(2) Ein handfestes Motiv

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Um Weihnachten 1981 suchte Werner Hartmann wieder näheren Kontakt zu seiner Ex-Frau Vasiliki. Nicht nur die private Situation bedrückte ihn. Inzwischen war auch seine Firma in finanzielle Schieflage geraten. Er bat seine Ex-Frau, in das Unternehmen zurückzukehren und ihm dabei zu helfen, seine Geschäfte wieder in Ordnung zu bringen. Sie erklärte sich einverstanden.

Als sie die Bilanzen prüfte, war sie geschockt. Hartmann und seine Firma waren praktisch pleite. Viele seiner kostspieligen Anschaffungen gehörten ihm gar nicht, sondern waren nur auf Pump finanziert. Darlehen, die er kaum mehr bedienen konnte. Auf seinem Schreibtisch häuften sich die unbezahlten Rechnungen. Hartmann galt vielen noch als Stereo-King und Selfmade-Millionär. Die Geschäftsbücher sprachen eine andere Sprache.

Im Januar 1982 verließ Debra Hartmann das Haus in Northbrook und zog zu ihrem Freund John Korabik, der noch bei seinen Eltern lebte. Die beiden ließen es ordentlich krachen und waren praktisch jede Nacht auf Piste. Doch allzu lange konnte das nicht gut gehen. Debra Hartmann verfügte über keine eigenen Einkünfte und hatte obendrein ihren Mann verlassen, der praktisch pleite war. Ihr Geliebter arbeitete in Teilzeit als Verkäufer. Das Leben in Saus und Braus ließ sich ohne das nötige Kleingeld nicht aufrechterhalten.

Drei Lebensversicherungen

Währenddessen bemühte sich Werner Hartmann, seine persönlichen Angelegenheiten neu zu ordnen. Er hatte in der Vergangenheit zwei Lebensversicherungen abgeschlossen, eine über 150.000 Dollar bei der Prudential Insurance Company und eine weitere über 100.000 Dollar bei einem anderen Unternehmen. In beiden Fällen war bisher seine Frau Debra die alleinige Nutznießerin, sollte ihm etwas zustoßen.

Laut mehrerer Freunde und Familienmitglieder wollte Werner Hartmann nun aber im Frühling 1982 seine beiden Töchter Eva und Stephanie als Begünstigte einsetzen und den Namen seiner Noch-Ehefrau aus dem Vertrag tilgen. Er rief im März 1982 die zuständigen Sachbearbeiter der Versicherungsgesellschaften an und bat sie, die entsprechenden Änderungen vorzunehmen.

Merkwürdigerweise schloss er bei der Prudential-Versicherung kurz vor seinem Tod noch eine weitere Risikolebensversicherung mit einer Auszahlungssumme von 250.000 US-Dollar ab. Für jemanden, der finanziell ums Überleben kämpfte, nahm sich das schon etwas seltsam aus. Denn das bedeutete eine zusätzliche Belastung in Höhe von mehreren hundert Dollar pro Monat.

Außerdem ließ er in beiden Prudential-Verträgen eine Klausel einbauen, die den doppelten Auszahlungsbetrag garantierte, sollte er nicht eines natürlichen Todes sterben, sondern durch einen Unfall oder ein Gewaltverbrechen umkommen. Die Deckungssumme aus allen Policen würde dann beachtliche 800.000 US-Dollar betragen.

Hartmann erhielt von seinen Versicherern jeweils ein Formular, um die Änderungen schriftlich zu bestätigen. Bei der Lebensversicherung über 100.000 Dollar ging auch alles reibungslos über die Bühne.

Doch als ihm die Prudential den neuen Versicherungsschein zustellte, war dort nach wie vor seine Noch-Ehefrau Debra Hartmann als alleinige Begünstigte eingetragen. Er meldete den Fehler bei seiner Versicherung. Der zuständige Sachbearbeiter versprach ihm, er würde sich um die Angelegenheit kümmern. Aber nichts geschah, bevor Hartmann Anfang Juni einem Mord zum Opfer fiel.

Ein Komplott

Mehrere Freunde sagten zudem unabhängig voneinander aus, dass Werner Hartmann seit der ersten Juniwoche 1982 konkret um sein Leben gefürchtet habe. Seinerzeit habe er heimlich Teile eines Telefonats seiner Ehefrau belauscht, das diese mit John Korabik führte, wie er seinen Freunden erzählte.

