(4) Sterbehilfe für einen Serienmörder

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Selbst nach seinem ausführlichen Geständnis musste Carroll Cole noch darum kämpfen, dass sich die Behörden endlich für ihn zuständig fühlten – das Leitmotiv seines Lebens. Detective Gerald Robinson reagierte auf die Ausführungen Coles zunächst skeptisch. Bei der Polizei kreuzten häufig genug Spinner auf, die von der Jesus-Kreuzigung bis zum Kennedy-Attentat alle Verbrechen der Menschheit gestanden, nur um etwas Aufmerksamkeit zu erhaschen.

Robinsons Zweifel schienen sich zu bestätigen, als er weitere Nachforschungen anstellte. Die Gerichtsmediziner, die er befragte, beharrten auf ihrer ursprünglichen Diagnose. Mehrere Frauen, von denen Cole behauptete, sie ermordet zu haben, seien nicht durch Fremdverschulden ums Leben gekommen. Die Polizeibehörden von San Diego gingen noch einen Schritt weiter. Sie stempelten Carroll Cole als Lügner und Aufschneider ab.

Lieutenant John Gregory, Leiter der Mordkommision von San Diego, äußerte sich vor den Medien wie folgt: »Ich bin überzeugt, dass an dieser Geschichte nichts dran ist. Unsere Gerichtsmedizin leistet hervorragende und gründliche Arbeit. Dieser Cole müsste schon eine ganz neue Methode erfunden haben, wie man Menschen erwürgt, ohne Blutergüsse zu hinterlassen. Daran glaube ich nicht.«

Kurzer Prozess

So klagte man Carroll Cole am 6. April 1981 zunächst nur der drei Morde an, die er im November 1980 in Dallas begangen hatte. Cole trat vor Gericht als sein einziger »Entlastungszeuge« auf. An seiner Aussage war allerdings wenig Entlastendes. Er schilderte in aller Ausführlichkeit, wie er die drei Frauen in Dallas und elf weitere Menschen getötet hatte. Er berichtete auch über seine Kindheit und die Rolle, die seine manipulative, sadistische Mutter für sein weiteres Leben spielte.

»Ich denke«, äußerte Cole gegenüber den Geschworenen, »ich habe die Frauen getötet, weil ich mich an meiner Mutter rächen wollte.« Die Geschworenen benötigten lediglich 25 Minuten Beratungszeit, bevor sie zu einem Urteil gelangten. Sie sprachen Carroll in allen drei Mordfällen schuldig. Richter John Mead verurteilte Cole am 9. April 1981 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.

Las Vegas ermittelt

Während die Behörden in San Diego und Oklahoma Coles Geständnisse schlichtweg ignorierten, wurde zumindest die Polizei von Las Vegas hellhörig. Sobald Detective Joe McGuckin von der Geschichte erfuhr, buchte er einen Flug nach Dallas. Am 3. Dezember 1980 befragte er den inhaftierten Cole persönlich. Danach war überzeugt, dass Carroll Cole tatsächlich Kathlyn Blum und Marie Cushman ermordet hatte.

Die Aussichten auf ein Verfahren in Nevada stufte McGuckin jedoch als gering ein. Coles rechtmäßige Verurteilung bedeutete, dass dieser mindestens 25 Jahre in Texas weggeschlossen blieb. Vorher würde man ihm in Nevada nicht den Prozess machen können, sofern Cole nicht wider Erwarten freiwillig kooperierte. Und Cole wusste, dass ihm in Nevada die Todesstrafe drohte.

Fluchtpläne

In de Tat beschäftigte sich Carroll Cole zu diesem Zeitpunkt mit gänzlich anderen Gedanken. Er hatte einen minutiösen Fluchtplan ausgeheckt, der ihn im November 1982 aus dem Staatsgefängnis von Huntsville herausführen sollte. In seiner Zelle bunkerte er Lebensmittelfarbe und Tabascosoße für den Tag X. Mit der Farbe wollte er seine Häftlingskleidung umfärben. Die scharfe Soße sollte dazu dienen, die Spürhunde von seiner Fährte abzubringen.

Er hatte sich zudem erfolgreich um einen Job in der Gärtnerei beworben. Diese Kolonne arbeitete regelmäßig außerhalb der Gefängnismauern. Bei einem der Ausflüge wollte er eine Wache überwältigen und türmen. Am Abend vor dem anvisierten Fluchttermin verletzte sich Cole jedoch in der Werkstatt. Die Gefängnisleitung verlegte ihn anschließend auf eine andere Station. Coles Fluchtplan war gescheitert.

Das Gericht als Sterbehelfer

Im Januar 1984 erhielt Carroll Cole einen Brief, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass seine Mutter verstorben sei. Am 15. Februar 1984 stellten die Behörden von Nevada offiziell ein Überstellungsgesuch für Cole, um ihn dort vor Gericht zu bringen. Cole verzichtete auf sein Einspruchsrecht. Weil er inzwischen die Hoffnung aufgegeben hatte, jemals aus der Haft entfliehen zu können, hatte er für sich entschieden, dass er lieber sterben wollte, als seine Zukunft im Knast zu verbringen. Die Behörden sollten ihn bei diesem Vorhaben behilflich sein. Im April 1984 überführte man Cole schließlich nach Las Vegas.

