(6) Täterprofil

1

Die offizielle Täterbeschreibung blieb über die Jahre hinweg unverändert und gilt als recht zuverlässig. Die Beamten hatten die Flugbegleiterinnen Florence Schaffner und Tina Mucklow in der Tatnacht getrennt voneinander in verschiedenen Städten befragt. Dennoch waren ihre Beschreibungen praktisch identisch.

Demnach war Dan Cooper zwischen 1,78 m und 1,83 m groß, 77 bis 82 kg schwer, Mitte 40 und hatte braune Augen sowie einen stechenden Blick. Die übrigen Passagiere und andere Augenzeugen gab sehr ähnliche Beschreibungen ab.

Ortskenntnisse

Das FBI geht davon aus, dass sich Cooper in der Gegend von Seattle auskannte und möglicherweise bei der Luftwaffe gedient hatte. Seine Bemerkung gegenüber Mucklow zur McChord Air Force Base legte dies nahe. Ein Zivilist hätte den Luftwaffenstützpunkt kaum gekannt, geschweige denn in einem Gespräch beiläufig erwähnt.

Finanzielle Schwierigkeiten

Zum Zeitpunkt der Entführung befand sich der Täter vermutlich in finanziellen Schwierigkeiten. Dies ist eher eine empirische Schlussfolgerung des FBI. Die Mehrzahl der bekannten Erpresser oder Entführer, mit denen es die Behörde zu tun hatte, hatte in akuten Geldnöten gesteckt.

Comic-Held Namenspate?

Das FBI glaubt zudem, dass der Mann den Aliasnamen einer in den 1970er Jahren beliebten belgischen Comic-Reihe entnommen hat. Dort gab es nämlich einen fiktiven Helden namens Dan Cooper, der für die kanadische Luftwaffe als Testpilot tätig war und bei seinen zahlreichen Abenteuern dargestellt wurde, darunter auch beim Fallschirmspringen. Doch die Comics wurden nie ins Englische übersetzt oder in die USA importiert.

Deswegen mutmaßen die Ermittler, dass der Täter die Hefte vielleicht in Europa kennengelernt hat, als er dort als Soldat stationiert war. Eine alternative Erklärung lieferte das Cooper Research Team. Möglicherweise sei Cooper Kanadier gewesen und habe dort die Comics erworben. Den Augenzeugen war zwar kein Akzent aufgefallen. Doch er hatte die im US-Englischen eher ungebräuchliche Terminologie „in marktgängiger amerikanischer Währung“ („negotiable American currency“) bei der Forderung nach dem Lösegeld verwendet.

Sorgfältige Planung

Das FBI geht davon aus, dass Cooper die Tat sehr sorgfältig geplant hat. So forderte er nicht ohne Hintergedanken vier Fallschirme an. Die Polizei musste davon ausgehen, dass der Täter möglicherweise eine oder mehrere Geiseln dazu zwingen wollte, mit ihm aus dem Flieger zu springen. Dadurch stellte Cooper sicher, dass man ihm keine vorsätzlich sabotierte Ausrüstung aushändigte.

Clever gewählte Maschine

Zudem suchte er sich für die Entführung gezielt eine Boeing vom Typ 727-100 aus. Sie war von ihrer Bauweise perfekt für seine Absichten geeignet. Sie verfügte zum einen als eines von wenigen Flugzeugen der zivilen Luftfahrt über einen hinteren Ausstieg. Zum anderen waren die Triebwerke hoch genug angebracht, sodass ihm bei einem Sprung von der hinteren Treppe wenig Gefahr drohte, vom Sog der Turbinen erfasst zu werden bzw. seinen Fallschirm durch den heißen Abgasstrahl in Brand zu setzen.

Zudem war diese Boeing-Maschine bereits mit einer „Single-Point-Betankung“ ausgerüstet. Damals handelte es sich um eine technische Neuerung, die ein schnelleres Betanken über einen einzelnen Stutzen erlaubte. Außerdem war die Boeing 727 in der Lage, in geringer Höhe mit vergleichsweise niedriger Geschwindigkeit zu fliegen, ohne die Triebwerke abzuwürgen, was sehr ungewöhnlich für ein normales Verkehrsflugzeug war. Dies war aber Voraussetzung dafür, dass Cooper einen Sprung mit dem Fallschirm wagen konnte.

Kannte spezifische Details der Luftfahrt

Der Entführer kannte sich zudem mit einigen luftfahrtechnischen Details aus, über die ein Laie kaum Bescheid wissen konnte. So verlangte er zum Beispiel von den Piloten explizit, die Klappen auf 15° einzustellen. Diese Klappeneinstellung war für diesen Flugzeugtyp einzigartig. Cooper kannte die typische Betankungszeit einer Boeing 727. Und er wusste, dass sich die hintere Treppe auch während des Flugs senken ließ.

Dieses Detail hatte Boeing aber noch nicht einmal den zivilen Besatzungen der entsprechenden Verkehrsflugzeuge offenbart. Es gab schlichtweg keinen Grund, warum eine Crew auf normalen Linienflügen jemals von dieser Option Gebrauch machen sollte. Zudem ließ sich die Treppe durch einen eigenen Schalter ausfahren, der sich aus dem Cockpit nicht außer Kraft setzen ließ. Auch dieses Detail musste Cooper bekannt gewesen sein.