Debra Hartmann habe in den Wochen vor dem Mord wieder mehr Zeit mit ihrem Mann und den Stieftöchtern verbracht. Bei einer dieser Gelegenheiten habe sie aus der Villa mit ihrem Geliebten telefoniert. Hartmann hatte dem belauschten Gespräch entnommen, dass die beiden ein Mordkomplott ausheckten.

Seine Freunde rieten ihm, sich an die Polizei zu wenden. Davon wollte Hartmann nichts wissen. Er sagte, er wolle sich selbst um die Angelegenheit kümmern. Es ist bekannt, dass er vor seinem Tod nach einem Leibwächter Ausschau hielt. Doch die Bemühungen kamen offenkundig zu spät.

Schlagzeilen und Frust

Der Mord machte Schlagzeilen. In dem nördlichen Vorort von Chicago waren Gewaltverbrechen nicht an der Tagesordnung. Der Tatort eine Villa, das Opfer ein bekannter Millionär, die Ehefrau als Tatverdächtige mit einem Tennisprofi als Geliebtem – die Geschichte verfügte über alle Zutaten, um sie zu einer abgeschmackten Story über das lokale Jet-Set zu verrühren. Motto: Auch die Reichen sind nicht vor Abgründen und Verbrechen gefeit.

Doch obwohl mit den Lebensversicherungen inzwischen ein konkretes Tatmotiv erkennbar war, kamen die Ermittlungen nicht vom Fleck. Die Polizei konnte Debra Hartmann und John Korabik den Mord nach wie vor nicht nachweisen, obgleich zumindest die Ehefrau unmittelbar von dem Verbrechen profitierte.

Hartmanns Ex-Frau und seine Töchter waren frustriert. Sie hatten keinen Zweifel daran, wer hinter dem Mord steckte. Doch niemand wurde verhaftet. Im Gegenteil: John Korabik zog nun zu seiner Geliebten in die Villa. Und Debra Hartmann beantragte die Auszahlung der beiden Prudential-Lebensversicherungen. Die Versicherungsgesellschaft verweigerte jedoch die Überweisung der Summe, so lange die Ehefrau noch als mögliche Tatverdächtige galt. Debra Hartmann reichte daraufhin Klage gegen Prudential ein.

Notruf

Am 23. September 1982, nur vier Monate nach dem Mord an Werner Hartmann, erreichte die Polizei von Northbrook erneut ein Notruf aus der Hartmann-Villa. Vor Ort fanden die Beamten einen verwundeten John Korabik vor, beide Hosenbeine blutig.

Der Verletzte sagte aus, er habe mit einer Pistole hantiert und sich dabei ins Bein geschossen. Dabei hatte er augenscheinlich das Kunststück vollbracht, beide Oberschenkel gleichzeitig zu treffen. Debra Hartmann war ebenfalls zugegen. Sie behauptete jedoch, sich zum Zeitpunkt des Vorfalls in einem anderen Teil des Hauses aufgehalten zu haben. Sie habe die Schüsse nicht bemerkt.

Die Polizisten hielten die Geschichte für wenig glaubhaft. Zudem hatte Korabik in einem Waffengeschäft gearbeitet. Es war anzunehmen, dass ihm der sachgerechte Umgang mit Handfeuerwaffen vertraut war.

Doch da der Mann auf seiner Darstellung der Ereignisse beharrte, sahen die Polizisten keinen Grund für eine Anzeige. Kurze Zeit nach dem Vorfall trennten sich Debra Hartmann und ihr Geliebter. Kobarik zog aus der Villa aus.

Geldsegen

Im Januar 1984, anderthalb Jahre nach Hartmanns Ermordung, einigte sich die Witwe mit dem Versicherungsunternehmen Prudential in einem außergerichtlichen Vergleich. Sie erhielt statt der ursprünglich fälligen 800.000 immerhin noch 589.000 Dollar aus den Lebensversicherungen ihres verstorbenen Mannes.

Doch in der Zeit zuvor hatte sie auch beträchtliche Schulden angehäuft, die jetzt getilgt werden wollten. Sie verkaufte die Villa und zog in ein kleineres, einstöckiges Haus um. Der neuerliche Geldsegen aus den Versicherungszahlungen ließ sie aber sogleich wieder in größeren Dimensionen denken.

