(2) Der Beginn der Mordserie 1976

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Michelle Forman

An Heiligabend 1975 unternahm David Berkowitz seinen ersten Versuch, einen Menschen zu töten. Zunächst griff er in Co-op City, einer Hochhausstadt in der Bronx, eine junge Frau an, die gerade einen Supermarkt verlassen hatte. Er stach sie mit einem Jagdmesser zweimal von hinten in den Rücken. Die Frau drehte sich um, fing laut an zu schreien, als sie Berkowitz mit dem Messer Hand sah, und warf ihm ihre Einkäufe vor die Füße. David Berkowitz flüchtete daraufhin. Den Kriminalbeamten gelang es nie, die Identität des Opfers festzustellen. Die Frau hatte sich weder an die Polizei noch an einen Arzt gewandt.

Nur kurze Zeit später attackierte David Berkowitz die 15-jährige Michelle Forman. Sie schrie und wehrte sich nach Leibeskräften gegen den Messerstecher. David Berkowitz stach wieder und wieder auf das Mädchen ein. Sie leistete dennoch heftigen Widerstand. David Berkowitz bekam Panik und lief davon. Michelle Forman schleppte sich trotz der schweren Verletzungen bis vor die Haustür ihrer Eltern. Eine Nachbarin fand sie dort bewusstlos vor und alarmierte sofort den Notarzt. Die Hilfe kam noch rechtzeitig, das Mädchen überlebte.

Co-Op City - Bronx - New York City
Co-Op City, New York, 1973
Quelle: Garry Miller, US National Archives, NARA record: 8464459

Veränderter Modus Operandi

Die New Yorker Polizei hatte diese Tat nie mit den sogenannten »Son of Sam«-Morden in Zusammenhang gebracht. Ohne das Geständnis von David Berkowitz wäre dieses Verbrechen ungeklärt geblieben. Aber von einer wirklichen Ermittlungspanne konnte man hier nicht reden. Denn der Täter änderte danach seine Vorgehensweise.

David Berkowitz hatte sich das Töten anders vorgestellt. Er war davon ausgegangen, dass seine Opfer gleich beim ersten Messerstich zu Boden sinken würden. So wie er es aus Filmen kannte. Stattdessen kreischten sie und schlugen wild um sich. Er selbst war über und über mit Blut befleckt. Das war ganz und gar nicht nach Berkowitz‘ Geschmack. In der Folge besorgte er sich mehrere Schusswaffen, darunter den berühmt-berüchtigten Revolver .44 Bulldog Charter Arms, der zum Erkennungsmerkmal des »Son of Sam«-Serienmörders werden sollte.

Donna Lauria und Jody Valenti

Den ersten Mord beging David Berkowitz am 29. Juli 1976 im Stadtteil Pelham Bay in der Bronx im Norden von New York. Jody Valenti (19) und Donna Lauria (18) hatten den Abend in der Diskothek »Peachtree« verbracht. Jody fuhr anschließend ihre Freundin, die bei den Eltern wohnte, nach Hause. Gegen 1.00 Uhr parkten sie vor Donnas Hauseingang. Die beiden blieben noch einige Minuten im Fahrzeug sitzen und sprachen miteinander.

Um 1.10 Uhr verabschiedete sich Donna Lauria von ihrer Freundin. Als sie die Beifahrertür öffnete, um auszusteigen, bemerkte sie einen Mann, der sich mit schnellen Schritten von der Rückseite dem Wagen näherte. »Wer ist dieser Typ? Was will der-« Jody Valenti drehte sich instinktiv um. Sie erkannte einen Mann, der gerade eine Pistole aus einem Papierbeutel hervorzog. Der Fremde ging leicht in die Hocke und richtete die Waffe auf Donna aus. Er feuerte drei Schüsse ab. Der erste Schuss tötete Donna Lauria auf der Stelle. Eine zweite Kugel traf Jody Valenti im Oberschenkel. Das dritte Geschoss verfehlte beide Frauen. Ohne ein einziges Wort zu sagen, drehte sich der Killer um und lief davon.

David Berkowitz - Donna Lauria
Donna Lauria
David Berkowitz - Jody Valenti
Jody Valenti

Valentis Verletzung entpuppte sich als harmlose Fleischwunde. Die Kriminalbeamten konnten sie noch in derselben Nacht vernehmen. Sie lieferte ihnen eine vielversprechende Personenbeschreibung. Jody Valenti beschrieb den Schützen als einen Weißen mit auffällig heller Gesichtsfarbe. Er sei etwa 30 Jahre alt, 1,75 m groß und 75 Kilo schwer. Er habe lockiges, dunkles, kurz geschnittenes Haar.

David Berkowitz - Phantombild Jody Valenti
Phantombild nach den Angaben von Jody Valenti

Ein gelber Wagen

Der Vater von Donna, Michael Lauria, sah sich das Phantombild an, das ein Zeichner nach Valentis Angaben fertigte. Er war zehn Minuten vor den Schüssen heimgekehrt und hatte sich kurz mit den beiden Mädchen unterhalten. Dabei war ihm ein gelber Kompaktwagen aufgefallen, der rund zwanzig Meter hinter Jodys Auto parkte. Hinter dem Steuer habe eine männliche Person gesessen, versicherte Michael Lauria. Die Gesichtszüge vermochte er nicht genau zu erkennen, doch Jodys übrige Beschreibung des Mannes deckte sich mit seiner Wahrnehmung.