Die Staatsanwaltschaft in Nevada war nur allzu begierig darauf, aus Coles Haltung ihren Vorteil zu ziehen. Am 16. August 1984 wurde das Verfahren eröffnet und Cole bekannte sich sogleich der beiden Morde schuldig, derer man ihn anklagte. Sein Pflichtverteidiger intervenierte. Sein Mandant versuche, mithilfe des Gesetzes Selbstmord zu verüben. Cole habe kein Recht darauf, sich selbst seine Strafe auszusuchen. Damit würde er die Autorität des Gerichts untergraben, dem allein dieses Recht zustände. Um die Integrität dieser Institution auch in Zukunft zu gewährleisten, müsse man für den Angeklagten mildernde Umstände geltend machen, argumentierte der Verteidiger spitzfindig. Ansonsten spazierten demnächst die Kriminellen in die Gerichtssäle und verlangten, über sich selbst zu Gericht zu sitzen.

Cole protestierte gegen die Darstellung seines Verteidigers. »Ich bin mein Leben lang ein Befürworter der Todesstrafe gewesen. Ich hab keine Ahnung, wie mein Verteidiger auf diesen Stuss kommt. Es gibt absolut keine mildernden Umstände, die für mich sprechen.« Der vorsitzende Richter entgegnete Coles Verteidiger, dass er sich keine Sorge um seine Autorität machen müsse. Es seien ja Fälle denkbar, in denen Richter und Angeklagte ausnahmsweise derselben Ansicht seien.

Das Gericht hatte verschiedene Kriminalbeamte aus Las Vegas, Dallas, Missouri, Wyoming und San Diego als Zeugen einbestellt, um festzustellen, ob Cole tatsächlich der Serienmörder war, für den er sich ausgab. Die Aussagen hätten nicht gereicht, um ihn im Einzelfall die Morde nachzuweisen. Aber in Verbindung mit Coles Geständnis ergab sich für die Richter ein Gesamtbild, das besagte: Coles Schilderungen entsprachen im Großen und Ganzen der Wahrheit.

Hinrichtung von Carroll Cole

Am Ende des Verfahrens appellierte Carroll Cole nochmals an die Richter, ihn mit dem Tode zu bestrafen. Ansonsten wäre er in fünf Jahren wieder auf Bewährung draußen (was nicht den Tatsachen entsprach) und würde dort fortfahren, wo er im November 1980 in Dallas aufgehört habe. Die Richter folgten Coles Wunsch und verhängten die Todesstrafe.

In den folgenden Monaten verweigerte sich Cole allen Versuchen von dritter Seite, Berufung gegen das Urteil einzulegen. Die letzten Wochen seines Lebens verbrachte Carroll Cole damit, eine ausführliche Autobiografie zu verfassen. Der Tag der Hinrichtung war auf den 6. Dezember 1985 festgesetzt worden. Gegen 2.00 Uhr morgens richtete ihn der Henker mit einer Giftspritze hin.

Unmittelbar nach dem Tode Coles trat der zuständige Staatsanwalt vor die Fernsehkameras: »Es war für mich sehr befriedigend zu sehen, dass unser System effektiv funktioniert.« Es wäre noch befriedigender gewesen, wenn dieses ominöse »System« funktioniert hätte, als es galt, eine Mordserie mit fünfzehn Opfern zu verhindern. Die Möglichkeit dazu war mehrfach gegeben.

Opfer

  • Sommer 1946: Duane NN (ca. 8), Richmond (Kalifornien)
  • 7. Mai 1971: Essie Buck (39), San Diego (Kalifornien)
  • Ende Mai 1971: »Wilma«, San Diego (Kalifornien)
  • Ende Mai 1971: unbekanntes Opfer, San Diego (Kalifornien)
  • März 1972: Zwei unbekannte Opfer, San Ysidoro (Kalifornien)
  • 8. August 1975: Myrlene »Teepee« Hamer, Casper (Wyoming)
  • 14. Mai 1977: Kathlyn Blum (27), Las Vegas (Nevada)
  • 23. November 1977: unbekanntes Opfer, Oklahoma City (Oklahoma)
  • 27. August 1979: Bonnie Sue O‘Neil (40), San Diego (Kalifornien)
  • 26. September 1979: Diana Cole (35), San Diego (Kalifornien)
  • 3. November 1979: Maria Cushman (51), Las Vegas (Nevada)
  • 9. November 1980: Dorothy King (52), Dallas (Texas)
  • 12. November 1980: Wanda Faye Roberts (32), Dallas (Texas)
  • 30. November 1980: Sally Thompson (43), Dallas (Texas)

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Sachbuch (englisch)

Michael Newton: Silent Rage – Inside the Mind of a Serial Killer (2014)

Für das Buch nutzte der Autor unter anderem Aufzeichnungen von Interviews, die er über einen längeren Zeitpunkt mit Cole im Gefängnis geführt hatte. [Link zu Amazon]

Weitere Kapitel zum Fall Carroll Cole 

4 Kommentare

  1. Wunderbar und spannend geschrieben, wie der Rest der Artikel auf dieser Seite! Kann mich Gabriel nur anschließen, verschlinge seit Tagen die Berichte. Makaber und erschreckend, aber detailliert, gut recherchiert und spannend!

    • Danke, das freut mich! Ich hoffe, ich komme bald wieder dazu, neue Geschichten hinzufügen. Aktuell ist ein Update zum Zodiac-Fall weit fortgeschritten, das ich hoffentlich noch in diesem Monat einstellen kann.

      Herzliche Grüße
      Richard Deis

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