So schaffte sie sich zunächst einen Mercedes an und besorgte sich ein Wunsch-Nummernschild: „Debra 2“. Sie heuerte einen Handwerker an, der ihr neues Zuhause umbauen sollte. Sie wünschte sich ein zweites Wohngeschoss, hohe Decken, ein Oberlicht und eine große Wendeltreppe. Als der Schreiner einen Großteil des Auftrags fertiggestellt hatte, beendete er seine Arbeiten. Denn Debra Hartmann verweigerte ihm die Zahlung der offenen Rechnungen.

In der Falle

1985 ermittelte das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF) gegen einen Waffenschieber-Ring in Chicago. Der ATF-Agent Jim Delorto hatte sich in einer Undercover-Operation als interessierter Käufer ausgegeben. Die Falle schnappte zu, als ein Waffenhändler namens Kenneth Kaenel auf das Geschäft einging. Er bot Delorto mehrere gestohlene Waffen und einen geklauten Pkw an. Im Anschluss klickten die Handschellen.

Die Bundesbehörde ATF hatte aber lediglich an dem illegalen Waffenhandel Interesse. Autohehlerei war kein Bundesverbrechen. Jim Delorto wandte sich an die Kollegen von der Staatspolizei Illinois. Vielleicht wollten sie sich diesem Aspekt des Falls widmen. Zuständig war dort Trooper David Hamm.

Eine Anekdote

Bei den Treffen mit Delorto hatte Kaenel unter anderem eine Anekdote über einen Unfall mit einer Maschinenpistole zum Besten gegeben. Eine MAC-10 habe immer noch weiter gefeuert, als er längst den Abzug losgelassen habe. Zum Glück seien die Schüsse nur in die Decke gegangen, so Kaenel.

Bei Erwähnung der MAC-10 wurde David Hamm hellhörig. Das Fabrikat war eher ungewöhnlich und tauchte selten im Zusammenhang mit Straftaten auf. Doch der Beamte erinnerte sich noch sehr gut daran, dass eine solche MAC-10 die gesuchte Tatwaffe beim Mord an Werner Hartmann gewesen war. Über den Fall hatte drei Jahre zuvor jede Zeitung im Bundesstaat Illinois ausführlich berichtet.

Hamm überprüfte den Namen des Festgenommenen in den üblichen Datenbanken. Die nächste Überraschung folgte. Mit wem lebte Kenneth Kaenel heute zusammen? Mit John Korabik, einem der beiden Hauptverdächtigen im ungelösten Hartmann-Fall. Ausgerechnet.

Verkabelt

Delorto und Hamm machten Kaenel klar, dass er für den illegalen Handel mit Waffen viele Jahre in den Knast wandern würde. Es gäbe nur eine Chance, um ein milderes Strafmaß zu erreichen. Er müsse ihnen Informationen anbieten. Richtig gute Informationen, die einen Staatsanwalt ernsthaft über einen Deal nachdenken ließen.

Dann wurden die Ermittler konkreter: Was wusste Kenneth Kaenel über seinen Mitbewohner John Korabik? Debra Hartmann? Den Mord an Werner Hartmann? Kaenel dämmerte, was die Beamten von ihm hören wollten. Er bot seine Kooperation an. Er wäre bereit, sich verkabeln zu lassen. Er würde Debra Hartmann treffen und ihr ein Geständnis entlocken. Dann hätten sie alles auf Tonband und könnten vor Gericht ziehen.

Doch Delorto und Hamm misstrauten dem hilfsbereiten Ganoven. Eigentlich war verabredet, dass die Polizisten das Gespräch aus einem Fahrzeug abhören sollten, während ihr Spitzel Debra Hartmann in ihrem Haus besuchte. Doch Delorto und Hamm schlichen sich näher an das Gebäude heran. Sie wollten mit eigenen Augen sehen, was drinnen vor sich ging.

Und sie beobachteten, wie Kaenel sein Hemd hob, um Debra Hartmann die Verkabelung zu zeigen. Da wusste sie: Die Polizei hört mit. Was zunächst wie ein vielversprechender Durchbruch in einem ungelösten Mordfall aussah, entpuppte sich als weitere Sackgasse.

 

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