Als Michael Lauria nach den Schüssen auf die Straße gerannt war, sei der gelbe Wagen verschwunden gewesen. Andere Anwohner hatten in den frühen Abendstunden ebenfalls solch ein Fahrzeug bemerkt. Der Fahrer sei kreuz und quer durchs Viertel geschlichen, als habe er nach jemandem Ausschau gehalten.

Seltene Tatwaffe

Eine der drei Patronen, die die Polizei sicherstellte, war kaum verformt. Das ballistische Labor fand heraus, dass die Kugel vom Kaliber .44 Special mit einem Revolver der Marke Bulldog Charter Arms abgefeuert worden war. Der Hersteller Charter Arms hatte den stupsnasigen Colt insbesondere für Flugsicherheitsbegleiter, sogenannte Sky Marshals, entwickelt. Die Waffe verfügte deshalb über einige Besonderheiten.

Die Revolvertrommel fasste lediglich fünf Patronen statt der üblichen sechs. Der Revolver war vor allen Dingen für den Nahbereich gedacht, um einen potenziellen Angreifer aufgrund seiner gewaltigen Schusskraft sofort zu stoppen. Bei einer Entfernung von mehr als fünf Metern verlor die Waffe aber deutlich an Präzision und Durchschlagskraft. In einem Flugzeug machte das Sinn. Diese Eigenschaft sollte verhindern, dass ein Sky Marshal bei einem Schusswechsel aus Versehen die Flugzeugwand perforierte. Einen Druckabfall in 10.000 Meter Höhe wollte niemand miterleben. Die Waffe war erst drei Jahre im Handel. Bisher waren nur wenige Tausend Exemplare verkauft worden. Die Ermittler schöpften Hoffnung, anhand der seltenen Waffe den Täter identifizieren zu können – wenn sie denn jemals einen Verdächtigen fänden.

Charter Arms Bulldog 2.JPG
By M62 – Own work, CC BY-SA 3.0, Link

Auffällige Schusshaltung

Denn der Mörder hatte abgesehen von der Kugel keine brauchbaren Spuren hinterlassen. Allerdings war die Schusshaltung, die der Schütze eingenommen hatte, für die Beamten aufschlussreich. Jody Valenti hatte sie ihnen detailliert beschrieben. Sie mussten sich schon schwer täuschen, aber das hörte sich nach der gleichen Schusshaltung an, die man ihnen auf der Polizeischule beigebracht hatte. Was das Schießen anging, war der Bursche also ein Profi. Möglicherweise sogar ein Cop. Aber sie konnten schlecht auf bloßen Verdacht hin alle aktiven und ehemaligen Polizisten vernehmen, solange nicht mehr Hinweise in diese Richtung deuteten.

Ein Racheakt der Mafia?

Die Kriminalbeamten gingen stattdessen von zwei anderen Ermittlungsansätzen aus. Erste Theorie: Der Täter hatte es direkt auf Donna Lauria abgesehen. Die Polizei nahm ihr näheres Umfeld unter die Lupe. Gab es vielleicht einen verschmähten Liebhaber, der bei ihr abgeblitzt war? Sie arbeitete als Medizinisch-Technische Assistentin in einem Labor. Hatte sie bei ihrer Arbeit möglicherweise Mist gebaut, mit dem sie anderen geschadet hatte? Alle Ermittlungen in diese Richtung verliefen im Sande.

Bronx SchildBlieb noch Theorie zwei. Seit geraumer Zeit hatten sich in der Gegend rund um den Tatort Morde mit Mafiahintergrund gehäuft. War Donna Lauria vielleicht einer Verwechslung zum Opfer gefallen? Oder galten die Schüsse gar nicht dem Mädchen selbst, sondern sollten vielmehr eine Warnung für eine andere Person darstellen? Schließlich lebten in Pelham Bay eine Menge Italo-Amerikaner. Die Laurias waren Italo-Amerikaner. Michael Lauria war Mitglied der berühmt-berüchtigten Gewerkschaft der Transportarbeiter. So wie Jimmy Hoffa. Und wie eine Menge anderer Mafiosi in New York. Die Polizei hatte da so ihre Erfahrungen. Und ihre Vorurteile natürlich auch.

Also gingen die Beamten dem Verdacht nach, dass Michael Lauria Mitglied der Cosa Nostra und das Verbrechen an seiner Tochter in Wahrheit eine Strafaktion der New Yorker Mafia gewesen sei. Dieser Ermittlungsansatz führte schlußendlich zu gar nichts. Außer, dass Michael Lauria eine Stinkwut auf die Polizei bekam. Der wahre Täter genoss derweil ungestört den Kick, den ihm sein erster Mord beschert hatte. Als der Rausch verflog, begab er sich auf die Suche nach seinen nächsten Opfern.

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