Gary Heidnik – Das Horrorhaus

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Was Josefina Rivera am 24. März 1987 den Polizeibeamten erzählte, klang unglaublich. Sie beschrieb völlig irre Geschichten, die von Kellerverliesen, Ketten, Foltern, Vergewaltigung, Tod, Kannibalismus und Hundefutter handelten. Aber als die Polizisten das Haus von Gary Heidnik in der 3520 North Marshall Street betraten, sprengte die Realität jegliche Vorstellungskraft – das war ein wahrgewordener Albtraum der allerübelsten Sorte.

Eine unglaubliche Geschichte

Am 24. März 1987 durchstreifte ein silberfarbener Cadillac Coupe DeVille einen der ärmsten Slums am Nordrand von Philadelphia. Die Luxuslimousine passte überhaupt nicht in diese Gegend. Der Wagen hielt schließlich an, eine junge Frau stieg aus, die sich vom Äußeren schon besser in die Umgebung einfügte. Sie wirkte abgemagert, zerschunden und ungepflegt. Der Fahrer schaute der Frau einen Moment nach, als sie die Straße hinunterschlurfte. Dann gab der Mann am Steuer Gas.

Sobald der Cadillac um die Ecke gebogen war, kam Leben in die Frau. Sie sprintete plötzlich los, als würde sie um ihr Leben rennen. Einen Block weiter hämmerte sie verzweifelt gegen eine Tür. Vincent Nelson, der hier wohnte, traute seinen Augen nicht. Vor der Tür stand seine Freundin Josefina Rivera. Die Frau, die vor vier Monaten spurlos verschwunden war und ihn mit zwei kleinen Kindern sitzen gelassen hatte.

Bevor er sie überhaupt fragen konnte, wo sie all die Zeit gesteckt habe, sprudelte aus Josefina Rivera ein nicht enden wollender Schwall an Worten hervor. Sie erzählte von einem Mann, der sie in einem Kellerverlies angekettet habe. Der sie vergewaltigt habe. Der sie gefoltert habe. Josefina Rivera beschrieb völlig irre Geschichten, die von Tod, Hundefutter und zerstückelten Leichen handelten. Vincent Nelson wusste nicht, was er von den Erzählungen seiner Freundin halten sollte. Tischte sie ihm hier die größte Lügengeschichte aller Zeiten auf, um ihr plötzliches Verschwinden zu rechtfertigen? Oder war sie komplett übergeschnappt?

Vincent Nelson schlug seiner Lebensgefährtin vor, zu dem Haus des Mannes rauszufahren. Sie würden ihn mit Josefinas Vorwürfen konfrontieren. Aber Josefina Rivera hatte panische Angst, dass der Mann dann die anderen Frauen töten würde. Die »anderen Frauen«? Welche anderen Frauen? Okay, dachte Vincent Nelson, Josefina war definitiv übergeschnappt. Die hatte ein paar Trips zu viel eingeschmissen. Die hatte ihr Hirn zerbrutzelt. Josefina Rivera merkte, dass ihr Freund ihr keine Hilfe sein würde. Sie wusste, sie hatte nicht viel Zeit. Sie griff zum Telefonhörer und verständigte den Notruf.

Rendezvous um Mitternacht

Einige Minuten später trafen die beiden Polizisten John Cannon und David Savidge in der Wohnung von Vincent Nelson ein. Erneut erzählte Josefina Rivera ihre unglaubliche Geschichte. Auch Cannon und Savidge fiel es sichtlich schwer, den Schilderungen Glauben zu schenken. Josefina Rivera zog ihre Hosenbeine hoch. An den Knöcheln zeichneten sich deutlich die Spuren von Fesseln ab. Alte vernarbte und verschorfte Wunden, die darauf hindeuteten, dass sie längere Zeit in Ketten gelegen hatte. An ihrer Story schien tatsächlich etwas dran zu sein.

Sie könne ihnen auch verraten, wo sie den Mistkerl erwischen würden, der ihr das angetan habe. Um Punkt Mitternacht sei sie mit ihm an einer Tankstelle in der Nähe verabredet. Er würde dort hundertprozentig erscheinen. Die Beamten schauten auf die Uhr: Viertel vor zwölf. Das konnten sie schaffen.

Festnahme von Gary Heidnik

Wie Josefina Rivera prophezeit hatte, hielt ein silberfarbener Cadillac Coupe DeVille auf dem Parkplatz der Tankstelle. John Cannon und David Savidge näherten sich vorsichtig mit gezückten Waffen dem Wagen. In dem Wagen saß ein Mann, auf den Josefinas Beschreibung passte. Die Beamten forderten den Fahrer auf, auszusteigen und sich auszuweisen. Der Mann leistete keinen Widerstand und händigte den Beamten seinen Führerschein aus, der auf den Namen Gary Heidnik ausgestellt war. Exakt der Name, den Josefina Rivera erwähnt hatte.

Savidge und Cannon legten Heidnik Handschellen an. Er fragte die Polizisten, ob sie ihn wegen unbezahlter Alimente festnehmen würden. Die Beamten schauten sich an. War das zu fassen? Sie sagten ihm, dass Unterhaltungszahlungen im Moment sein geringstes Problem seien, wenn die Vorwürfe, die Josefina Rivera erhoben habe, auch nur ansatzweise zutreffen würden. Da wurde Gary Heidnik schlagartig klar, dass ihn die Frau, der er vertraute, verraten hatte. Heidnik ließ sich widerstandslos abführen.

