Bessie & Glen Hyde – Fluss ohne Wiederkehr

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Glen und Bessie Hyde wollen 1928 den wilden Colorado River im Grand Canyon bezwingen. Es ist ihre Hochzeitsreise. Während ihr Boot die Reise unbeschadet übersteht, verliert sich jede Spur der Frischvermählten. Was ist geschehen? Sind sie verunglückt? Oder einem Verbrechen zum Opfer gefallen?

Die Rekordfahrt

Glen Hyde hatte sich für die Hochzeitsreise mit seiner frisch angetrauten Ehefrau Bessie ein besonderes Ziel ausgedacht. Das Paar, das am 12. April 1928 in Twin Falls (Idaho) geheiratet hatte, unternahm im Herbst desselben Jahres gemeinsam eine Rafting-Tour. Das Abenteuer sollte sie über den Green River und Colorado River durch den weltberühmten Grand Canyon führen.

Das mag im ersten Augenblick recht romantisch klingen. Doch die Hydes hegten noch andere Absichten. Bis zu diesem Zeitpunkt war es nur 45 Männern gelungen, den Grand Canyon zu Wasser vollständig zu durchqueren. Sie alle hatten irgendeine Art von Ruderboot dazu genutzt. Glen Hyde hatte sich in den Kopf gesetzt, die bestehende Rekordzeit zu brechen – mit einem neuen Bootstyp.

Gleichzeitig wäre Bessie Hyde die erste Frau gewesen, die den Grand Canyon bezwungen hätte. Beide Rekorde zusammen wären pures Gold wert gewesen – so die Überlegungen der Hydes. Denn solche Heldengeschichten lagen im Trend.

Charles Lindbergh hatte gerade den Atlantik im Alleinflug überquert. George Mallory hatte die Erstbesteigung des Mount Everest in Angriff genommen – und war unter rätselhaften Umständen verschwunden. Seine Leiche fand man erst 1999.

Ruhm und Erfolg locken

Glen Hyde hoffte, die Hochzeitsreise im Nachhinein durch lukrative Buchverträge und Vorträge in bare Münze zu verwandeln. Und vielleicht würde sogar ein Hollywood-Produzent ihre Geschichte verfilmen. Oder zumindest ein Theaterstück geschrieben werden.

Bessie Hyde dürfte dabei nicht nur die Rolle des braven Weibchens gespielt haben, das die verrückten Ideen ihres Mannes einfach nur bedingungslos unterstützte und nicht hinterfragte. Denn Glen Hyde baute als Farmer Bohnen in Idaho an. Bessie Hyde war diejenige mit der künstlerischen Ader in der Familie.

Sie hatte in San Francisco Kunst studiert und einen Gedichtband verfasst, der bis dato noch unveröffentlicht war. Sie dürfte durchaus das mediale Potenzial erkannt haben, das dem Plan innewohnte.

Ob sie der Herausforderung tatsächlich gewachsen war, steht auf einem anderen Blatt. Es ist nichts davon bekannt, dass sie jemals eine vergleichbare Flussfahrt unternommen hatte. Ihr Mann hingegen verfügte über reichlich Erfahrung.

Ein begeisterter Wassersportler

Glen Rollin Hyde war am 9. Dezember 1898 in Spokane (Washington) zur Welt gekommen. Die Familie zog allerdings mehrfach um. 1910 waren die Hydes in Los Angeles gemeldet, wenige Jahre später verschlug es sie nach Kanada. 1920 waren sie laut US-Volkszählung dann in Hansen (Idaho) ansässig. Während der 1920er Jahre besuchte Glen Hyde die University of Idaho in Moscow, ließ sich aber schließlich als Landwirt in dem Bundesstaat nieder.

Bereits während seiner Zeit in Kanada begeisterte er sich für den Wassersport und andere Outdoor-Aktivitäten. Auf dem Skeena River in British Columbia unternahm er erste Kanu-Trips. 1919 paddelte er gemeinsam mit einem Freund sechs Monate über den kanadischen Peace River.

