(2) Dora Klages

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Als die Polizei Fritz Erbe und Dorothee Buntrock verhaftet hatte, berichteten auch die niedersächsischen Gazetten über den Fall. Der Hotelier Klages, dem das „Deutsche Haus“ in Hameln gehörte, las interessiert von dem Mord in Magdeburg. Und als er am Ende des Artikels angelangt war, informierte er umgehend die Polizei. Denn unter haargenau den gleichen Umständen war seine 17-jährige Tochter Dora anderthalb Jahre zuvor verschwunden.

Dora Klages hatte sich am 13. August 1890 mit einer Stellenvermittlerin, die sich Anna Blume nannte, in Hannover getroffen. Die Dame hatte dem Mädchen ebenfalls eine Stellung als Reisebegleiterin bei einer Grafenfamilie versprochen. Glücklicherweise hatte der Vater Klages einen Brief der angeblichen Stellenvermittlerin aufbewahrt. Kommissar Schmidt gab einen Schriftvergleich in Auftrag. Das Ergebnis war eindeutig. Der Brief stammte aus der Feder von Dorothee Buntrock.

Im Zug nach Nirgendwo

Kommissar Schmidt nahm daraufhin die Verdächtige erneut ins Gebet. Nach einigem Herumgedruckse gab Dorothee Buntrock schließlich zu, im August 1890 mit vier jungen Frauen Bewerbungsgespräche geführt zu haben. Ihre Wahl sei auf die Klages gefallen, weil sie das hübscheste Kleid trug. Dann sei sie mit ihr von Hannover nach Eschede gefahren. Fritz Erbe habe sich im selben Zug aufgehalten, ohne sich als Bekannter der Buntrock zu erkennen zu geben. Der Zug sei vormittags um kurz vor zehn in Eschede eingetroffen. Sie habe zusammen mit dem Mädchen zunächst eine Gaststätte aufgesucht. Erbe sei dort nach ein paar Minuten ebenfalls erschienen und habe sich an einen Nebentisch gesetzt.

Die Schilderung deckte sich mit der Aussage der Tochter des Wirtspaares Gerecht, das in der Bahnhofsstraße in Eschede das fragliche Gasthaus betrieb. Die Buntrock, die sie in einer Gegenüberstellung identifiziert hatte, und das junge, bildhübsche Mädchen hätten nach einem Kaffee verlangt. Dann sei der Mann in die Gastwirtschaft gekommen, der ihr gleich irgendwie unheimlich vorgekommen wäre. Der habe ein Glas Bier getrunken und immerzu die beiden Frauen angestarrt.

Der Mann habe dann zehn Minuten nach der Buntrock und der Klages das Lokal verlassen. Sie habe ihm noch eine Weile hinterhergeschaut, weil sie ein ganz mulmiges Gefühl beschlichen habe. Dabei sei ihr der komische Gang des Fremden aufgefallen. Als man der Wirtstochter Fritz Erbe vorführte, erkannte sie auf Anhieb sowohl das Gesicht als auch den eigentümlichen Gang wieder.

An der Weggabelung

Für das Geschehen danach konnte Kommissar Schmidt nur auf die Aussage von Dorothee Buntrock zurückgreifen. Sie habe der Dora Klages gesagt, dass sich das Schloss des Grafen im Norden von Eschede befinde. Sie seien dann zunächst der Straße nach Schelploh gefolgt. Als sie an der Kreuzung angekommen seien, von der die Wege nach Lohe und Weyhausen abzweigten, habe sie so getan, als wisse sie nicht weiter. Sie habe dem Mädchen vorgeschlagen, eine Rast einzulegen und auf einen Passanten zu warten, der ihnen den richtigen Weg zeigen könne.

Wie zuvor abgesprochen sei dann nach ein paar Minuten Fritz Erbe vorbeigeschlendert. Er habe den Frauen angeboten, sie direkt zum Ziel zu bringen. Sie wären dann dem Weg nach Lohe gefolgt und hätten unterwegs noch Brombeeren gepflückt. Auf ein Zeichen von Erbe hin habe sie Dora Klages dann einen Knebel in den Mund gestopft. Fritz Erbe habe derweil das sich heftig sträubende Mädchen von hinten gepackt und ihre Arme umklammert gehalten.

