Bis heute herrscht Uneinigkeit darüber, ob Packer nun Alfred oder Alferd mit Vornamen hieß. Tatsache ist, dass in offiziellen Dokumenten aus seiner Militärzeit, in Gerichtsakten und auf dem Grabstein der Name mit Alfred G. Packer angegeben ist.
Doch andererseits unterschrieb er selbst auch Dokumente mit Alferd Packer. Und einen seiner Arme zierte ein Tattoo mit der Schreibweise Alferd. Es ist allerdings unklar, ob der Tätowierer nicht möglicherweise einen Fehler gemacht hatte, den Packer später übernahm, weil er vielleicht selber drüber lachen musste. Letzten Endes finden sich beide Varianten in der Literatur.
Packer wurde am 21. November 1842 im Allegheny County (Pennsylvania) als Sohn des Ehepaars James Packer und Esther Griner geboren. Die Familie zog vor 1850 aus dem Großraum Pittsburgh nach Clay (Indiana) um. Der Vater war Schreiner, während beim Sohn Alfred in der US-Volkszählung von 1860 als Beruf Schusterlehrling angegeben ist.
Im Amerikanischen Bürgerkrieg
Kurze Zeit darauf verzog Packer von Indiana nach Minnesota, angeblich im Streit mit seiner Familie. Nach Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865) meldete er sich freiwillig zur Nordstaaten-Armee. Am 22.4. 1862 wurde er zum 16. U.S. Infanterieregiment, Kompanie F, in Winona (Minnesota) eingezogen. Acht Monate später erfolgte in Fort Ontario (New York) die ehrenvolle Entlassung aus dem Militärdienst. Packer litt den Berichten zufolge unter epileptischen Krämpfen, die praktisch jeden zweiten Tag auftraten.
Nichtsdestotrotz bemühte er sich am 25.6. 1863 in Ottuma (Iowa) erneut erfolgreich um die Aufnahme in den Kriegsdienst. Dieses Mal wurde er in das 8. Iowa Kavallerieregiment, Kompanie C, einberufen. Doch auch hier erfolgte aus den gleichen gesundheitlichen Gründen die Entlassung am 22.4. 1864.
Nach Ende des Krieges zog Packer gen Westen und verdingte sich als Tagelöhner in einer Reihe von Jobs. So ist bekannt, dass er als Jäger, Fuhrmann, Rancharbeiter und Ackergehilfe arbeitete. Seine gesundheitlichen Probleme, aber auch sein Verhalten führten dazu, dass er nirgends allzu lange in Stellung blieb.
Schwieriger Charakter
Die meisten Menschen, die Packer persönlich kannten, beschrieben ihn als schwierigen Charakter, den kaum jemand mochte. Man misstraute ihm, weil er häufig log und mehrfach im Verdacht stand, andere bestohlen zu haben. Zudem zettelte er häufig Streitigkeiten an.
Während seiner Jahre im Westen der USA verdingte er sich tatsächlich auch einige Monate als Treck-Führer. Er schien für diese Aufgabe aber nicht sonderlich talentiert zu sein, wie jene bezeugten, die ihn zu diesem Zeitpunkt erlebt hatten. Mehrfach kam er vom Weg ab und verirrte sich.
Zuletzt hangelte er sich von Minen-Job zu Minen-Job, ohne irgendwo richtig Fuß fassen zu können. Für kurze Zeit war er in Colorado tätig, bevor er dann in Utah landete. Dort traf er dann zufällig auf den Treck, den er im Winter 1873/74 auf seiner fatalen Reise durch die Rocky Mountains begleitete.
Wiedersehen in Wyoming
Packer blieb nach seiner Gefängnisflucht für neun Jahre spurlos verschwunden. Am 11. März 1883 hielt sich Jean Cabazon in Fort Fetterman nahe Cheyenne (Wyoming) auf. „Frenchy“ Cabazon hatte seinerzeit der Gruppe von Goldschürfern angehört, die im November 1873 von Utah nach Colorado aufgebrochen war. Er hatte die Katastrophe unbeschadet überlebt, da er bis zum Frühjahr im Lager von Häuptling Ouray verblieben war.
In einem Saloon wurde er nun von einem Mann angesprochen, der Vorräte kaufen wollte. Er erkannte Alfred Packer sofort wieder, auch wenn sich dieser als „John Schwartze“ ausgab. Cabazon ging zum Sheriff von Cheyenne und informierte ihn über seine Begegnung mit dem flüchtigen Packer.
Die Polizei nahm Packer alias Schwartze sofort in Gewahrsam und kontaktierte General Adams. Dieser begab sich umgehend nach Wyoming und identifizierte den Häftling als den gesuchten Packer. Adams überführte den Flüchtigen im Anschluss nach Colorado. Da die Morde in Hinsdale County geschehen waren, kam Packer dieses Mal nicht nach Saguache, dem Sitz des gleichnamigen County, sondern nach Lake City.