Eine Theorie besagt, dass Cooper sein Wissen über die Besonderheiten der Boeing 727 im Vietnamkrieg erworben haben könnte. Dort wurde der Flugzeugtyp angeblich von der CIA eingesetzt, um Agenten oder Nachschub hinter den feindlichen Linien abzuwerfen. Dazu benutzte man besagte hintere Treppe.

Terminwahl

Coopers sorgfältige Planung könnte sich auch auf die Terminwahl erstreckt haben. So fahndete das FBI damals gezielt nach Personen, die im Anschluss an den Tattag spurlos verschwunden waren – ohne Erfolg. Vielleicht hatte Cooper deshalb gezielt ein verlängertes Feiertags-Wochenende für die Tatdurchführung ausgesucht, um montags wie gehabt an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen.

Wahl der Kleidung

Zudem ist die Wahl der Kleidung recht auffällig. Wer vorher plant, mit einem Fallschirm aus einem Flieger abzuspringen, würde doch normalerweise etwas anderes anziehen als ausgerechnet einen Anzug, sollte man meinen. Doch vielleicht stand dahinter ein anderes Kalkül.

Cooper musste damit rechnen, mitten in der Wildnis herunterzukommen. Um dort so schnell wie möglich zu entkommen, hatte er sich vermutlich als Anhalter an die nächst gelegene Straße stellen. Er hatte sich eventuell bessere Chancen ausgerechnet, mitgenommen zu werden, wenn er dort in einem Anzug statt einer ollen ausgebeulten Jeans herumstand.

Kein erfahrener Springer

Trotz der sorgfältigen Planung und Detailversessenheit geht das FBI heute davon aus, dass es sich bei Cooper nicht um einen erfahrenen Fallschirmspringer oder gar Fallschirmjäger gehandelt hat. Ein erfahrener Springer wäre kaum mit Slipper und Trenchcoat in eine pechschwarze Nacht hinausgesprungen, in der ihm der Wind und Regen mit mehr als 300 Stundenkilometer entgegenpeitschte und die Temperatur auf Flughöhe bei rund -57 °C lag. Zudem übersah er, dass einer der Reserveschirme funktionsuntüchtig war, und entschied sich für das ältere Modell. Obendrein forderte er keinen Schutzhelm an.

Belader einer Frachtmaschine?

Andererseits wäre wohl kein kompletter Laie auf die wahnwitzige Idee verfallen, das Flugzeug ausgerechnet per Fallschirm zu verlassen. So etwas ist einfach nicht plausibel. Deshalb nimmt das FBI an, dass Cooper möglicherweise bei der Luftwaffe gedient hat und zum Beispiel zum Beladen der Frachtmaschinen eingeteilt war. In dieser Position hätte er sich zum einen wichtiges Basiswissen über die Flugfahrt aneignen können. Zum anderen war er dadurch mit der Situation an der Hintertreppe vertraut. Dort wird die Fracht bei Militärmaschinen beladen und gegebenenfalls abgeworfen.

Außerdem absolvieren solche Belader bei der Luftwaffe ein rudimentäres Sprungtraining und führen immer einen Notfallschirm mit sich. Damit hätte Cooper zwar über ein gewisses Know-how im Hinblick auf Fallschirme verfügt. Doch diese Kenntnisse hätten nicht ausgereicht, um den Sprung in der Nacht vom 24. November zu überleben.

Theorie des FBI

Diese Theorie favorisiert das FBI nämlich heute: Cooper hat den Sprung nicht überlebt und konnte deshalb niemals gefunden werden. Der Täter sei einfach in die Wildnis ohne festes Ziel hineingesprungen, habe keine geeignete Ausrüstung gehabt und habe sich die denkbar ungünstigsten Witterungsbedingungen ausgesucht. Wahrscheinlich sei ihm noch nicht einmal genügend Zeit verblieben, um die Reißleine zu ziehen.

Selbst wenn er wider Erwarten den Sprung überlebt habe, wäre er irgendwo in einer unzugänglichen Gebirgsregion gelandet. Ohne Licht, ohne Nahrung, ohne wärmende Kleidung. Wie hätte er da ohne fremde Hilfe herausfinden sollen, wenn jeder Fehltritt in solch einem Terrain tödlich sein kann?

Komplize kann ausgeschlossen werden

Die Unterstützung durch einen Komplizen konnte man aufseiten der Ermittler nahezu ausschließen. Dazu hätte er ein zeitgenauen Sprung an einer ganz bestimmten Koordinate durchführen müssen. Der gesamte Geschehensablauf widersprach dem. Es sei denn, die komplette Flugbesatzung steckte mit Dan Cooper unter einer Decke. Doch dafür hatte das FBI keinerlei Hinweis gefunden.

Aber gerade der Umstand, dass nach diesem Wochenende keine Person vermisst gemeldet wurde, die mit der Tat in Verbindung gebracht werden konnte, widerspricht der Theorie des FBI.

 

weiter zu —> (7) Nachahmer

 

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein