(4) Gerüchte

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Im Winter 1945/46 reiste sie erneut nach Miami, wo sie sich ins Nachtleben stürzte, um dem Schmerz über den Verlust zu entkommen. Man sah sie praktisch jeden Abend in Begleitung eines anderen Verehrers. Soldaten und Geschäftsleute. Ältere Männer und jüngere. Es schien keine Rolle zu spielen. Hauptsache, sie hatten die Spendierhosen angezogen.

Elizabeth Short
Elizabeth Short mit Begleiter in Uniform

Elizabeth Short stolzierte in Peeptoepumps über die Flaniermeilen der Vergnügungsviertel. Sie war sich der Wirkung bewusst, die ihr Äußeres auf männliche Passanten hatte. Sie gafften. Sie pfiffen ihr hinterher. Sie luden sie zum Essen ein. Die Männer zahlten die Rechnungen im Restaurant, in der Bar, gaben ihr Geld für die Miete und Kleider.

Eine Prostituierte?

Einige Autoren haben ihr deshalb unterstellt, sie habe als Prostituierte gearbeitet. Dafür gibt es jedoch keinerlei Beweise. Im Gegenteil. Der leitende Ermittler Harry Hansen hat diese Gerüchte stets als Unfug abgetan. Im Laufe der Morduntersuchung unterhielt sich Hansen mit weit mehr als 100 dieser Verehrer. Gerade mal drei gaben zu, mit Elizabeth Short geschlafen zu haben. Und die Polizei war seinerzeit bei Vernehmungen von Verdächtigen nicht gerade zimperlich.

Elizabeth Short und Verehrer
Elizabeth Short und Verehrer

Andere Biografen wollen herausgefunden haben, dass Elizabeth Short während der Kriegsjahre in Los Angeles in einschlägigen Nachtklubs als Hostess oder Callgirl tätig gewesen sei. Dort sei sie mit dem Jetset von Hollywood in Kontakt gekommen und letztlich an die falschen Leute geraten. Doch Elizabeth Short hatte Kalifornien im September 1943 nach ihrer Nacht in Arrest verlassen. Wie ein Dossier der Staatsanwaltschaft des Los Angeles County belegt, kehrte sie erst im Sommer 1946 dorthin zurück. Die Ermittler haben in dieser Akte alle Aufenthaltsorte von Short vor dem 1. Juni 1946 fein säuberlich mit Zeitangaben aufgelistet.

Angeborener Defekt?

Ein weiteres Gerücht, das sich hartnäckig hält, besagt, Elizabeth Short habe aufgrund eines angeborenen Defekts kaum entwickelte Genitalien besessen. Der Autor John Gilmore sieht hierin beispielsweise das Motiv für den Mord. Den Täter habe dieser Anblick und ihre Weigerung, mit ihm zu schlafen, so sehr in Rage versetzt, dass er die Frau getötet habe. Das Problem an dieser Geschichte: Elizabeth Short führte sexuelle Beziehungen, wenn auch nur wenige, wie Harry Hansen bestätigte. Von irgendwelchen körperlichen Deformationen ist in den Polizeiermittlungen nirgendwo die Rede.

Elizabeth Short mit einem Bekannten
Elizabeth Short mit einem Bekannten

Das fehlende Detail aus dem Autopsiebericht

Es existiert in diesem Mordfall ein besonderer Umstand, der solche Theorien überhaupt erst ermöglicht hat. Wenige Tage nach dem Fund der Leiche beraumte die Grand Jury des Los Angeles County eine Anhörung an. Die Ermittler und der Gerichtsmediziner wurden befragt. Letzterer verlas den Obduktionsbericht.

Erst nach dieser Anhörung entschieden die Geschworenen darüber, ob auf Grundlage der vorgelegten Indizien von einem Verbrechen auszugehen war und weitere Ermittlungen gerechtfertigt erschienen. Im Fall von Elizabeth Short war dies natürlich eine reine Formalie. Eine Anhörung vor der Grand Jury war öffentlich, die Aussagen wurden protokolliert und waren jedem Bürger zugänglich. Doch als der Leichenbeschauer an diesem Tag aussagte, unterbrach ihn der Vorsitzende mitten im Vortrag mit den Worten, man habe genug gehört.

Das LAPD behauptete seitdem, der nicht veröffentlichte Teil des Obduktionsberichts enthielte ein entscheidendes Detail, das nur dem Täter und der Polizei bekannt sei. Ob dies der Wahrheit entsprach oder nur ein Bluff war, vermochte kein Außenstehender zu sagen. Die Akte oder das, was von ihr übrig geblieben ist – viele Beweisstücke sind inzwischen vernichtet worden –, ist auch 70 Jahre nach dem Mord noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Dieser Umstand hatte natürlich in der Vergangenheit Raum für Spekulationen gelassen, den etliche Autoren weidlich ausnutzten.

 

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