(9) Der Tod von Billy McSwiggin

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Am 27. April 1926 verabredete sich Billy McSwiggin zu einer Partie Poker mit einem Kumpel namens »Red« Duffy. McSwiggin war der Staatsanwalt, der 1924 vergeblich versucht hatte, Capone des Mordes an Joe Howard zu überführen.

Massaker vor dem »Pony Inn«

McSwiggin und Duffy verbrachten den Abend in einer von Capones Spielhöllen. Auf der Rückfahrt hatte ihr Wagen eine Panne. Ein Schnapsbrenner namens »Klondike« O‘Donnell und sein Bruder Myles kamen zufällig vorbei. Sie boten den beiden gestrandeten Männern an, sie mitzunehmen. Die vier Burschen mit irischen Wurzeln fanden, der Abend sei eigentlich noch zu jung für eine Heimkehr zu Frau und Kind. Sie fuhren rüber nach Cicero, um sich in einer Bar volllaufen zu lassen.

Al Capone - William Klondike O'Donnell
William „Klondike“ O’Donnell

Dummerweise waren die O‘Donnell-Brüder von der North Side zutiefst verfeindet mit Al Capone. Ihr Trip nach Cicero auf Mafiagebiet stellte eine Todsünde dar. Die Männer kehrten in einer Kneipe namens »Pony Inn« ein. Al Capone saß ein paar Häuser weiter beim Abendessen. Seine Leute unterrichteten ihn davon, wer in der Stadt aufgekreuzt war.

Al Capone - Myles O'Donnell
Myles O’Donnell

Capone und seine Männer bezogen vor dem »Pony Inn« Stellung. Es war ein wenig wie im Krieg. Sie legten Maschinengewehrnester für ihre Thompson Guns an. Dann warteten sie. Capone ahnte in diesem Moment nicht, dass sich unter den ungeladenen Gästen auch ein Staatsanwalt befand, mit dem er in der Vergangenheit zusammengerasselt war.

Hätte er über dieses Detail Bescheid gewusst, hätten sich die Dinge an diesem Abend vielleicht anders entwickelt. So wurden die Betrunkenen von mehreren Maschinengewehren empfangen, als sie zur Bar hinausschwankten. Al Capone befand sich vermutlich unter den Schützen. Die O’Donnell-Brüder konnten sich retten, doch Billy McSwiggin war tot.


Harry Madigans ehemaliges „Pony Inn“ (links) verkauft zwar heute „Pastas & Salads“, aber man kann sich ungefähr vorstellen wie Staatsanwalt McSwiggin zusammen mit den O’Donnell-Brüdern herausgetorkelt kam.

 

Die Stimmung kippt

Jeder in Chicago wusste, wer für das feige Attentat die Verantwortung trug. Es war eine Sache, wenn sich ein Staatsanwalt mit einer Bande Ganoven einen hinter die Binde kippte. Es war unpassend, ja. Aber nichts, was den korruptionsgewohnten Einwohnern von Chicago den Schlaf raubte.

Auf einem gänzlich anderen Blatt stand der kaltblütige Mord an einem Vertreter der Ermittlungsbehörden. Das Gesetz und seine ausübenden Organe waren die letzte Bastion, die den Normalbürger vor den schießwütigen Gangstern schützte. Verlor die Mafia den Respekt vor den Gesetzeshütern, war Chicago dem Untergang geweiht.

Al Capone hatte sich mühsam das Image eines sympathischen Wohltäters aufgebaut. Die Ermordung von McSwiggin riss mit einem Schlag die gesamte Fassade nieder. Die Öffentlichkeit verlangte empört, diesem Monster endlich das Handwerk zu legen. Und mit ihm allen anderen mordenden Ganoven, die die Straßen von Chicago in den Schauplatz eines Bürgerkriegs verwandelt hatten.

Doch obwohl die Dinge klar auf der Hand zu liegen schienen, fand die Polizei keinerlei Beweise, die Al Capone mit der Tat in Verbindung brachten. Die aufwendige Untersuchung entwickelte sich zum Desaster. Die Polizeibehörden waren blamiert, die Beamten frustriert. Sie rächten sich auf ihre Weise. Beinahe täglich unterzogen sie Capones Bordelle und Flüsterkneipe einer Razzia. Ein paar der Läden gingen in Flammen auf.

Auf Tauchstation

Al Capone war derweil untergetaucht. 300 Polizisten fahndeten nach ihm. Die Behörden dehnten die Ermittlungen sogar bis ins Ausland nach Kanada und Italien aus. Sie fanden keine Spur von Capone. So weit entfernt hätten sie gar nicht zu suchen brauchen. Zunächst versteckte sich Capone bei einem Freund in Chicago Heights, dann schlüpfte er bei Bekannten in Lansing, Michigan, unter.

Die drei Monate im Untergrund veränderten Al Capone. Von Reue keine Spur. Den Tod von McSwiggin betrachtete er als eine Art Kollateralschaden. McSwiggin war es selber schuld, wenn er sich mit den falschen Leuten am falschen Ort herumtrieb. Al Capone sah sich selbst als eigentliches Opfer.

Hatte er sich nicht als großzügiger Mäzen erwiesen, von dem die Gesellschaft profitierte? Hatte er sich nicht für die Probleme vieler seiner Mitbürger eingesetzt und ihnen tatkräftig geholfen, wo kein anderer ihnen helfen konnte oder wollte? Hatte er nicht Tausenden von Menschen Arbeit verschafft, darunter vielen bettelarmen italienischen Einwanderern, die ansonsten auf der Straße herumgelungert hätten? Und wie dankten die Menschen ihm nun sein selbstloses Engagement?

Al Capone stellt sich

Al Capone züchtete sich sein eigenes Selbstbildnis. Er war nun nicht länger mehr »Scarface«, der erfolgreiche Kriminelle. Er war Märtyrer, visionärer Unternehmer, Patriarch der italo-amerikanischen Gemeinde, Troubleshooter, Friedensstifter und Führungspersönlichkeit in einem. Eine überlebensgroße Figur, reich gesegnet mit Talenten, an denen die Gesellschaft teilhaben sollte.

Capone war sich bewusst, dass er sich nicht den Rest seines Lebens verstecken konnte. So entschied er sich zu einem riskanten, aber kalkulierten Risiko. Er würde sich den Behörden freiwillig stellen. Über Mittelsmänner verhandelte er mit der Polizei von Chicago die Bedingungen aus.

Er würde vor Gericht ziehen und sich eine Armada von Anwälten leisten, die ihn gegen die Vorwürfe verteidigen würden. So wie es jeder andere erfolgreiche amerikanische Geschäftsmann machte, wenn er vom Gesetz verfolgt wurde. Die Menschen würden bald merken, dass die Behörden nur ein Exempel an ihm statuieren wollten und voller Vorurteile gegen Italoamerikaner waren. Die Stimmung würde zu seinen Gunsten kippen, egal wie die Anklage lautete.

Am 28. Juli 1926 kehrte Al Capone nach Chicago zurück. Und wieder verließ er den Ring als Sieger. Denn die Polizei hatte nach wie vor nichts gegen ihn in der Hand. Trotz des öffentlichen Aufschreis kam es zu keinem Prozess. Al Capone verließ das Polizeigebäude als freier Mann. Die Behörden waren machtlos. Capone schien unangreifbar zu sein.

 

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