(5) Cicero

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Anfang der 1920er Jahre war Chicago unter verschiedenen Verbrechersyndikaten aufgeteilt. Nennenswerte Konflikte gab es zu dieser Zeit nicht. Doch dann wurde 1923 der selbst für Chicagoer Verhältnisse sensationell korrupte Bürgermeister »Big Bill« Thompson überraschend abgewählt. Sein Nachfolger war William E. Dever, der sich den Kampf gegen das organisierte Verbrechen auf die Fahnen geschrieben hatte.

Auf nach Cicero

Dever erschwerte den Banden das Leben. Das simple Prinzip der Bestechung funktionierte unter seiner Ägide längst nicht mehr so reibungslos wie in früheren Jahren. Johnny Torrio und Al Capone beschlossen, den Problemen in Chicago aus dem Weg zu gehen, indem sie einfach einen der Vororte inklusive Polizei und Stadtverwaltung übernehmen würden. Das notwendige Geld stand ihnen dank der glänzenden Geschäfte, die sie während der Prohibition tätigten, im Überfluss zur Verfügung. Ihre Wahl fiel auf die Kleinstadt Cicero.

Die beiden eröffneten dort zunächst ein Bordell. Kurz darauf begleitete Torrio seine Mutter nach Italien. Sie wollte ihren Lebensabend in der alten Heimat verbringen. Torrio übertrug Capone während seiner Abwesenheit die Verantwortung über alle Geschäfte. Dazu zählte auch, Cicero für die Mafia zu erobern. Es war Capones Chance, sich zu beweisen.

Zunächst schleuste er seinen älteren Bruder Frank Capone als Strohmann innerhalb der Stadtregierung von Cicero ein. Seinem Bruder Ralph betraute er mit der Errichtung eines weiteren Bordells, dass sich »Stockade« nannte. Al Capone eröffnete währenddessen das Kasino »Ship« und übernahm die Kontrolle über die Rennbahn in Hawthorne.

Stürmische Wahlen

Capones Eroberung von Cicero ging rasend schnell vonstatten und stieß gewöhnlich auf keinerlei Widerstand. Nur der junge Reporter Robert St. John, der bei der »Cicero Tribune« beschäftigt war, ließ sich auf eine Fehde mit dem fremden Eroberer ein.

Praktisch jede Ausgabe seiner Zeitung enthielt einen Artikel über die krummen Geschäfte des Mafiosi. St. John führte detailliert auf, in welche Händel Al Capone verstrickt war. Capone hatte 1924 einige Kandidaten für die Vorwahlen zum Stadtrat ins Rennen geschickt, deren Ruf durch die permanente Berichterstattung beschädigt wurde.

Am Wahltag wurde es deshalb hässlich. Capones Schläger entführten Wahlhelfer und Wähler der gegnerischen Kandidaten und drohten ihnen Gewalt an, sofern sie ihr Kreuzchen an der falschen Stelle machten.

Der Tod von Frank Capone

Der Polizeichef von Chicago erfuhr von den Vorfällen in Cicero. Er trommelte 79 Beamte zusammen und machte sich auf den Weg in die Nachbarstadt. Die Cops erschienen in Zivil und fuhren in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen. Offiziell waren sie unterwegs, um einige Streikbrecher einer Fabrik von Western Electric vor Übergriffen zu schützen. Doch in Wahrheit wollten sie auf ihre Art für geordnete Wahlen in Cicero sorgen. Alle Beamten hielten geladene Schrottflinten griffbereit.

Al und Frank Capone befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einem Wahllokal neben dem Fabrikgebäude von Western Electric. Als sie den Konvoi von neun Zivilfahrzeugen sahen, glaubten sie an einen Überfall konkurrierender Banden aus Nord-Chicago. Was sich dann im Einzelnen abspielte, ist umstritten. Die beteiligten Polizisten sagten aus, dass Frank Capone das Feuer auf sie eröffnet habe. Andere Zeugen beteuerten, Frank Capone sei nicht einmal die Zeit geblieben, die Waffe zu ziehen. Wie auch immer: Binnen Sekunden war sein Körper von Schrotkugeln durchsiebt. Al Capone hingegen konnte unverletzt entkommen.