Und noch ein Geständnis
Am 16. März 1883 legte der Gefangene ein weiteres Geständnis ab. Erneut leitete General Adams das Verhör. Als Grund für seine Flucht gab Packer an, dass er befürchtet habe, einem Lynchmob zum Opfer zu fallen. Das Schloss zu seinem Gefängnis habe er mit einem Taschenmesser geöffnet.
Im Anschluss sei er zunächst in Arkansas und Arizona untergetaucht, später dann nach Wyoming weitergezogen. Cheyenne, wo man ihn schnappte, war im Übrigen nur rund 450 Kilometer entfernt von Saguache. In dem damals sehr dünn besiedelten Gebiet war die Wahrscheinlichkeit vergleichsweise hoch, dass ihn jemand wiedererkennen würde.
Nach wie vor stritt er ab, den Tod aller Männer zu verantworten zu haben. Aber in einem wichtigen Punkt änderte er seine ursprüngliche Aussage ab. Er behauptete nicht länger, dass die Männer jeweils im Abstand von mehreren Tagen und an unterschiedlichen Plätzen ums Leben gekommen seien. Stattdessen wollte er die Morde nun Bell anhängen. Angeblich habe er am fraglichen Tattag die Gegend erkundet und nach Essbarem gesucht.
Der verrückte Rothaarige
Als er ins Lager zurückgekehrt sei, habe sich ihm ein grausamer Anblick geboten. Bell habe sich bereits am Morgen, bevor er das Lager verlassen habe, reichlich verrückt benommen. Nun habe der „Rothaarige“, wie Packer ihn nannte, am Feuer gesessen und ein Fleischstück über der Flamme gegrillt. Das Stück habe er aus dem Bein des „deutschen Metzgers“ (gemeint war Miller) herausgeschnitten, dessen Leichnam sich etwas weiter entfernt am Fluss befunden habe.
Millers Schädel sei von einem Beil völlig zertrümmert gewesen. Die anderen drei hätten tot neben der Feuerstelle gelegen, ebenfalls erschlagen. Teilweise hätte er zwei oder drei Hiebverletzungen an der Stirn erkennen können.
Als er sich dem Feuerplatz genähert und Bell ihn bemerkt habe, sei dieser aufgesprungen und mit dem Beil in der Hand auf ihn zugestürmt. Da habe er in Notwehr seinen Revolver gezogen und auf ihn geschossen. Er habe ihn im Bauch erwischt. Bell sei zusammengebrochen und kopfüber in den Schnee gefallen. Er habe sich das Beil geschnappt und ihm den Schädel eingeschlagen.
Von Hunger überwältigt
Während er nach dem Beil griff, habe er seinen Revolver fallen lassen, ihn später aber in dem tiefen Schnee nicht wiederfinden können. Er habe sich dann aus herumliegenden Baumstämmen einen Unterstand gezimmert, um sich vor Wind und Schnee zu schützen.
Wegen eines Blizzards habe er seinen Unterschlupf längere Zeit nicht verlassen können. Von Hunger überwältigt habe er schließlich die Entscheidung getroffen, sich vom Fleisch der Toten zu ernähren. Er habe für sich keine andere Möglichkeit gesehen, unter diesen extremen Bedingungen zu überleben.
Er sei zurück zum Lagerplatz gegangen und habe die Leichen zugedeckt. Anschließend habe er ein neues Feuer entzündet und zunächst das Fleischstück gekocht, das Bell bereits geröstet hatte. In den folgenden sechzig Tagen habe er sich häufiger auf diese Art ernähren müssen, da jeglicher Versuch, aus dem Gebiet zu entkommen, gescheitert sei.
Schließlich habe es zu tauen begonnen. Er habe 70 Dollar von den Toten eingesteckt, ein Gewehr genommen und einige Fleischstücke als Proviant eingepackt. Im letzten Lager, das er vor der Indianeragentur aufgeschlagen habe, habe er die letzten Reste vertilgt.
General Adams wollte von Packer wissen, warum er die Situation neun Jahre zuvor völlig anders geschildert habe. Er antwortete: „Ich war nervös. Ich wollte irgendetwas sagen. Die Geschichte, die ich damals erzählt habe, kam mir als erstes in den Sinn.“ War seine Darstellung der Ereignisse nun etwa glaubwürdiger geworden? Daran gab es nach wie vor erhebliche Zweifel.
Ein konkretes Mordmotiv?
So behaupteten Angehörige von Israel Swan beispielsweise, dass das Mordopfer etwa 6.000 Dollar in Bargeld und Gold (entspricht in etwa 135.000 Dollar heute) während der Reise mit sich führte. Zudem sei auch sein Winchester-Gewehr von beträchtlichem Wert gewesen. War vor diesem Hintergrund nicht Habgier das viel plausiblere Mordmotiv?
Möglicherweise waren die anderen vier Begleiter dabei Komplizen von ihm gewesen und er hatte sie dann später getötet, um die Beute nicht teilen zu müssen. Oder sie hatten Packers Mord beobachtet, ohne einzugreifen, und er hatte die potenziellen Zeugen beseitigt.