1922 traf er in seinem Studienort Moscow auf Harry „Cap“ Guleke. Der erfahrene Bootsführer beschrieb ihm in allen Details eine sogenannte Gabarre. Dabei handelt es sich um ein flach gebautes Holzschiff mit zwei Steuerrudern an Heck und Bug, das von der Form eher an eine treibende Seifenkiste, statt an ein schnittiges Flussboot erinnert.

1926 besorgte sich Hyde ein solches Gefährt und befuhr gemeinsam mit seiner Schwester Jeanne den Snake und Salmon River bis zur Mündung im Pazifik. Der Plan für die Grand Canyon-Durchquerung in Rekordtempo war geboren.

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By Grand Canyon National Park photo 17190., Public Domain, Link
Glen Hyde an Bord seiner Gabarre

Jugendliebe

Seine Reisebegleiterin und Gattin Bessie Louise Haley war am anderen Ende der USA aufgewachsen. Sie wurde am 29. Dezember 1905 in Parkersburg (West Virginia) geboren. Am 5. Juni 1926 heiratete sie in erster Ehe ihre Jugendliebe Earl Helmick in Catlettsburg (Kentucky), den sie bereits seit gemeinsamen Schulzeiten kannte.

Kurz nach der Hochzeit kehrte sie allerdings nach West Virginia zurück. Das Ehepaar lebte nach der Eheschließung nur zwei Monate zusammen. Im folgenden Jahr schrieb sie sich an der California School of Fine Art ein und zog nach San Francisco um.

Scheidung

Im Februar 1927 reiste Bessie von San Francisco mit einem Passagierschiff nach Los Angeles. Während der Überfahrt lernte sie Glen Hyde kennen. Die beiden begannen eine Beziehung. Ihr Noch-Ehemann Earl Helmick verweigerte jedoch seine Zustimmung zur Scheidung.

Bessie zog deshalb nach Elko (Nevada). In diesem Bundesstaat konnte sich jeder scheiden lassen, der lange genug getrennt vom Ehepartner lebte. Ein Einverständnis war nicht vonnöten. Am 11. April 1928 hielt Bessie ihre Scheidungspapiere in Händen. Nur einen Tag später heiratete sie Glen Hyde in Twin Falls (Idaho).

Regen im Gesicht

Im Oktober 1928 brachen die Hydes von Idaho nach Green River (Utah) auf. Dort sollte der Honeymoon-Trip beginnen. Innerhalb von zwei Tagen baute Glen Hyde vor Ort eine zwei Tonnen schwere und 7 Meter lange Gabarre aus Holz, die er auf den Namen „Rain-in-the-Face“ taufte (Foto).

Sie beluden das Boot mit Vorräten und und statteten es sogar mit einem Sprungrahmen für ein Bett aus – schließlich war man ja auf Hochzeitsreise. Glen Hyde nahm eine Fotokamera mit, Bessie Hyde ein Tagebuch, um das große Abenteuer zu dokumentieren. Sie führten allerdings weder Schwimmwesten noch andere Rettungsutensilien mit sich, was aber in jenen Tagen nicht ungewöhnlich war.

Im Zeitplan

Am 20. Oktober 1928 legten sie in Green River ab und folgten zunächst dem Lauf des gleichnamigen Flusses Richtung Süden, bis dieser in den Colorado River mündete. Am 7. November erreichten sie Lee’s Ferry, den Einstiegspunkt zum Grand Canyon (Foto).

Am 14. November legten sie ihre erste große Rast ein, etwa bei Flussmeile 90. Sie übernachteten im Bright Angel Camp, leisteten sich ein Abendessen im teuren El Tovar Hotel und kauften am nächsten Tag Vorräte ein, die sie mit ein paar Maultieren zum Boot schafften. Wie aus den Tagebuchaufzeichnungen von Bessie Hyde hervorgeht, lagen sie deutlich besser im Zeitplan als erwartet, sodass sie sich die Pause leisten konnten.

In dem Camp trafen sie zufällig auf einen Reporter der „Denver Post“. Der Journalist war begeistert von der Story, die das Ehepaar ihm über ihre Reise erzählte, und zitierte vor allen Dingen Bessie Hyde ausführlich in dem Artikel. Die Nachrichtenagentur Associated Press griff die Geschichte auf und verkaufte sie landesweit an Zeitungen. Das Kalkül der Hydes schien aufzugehen: Die Öffentlichkeit war an ihrem Abenteuer interessiert.