Wie ein Stück Vieh geschlachtet

Dann habe Erbe Dora Klages zu Boden geworfen. Anschließend habe er die 17-Jährige vergewaltigt. Als es vorbeigewesen sei, habe er ihr mit einem Schlachtermesser den Hals durchschnitten, während er noch auf ihr gekniet habe. Regelrecht abgehackt habe er ihr den Kopf. Die Dora Klages habe dennoch zehn Minuten lang »gezappelt«, wie es Dorothee Buntrock ausdrückte. Also habe man ihr schließlich gemeinsam die Beine abgetrennt, weil es irgendwie unheimlich gewesen sei.

Fritz Erbe habe immer einen Kinderspaten mit sich geführt. Den habe er nun ausgepackt und damit ein Loch gegraben. Sie selbst habe inzwischen die Tote entkleidet. Sie habe ihr auch den Schmuck abziehen wollen. Aber der saß zu fest. Also habe sie sich das Messer geschnappt und kurzerhand die Finger und Ohren abgeschnitten.

Danach hätten sie die sterblichen Überreste der Dora Klages zerstückelt und notdürftig etwas Erde und Moos darüber geschaufelt. Ganz ähnlich hätten sie es mit der Emma Kasten zuvor im Neuhaldeslebener Wald gemacht. Nur hatten sie dieses Mal daran gedacht, dass man nach dem Schlachten über und über mit Blut besudelt sei. Sie hätten deshalb extra eine Flasche Wasser mitgeschleppt, um sich reinigen zu können. Das leere Behältnis hätten sie dann am Tatort zurückgelassen. Von Eschede seien sie schließlich wieder zurück nach Hannover gefahren.

„Sie hatte ein sehr hübsches Kleid“

Das Motiv für das fürchterliche Gemetzel war kaum nachzuvollziehen. Denn Dorothee Buntrock und Fritz Erbe wussten bereits in Hannover, dass ihr Opfer über praktisch keinerlei Bargeld verfügte. Dora Klages hatte gerade mal drei oder vier Groschen in der Tasche. Dennoch lockte das Mörderduo das Mädchen in die tödliche Falle. Auch der Richter, der später den Fall verhandelte, konnte dieses scheinbar sinnlose Morden nicht begreifen und hakte an dem Punkt nach.

Vorsitzender Richter: »Sie wussten, dass die Klages kein Geld bei sich hatte, und trotzdem ermordeten Sie sie?«

Dorothee Buntrock: »Die Klages hatte aber sehr schöne Sachen.«

Vorsitzender Richter: »Der bloßen Sachen wegen haben Sie das Mädchen wie ein Stück Vieh geschlachtet?«

Buntrock: »Sie hatte ein sehr hübsches Kleid.«

Die hochschwangere Mörderin

Eine knallharte Wäschefetischistin, die Lehrerin für Wäschezuschneiden. Ein weiteres schwer verdauliches Detail: Nur acht Tage nach dem Mord an Dora Klages entband Dorothe Buntrock ihr Kind in Hannover. Man muss sich das mal bildlich vorstellen: Da hält eine Hochschwangere ein junges Mädchen fest, während sich ihr Geliebter an ihr vergeht. Und anschließend zerstückelt sie zusammen mit ihm auch noch die Leiche – unfassbar.

Das erinnert sehr stark an den Fall Karla Homolka und Paul Bernardo. Da hat man es dann auf Degenerierungserscheinungen der modernen Gesellschaft und die schädlichen Folgen von Pornokonsum zurückgeführt. Von wegen. Alles schon mal da gewesen.

Die Suche nach der Leiche

Was nach dem Geständnis von Dorothee Buntrock noch fehlte, war der Leichnam von Dora Klages. Am 12. März 1892 beraumte die Polizei einen Ortstermin in Eschede an. Aber die geständige Täterin konnte oder wollte sich nicht mehr so recht an den genauen Schauplatz des Verbrechens erinnern. Am 19. März ließ man das Waldgelände von ein paar ortskundigen Personen nochmals durchkämmen. Der Landbriefträger Eggers entdeckte schließlich die Leiche, etwa 200 Meter entfernt von der Stelle, die Dorothee Buntrock eine Woche zuvor als ungefähren Tatort angegeben hatte.

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