Es gab aber auch Indizien, die gegen die Darstellung von Swans Angehörigen sprachen. So war zum Beispiel weder bei Packer noch am Tatort jemals Gold gefunden worden. Er führte auch keine mehrere tausend Dollar mit sich herum, sondern nur einen kleineren Betrag. Man wusste aus den Zeugenaussagen, dass er in Saguache mit dem Geld um sich geschmissen hatte. Doch dabei handelte es sich in Summe vermutlich nur um mehrere hundert und nicht tausende von Dollar.
Der erste Prozess
Dessen ungeachtet klagten die Behörden ihn wegen Mordes an Israel Swan an. Der Prozess begann am 6. April 1883 in Lake City. Zuständiger Richter war Melville B. Gerry. Alfred Packer plädierte auf „nicht schuldig“. Warum aber verhandelte man nur den Mord an Swan vor Gericht und nicht die vier übrigen Fälle?
Zum einen hatte man – wie oben beschrieben – ein konkretes Tatmotiv, was in einem reinen Indizienprozess von Vorteil war. Zweitens wies Swans Leiche laut den Zeugenaussagen eine Besonderheit auf. Er schien sich gegen seinen Mörder heftig gewehrt zu haben, worauf Spuren am Leichnam hinzudeuten schienen, die wie typische Abwehrverletzungen wirkten.
Dummerweise konnte der Gerichtsmediziner Ryan diesen Umstand nicht bestätigen. Denn er war gar nicht erst als Zeuge vor Gericht geladen worden. Und von den zwanzig Freiwilligen, die mit ihm am Tatort waren, verfügte keiner über medizinisches oder forensisches Vorwissen und praktische Erfahrung in polizeilicher Ermittlungsarbeit. Und ein schriftliches Protokoll existierte wie gesagt ebenfalls nicht.
Preston Nutter beschrieb zum Beispiel ein Loch in einem Knochen, das er wahrgenommen habe. Seiner Meinung nach hätte die Kerbe von einer Schussverletzung herrühren können. Die Betonung liegt auf „können“. Denn wirklich sicher war er nicht. Also urteilten die Geschworenen in diesem Prozess nicht über Beweismittel, sondern letztlich nur darüber, wie glaubwürdig Packers Aussage war.
Im Kreuzverhör
Der Angeklagte nahm für mehr als zwei Stunden Platz im Zeugenstand. Während er dort die Fragen des Staatsanwalts beantwortete, konnte ihm dieser mehrere Lügen nachweisen. Packer machte falsche Angaben hinsichtlich seines Alters, über seine Zeit beim Militär und in Bezug auf die Gründe für seine Entlassung aus dem Kriegsdienst.
Er leugnete, mit dem Tod der Männer etwas zu tun zu haben. Er gab lediglich zu, den beilschwingenden Wilson Bell in Notwehr erschossen zu haben. Und wieder einmal änderte er seine Darstellung der Geschehnisse. Im Prinzip kehrte er wieder zu seiner ersten Aussage zurück, nach der die Männer nacheinander verhungert oder erfroren seien. Die Überlebenden hätten sich dann vom Fleisch der Verstorbenen ernährt, bis er schließlich der letzte gewesen sei.
Was auch immer genau vorgefallen war – Packer war gemäß seiner Stellungnahme nie zugegen gewesen. Entweder habe er nach einem Ausweg gesucht oder sei auf Nahrungssuche gewesen. Und jedes Mal, wenn er zurückgekommen sei, habe das Menschenfleisch schon im Kessel geköchelt. Er gestand lediglich ein, dass er später selber Fleisch von Bell und Miller gegessen habe, um zu überleben.
Die Geschworenen fällen ihr Urteil
Packer dachte, mit seiner detaillierten Schilderung der Ereignisse die Geschworenen überzeugt zu haben. Das Gegenteil war der Fall. Packer hatte inzwischen mehrere Versionen der Vorgänge geäußert, die sich widersprachen. Einige seiner Einlassungen waren offensichtliche Versuche, sich selbst von jeder Schuld reinzuwaschen.
Er hatte zugegeben, dass er den Opfern Gegenstände und Geld abgenommen hatte. Er präsentierte sich im Zeugenstand schnippisch und flapsig. Die Geschworenen glaubten ihm kein Wort. Am 13. April 1883 sprachen sie ihn des vorsätzlichen Mordes an Israel Swan schuldig.
Richter Gerry kam in seiner Urteilsbegründung zu dem Schluss, dass Packer aus reiner Habgier gehandelt habe und nicht aus Notwehr oder um des reinen Überlebens willen. Er unterstellte dem Angeklagten, die fünf Opfer im Schlaf überrascht und getötet zu haben. Damit war Packer aus Sicht des Gerichts für alle Morde verantwortlich, auch wenn er nur für eine Mordtat bestraft wurde. Gerry verhängte die Todesstrafe gegen den Verurteilten. Packer sollte am 19. Mai 1883 gehängt werden.
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Weitere Kapitel zum Fall Alfred Packer
- Alfred Packer – der Menschenfresser von Colorado
- (2) Der Stein kommt ins Rollen
- (3) Fünf Leichen in einer Kiefernsenke
- (4) Die Geschworenen fällen ihr Urteil
- (5) Der Fall wird neu aufgerollt