In dem Artikel schilderte Bessie Hyde dem Reporter einen Unfall, der mehrere Tage zurücklag: „Wir trugen keine Rettungswesten. Ich gebe zu, ich war zu Tode erschrocken. Ich kann mich nicht an jedes Detail erinnern. Ich weiß nur, dass ich es irgendwie geschafft habe, mich am Steuerruder festzuklammern und das Boot in der Strömung halbwegs gerade zu halten, bis mein Mann die Seitenwand zu greifen bekam. Dann habe ich geholfen, ihn wieder an Bord zu ziehen.“

„Der Hauptgrund für unsere Reise ist, dass wir uns ein echtes Erlebnis gewünscht haben. Und in dieser Hinsicht waren wir bisher ganz sicher erfolgreich. Ich habe den besten Nervenkitzel meines Lebens erfahren. Ich bin zwar zigmal bis auf die Kochen durchnässt worden. Aber ich genieße jede Minute dieses Abenteuers.“

Bright Angel Trail

Um vom Boot zum El Tovar Hotel im Grand Canyon Village zu gelangen, wanderten sie entlang des Bright Angel Trail bis hinauf zum südlichen Plateau des Grand Canyon (Touristen im November 1928 auf dem Bright Angel Trail: Foto 1, Foto 2, Foto 3, Foto 4). Der Bright Angel Trail ist rund 15 Kilometer lang und überwindet 1.335 Höhenmeter.

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By Jarek Tuszyński / CC-BY-SA-4.0, CC BY-SA 4.0, Link
Bright Angel Trail

Der Grand Canyon war bereits seit den 1880er Jahren ein touristischer Anziehungspunkt. Der spätere US-Senator Ralph Cameron besaß Grund und Boden auf dem südlichen Plateau. Er baute einen bereits vorhandenen Trampelpfad aus und erschloss ihn für touristische Zwecke. Für die Wegenutzung verlangte er 1 Dollar, Wasser und sonstige Versorgung gingen extra.

Das Fotostudio im Grand Canyon

Die Kolb-Brüder Ellsworth und Emery (Foto) hatten kurz nach der Jahrhundertwende ein Grundstück von Cameron direkt am oberen Pfadende gepachtet. Ihre Geschäftsidee: Sie fotografierten die vorbeikommenden Touristen und verkauften ihnen das Bild als schöne Erinnerung an den Urlaub im Grand Canyon. Damals waren Fotokameras zum einen noch nicht so weit verbreitet und zum anderen deutlich schwerer als heute.

Die Kolbs hatten Erfolg. Arbeiteten sie in den ersten Jahren noch aus einem Zelt heraus, konnten sie sich alsbald ein eigenes Haus samt Foto-Atelier direkt am Canyon-Rand leisten. Ellsworth Kolb verließ die Gegend bereits 1924 wieder, während sein Bruder Emery Kolb das Geschäft bis zu seinem Tod im Jahre 1976 weiterbetrieb.

Heute gehört das Gebäude der Grand Canyon Association, die dort einen Andenkenladen und ein Museum untergebracht hat. Das Haus hat mehrere Umbauten und Erweiterungen hinter sich. Der heutige Zustand (siehe Bild) entspricht also nicht mehr der Situation von 1928.

Grand Canyon National Park, Kolb Studio Sunset 0131 (2010) - Flickr - Grand Canyon NPS.jpg
By Grand Canyon National ParkGrand Canyon National Park: Kolb Studio Sunset 0131 (2010), Public Domain, Link

Mulmiges Gefühl

Auch Glen und Bessie Hyde nutzten die Gelegenheit und ließen sich von Emery Kolb fotografieren (Bild), nachdem sie die grandiose Aussicht genossen hatten. Kolb fragte Hyde, ob er mit Schwimmwesten ausgerüstet sei. Der Flussfahrer winkte lachend ab und sagte, so etwas benötigten sie nicht.

Der Fotograf hatte jedoch das Gefühl, dass Bessie Hyde nur allzu gerne die Hilfe in Anspruch genommen hätte. Es kam ihm so vor, als sei ihr angesichts der noch vor ihnen liegenden Strecke mulmig zumute.

