(15) Die Manson Family vor Gericht: Prozessspektakel

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Der Prozess gegen die Manson Family begann am 15. Juni 1970. Der Staatsanwaltschaft war es gelungen, Linda Kasabian davon zu überzeugen, als Kronzeugin gegen die Mitangeklagten aufzutreten. Sie war bei allen Verbrechen anwesend gewesen, aber sie hatte offensichtlich keines der Opfer getötet. Man konnte ihr im Falle der Kooperation eine Bewährungsstrafe anbieten.

Das Kreuz auf der Stirn

Charles Manson wollte sich vor Gericht selbst verteidigen. Richter William Keene genehmigte diese Bitte zunächst. Manson torpedierte daraufhin das Gericht mit unzähligen Eingaben und Anträgen, noch bevor die Beweisaufnahme begann. Richter Keene revidierte seine Entscheidung und forderte Manson auf, einen Verteidiger zu benennen. Manson stellte umgehend einen Befangenheitsantrag gegen William Keene, dem stattgegeben wurde. Zum neuen Vorsitzenden des Verfahrens ernannte man Richter Charles Older.

Am Freitag, dem 24. Juli, konnte endlich de Beweisaufnahme eröffnet werden. Als Charles Manson an diesem Tag vor Gericht erschien, hatte er sich ein Kreuz in die Stirn geritzt. Er behauptete, man verweigere ihm das Recht sich angemessen und kompetent verteidigen zu dürfen. Das X auf der Stirn markiere ihn als Rechtlosen. So würde ihn das Gericht und damit die Gesellschaft offensichtlich sehen. Am Wochenende schnitzten sich die weiblichen Angeklagten bis auf Linda Kasabian ebenfalls ein Kreuz auf die Stirn. Später änderte Manson das Kreuz zur Swastika ab, mit der er bis zu seinem Lebensende herumlief.

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Charles Manson mit dem Kreuz auf der Stirn

Treue Anhänger

In diesem Stil setzte sich der Prozess fort. Öffentlichkeitswirksame Showeffekte wechselten sich mit Störungen ab. In dem Verfahren war ständig etwas los. Während der Verhandlung lungerten beispielsweise die Mitglieder der Manson Family, die sich auf freiem Fuß befanden, permanent vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes und auf dessen Fluren herum. Man konnte sie gut erkennen. Denn sie hatten sich inzwischen alle nach Mansons Vorbild ein Kreuz in die Stirn geritzt.

Die Manson Family campierte auch nachts vor dem Gericht, protestierte gegen das Verfahren, verlangte die sofortige Freilassung von Charles Manson und drohte unverhohlen mit Vergeltungsanschlägen. Um den Drohungen etwas Nachdruck zu verleihen, liefen Mansons Anhänger mit einem Jagdmesser am Gürtel herum. Das Tragen einer solchen Stichwaffe war allerdings in Kalifornien erlaubt, sodass die Polizei keinerlei Handhabe hatte, diese Provokation zu beenden.

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Mansons Anhänger auf „Protestmarsch“ durch Los Angeles zum Gerichtsgebäude – auf Knien rutschend

Normalerweise wäre diese Gruppe jeden Tag im Gerichtssaal zugegen gewesen. Aber die Staatsanwaltschaft hatte sich mittels eines Tricks zumindest dieses Problems entledigt. Man hatte den namentlich bekannten Mitgliedern der Manson Family Vorladungen als Zeugen zugestellt. Damit war es ihnen untersagt, der Verhandlung im Gerichtssaal beizuwohnen, um nicht die Aussagen anderer Zeugen zu hören.

Charles Manson geht auf den Richter los

Es ging dennoch nahezu pausenlos rund im Gerichtssaal. Der Richter sperrte Manson und die übrigen Angeklagten mehrfach vorübergehend vom Verfahren aus, weil sie die Verhandlung massiv gestört hatten. Der Höhepunkt war am 5. Oktober erreicht, als Charles Manson eine Zeugin der Anklage ins Kreuzverhör nehmen wollte, der Richter ihm dies aber untersagte. Wutentbrannt stürmte Manson auf die Richterbank zu. Die Wärter bekamen ihn noch im letzten Moment zu fassen, bevor er dem Richter an die Wäsche gehen konnte.

Manson tobte und schrie: »Jemand sollte dir den Kopf abschneiden!« Atkins, Krenwinkel und Van Houten standen auf und sangen lateinische Choräle. Von nun an trug Richter Older jeden Tag eine Pistole unter seiner Robe.

