Ron Levin überprüfte, stellte er fest, dass Levins Vater zwei Wochen zuvor Vermisstenanzeige für seinen Sohn gestellt hatte. Die Polizei war der Anzeige wegen Levins Vorstrafen bisher nicht nachgegangen. Die Beamten der Vermisstenfahndung glaubten, dass Levin mal wieder ein krummes Geschäft gedreht habe und untergetaucht sei. Zoeller telefonierte mit Levins Vater, der sich ernsthaft Sorgen um seinen Sohn machte. Der Vater erklärte sich einverstanden, dass sich Zoeller in Levins Haus umschaute.

Die Liste des Mörders

Im Beisein von Levins Vater ging Zoeller die Unterlagen durch. Er fand sowohl den Vertrag als auch die Briefe, die Joe Hunt in der Wohnung zurückgelassen hatte. Doch ein weitaus interessanteres Fundstück fiel Levins Vater in die Hände: Eine Art Liste, die sieben Seiten umfasste. Es handelte sich um handschriftliche Aufzeichnungen. Levins Vater hatte keine Ahnung, wozu diese Aufstellung dienen sollte und wer sie verfasst hatte. Denn der Text stammte auf keinen Fall aus der Feder seines Sohnes, das erkannte er am Schriftbild. Die Liste umfasste stichwortartige Bemerkungen wie:

Jim gräbt eine Grube
Joe trifft um 9:00 Uhr ein. Lässt Jim rein.
Unterzeichnung des Vertrages
Jalousien schließen
Mund verkleben
Handschellen
Hund töten

Les Zoeller hingegen dämmerte, was der Inhalt dieses Schreibens bedeutete. Das war die To-do-Liste eines Mörders. Genau die Art und Weise, wie ein hochgradig organisierter Broker ein Kapitalverbrechen angehen würde. Aber konnte Hunt tatsächlich so blöde sein, dieses erstklassige Beweisstück an einem potenziellen Mordtatort zurückzulassen? Ein Vergleich der Fingerabdrücke und eine Schriftanalyse würden diese Frage klären.

Billionaire Boys Club - Joe Hunt - To-do-Liste
Die To-do-Liste

Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter

Zoeller unterrichtete umgehend die May-Brüder über die neuesten Entwicklungen. Da er Tom May nicht zu Hause antraf, hinterließ er eine kurze Nachricht auf dessen Anrufbeantworter. Was Zoeller nicht ahnen konnte: Joe Hunt hatte inzwischen Wind von der Meuterei seiner Mitarbeiter bekommen und war in Tom Mays Wohnung eingebrochen. Er suchte die belastenden Dokumente, die ihm die Zwillinge entwendet hatten. Nun hörte er Zoellers Nachricht auf dem AB. Die Zwillinge hatten ihn verpfiffen. Für Joe Hunt kam das einer Kriegserklärung gleich.

Hunt versuchte daraufhin, Dave und Tom May in eine Falle zu locken. Die beiden waren klug genug, nicht darauf einzugehen. Die Schlinge um Joe Hunts Hals zog sich immer mehr zu. Die einstigen Mitarbeiter wendeten sich von ihm ab, die Polizei war ihm auf den Fersen und die Investoren, die von den Schwierigkeiten Wind bekommen hatten, verlangten ihr Geld zurück.

Ein Riesenbluff

Joe Hunt berief eine Generalversammlung ein. 70 geschockten Anlegern erklärte er nun, dass ihr Vermögen futsch war. Hunt besaß sogar noch die Chuzpe, ihnen vorzuwerfen, dass sie wegen ihrer Panik selber Schuld an dem Verlust trugen. Juristisch gesehen sei er nicht verpflichtet, ihnen ihr Geld zurückzuzahlen. Doch wenn sie ihm schriftlich zusicherten, ihn nicht zu verklagen, würde er für jeden Unterzeichner eine individuelle Rückzahlungsvereinbarung aufsetzen.

Hunt zog wieder mal einen Riesenbluff ab. Die meisten geprellten Anleger waren jedoch zu geschockt, um sich zur Wehr zu setzen, und unterschrieben. Sie klammerten sich an die irrationale Hoffnung, zumindest einen Teil ihrer Investitionen zurückzuerhalten. Joe Hunt musste keinen einzigen Cent erstatten. Denn am 28. September 1984 nahm die Polizei ihn in Gewahrsam.

Im Verhör

Les Zoeller verhörte ihn. Joe Hunt gab sich während des Verhörs unerschrocken und cool. Ein Beamter nahm ihm die Fingerabdrücke ab. Während Hunt im Verhörzimmer wartete, verglichen die Ermittler die Abdrücke mit jenen, die sie auf der To-do-Liste sichergestellt hatten. Die Fingerabdrücke waren identisch. Zoeller behielt dieses Detail zunächst für sich und befragte Hunt nach seiner Beziehung zu Ron Levin.

Billionaire Boys Club - Joe Hunt
Joe Hunt

Joe Hunt behauptete, er und Levin seien enge Freunde und Geschäftspartner gewesen. Je mehr Hunt ins Reden kam, umso sicherer fühlte er sich. Dann ließ Zoeller die Bombe platzen. Er legte die siebenseitige Liste auf den Tisch. Die habe man in Levins Wohnung gefunden. Hunts Fingerabdrücke seien überall auf dem Dokument zu finden. Wie erkläre er sich das? Für einen Moment schwieg Joe Hunt. Zoeller hatte ihn überrumpelt. Dann verlangte Hunt einen Anwalt.

Stattdessen ließ ihn Zoeller laufen. Hunt redete sich wieder ein, dass die Polizei nicht genügend gegen ihn in der Hand halte, um ihm etwas nachzuweisen. Er suchte Dean Karny auf und verlangte von ihm, dass er ihm ein Alibi liefere für die Nacht, in der Levin verschwunden war. Dean willigte zwar ein, wurde aber zunehmend nervös. Er hatte Angst, dass man ihn als Nächsten verhaften würde.

Der Kronzeuge

Zoeller hatte in der Zwischenzeit von Reza Eslaminias Aktivitäten in der Schweiz erfahren. Bevor der Besitz seines Vaters auf seinen Namen überschrieben wurde, erwirkte er bei den Schweizer Behörden einen Beschluss, der dies verhinderte. Reza Eslaminia und Ben Dotsi kehrten daraufhin in die USA zurück. Als Dotsi mit seiner Mutter telefonierte, erfuhr er, dass die Polizei nach ihnen fahndete. Eslaminia und Dotsi tauchten unter.

Dean Karny traf eine andere Entscheidung. Er vertraute sich seinen Eltern an. Diese besorgten ihm einen Anwalt, der einen Deal mit dem Staatsanwalt aushandelte. Er bekam Straffreiheit garantiert, wenn er ein volles Geständnis ablegte und alle Beteiligten ans Messer lieferte. Dean Karny, die Nummer 2 des »Billionaire Boys Club« willigte erleichtert ein. Er beichtete die beiden Morde und führte die Ermittler zum Versteck von Eslaminias Leiche. Sie fanden nur noch Knochen vor, aber mittels des Gebisses war es möglich, den iranischen Geschäftsmann zu identifizieren.

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