Oben im Grand Canyon Village gaben die Hydes auch ihren letzten Brief auf. Bessie Hyde schrieb an ihre Eltern: „Wir haben die Hälfte unserer Reise geschafft und sollten in etwa drei Wochen in Needles ankommen. Wir haben vermutlich alle gefährlichen Stromschnellen schon hinter uns gebracht. Ich werde nicht mehr schreiben können, bis wir in Needles sind. Wir werden am Morgen noch ein paar Vorräte besorgen, uns dann wieder zurück ins Tal begeben und ablegen … Ich habe gerade ein schönes heißes Bad genommen und bin jetzt ziemlich müde, weil es ein anstrengender Tag war.“

Der letzte Begleiter

Adolph G. Sutro, ein mit Kolb befreundeter Fotograf, hatte sich mit dem Ehepaar im Grand Canyon Village unterhalten. Er wollte sich gerne das Boot der Hydes aus der Nähe ansehen und fragte, ob er sie ins Tal begleiten dürfe. Die beiden boten ihm spontan an, ihn ein Stück auf der Gabarre mitzunehmen und am nächsten Wanderweg wieder abzusetzen. Sutro, Enkel eines ehemaligen Bürgermeisters von San Francisco, willigte ein.

Es existieren mehrere datierte Fotos vom 17. und 18. November 1928 (Foto 1, Foto 2, Foto 3, Foto 4, Foto 5, Foto 6, Foto 7), die das Ehepaar zwischen Bright Angel Creek (Strommeile 87,7) und Hermit Rapid bzw. dem dortigen Camp (Strommeile 94,9) zeigen. Sutro, der auf einem der Fotos ebenfalls abgebildet ist (Bild), war der letzte bekannte Zeuge, der das Ehepaar lebend gesehen hatte.

Letztes Lebenszeichen

Doch es gibt Beweise dafür, dass die Hydes noch mindestens bis zum 30. November 1928 gelebt haben. Unter anderem zeigt das letzte Bild auf dem Film in Glen Hydes Kamera seine Frau Bessie am Ufer des Colorado River, vermutlich bei Strommeile 211. Das Foto ist auf Thanksgiving 1928 (= 29. November 1928) datiert.

Zumindest behauptet dies der Grand Canyon-Historiker Otis R. Marston, dessen umfangreiche Sammlung sich heute im Besitz der Huntington Library befindet. In der englischen Wikipedia wird das letzte Foto der Kamera hingegen auf etwa 27. November datiert, die Stelle mit Strommeile 165 angegeben. Es fehlt allerdings ein Hinweis auf die Datenquelle für diese Information.

Der Suchtrupp

Als das Paar bis zum 9. Dezember immer noch nicht am geplanten Zielort Needles (Kalifornien) eingetroffen war, machten sich die Angehörigen Sorgen. Glens Vater Rollin Hyde organisierte eine Suche nach den Vermissten. Er heuerte unter anderem Nachfahren amerikanischer Ureinwohner an, die mit dem schwierigen Terrain bestens vertraut waren.

Schließlich wandte er sich an den US-Kriegsminister Dwight Davis mit der Bitte um Luftunterstützung bei der Suche. Am 19. Dezember sichtete ein Flugzeug tatsächlich das Boot des vermissten Paares nahe Strommeile 237. Es schien unbeschädigt zu sein. Es bestand also noch Hoffnung, die beiden verschollenen Personen lebendig zu bergen.

Rollin Hyde begab sich sofort mit den Kolb-Brüdern – Ellsworth war zu Besuch – nach Peach Springs (Arizona). Von dort wanderten die Männer den Peach Spring Wash bis zum Diamond Creek bei Strommeile 225 hinab. An dieser Stelle lag ein Boot, das den Suchtrupp bis zum Fundort bringen sollte.

Doch das Boot war defekt. Für die Reparatur benötigten Ellsworth und Emery Kolb drei Tage (Foto). An Heiligabend 1928 konnten sie endlich ablegen, am 25. Dezember erreichten sie die verlassene Gabarre der Hydes.

 

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