Charles Manson besaß einen unstillbaren Drang nach Aufmerksamkeit. Und natürlich wollte er auch hier im Gerichtssaal am liebsten die Kontrolle über das Geschehen behalten. Doch der Rabatz, den er regelmäßig veranstaltete, diente noch einem weiteren Zweck. Er ließ erahnen, mit welchem Kalkül Manson seine öffentlichen Auftritte inszenierte. Denn so stellte Manson sicher, dass die Medien sich vornehmlich mit seiner Person beschäftigten und nicht etwa mit den Beweisen, die die Staatsanwaltschaft Tag für Tag präsentierte.

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Charles Manson 1970

Der Schuss ging für ihn aber auch nach hinten los. Der Richter hatte zu Beginn des Verfahrens angeordnet, dass die Geschworenen für die Dauer des gesamten Prozesses hermetisch von der Außenwelt abgeschottet blieben. Die Behörden quartierten die Jury in einem Hotel ein. Die Geschworenen mussten dort 225 lange Tage ausharren – damals ein Rekord in der amerikanischen Justizgeschichte. Der O.J. Simpson-Fall, der ebenfalls in Los Angeles verhandelt wurde, sollte diese Zahl nochmals überbieten.

Das Chamäleon

Das Einzige, was die Geschworenen also von Charles Manson wahrnahmen, waren seine Auftritte vor Gericht. Dort beobachteten sie unter anderem einen gemeingefährlichen Giftzwerg, der dem Richter die Rübe abhacken wollte. Mit solchen Auftritten konnte man keine Pluspunkte bei Geschworenen einheimsen.

Die Geschworenen lernten jedoch auch eine andere Seite von Manson kennen. Der Angeklagte besaß zwar praktisch keinerlei Schuldbildung, wusste sich aber dennoch durchdacht und artikuliert auszudrücken. Er witterte sofort, wenn ihm der Staatsanwalt mit einer Frage eine Falle stellen wollte. Er antwortete nie spontan und unüberlegt, sondern wägte seine Antwort immer genau ab.

Gegenüber den Zuschauern im Saal zeigte er wieder ein anderes Gesicht. Er lächelte. Er scherzte mit der Presse. Er zwinkerte, insbesondere wenn er ein hübsches Mädchen im Publikum entdeckte. Manson war ein Chamäleon, der nicht im Geringsten von der Schwere der Anklage belastet zu sein schien.

Aber im Grunde genommen spielte er mit diesem Verhalten der Staatsanwaltschaft in die Karten. Die Geschworenen bekamen eine Vorstellung davon, wie es diesem Mann möglicherweise gelungen war, eine Gruppe junger Menschen in seinen Bann zu ziehen und nach seinem Willen zu manipulieren.

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Die verschiedenen Gesichter von Charles Manson

Einschüchterung von Zeugen

Und Mansons Einfluss war nach wie vor intakt, trotz der dicken Gefängnismauern, hinter die man ihn eingesperrt hatte. Er etablierte ein effektives Kommunikationsnetzwerk, mit dessen Hilfe er sowohl den inhaftierten als auch freien Mitgliedern der Manson Family Botschaften zukommen ließ. Wichtigstes Ziel: Alle musste dichthalten. Jede Aussage eines Insiders war bedrohlich für ihn.

Nur einige wenige ehemalige Anhänger hatten sich inzwischen von Charles Manson distanziert. Dazu gehörten neben der Mitangeklagten Linda Kasabian auch Paul Watkins, Barbara Hoyt und Juan Flynn. Manson gab den Befehl, die Verräter mundtot zu machen. Die drei wurden daraufhin zur Zielscheibe von massiven Einschüchterungsversuchen und mindestens zweier Mordanschläge.

Verteidigung verzichtet auf Beweisaufnahme

Die Beweisaufnahme der Anklage dauerte 22 Wochen. Am 16. November 1970 war die Verteidigung am Zug. Doch die Anwälte verzichteten darauf, eigene Zeugen aufzurufen. Im Gerichtssaal machte sich grenzenloses Erstaunen breit. Krenwinkel, Atkins und Van Houten sprangen von ihren Plätzen auf und schrien, sie wollten eine Aussage machen. Der Richter und alle anderen Prozessbeteiligten waren nun vollends verwirrt.

Der Vorfall klärte sich im Richterzimmer bei einer Besprechung mit den Anwälten auf. Die Angeklagten wollten bezeugen, dass nur sie und nicht Charles Manson die Morde geplant und ausgeführt hätten. Manson sei vollkommen unschuldig. Indem die Verteidiger auf die Beweisaufnahme verzichtet hatten, wollten sie diese Aussage verhindern.

Sie waren der Ansicht, dass die Frauen bewusst das Gericht belügen wollten, um sich selbst zu belasten und damit Manson zu schützen. Ihrer Meinung nach hatte Manson die Frauen dahin gehend manipuliert. Wie sich später herausstellte, lagen sie mit der Einschätzung richtig. Patricia Krenwinkel gab 1987 in einem Interview zu, dass Charles Manson jeden ihrer Schritte vor Gericht minutiös geplant hatte. Es existierte eine Art Skript, an das sich jeder der Mitangeklagten zu halten hatte.