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Gary Heidnik

Ein düsteres, kaltes Verlies

Kurz vor 5.00 Uhr morgens traf Lieutenant James Hansen von der Mordkommission Philadelphia am Haus 3520 North Marshall Street ein. Er hatte jeden verfügbaren Beamten des Dezernats und der Spurensicherung zusammengetrommelt. Laut Josefina Rivera mussten sie damit rechnen, im Haus auf weitere Opfer von Gary Heidnik zu stoßen. Es war Eile geboten. Doch der Mann vom Schlüsseldienst mühte sich vergeblich mit dem Türschloss ab. Irgendetwas stimmte damit nicht. Hansen rief die Jungs mit dem Rammbock herbei.

Dave Savidge betrat als erster Beamter das Haus. Josefina Rivera hatte ihm exakt beschrieben, wo die übrigen Gefangenen untergebracht waren und wie er dorthin gelangte. Savidge betrat den düsteren, kalten Kellerraum über eine alte verstaubte Steintreppe. Der Keller war nur wenige Quadratmeter groß. Inmitten des Raums lagen zwei Frauen auf einer Matratze und schliefen. Trotz der Kälte waren sie nur mit einem dünnen, verdreckten Laken zugedeckt.

Dave Savidge näherte sich den beiden und weckte sie. Sie schrien laut auf, als sie Savidge erblickten und krochen zur Wand. Er beruhigte sie und wies sich als Polizeibeamter aus. Er sei hier, um sie zu befreien. Erst jetzt bemerkte er, dass die Frauen mit einer Kette an einem Wasserrohr befestigt waren. Sie trugen nichts am Leib außer einer dünnen Bluse und einem Paar Socken. Savidge fragte sie, ob sich noch weitere Personen im Haus aufhielten. Die Frauen deuteten auf eine Sperrholzplatte, die in der Ecke des Raums auf dem Boden lag. Auf der Sperrholzplatte standen mehrere Sandsäcke.

Savidge räumte zusammen mit einem Kollegen die Säcke beiseite und hob die Platte an. In einer etwa 1,20 Meter tiefen Grube hockte ein Mädchen von circa 18 Jahren zusammengekauert auf dem Boden. Savidge half ihr aus der Grube heraus. Danach befreiten die Beamten die Mädchen von ihren Ketten. Oben wartete der Notarzt auf sie, den man inzwischen verständigt hatte. Nachdem die Geiseln in Sicherheit waren, machte sich die Polizei daran, das Haus nach Spuren zu untersuchen.

Gruselfunde

In der Küche fiel den Beamten auf dem Herd ein Aluminiumtopf ins Auge. Darin schwamm eine gelb schimmernde, fettige Substanz, die übel roch. Auf der Küchenanrichte stand eine große Küchenmaschine, die jemand kürzlich benutzt hatte. Sie war vollkommen verdreckt. An den Messerklingen entdeckten die Ermittler Fetzen rohen Fleischs. Im Backofen befand sich eine Ofenform, die einen Knochen enthielt. Er erinnerte von der Form her an einen menschlichen Rippenbogen.

Trotz der Frauen im Keller und der nichts Gutes verheißenden Spuren in der Küche war Dave Savidge immer noch nicht restlos von Josefina Riveras Geschichte überzeugt. Ja, in diesem Haus waren zweifelsohne einige üble Dinge geschehen. Aber Morde? Kannibalismus? Dann öffnete er die Kühlschranktür. Als er das Gefrierfach aufzog, erblickte Savidge einen abgeschnittenen Unterarm. Das war der Moment, in dem er an jedes einzelne Wort, das Josefina Rivera geäußert hatte, zu glauben begann.

Die Durchsuchung von Haus und Grundstück nahm mehrere Tage in Anspruch. Angesichts des winzigen Gebäudes, das Gary Heidnik sein Eigen nannte, ein erstaunlich langer Zeitraum. Aber diese Bruchbude barg jede Menge Spuren, düstere Geheimnisse und so manche Überraschung. So fiel den Ermittlern unter anderem einen Wust an persönlichen Papieren und Dokumenten von Gary Heidnik in die Hände. Alles an diesem Haus – die ramponierten Möbel, das verdreckte Innere, der zugemüllte Garten – sprachen eigentlich dafür, dass der Besitzer ein armer Schlucker war. Die erste Abfrage in den Datenbanken der Behörden schien das auch zu bestätigen. Gary Heidnik war ein Army-Veteran mit einer schmalen Invalidenrente.

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Gary Heidniks Haus

Die Papiere vermittelten wiederum ein gänzlich anderes Bild von Heidnik. Die Beamten sichteten eine Vielzahl an Kontoauszügen, die zu einem Investmentkonto gehörten, das Heidnik bei der Bank Merrill Lynch unterhielt. Demnach betrug das aktuelle Vermögen von Gary Heidnik mehr als eine halbe Million US-Dollar. Zudem fungierte Heidnik als »Bischof« einer Kirche, die er selbst gegründet hatte.

Dieser Mann gab ihnen immer neue Rätsel auf. Mithilfe der Spuren und der Aussagen der überlebenden Opfer versuchten die Beamten, hinter seine Geheimnisse zu kommen. Was die verschiedenen Versatzstücke am Ende ergaben, war ein Puzzle des blanken Horrors. Gary Heidnik war nicht nur ein Serienmörder. Er war ein Serienkiller, der keine Grausamkeit ausgelassen hatte und in Sachen Abscheulichkeiten bis auf den finstersten Grund vorgedrungen war.

Gary Heidnik
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