Der Tod seines Bruders versetzte Al Capone in Rage. Die Lage in Cicero eskalierte. Capone ließ Politiker und Beamte der Stadt entführen und stahl die Wahlurnen. Einer der Politiker wurde ermordet. Als alles vorüber war, hatte Capone in Cicero gesiegt. Doch der Preis, den er dafür zahlte, war hoch. Der Tod seines Bruders würde ihn sein Leben lang verfolgen.

Collins, der Polizeichef von Chicago, setzte die Provokationen fort. Zur Beerdigung von Frank Capone erschienen dieselben 79 Polizisten, die an seiner Ermordung beteiligt waren. Al Capone war wütend. Er stand kurz davor, einen Krieg gegen den gesamten Polizeiapparat von Chicago anzuzetteln. In letzter Sekunde zügelte er sein Temperament.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Capones Selbstkontrolle währte fünf Wochen. Dann schlug Joe Howard, ein Kleinkrimineller, Capones Freund Jake Guzik übel zusammen. Guzik hatte Howard einen Kredit verweigert. Als Capone von dem Überfall erfuhr, ließ er nach Howard fahnden. Seine Männer spürten den Mann in einer Bar auf. Al Capone ging alleine hinein.

Al Capone - Joe Howard
Joseph W. Howard

Joe Howard hatte sich einen denkbar schlechten Moment ausgesucht für seinen Wutausbruch. Und er beging einen weiteren fatalen Fehler. Von Capone zur Rede gestellt nannte er diesen einen spaghettifressenden Zuhälter. Capone schoss Howard ohne Vorwarnung vor allen Leuten in den Kopf.


Heute der Parkplatz einer Spedition, früher Hymie Jacobs Bar: Hier starb Joe Howard durch sechs Schüsse, die aller Wahrscheinlichkeit nach Al Capone abfeuerte.

 

William H. McSwiggin übernahm als Staatsanwalt die Ermittlungen. Er setzte alle Hebel in Bewegung, um Al Capone wegen Mordes hinter Gitter zu bringen. Doch die Augenzeugen klagten plötzlich über riesige Erinnerungslücken. Das Ende vom Lied: Obwohl die Bar an diesem Abend gut besucht gewesen war, bestätigte keiner der anwesenden Gäste, Al Capone dort gesehen zu haben. McSwiggin musste die Anklage fallen lassen.

Ein Mann, mit dem zu rechnen ist

Gleichzeitig rückte die Presseberichterstattung über die Ermittlungen den aufstrebenden Mafiosi erstmals ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die Tage des diskret im Hintergrund operierenden Capones waren endgültig vorüber.

Al Capone war nun 25 Jahre alt und erst seit vier Jahren in Chicago. Inzwischen war aus ihm ein Mann geworden, mit dem zu rechnen war. Er hatte es zu Wohlstand gebracht, er war einflussreich und er sagte, wo es in Cicero langging. Sowohl für die Ermittlungsbehörden als auch für seine Konkurrenten war er damit zur wandelnden Zielscheibe geworden.

Die Prohibition warf für alle Nutznießer unglaubliche Gewinne ab. Der Profit weckte die Gier auf mehr. Der Frieden unter den Verbrechersyndikaten von Chicago, den Johnny Torrio eingefädelt hatte, bröckelte gewaltig.

Die Ganoven beäugten sich gegenseitig, neideten sich ihre Erfolge, witterten Schwächen beim Gegner, schmiedeten heimliche Allianzen. Alsbald mündeten die Feindseligkeiten in einen offenen Bandenkrieg. Auf den Straßen starben die Gangster, als wäre in Chicago gerade die Pest ausgebrochen.

 

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