Ronald Hughes, der Anwalt von Leslie Van Houten, protestierte besonders stark gegen die Vorgänge. Er drohte damit, sein Mandat niederzulegen. Einige Tage später verschwand der bekannte Hippieanwalt spurlos von der Bildfläche. Nach Ende des Prozesses fand man seinen Leichnam eingekeilt zwischen zwei Felsblöcken im Ventura County. Die Polizei vermutete, dass der widerspenstige Verteidiger von Mitgliedern der Manson Family getötet worden war. Letztlich konnte man dies aber nie beweisen.

Charles Manson betritt den Zeugenstand

Am nächsten Tag, dem 17. November 1970, betrat Charles Manson den Zeugenstand. Er sprach mehr als eine Stunde und stritt jede Beteiligung an den Taten ab. Er könne nichts dafür, wenn einiger seiner Freunde mehrere Morde verübt hätten. Aus seiner Sicht war die Rockmusik an allem schuld. »Die Musik fordert die jungen Menschen dazu auf, sich gegen die bürgerliche Gesellschaft aufzulehnen. Warum will man das mir anhängen? Ich hab die Musik nicht geschrieben.«

Manson bestritt auch, jemals Personen aus der Manson Family aufgefordert zu haben, jemanden zu töten. »Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je gesagt hätte: ‚Schnapp dir ein Messer, zieh dir was anderes an und mach gefälligst das, was Tex [Charles Watson] dir sagt.‘«

Geschworene fällen ihr Urteil

All das Taktieren und Manipulieren zahlte sich am Ende nicht aus. Am 15. Januar 1971 zogen sich die Geschworenen zur Urteilsberatung zurück. Damit bog der bis dato längste und teuerste Mordprozess in der amerikanischen Kriminalgeschichte auf die Zielgerade ein. Allein die Prozessprotokolle umfassten 209 Bücher mit über 30.000 Seiten.

Am 25. Januar 1971 hatte die Jury ihr Urteil gefällt. Im Gerichtsgebäude galt die höchste Sicherheitsstufe. Der Gerichtssaal war gerammelt voll mit bewaffneten Sicherheitskräften. Zuvor war ein Mitglied der Manson Family mit einer Kiste Handgranaten erwischt worden, die er auf einem Marinestützpunkt gestohlen hatte.

Die Jury sprach alle Angeklagten inklusive Charles Manson der Morde schuldig. Patricia Krenwinkel schrie die Jury an: »Ihr habt gerade euer eigenes Todesurteil verlesen.« Susan Atkins drohte: »Verschließt lieber eure Türen und passt auf eure Kinder auf.«

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Der spezielle Gruß von Staatsanwalt Bugliosi an Manson nach der Urteilsverkündung

Verhängung der Todesstrafe

Noch stand die Verkündung des Strafmaßes aus. Die Angeklagten hatten nochmals Gelegenheit, sich zu rechtfertigten. Susan Atkins, Patricia Krenwinkel und Leslie Van Houten behaupteten, die Tate- und LaBianca-Morde seien lediglich Nachahmungstaten gewesen, um den Mord an Gary Hinman zu vertuschen, für den nun Susan Atkins die alleinige Verantwortung übernahm.

Man habe den Verdacht von Bobby Beausoleil lenken wollen, der wegen des Hinman-Mordes im Gefängnis saß. Also habe man ähnliche Verbrechen begangen, bei denen Beausoleil unmöglich als Täter infrage gekommen sei. Den Plan habe sich Linda Kasabian ausgedacht, die Kronzeugin der Anklage. Sie sei in Beausoleil verliebt gewesen.

Mitten in dieser Prozessphase tauchte Charles Manson eines Morgens mit rasiertem Schädel auf. Seinen Vollbart hatte er zu zwei Zöpfen gedreht. Er äußerte gegenüber der Presse: »Ich bin der Teufel und der Teufel trägt immer Glatze.« Die weiblichen Angeklagten Atkins, Krenwinkel und Van Houten folgten Mansons Beispiel und rasierten sich am folgenden Tag ebenfalls die Haare ab.

Der Versuch der Angeklagten, Charles Manson zu entlasten und Linda Kasabian die Hauptschuld in die Schuhe zu schieben, misslang. Am 29. März 1971 verurteilten die Geschworenen die Angeklagten zum Tode. Zu einem späteren Zeitpunkt kam es zu weiteren Prozessen wegen der Morde an Gary Hinman und Donald Shea. In diesen Fällen verurteilte das Gericht Robert Beausoleil, Charles Manson, Charles Watson, Bruce Davis und Steve Grogan.

 

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